Sirius Black
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In den letzten zwei Wochen hatte Sirius so viel überschüssige Zuneigung und Aufmerksamkeit bekommen, dass er sich nicht sicher war, wie er sich jetzt verhalten sollte. Einerseits war er beinahe schon ekstatisch, wieder nach Hogwarts fahren zu können, andererseits würde er es vermissen, morgens von Mrs. Potter geweckt und begrüßt zu werden, als wäre er nicht nur ein Gast, nicht nur der beste Freund ihres Sohnes – als hätte sie nie etwas anderes getan, als Sirius am Morgen mit einem strahlenden Lächeln zu wecken, dass der Sonne konkurriert hatte. Sirius würde seine Zeit im Potter-Haushalt nicht vergessen, soviel stand fest. Mrs. Potter war so gut zu ihm gewesen und hatte ihn nicht einmal wie einen Black behandelt und… es war einfach erfrischend für ihn gewesen, für ein paar Tage wie ein ganz normaler Junge zu leben, der keinen mächtigen, angsteinflößenden Nachnamen hatte.
Aber jetzt fuhren er und James wieder nach Hogwarts und wenn es etwas gab, dass ihn von seinen Schulgefühlen ablenken konnte, dann die magische Schule. Weder James noch seinen Eltern hatte er richtig sagen können, wie dankbar er eigentlich war und dieses Gefühl der Versäumnis brannte jetzt in seiner Magengegend. Er wollte nicht, dass Euphemia und Fleamont Potter dachten, er hätte ihre Gastfreundschaft und ihre Liebe für selbstverständlich genommen, aber er wusste auch nicht, wie er es ihnen jemals heimzahlen konnte, dass sie ihn zumindest für kurze Zeit den Klauen seiner Mutter entrissen hatten. Das Schicksal hatte es sogar noch etwas besser mit ihm gemeint und er war seiner Mutter am Bahnsteig nicht in die Arme gelaufen – falls sie überhaupt dagewesen war.
Ein wenig schlecht fühlte er sich, weil er Regulus allein zurückgelassen hatte und sein kleiner Bruder geheult und ihn angebettelt hatte, nicht zu gehen. Sirius hatte sich eingeredet, dass es Regulus gut gehen würde, dass seine Mutter noch nie Hand an ihn gelegt hatte und dass Regulus keine Dummheiten anstellen würde, aber jetzt, wo sich ihm die Chance bot, nach seinem Bruder zu suchen und sicherzugehen, dass er die letzten zwei Wochen gut behandelt wurde, konnte er es nicht über sich bringen. Was, wenn Regulus keine gute Zeit gehabt hatte? Wenn er die Hand und den Gürtel und den Keller hatte spüren müssen? Sirius war sich nicht sicher, ob er ihm in die Augen sehen konnte, mit dem Wissen, dass er ihn zurückgelassen hatte und nicht da war, um ihn zu schützen, wie es ein großer Bruder tun sollte.
Es war trotz dessen eine angenehme Fahrt zur Schule. Sobald James mit Peter und Remus im Gepäck wieder kam, konnten die vier Jungs zu ihrer Planschmiederei umgehen, konnten von ihren Sommern berichten und gemeinsam den Berg an Süßigkeiten verdrücken, den James und Sirius von der Trolley-Hexe gekauft hatten. James, der besonders versessen darauf war, dieses Jahr mit einem noch größeren Streich als an Halloween einzuleiten, war tief in seine Gedanken vertieft und bemerkte gar nicht, dass Sirius ihm Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen in den Kragen seines T-Shirts warf.
„Wir brauchen etwas Großes“, sagte er zum wiederholten Male. „Etwas, an das man sich erinnert.“
„Und etwas, dass dieses Mal am besten nicht explodiert“, erwiderte Peter. „Ich würde es liebend gern vermeiden, erneut die Große Halle putzen zu müssen.“
„Opfer müssen gebracht werden, Pete“, sagte Sirius und warf eine grüne Bohne auf James, die an seinen Brillengläsern abprallte. „Mann, Potter, beweg dich nicht so viel.“
„Spielst du immer so mit deinem Essen?“, fragte Remus mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ich spiele nicht, ich trainiere. Stell dir nur vor, wie witzig es wäre, wenn ich es schaffen würde, Slughorn eine Eismaus in den Umhang zu werfen. Was meinst du, wer würde lauter quieken?“
Remus kämpfte offensichtlich mit einem Lächeln und schüttelte den Kopf. „Dir steckt es echt im Blut, Unheil anzurichten.“
Sirius grinste. „Danke!“
„Ein Feuerwerk!“, rief James plötzlich aus. „Das wäre doch was? Ein riesiges Feuerwerk in der Großen Halle!“
„Genau“, sagte Peter trocken, „und nebenbei brennen wir die gesamte Schülerschaft ab.“
„Oder vergiften alle mit den Abgasen“, murmelte Remus.
