Sirius Black
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Es war sicher nicht der Ort, an dem Orion Black erwartete, dass man seine Briefe las, aber Sirius hatte sich nur in der Toilettenkabine ein paar Minuten Ruhe ergattern können. Während James, Peter und Remus wie die guten Freunde, die sie waren, vor dem Bad auf ihn warteten, hatte Sirius nicht viel Zeit, um sich die Antwort seines Vaters durchzulesen, ohne die Situation für alle Beteiligten unangenehm zu machen. James war heute sowieso schon nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen, da wollte er ihn nicht auch noch ewig warten lassen und irgendeine dumme Ausrede erfinden.
Sirius zog den hastig eingesteckten Brief aus seiner Umhangtasche, der den halben Tag über nicht gerade weniger zerknickt geworden war, faltete das Pergament auseinander und las sich rasch die Zeilen durch, die sein Vater ihm geschrieben hatte.
Sirius,
es hat mich überrascht, von dir zu hören, da hast du Recht. Es lag sicherlich nicht in meinen Erwartungen, noch einmal einen Brief von dir zu erhalten, der nicht von einem deiner Lehrer stammt, die sich erneut über dich beschweren. Glaube mir, davon habe ich bisher schon deutlich zu viele erhalten.
Deine Mutter und ich sind erstaunt, dass du dich den Verwandlungsstudien so hingezogen fühlst (Sirius fluchte innerlich, war aber nicht allzu überrascht, dass seine Mutter ebenfalls von seiner Bitte wusste), so war das zuvor nie ein Themengebiet der Magie, in welchem die Blacks sich einen Namen gemacht haben. Dann wiederrum, vielleicht ist es keine so schlechte Idee, dein Interesse zu schulen und dich in diesem Bereich zu fördern. Es kommt nicht häufig vor, dass du etwas von dir aus lernen möchtest und deine Mutter und ich sind einer Meinung, dass wir diese Überraschung freudig annehmen.
Was das Buch betrifft, um das du mich gebeten hast: Ich besitze es. Tatsächlich war ich ein wenig gekränkt, dass du gedacht hast, ich würde es nicht haben, aber sei es drum. Ich bin mir sicher, du hast es nicht in bösen Absichten geschrieben. Das Buch allerdings, wie du es wahrscheinlich selbst weißt, ist unfassbar wertvoll und damit nicht so einfach mit einer Eule zu verschicken. Das soll nicht heißen, dass ich deinen Wissensdurst nicht doch stillen will, aber es liegt mir doch fern, ein solch wertvolles, fragiles Buch einfach so zu verschicken. Selbst wenn ich darauf vertrauen würde, dass du es nicht verlierst oder irgendwie beschädigst, weiß ich nicht, ob den anderen Kindern an dieser Schule das ebenfalls zutrauen würde.
Nun, Sirius, wir sind sehr erfreut, dass du dich deinen eigenen Studien hingezogen fühlst, deswegen haben deine Mutter und ich beschlossen, dass du dir das Buch in den Sommerferien leihen und Seiten und Passagen kopieren darfst, die dich interessieren. Es ist dir verboten, das Buch außerhalb meiner Bibliothek zu nehmen und außerdem ist es dir verboten, mit irgendjemandem darüber zu reden, der dem Wissen innerhalb dieser Seiten nicht angemessen erscheint. Ich hoffe wir verstehen uns dabei.
Außerdem haben wir beschlossen, dass es an der Zeit ist, dich und deinen Bruder ein wenig extra zu fördern. Die Tutoren, die wir euch vor dem Start der Schuljahre zur Verfügung stellen, sind gut genug, um euch durch die lächerlichen Prüfungen Hogwarts´ zu bringen, aber bei Weitem nicht genug, damit wir mit Sicherheit sagen können, dass ihr die Erben eines der ehrwürdigsten Häuser der Zaubererwelt seid. Wir glauben, es ist heutzutage umso wichtiger, dass ihr in all den magischen Künsten ausgebildet werdet, die man euch an dieser Schule nicht lehren will, besonders wenn ihr – wenn du, Sirius, der Erbe sein willst.
Ich hoffe, mit dieser Vereinbarung können wir dich zufriedenstellen.
Wir erwarten dich und Regulus am Bahnsteig.
PS: Wir haben sicher gestellt, dass der neue Tutor ein hervorragendes Wissen in Verwandlungsmagie besitzt, damit er dir in deinen persönlichen Studien helfen kann.
Sirius fluchte leise, ehe er den Brief zurück in seinem Umhang verstaute und die Spülung betätigte. Dem Anschein nach wusch er sich rasch die Hände, dann schloss er sich seinen Freunden wieder an, die sich darüber unterhielten, welcher Lehrer bei einem echten Duell gewinnen würde – McGonagall oder Flitwick.
