Sirius Black
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Sirius runzelte die Stirn. „Wieso?“ Er wollte wissen, mit wem seine Cousine sich nachts traf, dass er es nicht herausfinden durfte. Der Stimme nach zu urteilen war es wahrscheinlich keine heimliche Affäre, auch wenn er es ihr gönnen würde. Zumindest so viel konnte er zugeben, auch wenn Narzissa nicht unbedingt seine Lieblingscousine war, so hatte er mehr Sympathie für sie übrig als für ihren schleimigen Ehemann Lucius.
Narzissa wandte ihnen den Kopf zu, bevor sie in einer schnellen Bewegung ihren Zauberstab zückte und auf sie richtete. Es war so schnell geschehen, dass Sirius kaum mitbekommen hatte, was passiert war, allerdings hatte ihn jemand sofort an der Schulter zurückgezogen, bevor er Remus´ Stimme nah seines Ohres vernommen hatte. „Das würde ich mir zweimal überlegen“, sagte Remus. Sein warmer Atem schickte einen Schauer Sirius´ Rücken hinab.
„Du kleiner –“, fing sie an, unterbrach sich aber. „Verschwindet einfach und wir vergessen alle, dass wir uns gesehen haben, kapiert?“
Die andere Stimme rief erneut: „Zissa?“, in die Stille und Sirius fragte sich sogleich, wer denn so dumm sein könnte, mitten in der Nacht lauthals durchs Schloss zu rufen. Wollte diese Person denn gefunden werden?
„Wer ist das?“, fragte James.
„Das geht dich nichts an“, erwiderte Narzissa leise. „Haut ab.“
Selbst wenn sie jetzt noch Narzissas Privatsphäre respektieren wollten, war es bereits zu spät, um sich umzudrehen und den gesamten Gang zurückzulaufen. Nur einen Augenblick später stolperte ein Mädchen mit kurzen braunen Haaren um die Ecke, die einen breiten, schwarzen Wollschal in der Hand hielt und mit ihrem glänzenden Vertrauensschülerabzeichen alle Augen auf sich zog. Die roten Streifen auf der Krawatte waren nur das letzte Indiz dafür, dass Narzissa alles getan hätte, um nicht mit ihr gesehen zu werden.
„Alice?“, fragten Sirius und James zugleich, die Münder offen hängend, während sie Gryffindors-Vertrauensschülerin beobachteten, die sich an der Wand festgehalten hatte, um nicht wegzurutschen.
„Oh.“
„Was zum – was machst du hier? Und seit wann nennst du meine Cousine bitte Zissa?“, verlangte Sirius zu wissen, wobei er prompt vergaß, dass Alice die einzige von ihnen war, die die Erlaubnis dazu hatte, nachts in den Schlossgängen zu sein.
Er rechnete es Alice hoch an, dass sie nicht rot wurde oder nach einer Entschuldigung japste.
Alice hob eine Augenbraue an, ehe sie Narzissa den Schal überreichte. „Ich wusste nicht, dass es verboten ist, Freunde außerhalb der Häuser zu haben, Sirius“, entgegnete Alice kühl klingend. „Zumal es mir nicht entgangen ist, dass ihr euch erneut außerhalb der Speerstunde in den Gängen aufhaltet. Möchtest du dich dazu auch äußern, Sirius?“
Sirius spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht lief. „Ähm.“
Ein schmales Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Das dachte ich mir fast.“
„Ich versteh immer noch nichts“, sagte James. „Warum triffst du dich mit einer Slytherin?“ Das letzte Wort sagte er besonders leise, als würde James hoffen, Narzissa würde ihn nicht hören, obwohl sie kaum drei Schritte von ihnen entfernt stand.
Narzissa warf James einen giftigen Blick zu. „Genau wegen solcher Bemerkungen“, zischte sie. „Ich bin keine bösartige Schlange, weißt du?“
James hatte immerhin den Anstand, nicht rot zu werden, als er angefeindet wurde, auch wenn es seiner Aussage nicht unbedingt half, dass er halbherzig die Arme verschränkte und den Blick von Narzissa mied. „Du bist aber auch nicht unbedingt nett und freundlich“, erwiderte er murmelnd.
