James Potter
________________________
Die Euphorie des vergangenen Weihnachtens hatte noch lange genug angehalten, damit James nicht daran denken musste, dass Sirius deutlich blasser als zuvor wieder nach Hogwarts gekommen war. Auf der Zugfahrt war er sein übliches, gesprächiges Selbst, hatte Witze gerissen und wollte von ihm, Remus und Peter alles über ihre Weihnachtsferien wissen. Noch Tage später hatte der junge Black danach gefragt, dass man ihm noch einmal erzählen sollte, wie seine Freunde ihre freien Tage verbracht hatten. Am Anfang war besonders Peter sehr angetan gewesen, hatte er sonst nie die volle Aufmerksamkeit Sirius’ für sich gehabt und ihm mehr als enthusiastisch erzählt, wie er mit seiner Schwester am Weihnachtsmorgen die Geschenke ausgepackt hatte, wie sie gemeinsam mit ihrer Mutter und den Verwandten, die zu Besuch waren, eine Gans verspeist hatten und wie er stundenlang mit den kleinen Cousinen und Cousins im Schnee gespielt hatte. Sirius war kaum zu sättigen, so oft wollte er die immer gleichen Geschichten hören und am Anfang hatte James lediglich gedacht, Sirius wäre einfach nur neugierig, wie man Weihnachten in einer Familie feierte, die nicht vollkommen bekloppt war, aber mit der Zeit hatte er bemerkt, dass irgendwas passiert sein musste.
Richtig überzeugt davon war er, als er sich einen Abend an Sirius näherte, der im Sessel im Gemeinschaftsraum eingeschlafen war und ihn mit einem vorsichtigen Rütteln an der Schulter wecken wollte. Statt mit einem üblichen kurzen Laut der Überraschung oder dem Grunzen von Sirius begegnet zu werden, dass der Junge immer von sich gab, wenn man ihn weckte, zuckte Sirius stattdessen bei der sanften Berührung zusammen, als hätte er sich verbrannt. James zog seine Hand zurück und starrte Sirius an, der schwer atmete und sich übers Gesicht wischte.
„Was hat sie gemacht?“, fragte er leise und ging in die Hocke. Vor dem Fenster tobte ein Schneesturm und bedeckte das Glas mit einer Schicht an weißem Frost. Das Knistern des Kaminfeuers schickte kleine Funken in die Luft, die verdampften, bevor sie den Teppich in Brand setzen konnten. „Was ist passiert, Sirius?“
„Was soll das?“, erwiderte Sirius mürrisch. „Verzieh dich, Potter.“
James zog die Augenbrauen zusammen. „Deine Mum hat was gemacht“, sagte er. „Was war es?“
„Keine Ahnung, wovon du redest, lass mich in Ruhe.“ Sirius wollte sich aufdrücken, aber James packte sein Handgelenk. „Lass los“, zischte der Junge.
„Erst, wenn du mir die Wahrheit sagst. Was war über Weihachten? Du hast gar nichts erzählt.“
„Weil es nichts zu erzählen gibt, Potter, und jetzt lass mich los, sonst sag ich Frank du würdest mich belästigen.“
„Versuchs doch, Black“, erwiderte James, der ebenfalls sauer wurde. Er drückte etwas fester zu. „Sag mir die Wahrheit, Sirius. Du weißt, dass ich es ernst meine.“
„Was willst du machen?“, fragte Sirius müde, aber mit einem düsteren Blick in den Augen. „Willst du zu Dumbledore rennen und sagen, meine Familie wäre böse? Eilmeldung, Potter, das weiß er. Das weiß jeder, der auch nur einen Funken Verstand hat.“
Überrascht ließ James Sirius‘ Handgelenk los. „Ich dachte, wir wären Freunde. Ich dachte –“
„Du denkst ziemlich viel“, höhnte Sirius, „aber meistens kommt nicht sehr viel dabei raus, Potter. Wie wärs, wenn du auf deine Mami hörst und dich von mir fernhältst, wo ich doch ein schlechter Umgang für dich bin. Wahrscheinlich wartet sie nur darauf, dass ich dich im Schlaf verhexe, hm?“
