Remus Lupin
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Als nächstes hatten sie Verwandlung bei Professor McGonagall, die ihnen zu Beginn der Stunde verkündete, dass sie nun so weit waren, die ersten Zauber an lebendigen Tieren zu verwenden. Kaum hatte die Hexe diese Erklärung abgeliefert, war Marlenes Hand nach oben geschnellt.
„Ja, Miss McKinnon?“ Die strenge Professorin betrachtete die Erstklässlerin mit stoischem Blick.
„Professor, ich fühle mich nicht gerade wohl dabei, wenn wir lebendige Tiere in Objekte verwandeln“, sagte Marlene, die in einer Reihe vor Remus und den anderen saß.
Aus dem Augenwinkel bekam Remus mit, wie Sirius die Augen verdrehte.
Der stoische Blick verschwand von McGonagalls Gesicht und wurde stattdessen mit etwas ersetzt, das Remus fast als Lächeln bezeichnen würde. Kleine Fältchen zogen sich an den Lippen der Hexe entlang und ihre Augen verloren die Härte, die sonst in ihnen wohnte. „Das ist eine äußerst gute Bemerkung, Miss McKinnon“, fing die Professorin an. „Tatsächlich bietet sich das sehr gut für eine Erklärung der grundlegenden Zaubereigesetze an.“
„Oh, ja, vielen Dank, Marlene“, flüsterte Sirius kaum hörbar, was James ein belustigtes und Lily ein genervtes Schnauben entlockte.
Sie zischte ihn über die Schulter an, was Sirius mit einem Zucken seiner eigenen beantwortete.
„Lebewesen, die durch Verwandlungsmagie in ein lebloses Objekt verwandelt wurden, wird kein Leid angetan. Noch nie wurde ein Lebewesen durch Verwandlung geschädigt, sei es bei vollendeter oder misslungener Magie. Sobald Lebewesen ihre Form ändern oder in leblose Objekte verwandelt werden, fallen sie in einen tiefen, zeitlosen Schlaf. Es ist beinahe so, als würde ihr Bewusstsein eingefroren werden.“ Professor McGonagall hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und warf einen mahnenden Blick in Remus´ Sitzreihe, als Sirius lauthals gähnte. „Tiere sowie Menschen, die in leblose Objekte verwandelt wurden, verlieren ihr Bewusstsein, erhalten dieses aber sofort zurück, sobald die Verwandlung aufgehoben wurde. Sie werden in dieser Zeit nichts mitbekommen haben und habe keine Erinnerung daran, verwandelt worden zu sein.“
Vor Remus schnellte Lilys Hand nach oben. „Professor, wie ist es denn mit Verwandlungen von Tieren in andere Tiere?“, fragte sie mit schneller, sich überschlagender Stimme.
„Eine sehr gute Frage, Miss Evans. Diese Art der Verwandlungsmagie ist zwar erst Material für Ihre späteren Jahre an Hogwarts, aber ich vermute, ein kleiner Grundkurs wird Ihnen nicht schaden.“ Die Verwandlungsexpertin ließ den Blick durch die Klasse schweifen, wie um sicherzugehen, dass auch jeder ihr zuhörte, dann führte sie fort: „Werden Tiere oder Menschen in andere Tiere verwandelt, so bleibt das Bewusstsein zwar erhalten, wird aber auf das Ziel angepasst. Um es mit einem Beispiel auszudrücken: Wenn ich Mr. Black nun in eine Taschenuhr verwandeln würde, damit er sich daran erinnern kann, rechtzeitig ins Bett zu gehen“, ihre Stimme war hart geworden und Sirius, der mitten in einem weiteren ausschweifenden Gähner war, wurde pink im Gesicht, „dann würde er sich nicht daran erinnern, was er in der Zeit seiner Verwandlung getan hätte. In seinem Bewusstsein würde es sich so anfühlen, als hätte er lediglich für einen Moment die Augen geschlossen. Sollte ich Mr. Black allerdings in einen Singvogel verwandeln, so würde ich dabei auch sein Bewusstsein verwandeln. Nach vollendeter Verwandlung würde Mr. Black den Drang verspüren, mit seinen Flügeln durch den Raum zu schwirren und eine Melodie zu singen, die er in seiner menschlichen Form sicherlich nicht beherrschen würde.“
„Sie unterschätzen meine samtig weiche Singstimme, Professor“, grinste Sirius als Antwort.
