Sirius Black
_________________________________
Eine melancholische Schwere drückte auf Sirius‘ Brust. Hogwarts, seine Freunde, selbst der unterfordernde Unterricht lagen in weiter Ferne und der Grimmauldplatz Nummer 12 thronte wie ein dunkles Gegenstück zur Schule inmitten der schmutzigen Straßen Londons. Schwarze Fenster beäugten die gerade angekommenen Black-Brüder.
Kreacher ließ von ihren Ärmeln ab und sagte: „Kreacher hat die jungen Masters Black nach Hause gebracht, wie die Miss es befohlen hat. Die Miss wartet auf die jungen Masters Black im Speisesaal, soll Kreacher ausrichten.“
„Vielen Dank, Kreacher“, sagte Regulus. Er schenkte dem Hauselfen ein Lächeln. „Würdest du meine Tasche für mich in mein Zimmer bringen, ja?“
„Selbstverständlich, Master Regulus, Kreacher wird sich sofort darum kümmern.“ Kreacher legte einen dünnen, gräulichen Arm auf Regulus‘ Tasche und im nächsten Augenblick war er verschwunden.
Die Tür zum Grimmauldplatz Nummer 12, eine schwere, dunkle Holztür mit schlangenartigen Verzierungen und einem massiven Löwenmessinggriff, schwang von allein auf, als die Brüder auf der letzten Stufe ankamen. Sirius ballte beide Hände zu Fäusten und holte tief Luft, bevor er den ersten Schritt ins Haus wagte. Ein düsterer Gestank lag in der Luft, ein Kribbeln in seiner Nase und seinen Fingerspitzen, dass die Haare an seinem Nacken aufstehen ließ. Dunkle Magie klebte an den Wänden, verschmierte die Fenster und Türen, ließ die Dielen am Boden knarzen. Im Haus der Blacks hatte es nie anders gerochen und doch wurde Sirius beinahe schlecht.
„Was glaubst du, möchte Mutter mit uns besprechen?“, fragte Regulus.
Sirius warf einen überraschten Blick zu seinem Bruder. Seit Regulus ihn auf den Quidditch-Tribünen aufgesucht und ihm von Onkel Alphards Verstoß erzählt hatte, hatte er keine wirkliche Unterhaltung mehr mit seinem jüngeren Bruder geführt. Es würde ihn stark überraschen, wenn Regulus plötzlich wieder heile Familie spielen wollte, hatte aber eine Ahnung, was er vor hatte. Sirius entschied sich, vorerst mitzuspielen, wie sein Bruder es vorgeschlagen hatte. „Sie will dir wahrscheinlich persönlich gratulieren, dass du die Familientradition fortführst.“ Er zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn es in seinen Mundwinkeln brannte. Wann war das letzte Mal, dass Sirius im black’schen Haus gelächelt hatte? „Und dich dafür loben, dass du mit den anderen Reinblüter-Jungs aus deinem Jahr befreundet bist.“
Was auch immer Regulus als Antwort erwartet hatte, das war es nicht gewesen. Seine blassen Wangen wurden dunkel. „Barty und Evan sind nicht nur meine Freunde, weil sie Reinblüter sind, Sirius.“
„Natürlich nicht, aber Mutter wird trotzdem erfreut sein.“ Sie standen an der Treppe, die hinunter in den Speisesaal führte. Die abgeschlagenen Köpfe der alten Hauselfen an den Wänden schienen ihnen mit toten Augen zu folgen. Es fühlte sich an, als würde Sirius direkt in den Magen der Bestie steigen, je tiefer er die Treppe hinunterstieg. Seine Füße berührten kaum die Stufen, so kam es ihm vor. Als würde er hinunterfliegen, oder gezogen werden.
Die Matriarchin der Familie Black saß am Ende des Tisches, gekleidet in den feinsten, schwarzen Roben, die es in der magischen Welt für Geld zu kaufen gab. Ihre langen Finger lagen auf der Holzplatte und trommelten ungeduldig, bis ihre Söhne vor ihr stehen blieben und die Köpfe senkten. Walburga Black, einst eine Schönheit, heute kaum mehr als ein garstiger Schatten ihrer Selbst, betrachtete zuerst ihren ältesten Sohn, eine Mischung aus Abneigung und Erwartung in den Augen.
