Remus Lupin
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Die versprochene und hochangepriesene Siegesfeier nahm den gesamten Gemeinschaftsraum bereits ein, als Remus mit seinen Freunden ankam. Jemand hatte den Plattenspieler angeschmissen und Monkey Man von den Rolling Stones spielte mit dröhnendem Bass und knallendem Schlagzeug in der Luft. Der Geruch von Schweiß und Adrenalin lag in der Luft.
„Ich war absolut miserabel“, beschwerte sich James zum wiederholten Male. „Kein einziges Tor, keins! Patrick sollte mich sofort rausschmeißen. Ich weiß nicht, wieso er mich überhaupt gelobt hat.“
„Weil du fantastisch geflogen bist und kein einziges Mal den Ball verloren hast“, sagte Remus aufmunternd.
„Quaffel“, verbesserte Sirius mit scharfem Grinsen, aber nickte. „Remus hat Recht. Du hast klasse gespielt, James, lass dich nicht davon unterkriegen, dass du nicht sofort jedes Tor geschossen hast.“
James sah nicht so aus, als hätten ihn die Worte seiner Freunde erreicht. „Meint ihr, Patrick hält mich nur im Team, weil der Rest noch schlechter war? Vielleicht bin ich einfach nur der, der am wenigsten schlecht war und –“
Weiter kam er nicht, denn Sirius‘ freie Handfläche war mit seiner Wange kollidiert. „Reiß dich mal zusammen, Potter“, sagte er mit lauter Stimme. „Das ist ja erbärmlich. Benimmt sich etwa so ein echter Gryffindor?“
James starrte ihn mit aufgerissenen Augen an, Peter und Remus taten es ihm nach. Als Sirius das Kinn reckte, erschien ein beinahe erleichtertes Grinsen auf James‘ Lippen. „Weißt du was? Ja. Du hast Recht. Ich meine“, er presste die Brust hervor, sein Quidditch-Trikot wie ein flammend roter Feuerball im gemütlichen Gemeinschaftsraum, „ich bin James Fleamont Potter!“
„So kennen wir ihn“, meinte Sirius. „Schön zu wissen, dass du doch nicht zu viele Klatscher an den Kopf bekommen hast.“
„Danke, Kumpel“, erwiderte James, der einen stolzen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. „Du hast ja Recht. Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste. Immerhin haben wir das erste Spiel der Saison nicht nur gewonnen, wir haben Slytherin vernichtend geschlagen. Zerstört, haben wir sie. Ich hoffe, es wird diese schmierigen Schlangen lehren, dass sie sich nicht mit uns anlegen sollten.“
„Sicherlich wird die Memo nicht bei Schniefelus angekommen sein“, murmelte Peter missbilligend, auch wenn seine Stimme fast in der drögen Musik des Plattenspielers unterging, der jede Ecke ausfüllte.
Lautes Lachen und Jubeln erfüllte die Luft. Musik und das Klirren von Glasflaschen hingen wie zwei schwebende Schwestern über ihren Köpfen, eine nie ganz ohne die andere. Es war fast, als hätten die Rolling Stones das enthusiastische Aneinanderklopfen von Butterbierflaschen selbst in ihre Lieder geschrieben. Ein paar der älteren Schüler saßen um ein offenes Fenster herum, dicht aneinander gedrängt und verdächtiger Rauch strömte über ihre Köpfe in die kühle Herbstluft. Remus kannte sich nicht besonders gut mit den Vergnügungsdrogen der jungen Heranwachsenden aus, aber er vermutete stark, dass es sich dabei nicht nur um einfache Zigaretten handelte, die man an jeder Muggel-Tankstelle kaufen konnte.
Der unverwechselbare Geruch von verschüttetem, billigen Alkohol, trübem Rauch und dem vereinten Schweiß von gut drei Dutzend euphorisch jubelnden Teenagern hatte die sonst herbstlich duftende Gemeinschaftsraumluft verpestet. Stummel von bereits aufgerauchten Muggel-Zigaretten, Butterbierkorken und ein paar frühzeitig ausgezogenen T-Shirts bedeckten den Boden, hingen über Sessellehnen oder waren in die Ecken gestopft. Ältere Schülerinnen hatten sich ausgiebig geschminkt und ihre Hemden über ihrem Bauchnabel zusammengeknotet, ältere Schüler hingegen hatten ihre Hemden ganz verloren oder hatten die Schuluniform gegen sportliche Trikots und Achselshirts getauscht, wodurch eine lockere Stimmung überall herrschte, auch wenn einige der jüngeren Schüler immer wieder irritierte Blicke zu ihren älteren Mitschülern warfen. Keiner von ihnen hatte jemals solch eine ausgelassene Stimmung bei den Gryffindors gesehen – nicht nur waren die Erstklässler das letzte Jahr bei keiner der Partys erlaubt gewesen, das Gryffindor-Quidditch-Team hatte seit vier Jahren kein so gutes Spiel mehr gehabt. Nur deswegen durften Remus und seine Freunde, sowie die anderen Zweitklässler, überhaupt teilnehmen.
