Sirius Black
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Der Vorteil daran, dass Sirius nicht in Black-Manor lebte, war dass er in jeden Raum gehen konnte, ohne einem Verbot seiner Mutter entgegenzuwirken. Black-Manor hatte ungefähr zweihundert Zimmer und ein Großteil waren ungenutzt. Es gab dutzende Gästezimmer, Badezimmer und kleine Küchen im ganzen Haus verteilt, aber es gab nur einen Raum, den Sirius unbedingt sehen wollte. Um von der öden Party zu fliehen, bevor seine Eltern ihn wie einen kleinen Vorzeigeerben herumzeigen konnten, hatte Andromeda vorgeschlagen, dass sie sich in ihrem Schlafzimmer verstecken würden, aber Sirius hatte eine bessere Idee gehabt. Die Bibliothek im Grimmauldplatz Nummer 12 durfte Sirius nicht betreten – von Black-Manor war aber nie die Rede gewesen.
„Bei Merlins linker Socke, das müssen ja tausende Bücher sein“, hauchte Sirius beeindruckt. „Lass mich raten, alles voll schwarzer Magie?“
„Schätze schon“, erwiderte Andromeda. Sie hatte ein Champagnerglas in der Hand und ihre Haare geöffnet, sodass sie ihr in langen Wellen über die Schultern fielen. „Dad will nicht, dass wir hier rumstöbern.“
„Wie gut, dass ich nicht stöbere“, meinte Sirius. „Wie geht’s Ted?“
„Oh.“ Andromeda leerte ihr Glas und stellte es auf einen nahen Beistelltisch mit einer hässlichen Vase ab. „Gut, denke ich. Wir haben uns lange nicht gesehen.“
„Ihr habt euch doch nicht wirklich getrennt, oder?“, fragte er, während er mit dem Finger über die verschiedenen Buchrücken strich, In dieser Bibliothek gab es all das, was es in Hogwarts nur in der Verbotenen Abteilung gab. Schwarze Magie des 16. Jahrhunderts, Dunkle Magie – ein Leitkurs in die verbotenen Künste, Eine Anleitung für die gewöhnlichsten Flüche und Verwünschungen, Schwarze Seele, schwarze Flüche – einhundert narrensichere Wege, um mit Ihren Feinden fertig zu werden und Der Weg in die dunklen Künste waren nur ein paar der ausgewählten Titel, die Sirius ins Auge stachen. Kein Wunder, dass sie nicht in die Bibliotheken durften. Er müsste sich nur in eines dieser Bücher lesen und würde dann wahrscheinlich genug dunkle Magie beherrschen, um seinen gesamten Familienstammbaum auszulöschen.
Andromeda setzte sich vorsichtig auf ihren mottenzerfressenen Sessel, der wohl ihrem Vater gehörte. Das silberne Wappen der Blacks glänzte auf der Lehne. „Ich kann ihn nicht sehen, solange ich hier wohne“, erklärte sie langsam. „In der Schule konnten sie nicht verhindern, dass wir zusammen waren, aber jetzt… seit wir aus der Schule sind, hab ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber er schreibt mir immer noch.“
„Und das lässt Druella zu?“
„Er nutzt einen falschen Namen. Roderick Thinbarg“, lachte sie, ehe der kurze Schauer an Freude von ihrem Gesicht fiel. „Mum glaubt, er wäre ein reicher, ausländischer Zauberer, der mir den Hof macht.“
„Was hast du vor?“ Sirius drehte sich von einem Regal um und wandte sich zum nächsten, warf aber seiner Cousine einen raschen Blick zu. „Wegen Ted, meine ich. Willst du mit ihm weglaufen?“
Andromeda seufzt leise. „Ich weiß es nicht“, sagte sie. „Wirklich, ich hab einfach keine Ahnung. Wenn ich noch länger in diesem Haus bleibe, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis meine Eltern mir einen Verlobten wie Bella suchen, und dann werde ich wahrscheinlich ein Leben wie meine Mutter führen müssen. Weißt du noch, die Geschichten, die ich dir früher immer vorgelesen habe?“
„Du meinst diese Muggelmärchen? Aschentrödel und Zunderbella?“
„Aschenputtel und Cinderella“, korrigierte sie. „Aber, ja, diese. Da gab es doch immer dieses Happy End und sie haben die wahre Liebe gefunden, nicht?“
„Genau sowas willst du auch“, sagte Sirius. Es war keine Frage, er wusste es. Seine Cousine hatte schon immer einen sehr romantischen Blick aufs Leben gehabt. „Dann tu das.“
„So einfach ist das nicht, Sirius“, erwiderte sie. „Ich kann nicht einfach losgehen und entgegen den Wünschen meiner Familie leben und – und Ted heiraten!“
„Wieso nicht? Es ist dein Leben und du bist nicht einmal die älteste Tochter.“ Sirius zuckte mit den Schultern. „Was soll’s, selbst wenn du die Älteste wärst, würd ich dir das sagen. Die Blacks können nicht für immer dein Leben bestimmen und du siehst ja, was es aus unseren Müttern gemacht hat.“ Sowohl Walburga als auch Druella wurden mit jungen Jahren, da waren sie kaum aus der Schule, verlobt und mussten heiraten. Ihre einzige Aufgabe im Leben war es gewesen, einen reichen, reinblütigen Ehemann zu finden und die Blutlinie fortzusetzen. Es war egal gewesen, was sie gewollt hatten. Sirius und Andromeda waren beide das Produkt einer lieblosen Blutehe. „Du willst ja wohl nicht enden wie Druella, oder? Einen Ehemann, den du hasst und Kinder, die du kaum lieben kannst. Nicht, dass meine Mutter besser wäre.“
Andromeda stand wieder auf. „Du verstehst das nicht Sirius, du bist noch zu jung dafür“, antwortete sie gereizt. „Es geht im Leben nicht immer nur darum, was ich will, sondern ich muss auch daran denken, was das Beste für meine Familie ist.“
„Wer sagt das?“, fragte er trocken. „Wer erzählt dir, du musst zuerst an andere denken? Deine Mutter? Bella?“
Das sonst so sanfte Gesicht Andromedas wurde hart. „Ich muss mir nicht von einem zwölfjährigen anhören, wie ich mein Leben zu leben habe“, zischte sie säuerlich, aber Sirius wusste es besser, als sich davon angegriffen zu fühlen. Seine Cousine war in die Ecke gedrängt und suchte nach einem Ausweg.
