Remus Lupin
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Frühlingsnächte schienen einfacher zu sein, zumindest was den Anfang der Verwandlung anging, so hatte Remus herausgefunden. Wenn der abendliche Wind warm und angenehm durch die Ritzen in den zugebauten Fenstern der Heulenden Hütte über sein Gesicht wehte, dann konnte er sich fast entspannen, auch wenn er wusste, dass es nur noch Minuten waren, bis sein Körper zerbrechen und Platz für den Wolf machen würde. Madam Pomfrey war schon lange weg, es dauerte nicht mehr lang, dann würde er erneut eine Nacht aus Schmerzen über sich ergehen lassen müssen, aber Remus fühlte keine Angst, keine düstere Vorahnung. Er sehnte den Morgen herbei, ja, aber nicht, weil er dann kein Wolf mehr sei.
Er sehnte den Morgen herbei, weil Sirius ihm versprochen hatte, dass er sich in den Krankenflügel schleichen, die ersten beiden Stunden für ihn schwänzen und Schokolade aus dem Honigtopf mitbringen würde. Seine wunderbaren Freunde hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die letzten seiner Verwandlungen so gut wie möglich zu machen, zumindest mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen. Sie konnten Remus nicht in der Nacht begleiten – nicht dass er das zulassen würde – aber sie konnten am Morgen für ihn da sein.
Sie würden sich an den Tagen, an denen Remus an den Krankenflügel gefesselt war, einfach abwechseln und Zeit mit ihm verbringen. James hatte sich sogar bereit erklärt, ihm die Hausaufgaben zu bringen, auch wenn er ihm dafür einen sehr unmissverständlichen Blick zugeworfen hatte, der nur bedeuten konnte, dass er noch immer nicht verstand, wieso Remus so gerne seine Hausaufgaben machen wollte, wenn er doch frei hatte. Remus hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Freunden zu erklären, dass er seine Studien nicht hängenlassen würde, nur weil er erschöpft vom Mond war. Es war allein Dumbledore und den anderen Professoren zu verdanken, dass Remus überhaupt die Möglichkeit hatte, nach Hogwarts zu gehen, also würde er es ihnen zurückzahlen, indem er fleißig war, lernte und die Bestnoten erreichte.
Von Verteidigung gegen die Dunklen Künste mal abgesehen, aber immerhin konnte er in dem Fach von James und Sirius abschreiben.
Als Remus sich nach dem Mond geschunden und mit neuen Bandagen und Narben auf dem Körper wieder im Krankenflügel fand, musste er nicht lange warten, bis Madam Pomfrey sich in ihr Büro zurückzog („Wenn irgendetwas sein sollte, Remus, dann musst du nur nach mir rufen, das weißt du auch. Versuch nicht wieder selber dir ein Glas Wasser zu holen, ja?“), da öffnete sich auch schon die Tür in den Krankenflügel und Sirius schlich mit ausgebeultem Umhang herein.
Er grinste, als er um den Vorhang trat, außer Sichtweite der Bürotür stand und die Schokolade und das Toast präsentierte, das er für Remus mitgehen lassen hatte. „Selbst geschmiert“, sagte er stolz klingend, ehe er Remus die in Servietten gewickelten Erdnussbuttertoasts gab. „Du kannst dich darauf verlassen, dass ich gut für dich sorgen werde.“
„Mein Held“, erwiderte Remus müde lächelnd, ehe er an seinem Frühstück knabberte. Wie so häufig hatte er keinen wirklichen Appetit, allerdings hatte Sirius sehr deutlich gemacht, dass er keine Honigtopfschokolade haben würde, wenn er kein normales Frühstück zu sich nehmen würde.
