Sirius Black
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Die Tür vom Grimmauldplatz Nummer 12 war kaum hinter Sirius zugefallen, da war bereits die Stimme seiner Mutter durch die düsteren Flure gehallt.
„Kreacher“, rief sie, höchstwahrscheinlich aus dem Speisesaal. „Bring die Jungs zu mir, sofort!“
Kreacher, obwohl Walburga ihn nicht hören oder sehen konnte, verbeugte sich vor niemanden und murmelte: „Sehr wohl, Miss. Kreacher wird sie sofort bringen, Miss.“ Der Hauself ließ vom Gepäck der Brüder ab und ging mit eiligen, tapsigen Schritten über den dunklen Teppich. „Die jungen Herren folgen Kreacher, bitte.“
„Natürlich“, erwiderte Regulus und Sirius verdrehte die Augen.
Er hatte große Lust seinem Bruder ein Bein zu stellen, als sie dieser vor ihm herlief, aber unterdrückte den Drang. Es gab wichtigere Dinge, als dumme Streiche zu spielen. Wenn er weiterhin das Buch von seinem Vater haben wollte, dann musste er sich zumindest für einige Tage gut mit ihnen stellen. Auch wenn das hieß, dass er mit seiner Mutter reden musste, als würde er sie nicht am liebsten in einen ekligen Lurch verwandeln wollen. Sirius folgte Regulus und Kreacher die Halle hinunter bis zu den Treppen, durch die Küche und in den gut beleuchteten Speisesaal.
Ein flackerndes Feuer im Kamin erhellte die rankenverzierte Tapete und mehrere Kerzen auf dem großen Speisetisch sorgten für genug Licht, damit sie Walburga sehen konnten, die am Ende des Tisches saß, eine Tasse Tee vor sich stehen hatte und die Hände ineinander gefaltet vor sich liegen hatte.
Kreacher blieb stehen, als sie den Raum betraten. „Die jungen Master, Miss, so wie die Miss es befohlen hat.“
Walburga nickte knapp. „Kümmer dich um das Gepäck“, sagte sie. „Dann sollte das Abendessen vorbereitet werden. Danke“, fügte sie hinzu, wobei Sirius hätte schwören können, dass ihr Gesicht etwas an Härte verlor. „Du kannst gehen, Kreacher.“
Der Hauself verbeugte sich ein weiteres Mal, ehe er mit einem lauten Knall verschwand und die Brüder mit der Hausherrin zurückließ.
„Ihr könnt euch setzen“, sagte Walburga.
Regulus setzte sich als erstes. „Danke, Mutter.“
„Euer Vater und ich sind sehr zufrieden mit euren Leistungen“, fuhr sie fort, als auch Sirius sich zögerlich gesetzt hatte. „Die Prüfungsergebnisse sind ganz nach unseren Vorstellungen. Regulus, wie hast du dich eingelebt? Wie gefällt es dir in unserem Haus?“
Sirius presste die Lippen zusammen, während er ausblendete, wie sein Bruder über Slytherin redete und wie toll alles doch war. Er sagte genau das, was seine Mutter von ihm erwartete, sagte das, was sie hören wollte, als wäre er eine Puppe, der man nur diese Sätze eingebläut hätte.
Walburga nickte langsam, als Regulus geendet hatte. „Das ist mehr als befriedigend zu hören, Regulus. Ich hoffe doch, du hast dich auch mit deinen Mitschülern gut vertraut gemacht.“
„Natürlich, Mutter. Ich verkehrte nur mit den Besten aus meiner Klasse.“
„Sehr gut.“ Sie holte Luft, als müsste sie sich auf eine schwierige Konversation vorbereiten, dann wandte Walburga Sirius das Gesicht zu. „Ich vermute, du stimmst unserer Übereinkunft noch immer zu, Sirius?“
Mit den Zähnen knirschend nickte er. „Das tue ich, Mutter.“
„Es wurde aber auch Zeit, dass du zur Vernunft kommst, Sirius“, fuhr sie fort. Walburga entspannte ihre ineinander geklammerten Finger und legte eine Hand um ihre Teetasse. „Dein Vater und ich haben uns lange darüber unterhalten, natürlich, und es ist uns nicht einfach gefallen, zu diesem Entschluss zu kommen.“
Aus den Augenwinkeln konnte Sirius den neugierigen Blick seines Bruders spüren, der ihn anstarrte, als hätte er gerade seine Seele verkauft.
