James Potter
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Da für die Musik gesorgt war, Mary und Marlene die Einladungen an die anderen Erstklässler weitergereicht hatten und James und Sirius einen ganzen Berg an Essen aus der Küche bestellt hatten, war alles für die Überraschungsparty vorbereitet. Die Hauselfen hatten James versprochen, dass sie ganz besonders leckere Küchlein und Dessert für Lily zubereiten würden und dass sie sie alle in das leere Klassenzimmer bringen würden, das Mary und Marlene sich ausgesucht hatten. Remus‘ Plattenspieler hatte keine ruhige Minute mehr gehabt, seit er ihn repariert hatte. Nach seiner anfänglichen Skepsis der Muggel-Gerätschaft gegenüber, konnte Sirius gar nicht mehr genug davon bekommen. Er spielte jede einzelne der Platten, die Remus dabei hatte, bis er sie auswendig konnte und jeden Morgen und jeden Abend konnten sie den Jungen die ein oder andere Beatles-Melodie pfeifen hören, während er unter der Dusche stand, sich anzog oder seine Hausaufgaben fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn hinkritzelte.
„Du hast ein Monster erschaffen“, sagte James am Morgen von Lilys Geburtstag, als sie Sirius laute, enthusiastische Stimme aus dem Badezimmer hören konnten, der gerade Eleanor Rigby sang, als würde er die Muggel-Frau persönlich kennen. „Es ist deine Schuld, dass wir nie wieder auch nur eine ruhige Minute haben werden.“
Remus, der mit blassem Gesicht aus seiner Decke schielte, lächelte schwach. „Die hätten wir auch sonst nie gehabt.“
„Alles ok bei dir?“, fragte Peter besorgt, der bereits geduscht war und gerade versuchte einen sauberen Umhang aus seinem Wäschestapel zu zerren, ohne dass alles auf den Boden fallen würde. „Du siehst nicht gut aus, Remus.“
„‘S geht schon. Bisschen müde. Hab nicht gut geschlafen“, murmelte der Junge und schloss die Augen.
„Bestimmt weil Peter so laut schnarcht“, erwiderte James anklagend.
„Ich schnarche nicht!“
„Dann eben Monty.“
„Ich habe eine schiefe Nase, dafür kann ich nichts! Meine Mutter sagt, sie lässt mich verwegen aussehen.“
„Deine Mutter lügt.“
„Nimm das zurück, Potter!“
„James, da ist eine Eule am Fenster.“ Peters Wäschestapel war laut krachend in sich zusammengebrochen, aber der Junge, der jetzt unter einem Berg an sauberen T-Shirts und Umhängen begraben lag, deutete mit einer Hand auf das Fenster neben James‘ Bett.
„Oh, perfekt“, erwiderte James und sprang auf. „Das ist sicher Aridia mit Evans‘ Geschenk.“
Und so war es. James‘ Eule hüpfte glücklich in den Schlafsaal und streckte stolz ihr Bein aus, an dem ein dicker Faden hing, der um ein großes Päckchen gebunden war. James löste den Faden und das Päckchen und ließ dann zu, dass Aridia ihn ins Ohr kniff. Wie er ihr versprochen hatte, gab er ihr eine ganze Packung an knusprigen Eulenkeksen, ehe sie sich wieder auf den Weg in die Eulerei machte, wahrscheinlich um die nächsten Wochen durchzuschlafen.
Fast schon hibbelig mit Aufregung, lief James im Schlafsaal auf und ab, bis endlich all seine Mitbewohner bereit waren. Genau wie Mary es geplant hatte, trafen sie zur gleichen Zeit im Gemeinschaftsraum aufeinander, Lily in der Mitte von Mary und Marlene, die beide beinahe teuflisch grinsten, als die Jungs sahen.
„Phase Eins“, sagte Marlene gebieterisch und legte einen Arm um Lilys Schulter.
„Eingeleitet“, beendete Mary und legte ihren Arm um Lilys andere Schulter, sodass es aussah, als hätten sie das rothaarige Mädchen in der Mangel.
„Wovon redet ihr beiden bitte?“, fragte Lily mit roten Wangen.
Mary, die Finger wie eine Dirigentin erhoben, stimmte eine sehr peinliche, sehr enthusiastische und sehr laute Version von Happy Birthday to you an, in die sobald die fünf Jungs mit eingestiegen waren, jeder in einer anderen Lautstärke und Tonlage. Ein paar der älteren Schüler, die noch anwesend waren, grinsten sich bei dieser Darstellung von Geburtstagsbeglückwünschung an und lachten, als Lily das Gesicht in den Händen vergrub.