„Lass das nicht James hören, oder er wird noch eifersüchtig“, grinste Sirius, der sich ebenfalls an dem Toast bediente. „Seit dem letzten Quidditchsieg ist ihm das alles ganz schön zu Kopf gestiegen.“
„Ach, jetzt erst?“
„Ha Ha. Du weißt, was ich meine, Remus.“ Sirius verdrehte die Augen, aber lächelte weiterhin. „Nur weil James das letzte Tor geschossen hat, denkt er jetzt, er wäre unbesiegbar und der beste Spieler, den Hogwarts je gesehen hat. Um ehrlich zu sein, hat er mir besser gefallen, als er noch an seinen Fähigkeiten gezweifelt hat.“
„Wow“, sagte Remus kopfschüttelnd. „Ich hätte nicht gedacht, dass du deine Freunde so hintergehen würdest, Sirius Black. Und ich hab gedacht, du würdest James unterstützen und mit ihm gemeinsam feiern.“
„Hab ich ja“, erwiderte Sirius. „Aber das Spiel ist jetzt zwei Wochen her, irgendwann kann ich auch nicht mehr hören, wie James die immer gleiche Geschichte erzählt, als wären wir nicht alle dabei gewesen. Du kannst fast froh sein, dass du letzte Nacht nicht da warst, James konnte es nicht lassen, und musste im Gemeinschaftsraum noch einmal deutlich nachstellen, wie er sich auf seinem Besen herumgerollt hat, um den Quaffel zu behalten, ehe er das Tor geschossen hat. Ich glaube, wenn Evans ihn nicht ein Faultier am Baum genannt hätte, dann hätte er die ganze Nacht weitergemacht.“
Mit Toast im Mund lachte Remus leise auf. „Sie hat nicht ganz Unrecht. Er sah sehr nach einem Faultier aus, als er das gebracht hat.“
Sirius grinste breit. „Ich weiß, aber ich wollte ihm den Spaß nicht verderben. Evans macht das schon besser als ich.“
„Lily hat wirklich ein Händchen dafür, James wieder auf den Boden zu ziehen.“
Für einen Moment betrachtete Sirius ihn, dann schüttelte er den Kopf. „Merlin, das kann ja keiner mitansehen“, murrte er, ehe er nach vorne griff, Remus das halb angeknabberte Toast aus den Händen nahm und ihm stattdessen eine angebrochene Tafel bester Schokolade aus dem Honigtopf in die Finger drückte. „Hier, aber verrat das nicht James.“
Wärme füllte Remus´ Körper aus und er presste die Lippen zusammen, als er die Süßigkeit in seiner Hand ansah. „Ich bin stumm“, meinte er, während Sirius sich den Rest von seinem Erdnussbuttertoast in den Mund schob und die Augen verdrehte.
„James würde mich töten, wenn er wüsste, dass ich dir so viele Süßigkeiten gebe“, sagte er. „Er erzählt mir immer, dass wir alle zu faul seien und es so nie ins Team schaffen würden.“
„Hat er dabei vergessen, dass ich gar nicht ins Team will?“, fragte Remus, bevor er sich ein zartschmelzendes Stück Schokolade in den Mund schob. Es zerging beim Kontakt mit seiner Zunge und füllte ihn mit wohlig warmer Süße aus. Er musste sich zusammenreißen, nicht vor Genuss zu stöhnen.
„Wahrscheinlich, aber du weißt ja, wie James ist, wenn es um Quidditch geht.“
Das wusste Remus allerdings und er hatte auch nicht vergessen, wie James ihnen verbieten wollte, den neu entdeckten Geheimgang zum Honigtopf ein weiteres Mal zu betreten, als sein nächstes Quidditchspiel immer näher gekommen war. Als hätte er schlechter gespielt, wenn Peter im Unterricht an einem Zuckerfederkiel gelutscht hätte. Wahrscheinlich konnte Remus froh sein, dass sie nicht auch noch Monty in ihrer Gruppe hatten, ansonsten hätten sie direkt zwei quidditchversessene Sportler in ihrer Mitte, die ihnen statt Schokopudding gedünsteten Brokkoli zum Nachtisch andrehen wollten.
„Ach. Hier, bevor ich es vergesse.“ Sirius griff ein weiteres Mal in seinen Umhang und fischte ein paar zusammengeknüllte Pergamentblätter zusammen. „Von Zauberkunst und Kräuterkunde. Peter bringt dir nachher den Rest.“
Die feine, saubere Schrift würde Remus wahrscheinlich überall wiedererkennen. „Sind das Marys Notizen?“, fragte er.
Sirius hatte nicht einmal den Anstand, rot zu werden. „Vielleicht.“ Als er sah, dass Remus ihm einen leicht enttäuschten Blick zuwarf, fügte er schnell an: „Keine Sorge, das sind Kopien. Mary würde mich köpfen, wenn ich ihre Notizen so zerknicken würde.“
„Mit gutem Recht“, gab Remus lachend zurück. Er glättete die Pergamentblätter in seinem Schoß, bevor er sie sorgfältig zusammenfaltete und in der Schublade seines Nachttisches versteckte. Madam Pomfrey würde zwar nicht nachschauen, was er in seinen Schubladen aufbewahrte, aber er wollte sich keine Ausrede einfallen lassen müssen, wie er an die Notizen zu einer Schulstunde gekommen war, zu der er gar nicht gegangen war. Sie musste auch nicht alles wissen. „Danke“, fügte er an.