James wusste, dass Sirius versuchte, ihn wegzustoßen, aber es half nicht weiter, dass er nicht trotzdem verletzt war, als Sirius sich mit einem giftigen Blick an ihm vorbeidrückte und die Treppen zum Schlafsaal hochstapfte. Er ließ dem Jungen ein paar Sekunden, dann folgte er ihm mit ebenso schnellen Schritten. „Bleib stehen, Sirius“, rief er laut. „Bleib stehen und rede mit mir, du Feigling!“
Sirius wirbelte auf dem Absatz herum, sein dunkles Haar wie ein peitschende Vorhang vor seinem Gesicht. In seinen sturmgrauen Augen blitzte es bedrohlich. „Du nennst mich einen Feigling, Potter?“ Ohne, dass James es gemerkt hatte, hatte Sirius seinen Zauberstab hervorgezogen und ihn auf James‘ Brust gerichtet. „Fordere dein Glück nicht heraus. Ich komme aus einer Familie, in der man schwarze Magie mit der Muttermilch aufnimmt. Ich kann dir die Inneren nach außen hexen, ohne dass du es mitbekommst. Ich kann deiner Lunge jeglichen Sauerstoff entziehen, ich kann deinem Körper jegliche Flüssigkeit entziehen, ohne mich sondern anstrengen zu müssen. Fordere mich nicht heraus, Potter.“
„Das bist nicht du“, sagte James leise, den Blick stur auf seinen wütenden Freund gerichtet. Die Spitze von Sirius‘ Stab drückte durch sein Pyjama-Oberteil und James meinte, dass er das Holz auf seiner nackten Haut fühlen konnte. „Wo ist der Junge, der mir vor ein paar Wochen noch gesagt hat, er verabscheut jede Form von dunkler Magie? Wo ist er, Sirius?“
„Keine Ahnung!“, rief Sirius frustriert aus, ließ seinen Stab sinken und raufte sich mit der anderen Hand die Haare. Die Winkel seiner Augen wurden rot. „Ich weiß nicht, ob ich jemals dieser Junge war, ok? Ich bin ein Black, das kann ich nicht bestreiten. Schwarze Magie liegt mir im Blut, James. Was soll ich mit denn weiter gegen das wehren, was ich bin? Ein verdammter Black, mehr nicht.“
James nahm einen tiefen Atemzug und legte Sirius vorsichtig eine Hand auf den Arm. „Wenn du mir erzählst, was passiert ist, dann kann ich dir helfen. Ich hab dir doch gesagt, dass du da nicht allein durchmusst. Du bist mein bester Freund, Sirius.“
Es kostete James all seine Willenskraft, nicht sofort zu Dumbledore und McGonagall zu rennen, nachdem Sirius ihm erzählt hatte, was seine Eltern in den Ferien getan hatten. Sie saßen gemeinsam auf James‘ Bett, die Vorhänge zugezogen und ein Schallschutzzauber darum gelegt, den James während seiner Freizeit gelernt hatte. Er zitterte am ganzen Körper und musste seine Hände fest in die Laken krallen, damit er nicht unkontrolliert auf sein Kissen einprügeln würde. „Das können sie nicht tun“, sagte er zum wiederholten Male. „Das können sie nicht tun!“
„Sie haben es längst getan, Kumpel“, erwiderte Sirius müde. Die Narben auf seiner Brust, die im Schein seines Zauberstabes wie frische, rote Farbstriche glänzten, ließen ihn so viel älter aussehen, als er eigentlich war. Sirius‘ Hand zitterte ebenso, sodass der Lichtkegel an der Stabspitze auf und ab hüpfte. „Du kannst es nicht ändern.“
„Aber“, fing James an, wusste aber nicht, wie er seine verwirrten Gedanken zusammensetzen sollte. „Sie können dich nicht für etwas bestrafen, dass du nicht getan hast! Sie tun ja so, als hättest du deiner Cousine gesagt, sie sollte sich vor den Augen aller der Familie enteignen!“
„Es war nah genug dran“, murmelte der andere Junge. „Eigentlich bin ich schuld dran, nicht? Ich hab ihr doch gesagt, sie soll nicht feige sein und sich alles gefallen lassen und dann hat sie genau das getan, was ich ihr geraten habe und“, er deutete mit der freien Hand auf seine Verletzungen, „die Quittung sehen wir hier.“
„Ich akzeptiere das nicht“, erwiderte James.