Sirius war sich fast sicher, dass James noch immer schlecht auf Narzissa zu sprechen war, weil sie ihn in seinem ersten Jahr gewarnt hatte, dass er sich seine Familie zum Feind machen würde, sollte er in Gryffindor bleiben. Für Sirius selbst war es klar gewesen, dass Narzissa auf ihre eigene Art und Weise auf ihn aufpassen wollte, während James lediglich das gereckte Kinn und die blondierten Haare gesehen und sich direkt ein Bild gemacht hatte. Sirius seufzte. „Lass gut sein, Potter“, murrte er.
„Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht, wieso ihr euch heimlich in der Nacht trefft“, sagte Remus vorsichtig, wofür er einen weiteren feindlichen Blick von Narzissa erntete.
„Leute in Hogwarts reden“, erwiderte Alice achselzuckend. „Wenn irgendjemand sehen würde, wie wir uns freundlich miteinander unterhalten, dann würden direkt die falschen Ideen entstehen und es wäre dann nur eine Frage der Zeit, bis unsere Familien davon Wind bekommen. Es ist besser für uns beide, wenn wir unsere Freundschaft geheim halten.“
Narzissa schnaubte. „Fortescue glaubt, dass sie mich beschützen würde, wenn wir es geheim halten“, sagte sie. „Sie glaubt, ich wäre den Feindlichkeiten der anderen Häuser nicht gewachsen.“
„Das habe ich nie gesagt“, erwiderte Alice und verdrehte die Augen. „Aber du weißt selbst, dass ich Recht habe, wenn ich nicht will, dass man uns in der Öffentlichkeit sieht. Alle würden sofort den falschen Eindruck bekommen und schon haben wir die ganze Zaubergemeinschaft am Hals, nur weil wir uns nicht gegenseitig verabscheuen.“
„Wie auch immer“, meinte Narzissa, bevor sie sich ihren Schal um den Hals wickelte, wodurch sie plötzlich kleiner und unsicherer wirkte, als sie zuvor war. „Ich werde jetzt zurück in meinen Schlafsaal kehren und hoffentlich niemandem mehr in die Arme laufen. Alice“, sagte sie, nickte der Gryffindor-Vertrauensschülerin zu, „wir sehen uns morgen. Sirius, hör auf nachts rumzulaufen, sonst schreibe ich Tante Walburga.“ Ohne ein weiteres Wort des Abschieds drehte Narzissa sich auf der Stelle um und ließ die Gryffindors zurück.
Als ihre Schritte nicht mehr zu hören waren, verschränkte Alice die Arme vor der Brust. „Es ist nicht sehr einfach für sie, fürchte ich“, sagte sie leise. „Du müsstest eigentlich am besten wissen, dass Zissa in ihrer Familie oftmals leidet, oder?“
Sirius presste die Lippen zusammen. „Falls ja, dann weiß sie es besser zu verstecken“, erwiderte er. „Zissy würde lieber sterben, als sich mit Blutsverräterin abzugeben. Nichts für ungut, Alice.“
Alice betrachtete Sirius einen Augenblick lang, ehe sie den Kopf schüttelte. „Ich schätze, du kennst sie doch nicht so gut, wie ich dachte. Egal.“ Sie drückte den Rücken etwas fester durch, wodurch ihr Vertrauensschülerabzeichen im Mondlicht glänzte. Hinter Sirius trat James ungeduldig auf der Stelle umher. „Eigentlich müsste ich euch jetzt Nachsitzen aufbrummen und Punkte abziehen.“
„Aber?“, fragte James, als Alice nicht weiterredete.
„Aber“, fuhr sie langsam fort, ein seltsames Ziehen in der Stimme, als müsste sie sich selbst zwingen, weiterzureden.
Sirius hatte eine Ahnung, was jetzt kommen würde.
„Es ist Zissa wichtig, dass niemand weiß, dass sie und ich Freunde sind.“ Alice´ Lippen zogen sich nach unten, als sie eine Grimasse aufsetzte. „Es ist nicht meine Idee gewesen, aber ich respektiere es und ich hoffe, dass ihr das auch tun werdet.“
„Aber du bist doch reinblütig“, sagte Peter, der so klang, als hätte ihm diese Bemerkung schon seit Alice´ Erscheinen auf der Zunge gelegen. „Wieso müsst ihr euch dann verstecken?“
Alice lächelte, wobei es nicht nach einem glücklichen Lächeln aussah. „Für Narzissas Familie bin ich nicht reinblütig genug“, sagte sie. „Und jetzt ab in die Betten, na los, sonst muss ich mir das doch noch anders überlegen. Los, ich begleite euch.“
Unter den wachsamen Augen der Vertrauensschülerin, wanderten Sirius, James, Remus und Peter die Stufen hinauf in den siebten Stock, durch das Portrait der Fetten Dame und bis zur Tür ihres Schlafsaals. Als Alice sich sicher war, dass sie auch wirklich in ihren Betten lagen, verschloss sie die Tür hinter sich und alles, was sie von ihr noch hören konnten, waren ihre sanften Schritte auf der Treppe, die hinauf in die anderen Schlafsäle führte.
