Regulus Black
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Evan Rosier sah lächerlich in seinen teuren Roben aus. Mitternachtsblaue Seide und nachtschwarzer Samt waren zu einem teuer aussehendem Frack geschneidert worden, wodurch Evan ein wenig wie ein zu groß geratener Pinguin aussah. Wieso sie alle mit elf Jahren so schick herausgeputzt werden mussten, war Regulus schleierhaft, aber er hatte nichts gesagt, als seine Mutter es angeordnet hatte. Im Gegensatz zu Evan mussten er und Sirius immerhin nur schwarze Festtagsumhänge mit silbernen Verzierungen tragen, die sie wesentlich älter aussehen ließen, als sie waren. Regulus fühlte sich damit wie auf einem Silbertablett präsentiert.
Malfoy Manor war an diesem Abend im besten Glanz gezeigt; von der unnatürlich hohen Decke hingen ein Dutzend Kronleuchter, jeder voll beladen mit hunderten kleinen Kerzen und Kristallen, die das Licht brachen, an den Wänden hingen teure Wandteppiche, altehrwürdige Portraits und Raritäten aus anderen Ländern. In der Mitte des riesigen Raumes glänzte ein schwarzer Tisch, so lang, dass das ganze Slytherin-Haus gemütlich daran Platz gefunden hätte, und bedeckt mit Köstlichkeiten und Getränken, für die keine Kosten und Mühen gescheut wurde. Am Ende des Raums wurde eine Bühne aus dem dunklen Parkett erhoben, auf welcher eine ganze Auswahl an Musikinstrumenten stand oder schwebte und von allein spielte. Sanfte Töne erfüllten die Luft, konnten das Brummen der Gespräche aber nicht überdecken.
„Eine Schande, dass Barty nicht hier ist“, sagte Evan, der ungeduldig an seinem Frack zerrte. Seine dunkelblonden Haare waren kurz geschoren, seine grünen Augen verschattet und müde. Er hatte ein sehr rundliches Gesicht und eine fast verheilte Schürfwunde an der Lippe. „Es würde ihm sicherlich gefallen, zwischen all diesen wichtigen Leuten zu sein.“
„Und er würde es sich nicht nehmen lassen, dich für dein lächerliches Outfit auszulachen“, erwiderte Regulus lächelnd.
„Oh, sei bloß ruhig, Reg“, sagte Evan. „Mein Vater hat mich die ganze Zeit über angeschnauzt, weil ich dieses hässliche Ding nicht tragen wollte.“
Daher wohl auch die Wunde, vermutete Regulus lautlos. Evan hatte genug von seinem Vater erzählt, damit Regulus sich zusammenreimen konnte, dass die beiden ein ähnliches Verhalten wie Sirius und ihre Mutter hatten. Allerdings schien Mr. Rosier nicht sehr darauf erpicht zu sein, seine gewaltsamen Tendenzen vor der Außenwelt zu verstecken, ansonsten hätte er nie zugelassen, dass sein Sohn mit einer sichtbaren Wunde zur Weihnachtsfeier der Malfoys kam. Vielleicht schrieb Regulus ihm damit aber auch mehr Intelligenz zu, als Mr. Rosier tatsächlich besaß.
„Hast du die ganzen Leute hier schon mal gesehen?“, fragte Evan leise. „Die Hälfte von denen hab ich noch nie bei irgendeiner Feier gesehen. So viele Ehen kanns doch in letzter Zeit nicht gegeben haben, oder?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Regulus. Malfoy Manor war gefüllt mit wichtigen Zauberern, angesehenen Hexen, Mitgliedern des Zaubergamots und den Heiligen Achtundzwanzig. Kaum waren seine Familie und er angekommen, hatte Orion Black Zauberer und Hexen begrüßt und Walburga hatte ihren Jüngsten zu den anderen Kindern der Reinblutfamilien geschickt. Von Sirius' Seite war sie bisher nicht gewichen und hielt einen eisenharten Klammergriff an seiner Schulter.