„Ganz klar McGonagall“, war James´ Meinung. „Sie würde Flitwick einfach in einen Kieselstein verwandeln oder was weiß ich.“
„Professor Flitwick würde die Verwandlung blockieren oder sofort wieder aufheben können“, entgegnete Remus mit nachdenklicher Falter auf der Stirn. „Er hat uns doch von dieser wortlosen Magie erzählt, nicht wahr? Ich bin mir sicher, dass er einen solch mächtigen Finite-Zauber hinbekommt, dass er Professor McGonagalls stärkste Verwandlung auflösen könnte.“
Peter war gänzlich anderer Meinung. „Ihr vergesst dabei, dass Professor Sprout Flitwick und McGonagall in der Zwischenzeit einfach mit einer Venemosa Tentacula überraschen und gewinnen würde. Also ist es doch schon klar, wer hier die beste Professorin ist, oder?“
James schüttelte den Kopf. „Ein Incendio und all deine Pflanzen sind nur noch Asche, Pete.“
„Glaub ja nicht, dass magische Pflanzen so einfach zu besiegen sind, James. Nicht jede Pflanze ist so schwach wie die Teufelsschlinge.“
Es war Wahnsinn, fand Sirius, dass er es tatsächlich geschafft hatte, seinen Vater davon zu überzeugen, ihm Zugang zu diesem wertvollen Lehrbuch zu geben, damit er endlich lernen würde, wie man ein Animagus werden würde, aber noch viel wahnsinniger war es, dass er jetzt so tun müsste, als würde er sich wirklich für Verwandlung interessieren. Er war sich sicher, dass sein Vater keine Witze gemacht hatte und wirklich einen neuen Tutoren gesucht hatte, der sich vorzüglich mit Verwandlung auskannte. Es würde sicherlich kein allzu leichter Sommer werden – schon gar nicht, wenn er die ganzen Wochen damit verbringen musste, noch mehr zu lernen und von seiner Mutter überwacht zu werden – aber das war es wert, wenn er mit den Früchten seines Erfolgs endlich jemandem helfen konnte, der ihm wichtig war.
Er warf einen raschen Seitenblick auf Remus, der der Diskussion von James und Peter angespannt zuhörte, und grinste. Ein paar Wochen wirkliches Interesse an Verwandlung vortäuschen würde ein einfacher Preis dafür sein, dass sie dann Animagi sein würden, um Remus zu helfen. Sirius würde alles tun, damit es Remus besser ging und wenn er sich dafür zeitweise gut mit seinen Eltern stellen musste, dann war es das. Er würde es tun, er würde ein perfekter kleiner Reinblüter sein und all die Zauber lernen, die seine Mutter von ihm verlangte und dann würde er irgendwann endlich verschwinden können.
„Warum grinst du so, Sirius?“, fragte Peter.
Die Blicke seiner Freunde durchbohrten ihn regelrecht. Er musste noch ein Geheimnis daraus machen, zumindest so lange, bis er nicht wirklich herausgefunden hatte, wie man zum Animagus wurde, dann konnte er James und Peter einweisen. „Oh, nur so. Ich hab grad überlegt, dass keiner der Lehrer eine Chance gegen den guten alten Sluggy hätte, wenn es darum gehen würde, kandierte Ananas zu futtern.“
Remus versuchte sein Lachen in ein Husten zu verwandeln. „Wie kommst du überhaupt auf so eine Idee, Sirius? Wirklich, manchmal weiß ich nicht, was in deinem Kopf vorgeht.“
Erneut grinsend, antwortete Sirius: „Da bin ich mir manchmal auch nicht so sicher, Lupin. Also, warum vergesst ihr bei eurem Lehrer-Spiel eigentlich den eigentlichen Gewinner jedes Duells?“
James zog die Augenbrauen zusammen. „Und wer soll das sein?“
„Ja, wen könntest du bitte meinen?“, fragte Peter, ehe er anfügte: „Dumbledore zählt übrigens nicht, das haben wir schon längst beschlossen.“
Sirius schnalzte mit der Zunge. „Ach, Dumbledore. Nicht mal der hätte eine Chance gegen den Champion.“ Er konnte sein Lachen nicht mehr zurückhalten; es brach aus ihm heraus und als sie gerade die Große Halle betraten, musste er sich stark zusammenreißen, damit nicht die gesamte Schülerschaft ihre Blicke auf ihn warfen. Er senkte seine Stimme ein wenig, sodass seine Freunde sich näher an ihn beugten, ehe er sagte: „Schniefelus muss nur einmal seinen fettigen Kopf in deren Nähe bringen und selbst Dumbledore würde freiwillig aufgeben.“
Es war einen Augenblick lang ruhig, dann sagte James leise und offensichtlich angewidert: „Merlin, das ist widerlich.“
„Über sowas will ich gar nicht nachdenken“, meinte Peter, der sich tatsächlich schüttelte. „Und das auch noch vor dem Essen.“
Remus seufzte nur, ehe er sagte: „Du wirst dich nie bessern, oder?“
„Was soll ich sagen“, antwortete Sirius nonchalant, ehe er sich mit seinen Freunden an den Tisch setzte. „Ich lebe eben, um zu unterhalten.“
„Bitte, manchmal solltest du damit aufhören“, sagte Peter, der zwar das Besteck bereits in der Hand hatte, aber nur mit einem sehr unentschlossenen Blick auf die aufgetischten Speisen blickte. „Ich muss mir jetzt ständig vorstellen, wie Schniefelus sich in die Küchen schleicht und das Essen verschmiert.“
James, der drauf und dran gewesen war, sich einen Batzen mit Kartoffeln auf den Teller zu werfen, hielt in der Bewegung inne. „Pete“, sagte er leise, die Augen geschlossen. „Warum in Merlins Namen musstest du das sagen?“ Er ließ die Kelle mit den Kartoffeln zurück in die Schüssel fallen und schob sie von sich. „Jetzt werde ich gar nichts mehr runterbekommen.“
„`Tschuldige“, murmelte Peter kleinlaut. Sein Teller blieb ebenfalls leer.