„Schniefelus wird schon bekommen, was er verdient“, sagte Sirius ausweichend. „Aber heute will ich gar nicht erst über seine öligen Haare nachdenken, okay? Lasst uns einfach Spaß haben.“
„Hört, hört“, erwiderte James. „Ihr habt den Mann gehört, Leute. Auf, auf in die Masse! Ich will unbedingt ein Butterbier.“
Obwohl die Party am frühen Nachmittag begonnen hatte, fühlte es sich bereits zur Zeit des Abendessens so an, als hätten sie tagelang durchgefeiert. Nur wenige Gryffindors verlassen die brüllende Feier, die im Gemeinschaftsraum wütet, um sich in der Großen Halle zu stärken und obwohl die Hauslehrerin, Professor McGonagall, gegen den frühen Abend vorbeigekommen und alle an die Ruhezeiten im Schloss erinnert hatte, war niemand auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen, bereits zu Bett zu gehen. So wie Remus es mitbekommen hatte, wollten die Älteren die ganze Nacht durchmachen, um dann den Sonntag zu nutzen, um Schlaf nachzuholen und alkoholinduzierte Kater auszunüchtern.
James und Sirius hatten sich zu den Quidditch-Spielern und Enthusiasten begeben, wo James für sein gutes Fliegen gelobt wurde, Peter hatte es sich gemeinsam mit Mary bei den Tischen voll mit Snacks und Süßkram gemütlich gemacht und Remus war dazu übergegangen, auf einem der knautschigen Sessel zu sitzen, die noch nicht mit verschüttetem Butterbier verklebt waren. Er hatte einen schmalen Pappteller voll mit süßen Knabbereien auf dem Schoß, den Peter ihm in die Hand gepresst hatte und eine fast geleerte Butterbierflasche in der Hand, von der er nicht mehr wusste, wer sie ihm gegeben hatte. Das süß-warme Gebräu erhitzte seinen gesamten Körper aus dem Inneren heraus und verpasste ihm seltsame Glücksgefühle, die er nicht ganz zuordnen konnte. Ein paar Mal wurde ihm Feuerwhisky oder billiger Muggel-Fusel angeboten, aber Remus hatte höflich abgelehnt. Er fand, zwölf war ein wenig zu früh, um mit dem Trinken anzufangen und war sich sicher, dass keiner der bereits betrunkenen älteren Schüler ihm Alkohol angeboten hätten, hätten sie noch einen klaren Kopf.
„Wieso überrascht es mich nicht, dass ich dich hier ganz allein vorfinde?“ Marlene kam wie aus dem Nichts, setzte sich auf die Armlehne seines Sessels und stibitzte sich ein Schokoladengebäck von seinem Teller. „Lily und du seid euch eben doch ähnlicher, als sie im Moment zugeben will.“
Remus hob überrascht eine Augenbraue. „Wie das?“
„Oh, sie hat sich vor ein paar Stunden schon in den Schlafsaal zurückgezogen“, meinte Marlene mit dem Mund voll Schokolade. „Sie hat gesagt, sie muss noch Hausaufgaben machen, aber ich glaube, sie hatte einfach keine Lust mehr darauf, noch jemandem in die Arme zu laufen, der ihr lautstark erklären wollte, wie gut Potter sich auf dem Besen gemacht hat.“ Ein wenig säuerliche Härte hatte sich in ihre Stimme geschlichen, aber Remus befand, dass er nicht darauf eingehen würde, dass Marlene augenscheinlich noch immer nicht gut auf James zu sprechen war.
„Wie schade“, sagte Remus. „Sie verpasst die ganze Party nur deswegen?“
„Du müsstest wissen, dass sie die Ruhe vorzieht. Lily ist eben ganz eigen.“
Lächelnd meinte er: „Da ist sie nicht die einzige.“ Sein Blick fiel auf Sirius, der sich seine Krawatte um die Stirn gebunden und gerade eine Geschichte erzählte, wobei er sehr wild gestikulierte und die Augen aller Umstehenden auf sich zog. Ein heißer Knoten wand sich in seinen Eingeweiden.