„Habt ihr das verstanden?“, fragte Peter in die Stille. Lediglich Montys Schnarchen, der sich nicht dadurch beirren ließ, dass geredet wurde, füllte die Luft.
„Nicht unbedingt“, erwiderte James.
„Es ist eigentlich traurig“, meinte Sirius, der an die Decke seines Himmelbetts starrte. Die samtroten Vorhänge sahen in der Dunkelheit wie Blut aus. „Narzissa ist jetzt mit so einem schleimigen Kerl namens Lucius verheiratet.“
„Verheiratet?“, entgegnete Peter ungläubig. „Aber sie ist doch noch nicht mal mit der Schule fertig!“
„Das macht nichts, Pete“, sagte Sirius leise, der die Erinnerung daran noch immer vor Augen hatte. Narzissa in ihrem lavendelfarbenen Kleid, den hochgesteckten, aufwendig frisierten Haaren und einem brillanten Lächeln, dass den ganzen Saal geblendet hatte, wie sie von ihrem Vater Cygnus an Abraxas gegeben wurde, der ihre Hand wiederum in die von Lucius gelegt hatte. Es war ein seltsames Event gewesen, fand er im Nachhinein, voller Leute, die Sirius nicht kannte, mit Hexen und Zauberern, die aussahen, als wären sie das erste Mal auf so einem förmlichen Fest gewesen. Manche von denen hatten schmutzige Schuhe und Dreck auf das teure Marmor gebracht. Er war sich sicher, dass sie nicht Narzissas Gäste gewesen waren. „Als Black hast du keine wirkliche Wahl, wen oder wann du heiratest. Meine andere Cousine, Bellatrix, wurde auch in ihrem siebten Jahr verlobt und direkt nach der Schule verheiratet, Narzissas Hochzeit wurde an Weihnachten vollzogen. Wenn Andy – also, ich meine Andromeda – nicht abgehauen wäre, dann hätte man sie letztes Jahr auch schon verheiratet.“
„Verrückt“, murmelte Peter müde klingend.
„Ist es“, sagte Sirius.
„Das ist bei Reinblütern immer so schon Brauch gewesen“, erwiderte James nachdenklich klingend. „Wobei viele sich in den letzten Jahren dagegen gewehrt haben. Meine Eltern haben lange gewartet, bevor sie geheiratet haben.“
Sirius zuckte mit den Schultern, auch wenn es niemand sehen konnte. „Wie auch immer, weil Narzissa jetzt Teil der Malfoys ist, liegt ein ziemlicher Druck auf ihr, dass sie die Familie weiterhin am Leben hält.“ Er presste die Lippen zusammen. „Die Malfoys sind ziemlich mächtig“, fügte er an. „Wenn ihnen etwas an Narzissas Leben nicht gefallen würde, dann würden sie es ändern lassen, egal, was es kosten würde. Ich bin mir sicher, dass sie nicht davor zurückschrecken würde, ihr eine ungern gesehen Freundschaft zu zerstören.“
„Aber was können sie schon tun?“, ertönte da Remus´ leise Stimme in die Nacht. Als Sirius seinen Kopf in dessen Richtung drehte, sah er das Glänzen in Remus´ Augen, die das Mondlicht reflektierten. „Für mich scheint es so, als würde Narzissa alle Regeln befolgen, die sie zu befolgen hat. Warum darf sie dann nicht mit Alice befreundet sein?“
„Aus dem gleichen Grund, wieso meine Mum mich dafür verflucht, dass ich mich James befreundet bin“, antwortete Sirius. „Blut. Status. Das ist alles, worum sich diese Familien wirklich kehren, da ist es egal, ob du glücklich oder nicht bist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Alice´ Familie ziemlich gut auf Muggel zu sprechen sind und auch unter ihnen leben und nichts dagegen haben, wenn ein Muggel in ihre Familie heiratet. Für ein paar Familien ist das nicht gerade gern gesehen.“
James schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Was kompletter Schwachsinn ist.“
„Natürlich ist es das“, stimmte Sirius ihm zu, dessen Lider langsam schwer wurden.
