James Potter
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Nach dem der letzte von ihnen den Federkiel endgültig beiseitegelegt und das Prüfungspergament abgegeben hatte, hatte James bereits den perfekten Plan, wie er den Abschluss des Jahres gebührend feiern würde.
„Süßkram“, sagte er auf Peters fragendes Blick hin. „Und zwar eine ganze Tonne davon. Für den ganzen Jahrgang. Natürlich aus dem Honigtopf“, fügte er zwinkernd hinzu. Seit sie den geheimen Tunnel in den Keller des Honigtopfes gefunden hatte, hatte es James in den Fingern gejuckt, ein weiteres Mal hinunterzusteigen und sich durch alles zu futtern, was der Süßigkeitenladen zu bieten hatte. Zwar war er sich ziemlich sicher, dass er es alles schon kannte, aber er könnte unmöglich eine Neuigkeit verpassen. Das würde er mit sich selbst nicht vereinbaren können. Außerdem waren alle mehr als nur bereit, sich für einen Abend lang mit den besten und süßesten Leckereien vollzustopfen, die die Zauberwelt hergeben konnte.
Wie sie in ihren Prüfungen abgeschnitten hatten, würden sie erst noch erfahren, deswegen gab es für James und seine Freunde eine ganze Woche lang, in der sie sich ausruhen konnten, in der sie tun und lassen konnten, was sie wollten. In den meisten Fächern gab es auch keinen Unterricht mehr, lediglich Professoren wie Binns oder McGonagall bestanden darauf, dass sie mit dem Stoff weitermachen würden (wobei Ersterer nicht wirklich wusste, dass sie längst ihre Prüfungen geschrieben hatten). So gut wie alle Schüler waren bereits in Ferienstimmung und erwartungsfreudig, ein weiteres Schuljahr hinter sich zu lassen. Es gab die ein oder andere Ausnahme, natürlich.
Obwohl es keine Arbeiten und Prüfungen mehr gab, saß Remus mit der Nase in einem Buch am See mit ihnen, die Ärmel seines Umhangs bis zu den Fingerspitzen gezogen, damit niemand seine Arme sehen würde, ein weiterer Stapel mit Büchern neben sich platziert. James, der mit Sirius eine Runde Zauberschnippschnapp gespielt hatte, wurde es zu bunt, als Remus ein Buch zuklappte und direkt ein neues öffnete.
„Okay, Remus, was soll das werden? Willst du die Bibliothek noch auslesen, bevor wir nach Hause fahren, oder was soll das?“
Remus blickte nicht auf. „Wirklich witzig, James. Nein, ich recherchiere.“
„Für was bitte?“, fragte Sirius mit einer angesengten Braue, während er die Karten neu mit seinem Stab mischte. „Das Schuljahr ist vorbei, du kannst keine Extra-Punkte mehr verdienen.“
„Das ist mir schockierender Weise sehr wohl bewusst, Sirius“, antwortete Remus augenrollend. Mit einem Finger fuhr er die Inhaltsangabe des neuen Buches entlang. „Aber nächstes Schuljahr müssen wir Wahlfächer nehmen und ich will mich ein wenig informieren, damit ich kein falsches nehme.“
„Ich dachte wir nehmen sowieso alle die gleichen Fächer“, sagte Peter. „Wie sonst sollen wir zusammen in einer Klasse bleiben?“
James schüttelte kaum merklich den Kopf. „Schon gut, Pete, wir bleiben ja zusammen. Aber wahrscheinlich müssen wir Remus gehen lassen. Er wird erwachsen und will alle Fächer wählen.“
„Will ich nicht“, meinte Remus, der endlich den Kopf hob. „Ich kann mich nur nicht zwischen Alte Runen und Arithmantik entscheiden.“
Sirius schnaubte. „Nimm bloß nicht Alte Runen. Mein Vater hat davon dutzende Bücher rumliegen und das ist alles so ein verwirrendes Zeug, da versteh man gar nichts. Außerdem glaubt er, dass sie der Schlüssel zu antiker, vergessener Magie sind und damit will ich nun wirklich nichts am Hut haben.“
„Alte Runen ist aber wirklich spannend“, erwiderte Remus mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Nicht nur, weil sie auch mit unserer Magie zusammenhängen, sondern weil es auch Muggelstudien über die Runen gibt, die uns bisher weitergeholfen haben. Niemand weiß, wer die Runen angefertigt hat oder welchen Zwecken sie außerhalb von Kommunikation noch dienten, das ist – “
„Oh, hey, gute Idee!“, unterbrach Sirius ihn. „Ich nehm Muggelkunde als Wahlfach. Danke, Remus!“
Remus öffnete den Mund, aber sagte nichts.