„Ihr seid Memmen“, sagte Sirius, ehe er sich ein wenig gegrilltes Fleisch auf die goldene Platte legte. „Seht ihr?“ Er nahm einen gewaltigen Bissen, woraufhin die Gewürze des Fleisches sich in seinem Mund ausbreiteten und ihm nur noch mehr das Wasser zusammenlaufen ließen. „Köschtlisch.“
„Du bist so ein Tier“, sagte James.
„Tiere haben bessere Manieren“, erwiderte Remus, der nicht aufblickte und sich währenddessen einen Teller mit Sauce übergoss. Er hatte sogar eine Serviette auf dem Schoß liegen.
„Nenn dich nicht so“, meinte Sirius empört.
„Wer sagt, dass ich über mich rede?“, fragte Remus, ehe er den Blick hob und Sirius´ Augen traf. Eine seiner Augenbraune wanderte ein wenig höher. „Es verletzt mich, dass du das sofort denkst, Sirius.“
Würde Sirius Remus nicht kennen und würde er den Anflug des Lächeln auf seinen Lippen nicht sehen, dann würde er sich ziemlich schlecht fühlen. So allerdings, mit der Kenntnis, dass Remus sich selbst in den Witz integriert hatte, hob er nur die Hand und fuhr sich durch die dichten, schwarzen Haare. „Du bist ein Idiot, Lupin.“
„Ihr färbt eben ab“, erwiderte Remus, bevor er sich wieder seinem Mittag widmete. „James, jetzt iss endlich. Du hast morgen einen wichtigen Tag.“
„Oh, du sorgst dich immer so um mich“, sagte James mit schmachtender Stimme, lehnte sich über den Tisch und zwinkerte ihm spielerisch zu. „Was, hast du etwa Angst, dass ich vom Besen falle?“
„Ich weiß nicht, warum es mich kümmert“, erwiderte Remus augenverdrehend. „Keiner von euch verdient es überhaupt, dass ich mich euch kümmere.“
„Aber du bist doch so eine gute Mutter-Figur, Remus“, meinte Peter.
Remus warf eine zerknüllte Serviette nach ihm.
James lehnte sich wieder zurück. „Okay, jetzt mal ernsthaft, ich mach mir keine Sorgen um das Spiel morgen.“ Als Sirius ihm einen zweifelnden Blick zuwarf, seufzte James und fügte an: „Wirklich. Gryffindor liegt mit den Punkten so weit vorne, dass wir schon wirklich mehr als nur zerstört werden müssten, um den Quidditch-Pokal zu verlieren. Slytherin hat dieses Jahr vielleicht einiges drauf, aber ich glaube nicht, dass sie auch nur den Hauch einer Chance gegen uns haben. Patrick hat das ganze Jahr an unserer Teamarbeit gearbeitet und das zahlt sich richtig aus.“
„Nun“, sagte Remus langsam, der sichtlich nur halb wirklich wahrnahm, was James gesagt hatte. „Ich denke, du solltest dich trotzdem richtig vorbereiten. Es wäre bestimmt kein gutes letztes Spiel, wenn du dich schlecht anstellst … oder glaubst du, Patrick will dich dann noch im Team haben?“
Auf James´ Gesicht ging ein Licht auf und Sirius musste sich auf die Zunge beißen, um nicht lauthals zu lachen. Remus hatte ihn gerade ganz klar manipuliert und James hatte es nicht einmal mitbekommen. Er fing erst Remus´, dann Peters Blick auf, die dasselbe dachten, ehe sie wieder beiseite sahen, um sich nicht zu verraten.
„Du hast Recht!“, sagte James. „Wow. Was würde ich nur ohne dich tun, Remus?“ James begann, seinen Teller vollzuschaufeln und keinen Augenblick später damit, sich selbst den Bauch vollzustopfen. Es dauerte nicht lange, da hatte er bereits seine zweite Portion angefangen.
„Das frage ich mich auch manchmal“, erwiderte Remus so leise, das James es nicht hörte. Er fing Sirius´ Blick auf, grinste und zwinkerte ihm dann zu. Es brachte sein Herz dazu, schneller zu schlagen.
Sirius erwiderte sein Grinsen und konnte es kaum erwarten, Remus das nächste Mal so Lächeln zu sehen.