„Bloß nicht“, erwiderte Sirius. „Ich weiß ja, wie miesepetrig du wirst, wenn du keine Schulaufgaben machen kannst und das wollte ich Poppy einfach nicht antun.“
Remus zog eine Augenbraue in die Höhe. „Sicher wolltest du das.“
Sirius zuckte mit den Schultern, ehe er den Rücken durchbog. „Weißt du, du könntest deinen Bereich hier ruhig mal etwas besser einrichten. Ein paar Stühle wären schon ein Anfang.“
„Tut mir wahnsinnig leid, dass ich gestern keine Zeit hatte, ein wenig Inneneinrichtung zu betreiben“, meinte Remus trocken. „Ich war zu sehr damit beschäftigt, mich in einen Werwolf zu verwandeln.“
„Zeitmanagement“, sagte Sirius. „Schon mal davon gehört?“
Remus warf ein Stück Schokolade nach ihm, das Sirius gekonnt mit seinen Zähnen aus der Luft fing.
„Wie wars?“, fügte Sirius dann beiläufig klingend an, wobei er Remus´ Blick nicht ganz treffen wollte. „Die Verwandlung, meine ich.“
„Ich hatte schlimmere“, gab Remus zurück, der die Schokoladenreste unter seinem Fingernagel betrachtete. Wenn Sirius ihn nicht ansehen wollte, dann würde Remus ihm auch nicht die Genugtuung geben.
„Oh. Verstehe. Meinst du“, Sirius räusperte sich vernehmlich, „meinst du, es würde dir besser gehen, wenn du nicht mehr allein wärst?“
„Während der Verwandlung?“
„Genau.“
„Wahrscheinlich, aber ich vermute nicht, dass du noch einen Werwolf kennst, der sich gerne mit mir in eine zusammenfallende Hütte sperren lassen will. Und nicht einmal du würdest glauben, dass du mir bei den Vollmond Gesellschaft leisten könntest, Sirius, es –“
„Aber wenn es eine Möglichkeit gäbe?“, fragte Sirius, seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. „Ich meine, wenn wir wirklich etwas finden würden, würde es dir dann besser gehen?“
Remus blickte langsam auf und wurde mit dem stechenden grauen Blick von Sirius Black begrüßt, der seine Augen nicht von ihm nahm. Es war ein wenig unangenehm, musste er zugeben, so angestarrt zu werden. Hitze stieg in seine Wangen auf und Remus drückte den Kopf wieder nach unten. Seine Fingernägel waren noch nicht gänzlich gesäubert. „Sowas gibt es nicht, Sirius“, meinte er murrend. „Ich hab’s schon oft genug von meinen Eltern und den Heilern aus dem Mungos gehört. Es gibt keine Heilung und es gibt –“
„Ich rede von keiner Heilung, Remus“, unterbrach Sirius ihn. „Komm schon, sogar ich weiß, dass es keine Heilung gibt. Aber Dumbledore hat dir ermöglicht, an die Schule zu kommen, dann muss es doch auch eine Möglichkeit geben, dass du die Verwandlungen nicht allein bist, oder?“
„Es gibt nichts“, seufzte Remus leise. „Ich weiß, du willst nur das Beste, aber es gibt nichts, womit du mir helfen kannst, Sirius. Zumindest nicht während der Verwandlung.“ Er blickte erneut auf, Sirius´ Augen immer noch auf ihm. Glänzend, grau, abwartend. „Ich weiß es zu schätzen, Sirius.“
Sirius schnaubte leise. „Wart nur ab, Rem. Ich find schon was und dann wirst du mir wirklich dankbar sein können.“
Remus verdrehte die Augen, aber entschied sich, nichts zu sagen. Er wusste, er konnte Sirius nicht vom Gegenteil überzeugen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte und irgendwie … irgendwie genoss er es, dass der andere Junge sich so um ihn sorgte. Es war beruhigend, irgendwie. Beruhigend zu wissen, dass es jemanden gab, der an seinem Bett warten würde, wenn der Mond kalt zu ihm war, der warten würde, bis Remus genug Kraft hatte, die Augen zu öffnen. Wenn Madam Pomfrey ihn nicht in den Unterricht schicken würde, dann würde Sirius sich wahrscheinlich ein zweites Bett im Krankenflügel einrichten, damit Remus nicht allein war.
„Natürlich wirst du das.“