„Ihr seid schrecklich“, rief Lily lachend aus, als Sirius endlich mit seiner Version des Liedes geendet hatte. „Müsst ihr mich so blamieren?“
„Natürlich“, sagte Mary, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. „Dafür sind Freunde doch da. Außerdem kannst du froh sein, dass wir es nicht in der Großen Halle gemacht haben.“
„Ich war dafür, aber McKinnon hatte Lampenfieber“, meinte Sirius grinsend. „Alles Gute, Evans. Jetzt gehörst du auch endlich zu den alten, weisen Schülern.“
„Wer hat dir denn gesagt, du wärst weise?“, fragte Peter schnaubend. „Da wurdest du aber ganz schön angelogen, Black.“
„Oh, du bist ja mal ruhig, Pettigrew, mit deinen zarten elf Jahren. Du bist quasi das Küken der ganzen Runde“, erwiderte Sirius.
„Ich würde liebend gern tauschen, wenn das heißt, ich muss nie wieder so bloßgestellt werden“, sagte Lily, deren gesamtes Gesicht rot angelaufen war, wodurch sie eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer reifen Tomate hatte. Bevor wieder eine Diskussion ausbrechen konnte, ging die Erstklässlergruppe hinunter zum Frühstück.
In der Großen Halle wurde – zu Lilys Erleichterung – keine zweite Version vom Geburtstagslied angestimmt, aber Mary, die wie ein richtiger Partyplaner den ganzen Tag bis zur letzten Minute durchkalkuliert hatte, setzte Lily einen nicht zu übersehene spitzen, grünen Hut auf, auf dem Geburtstagskind stand. Jedweder Protest wurde geflissentlich ignoriert, mit dem Versprechen, dass Lily sich rächen könnte, sobald Marys oder Marlenes Geburtstag wieder anstand, die im Dezember und Oktober gewesen waren.
„Ich weiß nicht, warum ihr für mich so einen großen Aufstand macht“, sagte Lily, die am Band herumzupfte, das um ihr Kinn gebunden war. „Es gab für keine von euch eine Gesangseinlage oder Partyhüte und ich hätte die Möglichkeit nur zu gerne genutzt, euch mit anderen vor der Schule ebenso bloßzustellen, hätte ich gewusst, was ihr vorhabt.“
„Du warst in letzter Zeit sehr traurig, Lily“, sagte Marlene, die dem Geburtstagskind großzügig Toast mit Marmelade bestrich. „Außerdem können wir alle eine kleine Ablenkung gebrauchen. Diese Tonnen an Hausaufgaben töten mich noch irgendwann.“
„Ihr hättet doch nicht –“
„Nimm es doch einfach an, Evans“, sagte Sirius ungeduldig. „Deine Freunde wollten etwas für dich tun, also sei jetzt kein Spielverderber, ja? Genieß es, einmal im Mittelpunkt zu stehen.“ Grinsend fügte er hinzu: „Wahrscheinlich macht Slughorn sich vor Aufregung in die Hose, wenn er mitbekommt, dass seine kleine Wunderschülerin Geburtstag hat.“
„Oh, sei ruhig, Black“, sagte Lily peinlich berührt, hörte aber auf, sich zu beschweren.
Der Rest des Frühstücks verging den Umständen entsprechend ruhig. Frank Longbottom und Alice Fortescue, die Vertrauensschüler von Gryffindor, gratulierten Lily, genauso wie Peters Schwester Phyllis, die dadurch Emmeline Vance, Dorcas Meadows und Benjy Fenwick darauf aufmerksam machte. Die drei Ravenclaw-Erstklässler schlossen sich der Frühstücksrunde an und schon bald gratulierten Lily selbst Schüler, mit denen sie noch nie etwas zu tun gehabt hatte. Eine Hufflepuff-Sechstklässlerin kam mit einem Muffin zu ihnen herüber und überreichte ihn Lily feierlich, als gäbe es auf den ganzen Tischen nicht noch ungefähr zweihundert andere von den Gebäckteilen, die für alle da waren, aber Lily nahm es mit rotem Kopf und tausend Dankbarkeiten entgegen.