„Dann nicht“, erwiderte James enttäuscht und rieb sich die Brust, gegen die eben eine weitere Bohne geflogen war. „Von euch höre ich aber auch keine Vorschläge. Erst verbrüdert ihr euch mit dem Feind und dann das!“
„Mit dem Feind verbrüdern?“, fragte Peter lachend.
„Ich bereue es immer mehr und mehr, dass wir keine Gang-Lederjacken haben“, seufzte Remus, woraufhin Peter grunzte.
„Ich weiß immer noch nicht, wovon ihr da redet, aber das ist nicht witzig, Leute. Wir sind beste Freunde, wir müssen zusammenhalten, Leute, wir – Sirius!“ James wirbelte zu Sirius herum und funkelte ihn hinter seiner Brille an. Eine Bertie Botts Bohne war soeben in seinen offenen Mund geflogen, während er gesprochen hatte.
„Keine Ahnung, warum du so einen Aufstand machst, Potter. Wir haben das ganze Jahr Zeit, um uns zu überlegen, wie wir die Schule reinlegen sollen – warum fangen wir nicht mit den kleineren Projekten an? Ein paar Dungbomben in den Kerkern, ein paar explodierende Kessel im Zaubertrankunterricht – saubere Unterwäsche für Schniefelus.“ Sirius grinste. „Wahrscheinlich eine traumatische Erfahrung für ihn.“
„Ich habe das Gefühl, du nimmst das hier alles überhaupt nicht ernst, Sirius.“
„Oh ich nehme es sehr ernst. So ernst wie meinen Namen, James. Das kannst du mir glauben. Ich war noch nie ernster.“
James schüttelte den Kopf. „Verraten vom besten Freund“, seufzte er. „Womit habe ich das verdient?“
„Ich kann dir eine Liste geben“, erwiderte Sirius. „Nummer Eins: Du schnarchst.“
„Nummer Zwei: Du lässt überall deine dreckigen Klamotten liegen“, fügte Remus an.
„Nummer Drei: Wenn du beim Essen aufgeregt bist, dann schmatzt du manchmal“, endete Peter.
James fasste sich ans Herz. „Dieser Schmerz“, sagte er leise. „Ich kann es nicht ertragen. So bin ich noch nie hintergangen worden. So fühlt sich der Verrat also an!“
„Oh, beruhige dich, Potter“, lachte Sirius und schlug ihm vom gegenüberliegenden Sitz aus aufs Knie. „Wir werden dieses Jahr schon unvergesslich machen, glaub mir.“
„Genau“, sagte Remus.
„Wir lassen uns einen Streich einfallen, über den die Schule noch Jahre reden wird.“
„Man wird Artikel über uns im Tagesproheten schreiben“, sagte Peter begeistert. „Wir werden Legenden!“
„Helden, würde ich fast schon sagen“, meinte Sirius. „Die Helden Hogwarts‘, die endlich die Plage, die sich Slytherin nennt aus dem Schloss vertrieben hat!“
Die Jungs lachten und selbst James stimmte mit ein. Er grinste seine Freunde breit an, dann fügte er an Sirius gewandt hinzu: „Was ist mit deinem Bruder?“
Als hätte man ihm einen Eisbeutel den Rücken hinuntergeworfen, schüttelte es ihm am ganzen Körper. „Was soll mit ihm sein?“, fragte er versucht lässig, während er spürte, wie jegliche Farbe sein Gesicht verlassen wollte.
„Was ist, wenn er nach Slytherin kommt?“
„Wird er nicht.“
„Aber was wenn?“
„Dann“, fing Sirius an, wusste aber nicht, wie er weiterreden sollte. „Keine Ahnung. Dann muss ich ihn wohl enterben.“
„Sirius.“
„James.“
„Ich meine es ernst. Was machst du, wenn Regulus nicht nach Gryffindor kommt, wie du es dir wünscht?“ James‘ Stimme war ungewöhnlich ernst und er hatte die Augenbrauen kaum merkbar verengt. Eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn.
Sirius schluckte schwer. Gedanken wie diese hatten ihn schon den gesamten Sommer geplagt. Regulus war, im Gegensatz zu ihm, ein besserer Sohn. Er war so, wie es sich Walburga gewünscht hatte und obwohl er auch manchmal den Hang dazu hatte, sich in Schwierigkeiten zu bringen, so war er nicht wie Sirius. Die Brüder könnten sich eigentlich nicht unterschiedlicher sein, obwohl sie so gleich aussahen. Sirius wollte daran glauben, dass Regulus in seine Fußstapfen treten und die Familientradition ebenfalls mit ihm brechen würde, aber er wusste, die Chance, dass das auch wirklich eintrat, war mehr als gering. Regulus würde nie etwas tun, um seine Mutter zu enttäuschen. Wenn der Sprechende Hut auf Sirius‘ Wunsch gehört hatte, nicht nach Slytherin zu wollen, würde er dann auch auf Regulus hören?
„Er wird schon ins richtige Haus kommen“, sagte Sirius schließlich leise, auch wenn weder er noch seine Freunde wussten, welches das richtige Haus war. Nach allem, was Sirius wusste, würde Regulus in Slytherin groß herauskommen und genau das machte ihm Angst.