„Ihr seid alle schon ziemlich eigen“, kommentierte Marlene, die seinem Blick gefolgt war. „Aber warum bist du nicht bei ihnen? Man sieht dich doch sonst nur in Sirius und James‘ Schatten.“
„Manchmal ziehe ich ein wenig Einsamkeit und Ruhe vor“ erwiderte er. „Ist einfach hilfreicher, wenn man die eigenen Gedanken nicht mehr hören kann, weißt du?“
„Nicht wirklich.“ Marlene zog eine Grimasse. „Aber was immer dich glücklich macht, schätze ich.“ Ihr Blick lag immer noch auf James und Sirius, die die ganze Aufmerksamkeit von den älteren Schülern aufsogen, als wären sie Pflanzenkeime, die sich nach dem Sonnenlicht streckten. „Immer eine Show mit den beiden, oder?“
„Sie können es nicht lassen“, sagte Remus achselzuckend. „Ich glaube, sie gehen ein, wenn man ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt.“
„Und dabei wird ihr Ego nur noch mehr gefüttert. Wenn ich noch einmal hören muss, dass Potter der beste Zweitklässler auf einem Besen jemals war, dann werf ich mich aus dem Fenster.“ Marlene gab einen leisen, grummelnden Laut von sich, bevor sie ein weiteres Schokogebäck von Remus‘ Teller klaute. „Ich kann ihn ja sogar gut leiden, aber irgendwann ist die Grenze auch erreicht.“
„Man lernt, damit umzugehen, dass die ganze Welt James und Sirius zu Füßen liegt, wenn sie die Münder öffnen“, entgegnete Remus, bevor er sich selbst ein kleines Gebäck in den Mund warf. „Immerhin hilft es, wenn man selbst nicht entdeckt werden will.“
Marlene warf ihm einen belustigten Blick zu. „Ich seh schon, während Potter und Black die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können du und Peter die eigentlichen Pläne ausführen und die Schule mal wieder ein ganzes Frühstück lang ins Chaos stürzen.“
Remus grinste. „Ich sage gar nichts.“
„Wusste ich es doch. Die wahren Superhirne seid eigentlich ihr beide und Potter und Black sind lediglich eure Marionetten.“ Marlene nickte verstehend. „Alles ergibt so viel mehr Sinn.“
In keiner Welt wäre es möglich, dass diese Erklärung zutreffen würde, fand Remus belustigt. James und Sirius waren, so sicher war er sich, der einzige Grund, wieso Remus überhaupt Freunde an der Schule hatte und nicht jeden Tag mit der Nase in einem weiteren Buch stecken würde. Wären James und Sirius nicht so hartnäckig gewesen, dann würde er wahrscheinlich jetzt ebenfalls allein in seinem Schlafsaal hocken und den Aufsatz über Geschichte der Zauberei fein säuberlich aufschreiben, während der Rest seines Hauses die Party ihres Lebens feierte. Selbst seine und Peters Ideen kombiniert kamen nicht an das Genie heran, dass sich in James‘ Kopf befand und keiner von ihnen würde jemals so viel über Magie, Flüche und magische Familienbräuche wissen wie Sirius. Ein jeder von ihnen war ein kleines Zahnrad im Getriebe der Rumtreiber und schon das Fehlen eines einzigen Rades würde das Ende für ihre Gruppe bedeuten. Remus konnte sich keine Welt mehr ausmalen, in der er nicht mit James, Sirius und Peter befreundet war. Sie wussten, dass er ein Werwolf war und hatten ihn nicht fallen lassen. Solche Freunde würde er nie wieder finden.
„Ich versteh eure Freundschaft nicht“, sagte Marlene nach kurzer Pause, die sie Sirius und James stumm beobachtet hatte. „Aber ich glaube, das muss ich auch nicht. Sie behandeln dich und Pettigrew gut, ja?“
Überrascht blickte er sie an. „Sie sind die besten Freunde, die ich mir jemals hätte erträumen können“, gab er zu. „Keiner hat mich besser behandelt als die beiden.“
Marlene nickte. „Dann ist das gut. Ich muss diese seltsame Freundschaft nicht verstehen, die ihr habt, solange ihr gut füreinander seid.“ Lächelnd klaute sie sich ein letztes Mal ein Schokogebäck von Remus‘ Teller und schwang dann die Beine von der Sessellehne. „Sieh nur zu, dass es auch so bleibt, ja?“ Ein weiteres Mal biss sie von der Süßigkeit ab. „Ich werde jetzt wieder Spaß auf der Party haben, so wie du es auch solltest, Rem.“
„Rem?“
Statt zu antworten, lachte Marlene, bevor sie sich abwand und zwischen den schwitzenden, feiernden Körpern der Gryffindors hindurchquetschte und schließlich aus seinem Blickfeld verschwand.
Er fing Sirius‘ Blick über den halben Gemeinschaftsraum hinweg ein, ein Brennen in dessen sturmgrauen Augen und mit einem breiten Grinsen schwang Remus sich ebenfalls vom Sessel, um sich zu seinen besten Freunde zu gesellen.