„Deswegen sind wir umso erleichterter, dass du von allein aus auf uns zugekommen bist. Es lag uns fern, dich nicht in unserer Familie willkommen zu heißen, aber du hast es uns nicht gerade einfach gemacht, Sirius.“
Es kostete Sirius alles an Willenskraft sich nicht zu übergeben. „Ich bin froh, dass ihr mich nicht aufgegeben habt, Mutter.“
„Natürlich nicht“, sagte Walburga. „Wir wussten immer, dass in dir der richtige Black-Kern steckt. Du musstest ihn nur entdecken. Euer neuer Tutor wird morgen nach dem Frühstück mit eurem Studium beginnen. Es gibt Dinge, die ihr nur von uns lernen könnt und die euch diese friedfertige Schule nicht lehren wird. Regulus, aus … nun, aus Gründen, die ich wohl nicht erklären muss, werde ich mich die ersten Wochen um deine Ausbildung persönlich kümmern. Ich erwarte, dass du alles über unsere Familie und die anderen Heiligen Achtundzwanzig weißt.“
„Selbstverständlich, Mutter“, erwiderte Regulus. „Ich kann es kaum erwarten, von dir zu lernen.“
Walburga nickte. „Sirius, der neue Tutor ist persönlich von mir und deinem Vater ausgewählt worden. Wir erwarten, dass du dich an seine Anweisungen hältst, alles lernst, was er dir beibringt und keine Dummheiten anstellst. Es sei denn, du hast dich in der Zwischenzeit anders entschieden und – “
„Habe ich nicht, Mutter“, unterbrach er sie mit harter Stimme.
Die Lippen zu einer dünnen Linie gezogen, hob Walburga das Kinn an. „Für jemanden wie dich gehört es sich nicht, jemanden beim Reden zu unterbrechen, Sirius. Ich dachte eigentlich, das hätten wir dir längst beigebracht.“
Eine lockere, dumme Bemerkung lag ihm bereits auf der Zunge, aber Sirius beherrschte sich. Er krallte die Hände in seinem Schoß zusammen, die Gedanken an das Verwandlungsbuch in der Bibliothek seines Vaters und das Versprechen daran, dass er es lesen durfte. Die Gedanken an Remus und was sie damit für ihn tun konnten. Sirius holte lautlos Luft. „Tut mir leid, Mutter. Es wird nicht wieder vorkommen.“
Regulus blickte zwischen Sirius und ihrer Mutter hin und her, ehe er den Mund öffnete.
Sirius unterbrach ihn, bevor er eine dumme Frage stellen konnte. „Ist Vater bereits hier?“
„Nein“, erwiderte Walburga hart. „Er ist bei einer Besprechung.“
„Was für eine Besprechung?“, fragte Regulus.
„Das hat dich nicht zu interessieren“, antwortete sie. „Er wird zum Abend wieder hier sein.“
Regulus öffnete erneut den Mund, aber erneut rettete Sirius ihn vor einer dummen Entscheidung. „Dürfen wir uns entfernen, Mutter? Ich würde mich vor dem Abendessen gerne erfrischen.“
Walburga hob das Kinn ein wenig höher. Sie betrachtete Sirius mit zusammengezogenen Augenbrauen, ehe sie knapp nickte. „Sehr wohl. Kreacher wird euch holen, sobald das Abendessen soweit und euer Vater zurück ist.“
Länger als nötig wollte sich Sirius nicht in der Näher seiner Mutter aufhalten. Er erhob sich so schnell er konnte, ohne dass es seltsam wirkte, dann drückte er gegen Regulus´ Schulter, damit dieser ihm folgen würde. Erst auf dem Treppenansatz in den zweiten Stock blieb er stehen, Regulus´ Schritte hinter ihm ein Indikator, dass sein jüngerer Bruder ihm zumindest dieses Mal gefolgt war. Er drehte sich um und zischte: „Was soll das werden?“
Regulus blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. „Das könnte ich dich fragen. Was ist mit dir passiert?“
„Ich versuche den Sommer zu überstehen“, erwiderte Sirius leise. „Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber Mutter hat es nicht so mit der sanften Erziehung.“
„Das hat dich vorher auch nicht gestört“, sagte sein Bruder. „Du hast sonst auch jede Möglichkeit genutzt, um die Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen.“
Sirius verzog schmerzhaft das Gesicht, als ihm die letzten Ferien ins Gedächtnis gerufen wurde – oder zumindest das, woran er sich noch erinnern konnte. Noch immer waren seine Erinnerungen schemenhaft und verschwommen, als hätte er sich selbst durch ein sehr milchiges Fenster beobachtet. Seine Mutter hatte damals nicht vor dem Unverzeihlichen Fluch Halt gemacht und er war sich sicher, dass sie es erneut tun würde, wenn er die Linie überschreiten würde. Sirius musste sich nicht nur für Remus´ Willen benehmen. „Lass das mal meine Sorge sein, Reggie.“
Ein wenig Farbe trat in Regulus´ blasses Gesicht. „Nenn mich nicht so. Ich hasse diesen Spitznamen.“
„Seit wann das bitte? So hab ich dich immer genannt.“
Regulus verschränkte die Arme. „Naja. Du hast das letzte Jahr nicht gerade viel Zeit damit verbracht, zu lernen, ob ich noch immer so genannt werden will, also weiß ich nicht, warum du überrascht bist.“
„Fang nicht wieder damit an“, zischte Sirius.