Aber auch Regulus waren die unbekannten Gesichter aufgefallen, die zwischen all den wichtigen Leuten hervorstachen. Männer mit hochgezogenem Kragen und unfreundlichen Augen, Hexen, die aussahen, als würden sie Gift in die Getränke mischen, eine Truppe an Zauberern, die sich immer im Schatten der anderen Gäste aufhielten und beobachten, lauschten, warteten. Keiner von diesen seltsamen Neuzugängen hatte bisher mit jemandem geredet oder sich wie ein Gast auf einer Feier benommen.
„Glaubst du, das sind vielleicht verdeckt arbeitende Auroren?“ Evan hatte die Augen aufgerissen, als er das fragte, kräuselte aber im nächsten Moment die Augenbrauen, als ein verhaltendes Lachen hinter ihnen ertönte.
„Ihr seid ja noch naiver, als ich dachte. Ist es nicht absolut offensichtlich, wer diese Zauberer sind?“
Hinter Regulus und Evan stand eine Gruppe von Jungs, unter ihnen Ennis Mulciber und Nestor Avery, Slytherin-Schüler aus Sirius' Jahrgang. Gesprochen hatte Mulciber, der jeden seiner Zähne wie ein Raubtier zeigte.
Regulus ließ sich von Mulciber nicht einschüchtern, auch wenn der andere Junge was zwei Köpfe größer und um etliches breiter als er war. „Wenn es so offensichtlich ist, dann erleuchte uns.“
„Aber doch nicht umsonst, Black. Informationen sind ein kostbares Gut, nicht? Was bietest du mir dafür, dass ich es euch verrate?“
Avery schnaubte belustigt.
Regulus wandte ihm den Kopf zu und hob eine Augenbraue. Was seine Eltern ihm über die Averys erzählt hatten, kam ihm in den Sinn und er sagte: „An deiner Stelle würde ich mich ebenfalls nur hinter Größeren verstecken, Avery. Hat dein Vater nicht erst letzten Monat um Leihgaben bei den anderen Familien betteln müssen, weil er euer gesamtes Vermögen in den Sand gesetzt hat?“
Das Grinsen tropfte von Averys Gesicht und er öffnete den Mund ein paar Mal, um zu einer Antwort anzusetzen, aber nichts kam. Stattdessen lachte Mulciber erneut auf. „Beeindruckend, Black. Nach dem Fiasko mit deinem Bruder war ich mir sicher, dass es das mit eurer Familie war, aber ich schätze, ich hab mich getäuscht. Du bist Slytherin durch und durch, nicht wahr?“
Regulus reckte das Kinn leicht in die Höhe. „Du solltest Sirius nicht unterschätzen, nur weil er nach Gryffindor gekommen ist“, sagte er. „Er ist und bleibt trotzdem ein Black und das solltest du nicht unterschätzen, Mulciber.“
Der ältere Slytherin zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete Regulus mit einem kalkulierenden, kühlen Blick. Nach einigen Augenblicken nickte er mit dem Kopf zur Seite. „Seht ihr die beiden Männer da? Die in den Winterumhängen an der Säule?“
„Die aussahen, als wären sie mit Trollen verwandt?“, stellte Evan die Gegenfrage, wofür er einen entnervten Blick erntete.
„Willst du jetzt wissen, wer die sind, oder nicht?“, schnauzte Mulciber ihn an.
Evan rollte mit den Augen und Regulus seufzte. „Sag schon.“
„Der eine heißt Valentin Crabbe, das ist der riesige Typ, der andere ist Garret Goyle.“
Entfernt klingelte Vertrauen in Regulus' Ohren, als hätte er die Namen bereits gehört. Er runzelte die Stirn.