„Ich meine, niemand, der noch ganz klar denkt, würde denken, Muggelgeborene wären irgendwie schlechter als Reinblüter. Nichts für ungut, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Evans uns alle in Grund und Boden hexen würde, wenn wir sie lange genug nerven. Wir hätten nicht die geringste Chance gegen sie.“
„Soweit würde ich nicht gehen“, meinte Sirius belustigt. „Du versagst vielleicht, aber ich –“
„Du auf jeden Fall“, unterbrach Remus ihn schnaubend. „Lily könnte dich in einen Kakadu verwandeln, bevor du überhaupt den Zauberstab gezückt hast.“
„Oi!“
„Er hat schon Recht“, entgegnete Peter lachend.
„Tolle Freunde seid ihr.“
„Ehrlichkeit währt eben am längsten, Black.“ Remus´ Stimme verklang und zurück blieb nur Montys leises Schnarchen. „Es ist …“, er stockte und Sirius hörte, wie Remus rasch Luft holte, „es ist ziemlich beunruhigend. Die ganze Blut-Sache. Ich kann manchmal nicht ganz glauben, dass es echt ist, dass es wirklich Familien gibt, die diesen ganzen Unsinn glauben und mit eiserner Hand durchführen. Ich meine, es wäre eine Sache, wenn sie es still und leise für sich machen würden, aber ihre Abneigung gegenüber alle, die kein reines Blut haben, geht soweit, dass sie bereits mehrfach versucht haben, den Zaubergamot davon zu überzeugen, eine stärkere Regulierung durchzuführen. Wenn man diesen Leuten erlauben würde, zu tun, was sie wollen, dann würden Muggelgeborenen bald genauso behandelt werden wie Werwölfe oder Riesen.“
„Schwachsinn“, entgegnete James leise. „Das würde niemals passieren, Remus.“
„Woher willst du das wissen? Du bist ein Reinblut, du hattest dein ganzes Leben lang keine Probleme, irgendwas zu bekommen, aber ich wusste bis vor ein paar Jahren nicht einmal, ob mir überhaupt eine Ausbildung gestattet werden würde.“ Remus´ Stimme war lauter geworden als zuvor. Hitziger, aufgeregter.
In der Dunkelheit konnte Sirius gerade so die Umrisse von Remus´ Gesicht ausmachen, wie er an die Decke starrte. Eine seiner Hände war so fest in seine Decke gekrallt, dass weite Falten sich über den Stoff zogen.
„Wenn das Zaubergamot Leute wie Abraxas Malfoy machen lassen würde, dann würde es bald ein Gesetz geben, dass Muggelgeborenen verbietet, nach Hogwarts zu kommen“, fügte er ärgerlich klingend an.
Sirius würde nur zu gerne durch die Nacht tapsen und Remus´ Hand halten, damit der andere Junge sich beruhigen würde. Es war nur allzu gegenwärtig, dass ihn die ganze Sache doch mehr beschäftigte, als Sirius angenommen hatte. „James hat Recht“, sagte Sirius und versuchte so überzeugt wie möglich zu klingen. „Das würden die Leute nicht zulassen. Es gibt zwar genug Typen wie die Malfoys“, meinte er, „aber auch genügend Zauberer und Hexen, die sich dagegenstellen würden.“
„Und wenn es wirklich drauf ankommen würde, dann würden wir diese reinblütigen Arschlöcher schon besiegen“, fügte James an. „Glaub mir Remus, niemand wird zulassen, dass so eine Ungerechtigkeit durchgehen würde.“
Es folgte keine Antwort. In der Dunkelheit konnte Sirius nicht erkennen, ob Remus´ Augen noch geöffnet waren, aber da er zumindest Peters brummendes Schnarchen kurz darauf vernahm, kam er zum Schluss, dass seine Mitbewohner wohl ebenfalls alle bereits schliefen. Sirius drehte sich auf die Seite, schloss die Augen und nahm einen entspannten Atemzug.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis Sirius endgültig in den Schlaf driftete, auch wenn er sich sicher war, dass er, bevor er wirklich eingeschlafen war, noch eine Stimme gehört hatte, die sich verdächtig nach Remus anhörte, der in sein Kissen murmelte: „Sie wird doch längst zugelassen, James.“