„Meine Wünsche wurden nicht beachtet“, sagte sie schließlich. Walburga seufzte nicht, schaute nicht enttäuscht drein oder bat um Aufklärung. Stattdessen zog sie die Augenbrauen zusammen, bis ihre Augen schmal wurden. „Ich bin mir sicher, dass ich ausdrücklich ausgesprochen habe, dass ich nicht möchte, dass du weiterhin Umgang zu Blutsverrätern und Schlammblütern führst. Für das Wohl unserer Familien und dem Ansehen, das wir uns aufgebaut haben, Sirius.“
Still, kalt, dunkel - so, wie es im Grimmauldplatz immer war. Sirius traute sich kaum, seine Füße zu bewegen. Er rammte sich die Fingernägel tief ins Fleisch, bis er heißen, flammenden Schmerz in seiner Handinnenfläche spürte, dann antwortete er seiner Mutter in der höflichsten, ruhigsten Art, die er aufbringen konnte: „Es missfällt mir, meinen Freunden den Rücken zu kehren, Mutter.“
Walburga musste ihren Zauberstab nicht zücken, um in Sirius die Angst zu entfachen, jeden Moment verflucht zu werden. Ihr kühler, kalkulierender Blick reichte dafür vollkommen aus. „Du stellst die Gefühle von Schlammblütern über die deiner eigenen Mutter? Fleisch und Blut und Magie der Familie Black haben seit Jahrtausenden überdauert. Ich werde nicht zulassen, dass du ganze Ären an magischer Geschichte in den Dreck ziehst, nur weil du denkst, du könntest mit dreckigen Muggelliebhabern und Schlammblütern befreundet sein.“ Mit langsamen, bedachten Bewegungen erhob Walburga sich von ihrem Platz. Sie ging um Sirius und Regulus vorbei, bis sie direkt hinter ihrem ältesten Sohn stand, ihr heißer Atem wie eine Warnung im Nacken, dass es zu spät war, um wegzulaufen. Die Spitze ihres Zauberstabs fand den Weg zu Sirius unteren Rücken.
„Mutter, bitte - „, fing er mit panikverklebter Stimme an, aber Walburga wartete nicht auf eine Entschuldigung, eine Ausrede, ein Wimmern.
„Crucio“, wisperte Walburga in Sirius' Ohr.
Der Fluch riss durch seine Haut und steckte sein Fleisch in Brand. Noch bevor er sich daran hätte hindern können, fiel Sirius vor Schmerz schreiend auf die Knie. Er krallte beide Hände vor den Mund, während glühend heiße Flammen sein Inneres ausfüllten, sein Blut verdampfen ließen, seine Knochen schmelzen ließ, die Haut von seinem Körper tropfen ließ. Der Folter-Fluch schnitt durch jede seiner Schichten, hinterließ nichts als Schmerz und den Wunsch nach Erlösung.
So schnell es begonnen und ihn auf die Knie gezwungen hatte, so schnell hörte es auf. Walburga zog ihren Stab zurück, verstaute ihn in den Tiefen ihrer Robe und sagte mit dunkler Stimme: „Wenn meine Worte nicht zu dir durchdringen wollen, dann müssen es Taten sein. Wir beide wollen nicht, dass das passiert, Sirius.“
„Mutter.“ Regulus' Stimme fand ihren Weg kaum an Sirius' Ohr; das Echo seiner eigenen Schreie hallte noch immer darin nach. „Dieser Fluch ist vom Ministerium verboten worden.“
Walburga schnalzte ungeduldig mit der Zunge, ihr ältester Sohn wie ein getretener Hund zu ihren Füßen. „Das Ministerium ist voller Schwächlinge und Feiglinge“, sagte sie mit peitschender Stimme. „Sie tun alles daran, damit wir vor den Muggeln versteckt bleiben, obwohl wir die nötigen Mittel hätten, diese dreckigen Würmer zu vernichten. Na, wie auch immer“, ein kühles Lächeln legte sich auf ihre Lippen, „so, wie die Dinge sich gerade entwickeln, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit.“
„Was soll das heißen?“, keuchte Sirius, der kaum die Kraft hatte, sich auf seinen Knien hochzustützen. Mit wackligen Beinen krallte er sich am Tisch fest, um nicht mit dem Gesicht voran auf den Stein zu krachen.