Mulciber beantwortete seine ungestellte Frage. „Kommen dir bekannt vor, ja? Etwas anderes hätt ich von 'nem Black auch nicht erwartet. Crabbe und Goyle sind keine Mitglieder der Achtundzwanzig, wie ihr sicher wisst.“ Sein Blick ging zu Evan, der nur halbherzig mit den Schultern zuckte. „Sie sind zwar Reinblüter, aber viele gehen davon aus, dass es Schlammblüter und Halbblüter in ihrem Stammbaum gibt. Gerüchten zufolge hat Crabbe einen Squib-Bruder, der verstoßen wurde, noch bevor sie nach Hogwarts kamen.“ Mulciber grinste schief, Zähne weiß und glänzend und zum Angriff gefletscht. „Jedenfalls arbeiten Crabbe und Goyle für den dunklen Lord und sind hier, um seine Kunde zu verbreiten und mehr Mitglieder der Achtundzwanzig zu rekrutieren.“
Regulus wagte einen raschen Blick auf die Männer in den Winterumhängen; Crabbe und Goyle waren beide groß und breit gebaut, mit aggressiv wirkenden Gesichtern und kurz geschorenen Haaren. Wenn Regulus es nicht besser wissen würde, dann würde er denken, die beiden wären Brüder. Goyle hielt die ganze Zeit den Blick auf eine Gruppe an Hexen gerichtet, während sein Kumpel immer wieder mit den schmalen Augen den Raum scannte. Wonach sie genau Ausschau hielten, konnte er nicht sagen. Regulus wandte sich wieder an Mulciber.
„Woher weißt du das alles?“
„Ist das nicht offensichtlich?“, schnaubte Avery missbilligend klingend. Er hatte die Arme verschränkt und noch immer kroch eine leichte Schamesröte über seine Wangen. „Streng doch mal dein kleines Köpfchen an.“
Regulus legte die Stirn in Falten. „Du bist Mitglied?“, fragte er zweifelnd.
Mulciber zuckte mit den Schultern. „Nicht offiziell“, meinte er nonchalant, als würde er über einen Schachclub reden. „Mein Vater aber und er hat mir alles erzählt, was ich wissen muss, damit ich ebenfalls beitreten kann, wenn ich älter bin. Auch wenn es bis dahin vielleicht schon vorbei ist, eh, Black?“ Er grinste, als hätte er den Hauspokal für Slytherin gerade eigenhändig gewonnen. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der dunkle Lord die Herrschaft an sich reißen wird. Dann leben wir unter jemanden, der das reine Blut eines Zauberers und einer Hexe noch zu würdigen weiß.“
„Aus welcher Familie kommt dieser Lord überhaupt?“, fragte Evan.
„Warum interessiert es dich?“, erwiderte Avery.
„Der dunkle Lord“, fing Mulciber langsam an, „ist wahrscheinlich mehr Reinblut als wir alle zusammen. Ich gebe euch einen Tipp, von welchem großartigen Zauberer er abstammt.“ Mit dem Finger tippte er sich die Brust, als würde er ein imaginäres Wappen zeigen wollen. Würde er seine Hogwarts-Uniform tragen, dachte Regulus amüsiert, dann würde es nicht ganz so dämlich aussehen. Die Belustigung fiel von ihm ab, als er Mulcibers gewinnendes Grinsen sah.
„Du meinst doch nicht - „
„100 Punkte für Slytherin“, sagte Mulciber verschwörerisch. „Ihr seid nicht die einzigen, die mit einer Nachfahrschaft von Salazar Slytherin angeben könnt, Black.“
„Der Lord ist ein Nachfahre Slytherins?“, flüsterte Evan ungläubig.
„Der einzig wahre“, sagte Mulciber. „Du musst mir natürlich nicht glauben, würde ich wahrscheinlich ohne jeglichen Beweis auch nicht tun, aber ich sage das nicht, weil ich Spaß daran finde, euch etwas vorzulügen. Ich hab meinem Vater anfangs auch nicht geglaubt, als er es mir erzählt hat, aber es gibt Beweise, die nicht gefälscht sein können. Ohne Zweifel ist der dunkle Lord ein Nachfahre Slytherins.“
Regulus wollte nicht ganz glauben, was er dort hörte. Wenn das wirklich wahr sein sollte, dann müsste dieser Lord irgendwo in seinem Stammbaum zu finden sein, oder nicht? Immerhin waren die Blacks auch entfernt mit Salazar Slytherin verwandt und das musste bedeuten, dass irgendeine Verwandtschaft mit diesem Lord nicht auszuschließen sei - sollte Mulciber die Wahrheit erzählen. „Warum erzählst du uns das alles?“, fragte Regulus mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er verschränkte die Arme, auch wenn er wusste, dass er damit nicht bedrohlich oder tough wirkte.
