Remus Lupin
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Der alte Muggel-Plattenspieler schwebte eine Handbreit über dem Boden, als Remus ihn mit seinem Zauberstab zur Schalfsaaltür dirigierte. Nur ab und zu hatte er die Gelegenheit, das musikalische Gerät rauszuholen und eine seiner Platten darauf zu spielen, aber jedes Mal schien es, als würde sich die ganze magische Welt noch ein wenig magischer anhören, wenn er die Melodien der Beatles oder die Stimme von Bowie durch den Schlafsaal hallen ließ. Fast so, als würde seine Mutter neben ihm im Schneidersitz auf dem Boden sitzen und zur Musik wippen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal selbst meine eigene Party vorbereiten muss“, sagte Sirius halb belustigt, halb grummelnd, während er den Staub von Remus‘ Schallplatten blies.
„Technisch gesehen ist es auch nicht deine Party“, meinte Remus.
Sirius verdrehte die Augen. „Nur weil es eigentlich die Quidditch-Party ist, heißt es nicht, dass es nicht auch meine Party sein kann. Ich meine, ich bin mindestens genauso berühmt wie Quidditch.“
„Na immerhin ist dir dein Black-Erbe nicht zu Kopf gestiegen, man male sich nur aus, wie das sein würde“, erwiderte Remus mit monotoner Stimme, woraufhin Sirius bellend lachen musste.
„Schon gut, Lupin, hab’s ja kapiert. Wer ist das?“, fragte er und deutete mit einem Nicken auf die Platte, die er in der Hand hielt. Darauf war das Gesicht einer jungen, schwarzen Frau zu sehen, deren Augen blau geschminkt waren. Surrender stand in kleinen Lettern über ihrem Gesicht.
„Oh. Das ist Diana Ross.“ Remus konnte sein Lächeln nicht verhindern, als er Sirius‘ beinahe ehrfürchtiges Gesicht sah. „Willst du sie hören?“
„Klar!“
Remus ließ den Plattenspieler vor der Tür stehen und erhob sich. Er nahm die Sirius die Platte ab, legte sie mit vorsichtigen Fingern auf und setzte die Nadel an. Sofort erklangen die fernen, mechanischen Klänge eines Schlagzeugs im Gryffindor-Schlafsaal, dicht gefolgt von der, in Remus‘ bescheidener Meinung, magischen Stimme der Sängerin. Wenn er es nicht besser wissen würde, dann würde er einhundertprozentig davon ausgehen, dass Diana Ross eine Hexe war. Solch eine Stimme konnte nur reine Magie sein.
Ein Blick genügte, damit er wusste, dass Sirius ähnlich dachte. Sein Mund hing leicht offen und er betrachtete mit halb geschlossenen Augen den Plattenspieler, während er sanft zu beiden Seiten wiegte. „Wahnsinn“, hauchte er, als es seine kurze Pause im Lied gab. „Allein dafür würd es sich schon lohnen, ein Muggel zu sein, nicht?“
„Du musst kein Muggel sein, um Musik genießen zu können“, meinte Remus nachdenklich.
Sirius zog eine Grimasse. „Ich müsste ein Muggel sein“, sagte er. „Wenn meine Eltern wüssten, dass ich Muggel-Musik höre und auch noch gut finde, dann würden sie mir wahrscheinlich die Ohren abfluchen.“ Er seufzte kaum hörbar.
„Oh.“
Seine Schultern zuckten für den Moment in die Luft. „Schon gut. Tut mir leid, ich wollte die Stimmung nicht ruinieren.“ Sirius zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf den Plattenspieler, woraufhin die Lautstärke der Musik angehoben wurde. Diana Ross‘ singende, sanfte Stimme erfüllte jede Stelle des Schlafsaals und Sirius schloss die Augen. „Ich genieß es einfach, solange ich kann.“
Remus betrachtete Sirius unverblümt, während der andere Junge der Musik lauschte. In Momenten wie diesen war Remus sich sicher, dass irgendwo ein Fehler gemacht wurde. Der Junge, der mit sanftem Gesicht und leicht zum Takt der Musik wippenden Füßen auf dem Boden saß, konnte unmöglich der Erbe einer schwarzmagischen, uralten Familie sein, deren Reinheit das Einzige war, dass ihr wichtig war. Es schien ihm einfach falsch, dass Sirius unter solch harten Bandagen aufwachsen musste – und Remus wusste, was das hieß. Wieso war es ihm nicht vergönnt, die Musik von Muggeln und die Kleidung von Muggeln zu genießen? Wieso musste Sirius auf alles verzichten, was ihm Freude bringen könnte?