Wie Sirius vorausgesagt hatte, kam selbst Professor Slughorn mit Professor McGonagall in Begleitung zu ihnen herunter. Wo die Hauslehrerin Gryffindors sehr souverän und professionell wirkte, als sie Lily einen schönen Geburtstag wünschte, war der Hauslehrer Slytherins ganz aus dem Häuschen. „Meine besten Glückwünsche, Miss Evans, kaum zu fassen, dass sie noch so jung sind!“, sagte er mit lauter Stimme. „So jung und doch so ein Naturtalent was Zaubertränke angeht! Minerva, habe ich Ihnen gesagt, dass Miss Evans bisher jeden Trank beim ersten Brauen perfekt hinbekommen hat? Ein Wunderkind, sag ich Ihnen, ein Wunderkind!“
Man hätte meinen können, es sei der perfekte Geburtstagsmorgen gewesen; Lily lachte mit ihren Freunden, hatte etliche Glückwünsche bekommen und, was sie noch nicht wusste, würde auch noch eine unglaubliche Überraschungsparty erleben. Es wäre der perfekte Morgen gewesen, wenn da nicht der Brief ihrer Eltern gewesen wäre, der kurz vor Beginn der ersten Unterrichtsstunde eintrudelte.
Während alle anderen noch lachten und redeten und sich – in Peters und Benjys Fällen – noch einen Muffin in die Mund steckten – war Lily sehr ruhig geworden, während sie die Zeilen auf dem schneeweißen Briefpapier las. Ihr Lächeln war erfroren und ihre Augen trüb.
„Alles klar, Evans?“, fragte James leise in der Hoffnung, es würde die anderen nicht alarmieren, aber hatte die Rechnung ohne Marys übermenschliches Gehör gemacht.
„Was ist los, Lily? Alles in Ordnung bei deinen Eltern?“
„Hm?“ Lily blickte hastig auf. „Oh, ja. Alles Bestens. Ich – sie haben mir nur gratuliert und gesagt, mein Geschenk kommt etwas später, weil sie noch eine zweite Eule organisieren müssen. Sie hoffen, ich habe einen schönen Tag, auch wenn ich nicht Zuhause sein kann.“
„Wo liegt dann das Problem?“
Lilys Finger drückten etwas fester zu, sodass das Briefpapier knisterte. Sie rieb sich mit der anderen Hand kurz die Augen, die danach rötlich schimmerten, dann sagte sie leise: „Kein Wort von Petunia.“
„Oh, diese blöde Ziege! Wer glaubt sie eigentlich, wer sie ist?“, fing Mary an zu zetern. „Du solltest dir keine Gedanken darum machen, was diese Kuh von dir denkt! Ist doch egal, meine ich. Du hast jetzt mich und Marls, du brauchst keine Schwester in deinem Leben, die dich nicht wertschätzt!“ Marys Ansatz war zwar richtig gewesen und sie hatte definitiv nur versucht, ihre Freundin aufzumuntern, aber kaum hatte sie aufgehört zu reden, brach Lily in Tränen aus.
Lily verließ den Tisch und die Große Halle schneller, als irgendjemand von ihnen hätte reagieren können und ihr dramatischer Abgang hatte für einiges an Gemurmel gesorgt.
„Ich wollte doch nicht –“, sagte Mary überrascht.
„Schon gut“, meinte Marlene, die sich auf die Lippe gebissen hatte. „Lily ist eben etwas empfindlich, was ihre Schwester angeht. Ich glaube, die kriegt sich schon ein, lassen wir ihr ein wenig Freiraum, ja?“
Sie alle stimmten zu, Lily in Ruhe zu lassen, auch wenn James nicht anders konnte, als zum Eingang der Halle zu starren, in der Hoffnung, seine rothaarige Mitschülerin würde wieder reinkommen. Er wusste nicht einmal, warum er sich darum kümmerte – eigentlich sollte es ihm gänzlich egal sein, was Lily Evans tat oder nicht tat, genau wie Sirius gesagt hatte. Sie waren ja nicht einmal wirklich Freunde. Die meiste Zeit war sich James nicht einmal sicher, ob sie sich überhaupt leiden konnten, weil jede Unterhaltung in einem Streit zwischen den beiden endete. Aber egal wie nervig und besserwisserisch Lily manchmal sein konnte, es verpasste ihm trotzdem einen Stich im Herzen, sie weinend zu sehen, weil ihre Muggel-Schwester gemein zu ihr war.
„Was habt ihr mit Lily gemacht?“, fragte eine nervtötende Stimme.
James stöhnte, als er Snape erkannte, der hinter ihnen aufgetaucht war. „Hau ab, Schniefelus. Geschlossene Gesellschaft, du bist nicht eingeladen.“
Snape überging ihn. „Wieso hat Lily geweint?“, fragte er an Marlene gewandt.