„Warum nicht?“, stellte Mulciber die Gegenfrage. „Immerhin sind wir doch bald alle Verbündete gegen die Schlammblüter, nicht wahr?“ Er streckte Regulus eine seiner breiten Hände entgegen. „Auf gute, zukünftige Zusammenarbeit, Black.“
Evan und Regulus gleichermaßen starten auf Mulcibers Hand, die wie ein leeres Versprechen zwischen ihnen hing. Sein Vater würde zugreifen, sagte Regulus sich. Sein Vater würde daraus ein Geschäft für die Familie machen und Kontakte pflegen, wie es sich für das Oberhaupt gehörte. Regulus ergriff Mulcibers Hand, Haut and Haut, Reinblut an Reinblut, und schüttelte sie.
„Auf erfolgreiche Kooperation“, wiederholte er, was sein Vater einmal gesagt hatte.
„Gesprochen wie ein richtiger Geschäftsmann“, entgegnete Avery mit anerkennendem Nicken. „Jetzt komm, Ennis, wir sollten deinem Vater Bericht erstatten.“
Ennis Mulciber lächelte erneut so, als hätte er sein Opfer bereits mit Fangzähnen gerissen. „Recht hast du, Nestor. Also dann, Jungs. Man sieht sich bestimmt. Viel Spaß noch.“
Evan und Regulus warteten, bis Mulciber und Avery außer Reichweite waren, dann sagte Evan: „Der Typ ist super unheimlich. Was benimmt der sich eigentlich, als wäre er schon volljährig und die rechte Hand von diesem Lord? Wenn du mich fragst, dann ist das ganz schöner Schwachsinn, was er geredet hat. Wo soll dieser Lord überhaupt auf einmal herkommen? Ich glaub kein Wort, was Mulciber sagt.“
„Aber warum sollte er lügen?“
„Warum nicht? Ich weiß nicht, wieso ich ihm trauen soll, die Sache stinkt doch. Ich bin auch vollkommen dafür, dass Schlammblüter und Halbbrutpack ausgerottet werden, aber dafür muss ich keinem selbsternannten Lord folgen, der sich nicht in der Öffentlichkeit zeigt. Oder hast du den Kerl schon mal gesehen?“
Regulus schüttelte den Kopf. Evan hatte Recht. Er brauchte keinen blöden Lord, der sich nicht traute, selbst herauszukommen und neue Verbündete zu rekrutieren. Regulus wusste, wem er folgen musste und derjenige musste sich nicht einen Lord nennen, um Respekt und Ehrfurcht zu generieren.
„Ich verhungere, komm schon, lass uns was essen.“ Evan zupfte an Regulus' Ärmel und gemeinsam drängten sie sich durch die anderen Gäste der Party. Es roch nach Alkohol und Fleisch, gebratenem Gemüse und Schokolade, Fisch und würzigen Saucen. Überall standen Hexen und Zauberer in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich in gedrückten Flüstertonen, sodass sie nur vereinzelt Wörter aufschnappen konnten.
Das gleißende Mondlicht strahlte durch die Fensterfassaden und malte silberne Verzierungen auf das schwarze Parkett. Regulus versuchte sich genau einzuprägen, wie die Erwachsenen sich verhielten, wie sie standen, redeten, aßen. Wenn er die Heiligen Achtundzwanzig nachahmte, dann würde seine Mutter nie einen Grund finden, wieso sie ihn, Regulus, verfluchen sollte. Dann müsste er nie sein eigenes schmerzerfülltes Schreien in den Ohren hören, wenn der Folterfluch ihn traf.
Regulus würde nicht Sirius' Fehler wiederholen, auch wenn er dafür mit Leuten wie Mulciber zusammenarbeiten musste.
„Oh Merlin, Reg, guck doch! Die haben 'ne dreifache Schokotorte!“ Evan deutete mit ausgestrecktem Finger auf ein Meisterwerk der Konditorkunst, drei Lagen voller Sahne und Schokolade. Ein paar Hexen hatten Evan ebenfalls gehört und lächelten in ihre Richtung.
Na, dachte Regulus, ein Abend konnte er sich erlauben noch Kind zu sein, bevor er und Evan sich draufmachten, das Buffet zu stürmen.