Er hatte Sirius‘ Familie nie getroffen, aber wenn er sie jemals zu Gesicht bekommen würde, dann hätte Remus ein paar sehr ausgewählte Worte für sie übrig. Er konnte nicht mitansehen, wie sein bester Freund jeden Tag litt und in einer Welt gefangen war, die ihm keine Erfüllung bot, er konnte nicht mitansehen, wie Sirius die gleichen Werte vertreten musste, die Menschen wie ihn, Remus, aus der Zaubererwelt ausschlossen. Während er die scharf geschnittenen Augenbrauen und die gerade Kieferpartie von Sirius Black betrachtete, fällte der junge Zauberer eine Entscheidung; er würde nicht länger mitansehen, wie seinem besten Freund eine Welt verwehrt wurde, die ihm guttun würde. Er machte sich eine mentale Notiz, dass er bei nächster Gelegenheit nach Hause schreiben würde, bevor er sich vorsichtig räusperte.
„Wir müssen weitermachen.“
Sirius blickte auf, als wäre er aus einer Trance erwacht. Die sanfte Stimme um sie herum verlor an Lautstärke, als er seinen Zauberstab ein weiteres Mal auf den Plattenspieler richtete. „Okay.“ Er erhob sich, schenkte Remus ein flüchtiges, beinahe scheues Lächeln, ehe er mit dem Muggel-Musikgerät aus dem Schlafsaal eilte. „Kommst du auch?“, hallte seine Stimme aus dem schmalen Treppenaufgang wider.
Lächelnd rief Remus zurück: „Bin ja schon unterwegs!“, bevor er sich die restlichen Platten und Sirius‘ neuen Gryffindor-Schal schnappte und den Schlafsaal verließ.
Der Gemeinschaftsraum war bereits für die kommende Party vorbereitet. Die knuddeligen Sessel, die kleinen Tische und selbst die Sofas waren an die Wände geschoben und aufeinander gestapelt worden, sodass genügend Platz zum Tanzen und Feiern wäre. Nahe des Eingangs war ein riesiger Fressstand aufgebaut, mit allem, was der Magen begehren konnte. Irgendjemand – Remus vermutete die Siebtklässler-Zwillinge Gideon und Fabian Prewett – hatte die Küche um Süßigkeiten, süße Säfte und mundgerechte Häppchen erleichtert, sodass der Siegesparty des Quidditchteams in ein paar Stunden nichts mehr im Wege stand. Niemand glaubte daran, dass das Gryffindor-Team verlieren würde – zwar hatten sie seit vier Jahren den Quidditch-Pokal nicht mehr gewonnen, aber das würde den grenzenlosen Optimismus des ganzen Hauses nicht einen Deut ankratzen. Bereits jetzt sahen die älteren Schüler den glänzenden Pokal vor Augen, während die jüngeren sich lediglich darauf freuten, bei einer Party dabei sein zu können.
„Ah, da seid ihr ja“, sagte Vertrauensschüler Frank, der das ganze Aufbau-Prozedere mit Adleraugen beaufsichtigte. „Stellt den in die Ecke, damit niemand auf die Idee kommt, damit rumzuspielen, ja? Danke nochmal, Remus.“
„Kein Thema“, meinte der Junge achselzuckend. „Sieh nur zu, dass er nicht kaputt geht.“
„Du hast uns nie erzählt, wo du das Teil eigentlich her hast“, sagte Sirius nachdenklich klingend, als er Remus half, den Plattenspieler aufzubauen. „Ich bezweifle ja, dass der einfach irgendwo herumlag.“
Remus lächelte spitzbübisch. „Ein wahrer Zauberer erzählt nie seine Geheimnisse, Sirius.“ In Wahrheit wollte er seinen Freunden nur nicht erzählen, dass er den Plattenspieler selbst mitgebracht hatte, in der Hoffnung, dass er so das Heimweh ein wenig lindern könnte. Es wäre nur eine halb so interessante Geschichte, wenn er ihnen das erzählen würde, also blieb Remus dabei, ein Geheimnis daraus zu machen.
„Hinterlistig und gemein, das bist du. Ich glaube ja, sie haben dich ins falsche Haus gesteckt“, murmelte Sirius missmutig klingend, aber ein schwaches Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn.
„Red dir das ruhig ein.“