„Ihre Schwester hat ihr nicht zum Geburtstag gratuliert“, erklärte diese kurz angebunden. „Lass sie lieber allein, das braucht sie jetzt.“
„Du hast keine Ahnung, was sie braucht“, zischte Snape abwertend. „Ich bin ihr bester Freund und ich weiß, was am besten für Lily ist.“
„Ach ja?“, fragte Sirius lautstark. „Deswegen hat ihr bester Freund ihr auch noch nicht mal zum Geburtstag gratuliert, hm? Verzieh dich, Schniefelus, du verpestest die Gegend.“
Rote Flecken erschienen auf Snapes blassen Wangen. „Halt du dich da raus, Black. Hab gehört, in deiner Familie gab es ganz schönes Drama über die Ferien. Was meinst du, wann sie dich auch enterben, wie deine Blutsverräter-Cousine?“
Sirius war schneller aufgestanden, als James es mitbekommen hatte, aber als er bemerkte, wie sein bester Freund nach Snape greifen wollte, erhob er sich ebenfalls und zerrte Sirius am Ärmel zurück. „Willst du Schniefelus echt anfassen, Sirius?“, fragte er leise. „Wer weiß, was für Krankheiten er mit sich bringt.“
„Auch wahr“, grinste Sirius. Ein düsterer Blick war in seinen Augen aufgetaucht. „Hau lieber ab, Schniefelus, sonst kann ich nicht garantieren, dass mir der Beinklammerfluch nicht ausrutschen wird.“
„Soll das eine Drohung sein, Black?“, fragte Snape leise, sein Gesicht zur Grimasse verzerrt. Er war bereits einen Schritt zurückgesprungen, als Sirius aufgestanden war.
„Verzieh dich“, sagte jetzt auch Mary. „Oder ich erzähl Professor McGonagall, dass du versucht hast, Sirius einen Fluch aufzuhalsen.“ Sie zuckte mit dem Kinn in Richtung seiner Umhangstasche, die durch seine Hand darin deutlich verbeult aussah.
„Du –“, fing Snape an, aber unterbrach sich. Laut schnaubend wandte er sich um und stapfte mit viel zu großen Schuhen aus der Großen Halle.
„Woher wusstest du, dass er uns verfluchen wollte?“, fragte Sirius beeindruckt.
„Während ihr Paviane versucht, euch die Köpfe einzuschlagen, benutzt ich meinen ab und zu mal“, erklärte sie. „Er hatte seinen Stab schon in der Hand gehabt, bevor er überhaupt hier war.“
„Ich sag Lily ständig, dass der Typ unheimlich ist, aber sie hört nie auf mich“, fügte Marlene an.
„Schniefelus wird schon sehen, was er davon hat“, meinte James düster, während Sirius bestärkend nickte. „Wir müssen ihm wohl mal wieder die Ehre zuteil kommen lassen, ein Opfer unserer berühmten Streiche zu werden, oder?“
„Aber nicht heute!“ Mary deutete mit dem Finger anklagend auf sie. „Ich lass nicht zu, dass ihr Lilys Geburtstag heute noch mehr ruiniert! Ihr werdet zu dieser dämlichen Party kommen, kapiert? Kein Rachefeldzug, bevor Lily nicht ihre Party hatte!“
James durfte erst dann die Große Halle verlassen, als er schwor, dass er die nächsten vierundzwanzig Stunden ein artiger Erstklässler sein würde. Mit dem Vorwand, dass er sein Verwandlungsbuch vergessen hatte, eilte er die Stufen der Eingangshalle hinauf, blieb dann aber etwas erschlagen stehen. Sein Plan war es, Lily nachzulaufen und sicherzustellen, dass es ihr gut ging – eine nette Geste an ihrem Geburtstag, wie er fand. Aber jetzt, wo er tatsächlich auf der Suche nach ihr war, wusste er überhaupt nicht, wo er sie finden sollte. Wie sollte er überhaupt jemals jemanden in diesem verdammten Schloss finden, wenn er nie wusste, wo irgendwas war? Er war gerade einmal sicher genug, seine Klassenräume zu finden, ohne sich zu verlaufen, aber ansonsten? Eine Person, die sich versteckte, die würde er doch nie im Leben finden.
Er hatte nur wenig Zeit, bis der erste Unterricht beginnen würde, deswegen entschied er sich für die drei Optionen, die am naheliegendsten und wie ein Rückzugsort für Lily Evans wirkten. In der Bibliothek hatte er den Vorteil, dass er Madam Pince fragen konnte, die allerdings knapp und skeptisch sagte, dass sie Lily noch nicht gesehen hatte. Im Schlafsaal der Mädchen war sie auch nicht, zumindest laut der Drittklässlerin, die James gebeten hatte, nachzusehen, auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, ob sie nicht gelogen hatte. Vielleicht war Lily dort oben, das Kopf ins Kissen gepresst und weinte sich die Seele aus dem Leib und die Schülerin dachte, sie würde ihr einen Gefallen tun.