Die Professorin fuhr fort, als hätte er nichts gesagt. „Wenn ich die Verwandlung rückgängig machen oder sie ihr Limit erreicht hätte, dann würde auch der Drang zu fliegen und zu singen aus Mr. Blacks Bewusstsein verschwinden und er würde wieder seine menschlichen Gedanken zurückerhalten – so primitiv sie manchmal auch sein mögen. Er würde keine Erinnerung daran haben, jemals ein Singvogel gewesen zu sein.“
„Dabei würde ich doch so einen schönen Vogel abgeben“, sagte Sirius.
„Du hast eher ´nen Vogel“, sagte Mary MacDonald, die neben Marlene saß und der Verwandlungshexe an den Lippen gehangen hatte. „Und jetzt sei leise.“
„Beantwortet das Ihre Fragen, Miss McKinnon, Miss Evans?“, fragte McGonagall, die Sirius ein weiteres Mal übergangen hatte.
„Ja, vielen Dank, Professor“, erwiderte Lily.
„Ich denke schon“, sagte Marlene langsam. „Es ist trotzdem komisch, kleine Tiere in irgendwas anderes zu verwandeln.“
McGonagall schenkte ihr ein seltenes Lächeln. „Es ist verständlich, dass Sie das sagen, aber ich versichere Ihnen, dass den Tieren kein Leid angetan wird.“
„Okay. Dankeschön, Professor.“
„Jederzeit.“ McGonagall schwang ihren Zauberstab, woraufhin sich die Tafel neben ihrem Pult drehte und einige kompliziert aussehende Formeln präsentierte. „Notieren Sie sich bitte das Tafelbild, dann werden wir damit anfangen, Meerschweinchen in Schmuckdosen zu verwandeln.“ Sie schwang ein weiteres Mal ihren Stab und ein riesiger Käfige erschien zu ihren Füßen, in dem gut zwei Dutzend kleine Meerschweinchen herumtobten. Sie schienen sich nicht daran zu stören, dass sie gerade aus Luft erschaffen wurde.
Am Ende der Stunden hatten es alle geschafft, ihre Meerschweinchen in Schmuckdosen zu verwandeln, auch wenn sie bei manchen Schülern Quiekgeräusche verursachten, wenn man versuchte, die Deckel abzunehmen. Professor McGonagall hatte ihnen versichert, dass auch in dieser Form den Tieren kein Schaden zugefügt wurde, zumal diese Meerschweinchen, wie sie mit einem für ihre Verhältnisse verschmitzten Blick hinzugefügt hatte, keine echten Tiere waren. Sie waren magisch herauf beschwörte Wesen, eine leichte Übung für eine Hexe wie McGonagall, beeindruckend, wenn aber auch eine Magie, die nicht besonders viel Nutzen fand. Magische beschwörte Wesen hatten eine kurze Lebensspanne, kaum eigenen Antrieb, zu leben und wehrten sich nicht, wenn man sie in andere Dinge verwandeln wollte. Allerdings würden die verwandelten Dinge ebenfalls nicht lang überleben.
„Sie sollten es sich also lieber zweimal überlegen, ob sie die Dose behalten wollen, Mr. Black.“
„Oh.“ Sirius, der seine verwandelte Dose, ein schickes, silbernes Modell mit roten Symbolen darauf, in seine Umhangstasche stecken wollte. Er setzte einen unschuldigen Blick auf. „Ich dachte mir nur, dass es sicher ein schönes Geschenk für meine Mutter machen würde.“
McGonagalls Lippen kräuselten sich. „Das dachten Sie ganz bestimmt. Legen Sie die Dose wieder zurück, die Stunde ist vorbei.“
„Mist“, murmelte Sirius.
„Wozu willst du sowas haben?“, fragte James leise neben ihm.
Sirius zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
„Er will es nur haben, weil er es nicht haben darf“, sagte Remus, ohne zu ihnen zu gucken, das Lächeln zerrte dabei an seinen Lippen.
Grinsend warf Sirius ihm einen mit den Augenbrauen zuckenden Blick zu. „Es würde sich einfach so gut auf meinem Nachttisch machen.“
Peter schnaubte. „Dein Nachttisch ist so vollgestopft, da passt sowieso nichts mehr drauf.“
„Das zeigt einfach nur“, erwiderte der Black-Erbe, „dass du kein Auge für Kunst hast.“
Aus der vorderen Reihe ertönte ein Zischen und einen Augenblick später drehte Lily ihnen den Kopf zu, die Augen zusammengekniffen. „Ruhe“, sagte sie.
„Verzeihung, eure Majestät“, antworte Sirius.
„Es wird nicht wieder vorkommen, meine Königin.“ James deutete eine Verbeugung an, was Lily dazu brachte, erneut laut zu zischen. „Bitte, seid nicht verärgert.“
„Seid einfach ruhig!“, sagte Lily erneut, bevor sie sich ruckartig wieder umdrehte, ihre roten Haare peitschten dabei um ihren Kopf.