„Das hat dich nichts anzugehen, Sirius“, erwiderte seine Mutter. „Es gibt Dinge, die sind nicht für die Ohren von kleinen Jungen geeignet.“
Sirius knirschte mit den Zähnen, bereit ihr ein paar sehr gewählte Worte an den Kopf zu werfen, die ganz sicherlich nicht im Repertoire eines Erbsohnes vorhanden sein sollten, als Regulus einen halben Schritt zur Seite tat, ihm dabei auf den Fuß trat und mit lauter Stimme verkündete: „Wahrscheinlich würden wir die schwierigen, erwachsenen Angelegenheiten sowieso nicht begreifen, nicht wahr, Sirius?“ Regulus blickte ihn nicht an, sondern hielt die Augen auf ihre Mutter gerichtet.
„Genau“, gab Sirius schließlich zu, als er den stechend dunklen Blick seiner Mutter nicht mehr ertrug. Er senkte die Augen, Echos von brennenden Schmerzen in seinem Körper. „Vergib mir für meine kühne Frage, Mutter.“
„Für dieses eine Mal werde ich das, aber du tätest gut daran, dich beim nächsten Mal zurückzuhalten.“ Walburga warf Sirius einen letzten, abweisenden Blick zu, dann wandte sie den Kopf ihrem Jüngsten zu.
Regulus zuckte kaum merklich nach hinten.
„Erzähl mir, Regulus, wie gefällt es dir im Haus unserer Familie? Sicherlich ist Slytherin ein wahrer Nährboden für deine magischen Fähigkeiten.“
Sichtlich mit seiner Antwort hadernd, knetete Regulus seine Finger vor sich. „Es ist“, fing er langsam an, „eine großartige Erfahrung und ich fühle mich geehrt, dass ich an Salazar Slytherins Lehren Teil haben darf. Meine Mitschüler behandeln mich gut und ich fühle mich wohl dort.“
Walburga nickte. „Das ist gut zu hören. Slytherin wird dir auf dem Weg an die Spitze ein guter Begleiter sein, vergiss das nicht. Wenn du wie dein Vater bist, dann werden auch dir die laschen Prüfungen Hogwarts' mehr als leicht fallen.“
Es war unter dem kläglichen Küchenlicht kaum zu erkennen, aber Regulus' helle Haut wurde noch blasser. Er krallte die Hände in die Seite und antwortete mit überraschend kräftiger Stimme: „Vielen Dank, Mutter. Ich werde mein Bestes geben, um in Vaters Fußstapfen zu treten.“
„So lobe ich mir das“, erwiderte Walburga, der Anflug eines Lächelns auf ihren dünnen Lippen. „Nun, geht nach oben und macht euch fürs Abendessen fertig.“
„Mutter?“ Sirius wappnete sich bereits für den Ausbruch, doch Walburga blickte lediglich für den Bruchteil einer Sekunde zu ihm - das Zeichen, dass sie ihn gehört und er weiterreden durfte. „Wo wird die diesjährige Weihnachtsparty stattfinden?“
„Auf dem Sitz der Familie Malfoy. Abraxas hat uns alle herzlich eingeladen, nun da Narzissas und Lucius' Hochzeit bald ansteht.“
„Verstehe. Danke.“
Walburga entließ ihre Söhne mit einem Handschwenk.
Die Malfoys - Sirius wusste genug über diese Familie, um eine Gänsehaut zu bekommen. Sie standen der Familie Black in Skrupellosigkeit und Hinterhältigkeit in nichts nach. Abraxas Malfoy, das derzeitige Oberhaupt der Familie, war Vorsitzender des Zaubergamots und schon immer nah mit der Ministerebene gewesen. Ob Abraxas auch mit der Ministerin Jenkins im Bündnis war, wusste Sirius nicht. Er hoffte darauf, etwas Zeit zu haben, auf dem Anwesen der Malfoys nach Informationen suchen zu können, so wie Andromeda ihn gebeten hatte.
Wenn er dem Inhalt aus dem Brief trauen konnte, den Andy ihm vor einiger Zeit geschickt hatte, so braute sich noch mehr zusammen als nur wahllos wirkende Angriffe auf Muggel und Muggelgeborene. Andromeda hatte nur wenig gesagt, was wirklich Hand und Fuß hatte, Spekulationen über Wahrheit, aber Sirius vermutete, dass sie selbst nicht mehr wusste. Alles, was sie gesagt hatte, war ihm schon bewusst gewesen: In der magischen Welt brodelte ein Umschwung und es würde nicht mehr lange dauern, bis er endlich überkochen würde.