„Wieso? Was sonst? Heulst du dich bei Mutter aus?“
„Reggie …“
„Sirius“, sagte sein Bruder mit knapper Stimme. Er hob das Kinn, in einem Echo, wie es seine Mutter zuvor getan hatte und erst da wurde wirklich klar, wie sehr Regulus nach dem Ebenbild eines Black-Erben aussah. Die runden, weichen Gesichtszüge waren das letzte Jahr über schärfer geworden, seine Wangenknochen stachen deutlich hervor, die Nase war länger geworden. Das dunkle Haar glänzte unter den flackernden Lichtern der Treppe und seine Haut war so hell wie Mondschein. „Es sollte dich doch nicht überraschen, dass ich mich ändern kann. Das hast du die letzten zwei Jahre auch sehr gut hinbekommen.“
„Also spielst du jetzt Marionette?“, fragte Sirius mit hohler Stimme. „Nach allem, was ich getan habe, damit sie dich in Ruhe lassen, spielst du jetzt trotzdem deren Marionette?“
„Was du getan hast?“, echote Regulus hohl klingend. „Unglaublich. Du hast keine Ahnung, Sirius. Keine Ahnung.“ Regulus drückte sich mit spitzen Ellbogen an seinem Bruder vorbei und ging die letzten Treppenstufen hinauf.
Bevor er in seinem Zimmer verschwinden konnte, hechtete Sirius auf ihn zu, packte ihn am Arm und zwang ihn damit stehenzubleiben.
„Lass mich los“, zischte Reg leise.
„Was soll das denn bitte heißen?“, erwiderte Sirius nicht weniger leise. „Weißt du eigentlich, was ich alles für dich in Kauf genommen habe? Was ich für dich erduldet habe, damit die liebe Maman dich in Ruhe lässt?“
Regulus schnaubte und hörte auf sich zu wehren. Stattdessen verengte er den hellgrauen Blick, mit dem er seinen Bruder anstierte. „Was auch immer es war, ich bin mir sicher, dass du dir jetzt ziemlich blöd vorkommst.“
Vor unterdrückter Wut zitterten Sirius´ Schultern. So hatte er sich den ersten Tag im Grimmauldplatz nicht vorgestellt. Er ließ Regulus´ Arm langsam los. „Ich habe Flüche für dich ertragen. Die Schuld auf mich genommen, als du diese Vase zertrümmert hast. Ich hab sogar gesagt, dass ich es gewesen wäre, der Kreachers Schrank in Brand gesteckt hat, obwohl du das warst!“
„Ich habe dich nicht darum gebeten!“, zischte Regulus mit rosanen Wangen. „Das hast du alles aus freien Stücken getan.“
„Um dich vor ihnen zu schützen!“
„Das hat aber nicht funktioniert“, entgegnete Reg. „Hast du überhaupt darüber nachgedacht, was mit mir passieren würde, kaum dass du in Hogwarts angekommen warst?“
„Natürlich hab ich das“, sagte Sirius, auch wenn er wusste, dass es gelogen war. Er war damals so froh gewesen, endlich aus dem Haus entkommen zu können, dass er nicht viel an Regulus gedacht hatte oder was er durchmachen musste. Aber in diesen Momenten war es ihm nicht wichtig erschienen. Er hatte die letzten Jahre damit verbracht, seinen Kopf für Regulus hinzuhalten – sicherlich würde er es ein paar Monate allein aushalten.
Erneut schnaubte Regulus, bevor er den Kopf schüttelte. „Du hast es nicht verstanden, Sirius“, sagte er. „Aber schon gut. Mach was du für richtig hältst, aber glaub nicht, dass ich dich vor Mum und Dad decke, wenn du wieder irgendwas anstellen willst. Und ich weiß, dass du etwas vorhast. Du brauchst es nicht versuchen zu verneinen.“ Regulus ließ ihm keine Zeit zu antworten. Er drehte sich um, betrat sein wesentlich kleineres Zimmer und schlug dann die Tür vor Sirius´ Nase zu.
Frustriert wandte Sirius sich um und verschwand in seinem eigenen Zimmer. Er warf sich auf sein Bett, drückte sich ein Kissen aufs Gesicht und schrie.