Man hätte meinen können, dass die seltsame Friedensschließung nach Lilys Geburtstag endlich dazu geführt hatte, dass Lily und James sich verstehen würden, doch kaum hatte der Frieden zwischen den beiden angefangen, war er genauso schnell wieder durch einen unsinnigen Streit beendet worden, der so ausgeartet war, dass Vertrauensschüler Frank damit gedroht hatte, den beiden Hauspunkte abzuziehen und sie zum Nachsitzen zu verdonnern. Die Zeit, in denen die beiden sich nicht in den Haaren gelegen hatten, war zwar schön aber auch absehbar kurzweilig gewesen.
Da es allein die Friedensschließung mit Lily gewesen war, die James davon abgehalten hatte, sich an Snape zu rächen, war niemand sonderlich überrascht, als er kaum einen Tag später mit einem mehrphasigen Plan aus dem Schlafsaal gekommen war und feierlich angekündigt hatte, dass es Zeit wurde, Schniefelus wieder daran zu erinnern, wer die Besten waren. Remus hatte nicht wirklich Zweifel, was die Streiche anging. Nichts, was sie taten, hinterließ Langzeitschäden und sobald niemand verletzt wurde, konnte selbst Remus darüber lachen, wenn sie Dungbomben in Severus‘ Schultasche platzierten oder seine Schulumhänge knallpink färbten. Wahrscheinlich würde aber nichts so schnell übertrumpfen, wie der Streich, bei dem sie eine der Rüstungen verhext hatten, damit sie Snape den ganzen Tag über verfolgte und jedes Mal, wenn er den Mund öffnete, ein lautes Quietschen von sich gab – Remus‘ eigene, zugegeben sehr brillante Idee.
Nach dem Mittagessen hatten sie Zauberkunst, das bei weitem Remus´ bestes Fach war. Schwebezauber, Tanzverhexungen und Gefühlssprüche lagen ihm einfach wesentlich besser als komplizierte Verwandlungen oder Zaubertränke, bei denen er die genaue Grammanzahl abwiegen oder die perfekte Kante schneiden musste. Außerdem konnte Remus das kleine Silbermesser, das in Zaubertränke zur Standardausrüstung gehörte, nicht lange in der Hand halten, ohne dass seine Haut gereizt und rot wurde. Silber war nicht nur in Muggellegenden ein Mittel um Werwölfe in Schach zu halten.
Zaubertränke war aber nichts im Vergleich zu Verteidigung gegen die dunklen Künste. Er wäre beinahe in die Missgunst von James in Sirius gefallen, als er ihnen gesagt hatte, dass er mit dem Fach nicht allzu viel anfangen konnte. Beide hielten es für das beste Fach aller Zeiten.
Er konnte es sich nicht genau erklären, wieso er gerade in diesem zugegebenermaßen sehr spannendem Fach so schlecht war. Vielleicht waren es die ellenlangen Ausschweifungen ihres Professors, der laut eigenen angeben die ganze Welt bereist und von schwarzmagischen Kreaturen und Magiern befreit hatte, oder vielleicht waren es die teilweise grausamen Zauber und Flüche, die ihnen erklärt wurden, aber Remus konnte sich nicht mit Verteidigung anfreunden. Dazu kam, dass des Öfteren dunkle Kreaturen und Monster das Gesprächsthema des Professors waren und Remus, der sein eigenes Monster in sich trug, konnte sich beim besten Willen nicht konzentrieren, wenn darüber geredet wurde, wie man besten einen Yeti tötete oder mit welchen Brennzaubern man die tödlichen Sumpfhexen am ehesten verbrennen sollte. Zum Glück war bisher niemanden aufgefallen, dass ihm das ganze Monstergerede sehr auf den Magen schlug.
Remus war einfach nur froh, dass er sein erstes Schuljahr an Hogwarts nicht komplett allein verbringen musste. Es waren die gemeinsamen Abende mit Lily in der Bibliothek oder mit seinen Jungs im Schlafsaal, in denen er sich wirklich bewusst wurde, wie glücklich er sich schätzen konnte, so gute Freunde gefunden zu haben. Er musste sich keine Sorgen darüber machen, wie sie auf sein Geheimnis reagieren würden – so weit es ihn betraf, würden sie es nie erfahren. Seine Ausreden war beinahe bombensicher und es gab noch immer nur Sirius, der glaubte, er würde etwas vor ihnen verheimlichen. Natürlich stimmte das, aber das würde er ihm nicht unter die Nase reiben. Er würde schon irgendwann einen Weg finden, Sirius davon zu überzeugen, dass er sich keine Sorgen um ihn und seine monatlichen Verletzungen machen musste. Nach allem, was geschehen war, wollte Remus sich sein Glück, dass er an der Schule war, nicht dadurch kaputt machen, dass er seinen Freunden beichten musste, dass er ein Werwolf war und jeden Monat einmal die Nacht in der Heulenden Hütte sein Unwesen trieb.