„Na schön“, sagte er schulterzuckend und zog ein dickes, schweres Lederbuch aus dem Regal. Es hatte keinen Titel, aber faszinierende Symbole auf dem Einband. Als er es aufschlug, verschluckte er sich beinahe am ganzen Staub, der sich zwischen den brüchigen Seiten gesammelt hatte. Das Buch war in keiner Sprache geschrieben, die er kannte oder verstand. Enttäuscht packte er es wieder zurück, auch wenn er sich nicht sicher war, nach was er überhaupt suchte. Vielleicht suchte er auch nichts und wollte nur eine Möglichkeit haben, die Regeln seiner Familie zu strapazieren.
„Was soll das heißen?“, fragte Andromeda gereizt.
„Soll heißen, na schön“, wiederholte Sirius. „Stell dich selbst hinten an. Soll ich Ted sagen, dass du nicht mehr mit ihm zusammen sein willst, weil du lieber einen Mann heiraten willst, den du nicht kennst, damit du ein paar Erben in die Welt setzen kannst, oder willst du das selbst übernehmen?“
„Du –“ Das Gesicht seiner Cousine lief puterrot an. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest, Sirius!“
„Wirklich?“, fragte er laut und drehte sich zu ihr um. „Denn so wie ich das sehn, habe ich wesentlich mehr Ahnung als du. Du bist zu feige, eine Entscheidung für dein eigenes Leben zu treffen, also wartest du darauf, bis es jemand für dich macht. Lieber wartest du ab, dass Druella dich an den nächstbesten Reinblut verlobt, als dass du den Mann heiratest, den du liebst. Oder willst du mir etwa sagen, du bist besonders scharf darauf, Rodolphus‘ Bruder Rabastan als Verlobten zu bekommen, sobald er mit der Schule fertig ist? Denn wenn du noch länger wartest, dann wird das früher oder später passieren, Andy. Hör auf so feige zu sein.“
„Du redest dir das Leben gerne sehr einfach, Sirius“, erwiderte sie noch lauter, „aber das ist es nicht! Nicht jeder von uns gibt einen Scheiß auf seine Familie und tut alles dafür, von ihnen gehasst zu werden. Ich liebe meine Schwestern und ich liebe meine Eltern und es tut mir leid, dass du keine Ahnung hast, wie das ist, aber ich werde nicht selbstsüchtig sein und nur an mich denken, während ich ein Erbe habe, dass ich erfüllen muss. Bella kann keine –“, sie stockte, das Gesicht heiß und rot, der Mund eine dünne Linie.
Sirius riss überrascht die Augenbrauen in die Höhe. „Bella kann keine was? Keine Kinder bekommen?“
„Du solltest das nicht wissen. Ich sollte es auch nicht wissen“, gab Andromeda zu. „Ich hab Bella und Mum darüber reden hören, deswegen…“
„Deswegen willst du jetzt ihren Job übernehmen und ein paar kleine Black-Kinder in die Welt setzen?“, beendete Sirius ihren Satz. „Andy“, sagte er leise, „das ist nicht, was du willst. Ich weiß, dass du deine Eltern nicht im Stich lassen willst, aber du bist nicht dazu verpflichtet, ihren Wünschen nachzugehen. Scheiße. Was glaubst du, warum ich so bin? Meinst du, ich rebelliere aus Spaß gegen meine Mum?“
„Ich dachte immer du wärst ein wenig lebensmüde“, murmelte sie träge lächelnd und Sirius lachte bellend auf.
„Ein wenig wahrscheinlich. Aber tatsächlich hat es mir nicht gut getan, dass meine Mum mir seit ich vier war gesagt hat, dass ich mich im Leben nur darauf vorbereiten soll, irgendwann eine reinblütige Frau zu heiraten und ihr ein paar Erben zu schenken. Mann, wenn es nach mir geht, dann geh ich kinderlos drauf, damit ich diese kranke Blutlinie beende.“ Er lachte erneut, dann drückte er Andromeda zwei Finger in den Oberarm. „Willst du nicht auch einfach mal so richtig rebellisch sein?“, fragte er.