„Das wird sie davon abhalten, mich zu verfluchen“, sagte Sirius mit dem Versuch eines Lachens. „Komm schon, James, du kannst es nicht ändern. Was passiert ist, ist passiert, wir alle haben unsere Lektion gelernt, Andy wurde aus dem Familienstammbaum gebrannt und gut ist.“
„Gut ist?“, zischte James aufgebracht. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und öffnete ihn dann ein weiteres Mal. Sein ganzer Kopf schien zu schwimmen. Eintausend Gedanken rasten hin und her, prallten gegen seine Hirnwände und ließen sich als drückender Schmerz hinter seinen Schläfen nieder. Er rieb sich den Nasenrücken. „Deine Cousine wurde quasi aus der Familiengeschichte gelöscht und jetzt sollen einfach alle so tun, als hätte sie nie existiert? Findest du das wirklich gut?“
„Natürlich finde ich es nicht gut, James, heilige Scheiße“, rief Sirius aus. „Was hätte ich tun sollen? Ich hab gebettelt und geschrien und geheult wie ein Kleinkind und meine Mutter hat mich nur angeguckt und gesagt, ich hätte die Bestrafung verdient, für das, was ich der Familie schon wieder angetan habe. In ihren Augen hat nicht Andy angekündigt, sie würde einen Muggelstämmigen heiraten, sondern ich.“ Seine Augen waren blutunterlaufen und er zog sich das Shirt wieder über den Kopf. „Sag mir, was ich hätte anders machen sollen?“
James suchte angestrengt nach einer Antwort, nach einer gottverdammten Lösung, aber alles, was er fand war Ärger und Wut und Hass und die Sehnsucht danach, sich zu rächen, was Walburga und Orion Sirius angetan hatten. Seine Finger lechzten nach seinem Zauberstab und er wollte sich in die Verbotene Abteilung schleichen und die ganzen dunklen Flüche lernen, vor denen sie sich in Verteidigung gegen die dunklen Künste verteidigen mussten, er wollte lernen, wie er ihnen so sehr wehtat, wie sie Sirius wehgetan hatten. James wollte, dass sie litten. „Du gehst nicht dahin zurück“, sagte er leise, angewidert von sich selbst und den Gedanken, die er pflegte. Er war ein Gryffindor – er kämpfte mit Mut und Tapferkeit und nicht mit der dunklen Magie einer Familie, die keine Liebe empfinden konnte. „Du kommst mit zu mir, es ist mir egal – du – du kannst da nicht wieder hin. Die töten dich noch!“
„Sie werden mich nicht töten“, erwiderte Sirius. „Ich bin der Erbe. Sie brauchen mich lebendig.“
„So sieht das aber nicht aus!“, rief James. „Mann, Sirius, ich – ich kann doch nicht einfach nur zusehen, wie sie dich foltern und verfluchen und sonst noch was tun.“
„Eigentlich bin ich gut davongekommen, sie haben den Dementor dieses Mal nicht benutzt.“ Sirius hätte James genauso gut die Nase mit einem gezielten Faustschlag brechen können, denn als er James‘ entsetzten Gesichtsausdruck sah, sagte er schnell: „Nur ein Witz.“
James schüttelte mit offenem Mund den Kopf. „Du machst Witze in so einer Situation?“
„Besser als die ganze Zeit zu heulen, oder?“ Sirius setzte ein schwaches Lächeln auf. „Komm schon, Potter, wo ist dein Sinn für Humor?“
„Ich fass es nicht.“
„Sei nicht so ein Weichei, Potter“, sagte Sirius und stieß James gegen die Schulter. „Ich musste schon schlimmere Strafen ertragen. Es sind nur noch fünf Jahre, dann kann ich da legal abhauen, nicht? Bis dahin halt ich ab jetzt einfach meine Klappe und spiele den perfekten kleinen Reinblutsohn, der nie auch nur einen Fehler macht. Ich werde der Erbe sein, den meine verdammte Mutter sich wünscht und sobald ich siebzehn bin, heirate ich die erstbeste Muggelstämmige, die sich mit anbietet. Meinst du Evans hätte Lust?“
„Du bist der Wahnsinn“, erwiderte James, der nicht mehr verstand, wie Sirius von einem Moment auf den anderen so ruhig und gelassen wirken konnte, wenn er doch zuvor noch fast an die Decke gegangen war. „Und was sollte überhaupt die ganze Scheiße von wegen du seist doch nur ein Black und könntest dich nicht mehr dagegen wehren?“
Zu seiner Überraschung grinste Sirius schief. „Das war mein sehr dramatischer, schlechter Versuch, dich davon abzuhalten, weiter Fragen zu stellen. Du kannst ziemlich hartnäckig sein, wusstest du das?“
„Merlin“, seufzte James erleichtert. „Und ich dachte schon, sie hätten dir ‘ner Gehirnwäsche unterzogen oder so.“
Sirius lachte bellend auf und sah damit wieder aus, wie ein energetisches Selbst und nicht wie der verängstigte Junge, der mit neuen Narben auf der Brust einschlafen musste. „Du gehst aber auch direkt vom schlimmsten aus, Potter. Weißt du denn nicht, dass ich ein wahnsinnig guter Schauspieler bin? Ich wette, ich bin der beste Lügner an der ganzen Schule!“
James betrachtete seinen grinsenden Freund für einen Moment, dann schüttelte er selbst lachend den Kopf und drückte Sirius mit einer Hand weg. „Geh in dein eigenes Bett, Black, und lass mich schlafen. Ehrlich, ich mach mir nie wieder Sorgen um dich.“