Es war letztendlich ein Kinderspiel, ein Geschenk für Severus´ Mutter zu finden. Remus hatte sich genügend Notizen im Verwandlungsunterricht gemacht, dass er lediglich einen Stein vom Schulgelände sammeln und mit ein wenig geschickter Magie eine silbrig glänzende Schmuckschatulle daraus herstellen musste. Lily war begeistert von seiner Idee und seiner Verwandlung, und sogar Severus gab zu, dass es ein gutes Stück geworden war. Ohne Remus in die Augen zu sehen, hatte er sich bei ihm für die Schatulle bedankt, bevor er, das Geschenk tief in seiner Tasche vergraben, wieder davon geeilt war.
„Danke, Remus“, sagte Lily seufzend. „Ich glaube, ohne dich wären wir aufgeschmissen gewesen.“
„Ich bin mir fast sicher, dass du auch so eine Schatulle hinbekommen hättest“, erwiderte er irritiert.
Lily schüttelte den Kopf. „Das vielleicht, aber ich habe überhaupt nicht daran gedacht. Ich glaube“, sagte sie langsam, den Blick vorsichtig in eine Ecke der Bibliothek gerichtet, „ich glaube, ich habe mich immer noch nicht so wirklich daran gewöhnt, eine Hexe zu sein. Es kommt mir so unnatürlich vor, ein Geschenk mit Magie herzustellen, wenn ich doch meine gesamte Kindheit damit verbracht habe, Blumen im Feld zu pflücken oder ein Bild für meinen Vater zu malen.“ Sie schnalzte leise mit der Zunge. „Es wird wohl noch etwas dauern, bis ich ebenfalls auf solche Ideen komme.“
Schulterzuckend antwortete Remus: „Eigentlich ist es doch egal, oder? Ob du nun ein Geschenk mit Magie gefunden oder es selbst gemacht hast, ist egal, solange du es von Herzen schenkst. Zumindest sagt meine Mum das.“
„Meine Mutter würde sowas bestimmt auch sagen, wenn sie ein besseres Verständnis von Magie hätte.“
Remus lächelte. „Meine Mum hatte große Schwierigkeiten damit“, erklärte er seiner muggelgeborenen Freundin. „Sie hat immer gesagt, dass sie es anfangs so unnatürlich gefunden hatte, wenn mein Dad Magie um sie herum benutzt hat, dass sie sich immer selbst gekniffen hat, um sich sicher zu sein, dass sie nicht träumt. Ich glaube, sie hat heute noch eine winzige Narbe am Unterarm, weil sie zu fest zugekniffen hat.“
Lily lachte, ehe sie sich eine Hand auf den Mund schlug. „Tut mir leid, das ist eigentlich nicht witzig.“
Grinsend erwiderte Remus: „Oh, ist es auf jeden Fall. Meine Mum lacht ständig darüber, dass sie nach den versteckten Drähten und Mechanismen geschaut hat, die mein Dad für seine Magie nutzen müsste.“
„Wann hat sie aufgehört zu suchen?“, fragte Lily neugierig klingend.
Remus´ Wangen wurden heiß. „Sie“, fing er an, räusperte sich leise und schluckte. „Sie hat gesagt, sie hat aufgehört zu suchen, nachdem ich geboren wurde. Ein echtes Stück Magie, hat sie mir erzählt, hat sie mich genannt.“ Es war ihm nicht unangenehm, dass seine Mutter ihn so sehr liebte, aber er mochte es nicht, wenn die Aufmerksamkeit nur auf ihm lag, selbst wenn das Gespräch nur aus ihm und Lily bestand.
„Das hat sie schön gesagt“, entgegnete sie, ein schmales Lächeln auf ihrem Gesicht. „Ich glaube, mein Dad hat mich und meine Schwester auch mal so genannt, aber das war noch bevor er wusste, dass Magie echt ist. Natürlich nennt er uns jetzt nicht mehr so“, fügte sie mit einem etwas forcierten Lächeln hinzu. „Dafür rauben Tuni und ich ihm viel zu sehr die Nerven.“
Remus lachte. „Ich glaube, damit kann jedes Kind angeben.“