Da James nicht selbst nachsehen konnte – eine seltsame Magie verwandelte die Treppen zu den Mädchenschlafsälen in Rutschbahnen, sobald jemand, der nicht darin lebte, versuchte sie zu betreten – verließ er den Gemeinschaftsraum wieder. Die Fette Dame schnalzte entrüstet mit der Zunge, sagte dieses Mal aber nichts. Wahrscheinlich hatte sie sich mittlerweile mit James‘ nervöser Energie abgefunden.
James wusste nicht, wie er auf die Idee kam, dass Lily dort sein könnte, wurde aber positiv überrascht, als er sie tatsächlich in der Eulerei vorfand, den Rücken zu ihm gedrückt und den Kopf auf den Armen gebettet, während sie aus einer der Nischen guckte.
„Genießt du die frische Luft?“, fragte er.
Lily zuckte zusammen. „Potter“, murmelte sie, als sie sich schreckhaft umgedreht hatte. „Schleich dich doch nicht so an, mein Gott.“
„‘tschuldige“, erwiderte er grinsend.
„Was machst du hier? Hast du nicht einen dummen Streich zu planen, mit dem du Gryffindor wieder Punkte verlieren kannst?“
„Heute nicht“, sagte James und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Es gab was Wichtigeres zu tun. Eine“, er stockte kurz, schluckte einen schweren Kloß in seinem Hals runter, „eine Mitschülerin fühlt sich nicht gut. Ich dachte, ich seh nach ihr.“
Lily betrachtete ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen und geröteten Augen. Ihm war klar, dass sie wusste, was er fast gesagt hätte, aber zu seinem Glück reagierte sie nicht drauf. „Ihr geht’s gut“, murmelte sie. „Sie ist nur aufgewühlt und will gerne allein sein.“
„Wenn sie aber weiterhin allein ist, dann verpasst sie noch den Verwandlungsunterricht und Professor McGonagall wäre alles andere als begeistert davon.“
„Professor McGonagall muss dann mit einer Schülerin weniger auskommen“, sagte Lily mit gedrückter Stimme. „Vielleicht tut es der Schülerin gut, wenn sie keine Magie verwenden muss, um ihr noch einmal deutlich zu machen, wie anders sie eigentlich ist.“ Lily biss sich auf die Lippe und wandte sich mit roten Wangen um, scheinbar denkend, sie hätte zu viel gesagt. „Lass mich einfach in Ruhe, Potter, ok? Ich bin nicht in der Stimmung, dich anzuschreien.“
„Scheint mein Glückstag zu sein“, erwiderte er lachend, wurde aber schnell wieder ernst. „Tut mir leid. Ich – Mary hat uns erzählt, was mit dir und deiner Schwester war.“
„Das hätte sie nicht tun sollen!“, rief Lily laut und vergrub das Gesicht erneut in den Händen.
„Sie wollte dir nicht wehtun“, erklärte James schnell. „Sie macht sich Sorgen um dich, Evans. Also – das machen sich alle.“ James wusste nicht, was ihn überkam, aber er fügte zähneknirschend hinzu: „Sogar Schnief- ich meine Snape kam zu uns, nachdem du weggelaufen bist und sah sehr besorgt über dich aus.“ Er ließ aus, dass er vorhatte, sie alle zu verfluchen, dachte er, dass Lily diese Information doch noch nicht wissen musste.
Lily sagte nichts, aber er konnte hören, dass ihr schluchzen und schniefen aufgehört hatte. Ob sie nun in Erwägung zog, ihn doch noch anzuschreien oder sich zu bedanken, dass er nach ihr gesucht hatte, wollte James nicht mehr wissen. Stattdessen zog er das Buch aus seiner Tasche, dass er ihr eigentlich erst bei ihrer Überraschungsparty geben wollte. Seine Mutter war so nett gewesen und hatte es direkt für ihn in ein schickes, glänzendes Geschenkpapier eingewickelt. James legte es neben Lily auf den Boden und schob es mit dem Fuß etwas näher zu ihr.
„Alles Gute, Evans“, sagte er und drehte sich um. „Ich sag McGonagall, du hättest Kopfschmerzen.“
Er war bereits aus der Tür und zurück in den Korridor getreten, als er ein leise, kaum hörbares, gemurmeltes: „Dankeschön“, von Lily vernahm. Lächelnd ging er weiter.