„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragte James zögerlich, der einen zweifelnden Blick mit Peter tauschte. „Ich meine, wenn du das lernen willst, dann ist das cool, aber deine Eltern sind sicher nicht begeistert davon.“
Sirius machte eine wegwerfende Handbewegung. „Lass das mal meine Sorge sein.“
„Aber –“, fing Remus an.
„Wirklich“, unterbrach Sirius ihn scharf. „Lass das meine Sorge sein. Ich bekomm das hin, okay?“
Remus´ Blick wurde ein wenig sanfter und er nickte. „Okay“, antwortete er leise. „Aber sei vorsichtig.“
Sirius´ Lächeln schnitt sein Gesicht in zwei. „Wann bin ich denn jemals nicht vorsichtig?“
„Ich hätte eine Liste“, murmelte Peter, woraufhin James prustete.
„Ja, ich auch. Dein ganzes Leben lang.“
„Witzig“, sagte Sirius.
„Danke.“ James´ Grinsen erstarb allerdings. „Aber wirklich, Sirius, wir wollen nur nicht, dass deine Eltern noch einen Grund haben, dich – du weißt schon.“
„Zu erziehen?“ Sirius lachte leise. „Ich komm mit ihnen klar. Ich glaube sogar, dass der Sommer gar nicht so schlimm werden wird.“
„Was? Wieso das bitte?“, fragte Peter.
Schulterzuckend teilte Sirius die Karten aus. „Ich hab´s so im Gefühl“, meinte er, wobei er es vermied, irgendeinem der Jungs in die Augen zu sehen. „Wahrscheinlich weil es Reggies erster Sommer zuhause ist und meine Mutter sich wieder voll auf ihn stürzen kann. Auf den perfekten kleinen Reinblut-Erben“, fügte er murrend hinzu.
James versuchte seinen Blick einzufangen, aber Sirius tat sehr gut so, als müsste er sich immens dabei konzentrieren, die Karten gerade auf den Boden zu legen. Er erinnerte sich an die kurze Unterhaltung, die er mit Regulus geführt hatte, auf dem Quidditch-Feld, als Regulus James nach dem Training abgefangen hatte. Regulus und Sirius sahen sich so verdammt ähnlich, es war James schwer gefallen, nicht Sirius in ihm zu sehen, als er ihn darum gebeten hatte, auf ihn acht zu geben. Es war James schwer gefallen, zu verstehen, wie ein Haushalt zwei so unterschiedliche Brüder produzieren konnte.
„Okay“, sagte er vorsichtig und nahm seine Karten auf. „Das klingt plausibel.“
Für den Rest des Tages ließen sie das Thema sein.
James nutzte die freie Zeit, die ihnen gegeben wurde, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Natürlich konnte er sich schlecht beim Mittagessen einfach neben Snape setzen und so tun, als wären sie plötzlich Freunde, selbst er wusste, dass das nicht möglich war. Er musste mit Feingefühl an die ganze Sache herangehen. Und es gab nur eine Person an Hogwarts, die ihm irgendwie behilflich sein konnte.
„Nein.“ Lily blickte nicht einmal vor ihrem Buch auf, als James sich in der Bibliothek neben sie setzte. „Was immer es auch ist, Nein. Verschwinde, Potter.“
„Wow“, entgegnete er und fasste sich dramatisch an die Brust. „Warum bist du denn so gemein zu mir, Evans?“
„Weil du anders nicht lernst. Und jetzt verschwinde.“
„Evans, kannst du nicht wenigstens –“
„Spreche ich eine andere Sprache?“, fragte Lily mit scharfer Stimme, ehe sie den Kopf hochzucken ließ. „Ich glaube nämlich nicht. Und sofern du in den letzten Wochen nicht plötzlich verlernt hast, wie man anderen Menschen zuhört, dann solltest du eigentlich verstanden haben, dass man in den meisten Fällen auch das tut, was die andere Person von einem verlangt. Ich habe verlangt, dass du mich in Ruhe lässt. Soll ich vielleicht Madam Pince rufen, damit sie dich eigenhändig entfernen kann oder kannst du das allein?“
Ein wenig von der Härter ihrer Worte getroffen, lehnte James sich in seinem Stuhl zurück. Mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtete er Lily, die roten Haare, die sie eilig zusammengebunden und sich über die Schulter geworfen hatte, die runden, pinken Wangen, das satte Grün ihrer funkelnden Augen, als sie ihn abwartend anstarrte. Es gab sicherlich eine Million Wege, wie er ihr hätte antworten können, ohne sie weiter auf die Palme zu bringen, aber stattdessen schien James nicht mehr zu wissen, wie man normal redete. Er öffnete den Mund, aber kein Wort kam heraus. Das Sonnenlicht brach sich in den dicken Bibliotheksfenstern und ließ Lilys Haare so aussehen, als würden sie in Flammen stehen. Ihre ganze Gestalt war in Licht gehüllt. Sie war wie ein Wildfeuer inmitten all dieser kostbaren Bücher.
James hatte schon immer gerne mit Feuer gespielt.
„Sorry, Evans“, sagte er, seine Lippen verzogen sich automatisch zu einem Lächeln, „ich fürchte, wir sind uns auf dem falschen Fuß begegnet.“
„Ganz sicher nicht“, schnaubte sie und wandte sich wieder ihrem Buch zu. „Wenn ich das nächste Mal den Kopf hebe, dann bist du besser verschwunden, oder ich muss die fortgeschrittenen Verwandlungen hier vielleicht direkt ausprobieren. Meinst du, dir würden ein paar nicht mehr zu entfernende Geweihe stehen?“
James konnte nicht anders, als ihre feurige Art zu mögen. Sie würde sich wunderbar in seiner Gruppe machen, fand er. Sie könnte ihm Paroli bieten und James genoss es, mit ihr zu reden. Es war ihm zuvor nicht aufgefallen, aber er genoss es wirklich, mit Lily Evans zu reden. Selbst wenn alles, was sie zu ihm sagte, versteckte Beleidigungen und Drohungen war, genoss er es, ihre Stimme zu hören. Irgendetwas wollte sich ihm damit nicht ganz erschließen. „Das ist eine wirklich gute Frage. Weißt du, wen wir da um Rat bitten könnten? Deinen guten Freund Schnief- ich meine, Severus. Warum setzen wir uns nicht zusammen und besprechen das?“
Als hätte jemand die Welt mit einem Impedimenta-Fluch belegt, hob Lily langsam, bedächtig den Kopf, wobei sie darauf achtete, den Blickkontakt erst aufzubauen, als sie ganz aufgeschaut hatte. Ihre grünen Augen schienen in Flammen zu stehen, als sie fragte: „Was hast du gesagt?“
„Dein Kumpel Severus“, wiederholte James, in der Hoffnung, dass sie einfach zustimmen und die ganze Sache wesentlich einfacher machen würde. „Ich hab gefragt, ob wir uns nicht zusammensetzen können. Ich bin mir sicher, dass er eine Menge beizusteuern hätte.“ Es tat James beinahe schon in der Seele weh, diese Dinge zu sagen, denn irgendwo wusste er, das alles, was Snape zu einer Konversation beisteuern konnte, nur unnötiger Schwachsinn war. Aber das würde er nicht aussprechen. Er würde sich daran hindern, weiterhin so hasserfüllte Dinge zu sagen und Snape zu verurteilen, wenn er ihn nicht kannte. Er würde ein besserer Mensch sein.
Lily klappte ihr Buch zu, ohne die Seite zu markieren, auf der sie gewesen war und holte tief Luft. Sie schloss die Augen. „Ich gebe dir zehn Sekunden“, sagte sie langsam. „Wenn ich die Augen nach zehn Sekunden wieder öffne und du immer noch hier sitzt, dann werde ich dich mit all den Flüchen belegen, die ich in der praktischen Prüfung nicht zeigen konnte und du wirst dir wünschen, niemals den gleichen Raum wie ich betreten zu haben.“
James unterdrückte seinen Drang zu lachen. „Ich meine es wirklich ernst“, beteuerte er.
„Eins.“
„Komm schon, Evans, du hast doch gesagt, ich soll mich nicht immer wie ein Wasserkopf benehmen und auch mal an andere denken! Ich versuche hier über meinen Schatten zu springen.“
„Zwei. Alles, was ich höre, ist der Unsinn, der auch sonst aus deinem Mund fällt. Sechs.“ Lily atmete ein weiteres Mal tief ein.
James wollte einerseits herausfinden, welche Flüche Lily alle so drauf hatte, einerseits war er ein ziemlicher Fan von seinem Gesicht und wollte nicht, dass ihre Zauber es verunstalten würde. Er erhob sich rasch, doch noch bevor er weiter als zwei Schritte vom Tisch entfernt war, blieb er stehen. Wenn er jetzt gehen würde, dann hätte er doch bewiesen, dass er nur Dinge aussprach, die er nicht selbst befolgen konnte. Er konnte von Sirius nicht verlangen, nett zu seinem schrecklichen Hauselfen zu sein und selbst nach einem halbschwachen Versuch aufgeben. James drückte den Rücken durch und drehte sich zu Lily um, als diese: „Zehn“, sagte.
„Ich warte“, erwiderte er, als sie nichts tat.