James Potter
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Als Mr. und Mrs. Potter es schon lange aufgegeben hatten, eigene Kinder zu haben, wurden sie unerwartet mit einer Schwangerschaft im fortgeschrittenen Alter gesegnet. Selbst für den Zaubererstandard waren Euphemia und Fleamont Potter alt, aber das hatte sie nicht daran gehindert, wie ein jugendliches, junges Paar Eltern zu reagieren, als sie die Nachricht erhielten, dass sie doch noch einen Erben geschenkt bekommen würden. Als James Fleamont Potter in einer Spätmärznacht geboren wurde, hätte das Glück der beiden Eltern nicht höher sein können. Da sie sich nie hätten träumen lassen können, überhaupt noch Mutter und Vater sein zu können, wurde James mit allem aufgezogen, was sich ein heranwachsender Junge überhaupt wünschen konnte. Die neusten Besenmodelle, kaum war er alt genug, um zu laufen, teure Umhänge und die besten Spielzeuge waren nur der Anfang. James wuchs mit genug Geld in seiner Erbschaft auf, dass er den gesamten Inhalt der Winkelgasse aufkaufen könnte und noch immer genug Gold haben würde, um sein ganzes Leben lang nicht arbeiten gehen zu müssen.
Unendlich geliebt, mit soviel Fürsorge gebettet, dass es für fünf Kinder gereicht hätte und mit jedem Wunsch erfüllt, den er nur jemals haben konnte, war James ein freundlicher, loyaler und unfassbar vertrauenswürdiger Junge. Wie seine rothaarige und reizbare Mitschülerin Lily Evans aber gerne betonte, wann immer sie und James in Kontakt gerieten, war er ebenso arrogant und hatte sein Kinn so hoch erhoben, dass er den Boden nicht mehr sehen konnte. Alles schien James auf einem Goldtablett angereicht zu werden, er musste nur danach fragen und jedes Kind würde damit den Sinn der Realität verlieren.
James Potter mochte arrogant und teilweise ziemlich gemein sein, aber er hatte das Herz am rechten Fleck. Als er und Sirius Black am Freitagnachmittag von einer erschöpfenden Stunde Kräuterkunde mit dem Rest der Gryffindor- und Hufflepufferstklässler zum Schloss zurückkehrten, zeigte sich, dass James Potter mehr als nur ein reicher Trottel war, der mehr Gold als Verstand besaß.
Kaum hatten sie die Eingangshalle betreten, wurde James‘ Gryffindormut auf die Probe gestellt. Eine Gruppe von Slytherinsechstklässlern hatte die Zauberstäbe erhoben und ließ die Schulsachen eines Ravenclawmädchens hoch über ihrem Kopf schweben, während sie alle über die frustrierten Tränen der Schülerin lachten und gackerten. Kaum einer schenkten ihnen Beachtung. Die Schüler, die durch die Eingangshallte liefen, waren zu sehr damit beschäftigt, zum Essen in die Große Halle zu kommen oder in ihre Gemeinschaftsräume zu eilen, dass niemand anhielt, um dem Mädchen zu helfen, dass von wesentlich älteren Schülern gemobbt wurde.
„Finite!“, sagte James mit lauter Stimme, den Zauberstab auf die schwebenden Sachen des Mädchens gerichtet. Ein eiliger Schwebezauber hinderte die Bücher und Tintenfässer daran, auf den Steinboden zu klatschen und kaputt zu gehen. Den Arm wie ein Dirigent ausgestreckt, manövrierte James die Sachen vorsichtig zu den Füßen der Schülerin, die sich mit tränenverschmiertem Gesicht nach ihrem Retter umschaute.
Die Slytheringruppe entdeckte ihn zuerst. „Was soll das, Winzling?“, spuckte ein fies aussehender Typ ihm entgegen, der erschreckende Ähnlichkeit mit einem Bergtroll hatte. „Was mischt du dich ein?“
Obwohl der Junge und seine Freunde um einige Köpfe größer waren, trat James nicht zurück. Er ließ seinen Zauberstab sinken und, sich dessen bewusst, dass gerade all seine Klassenkameraden ihn anstarrten, als wäre er verrückt geworden, sagte: „Warum legt ihr euch nicht mit Leuten an, die eurem Intelligenzlevel nah genug sind? Ich schlage die Grindelohs im Schwarzen See vor.“
Es gab ein paar verhaltene Lacher seiner Mitschüler. Das Ravenclawmädchen hatte indes ihre Sachen zusammengesammelt und war mit wehendem Umhang davongeeilt, nicht ohne James einen dankbaren Blick zuzuwerfen. James sah aus dem Augenwinkel, wie Sirius sich dichter an ihn schob und seinen eigenen Zauberstab hervorholte.
„Du solltest dich nicht in Dinge einmischen, von denen du keine Ahnung hast, Erstklässler“, sagte eine Schülerin aus der Gruppe vor ihm. „Andernfalls könntest du ganz schnell als nächstes Opfer enden.“
„Greift ihr immer in Überzahl die Schwachen an?“, fragte James. „Ist das die einzige Möglichkeit, die sich euch bietet, um tatsächlich mal einen Sieg in eurem erbärmlichen Leben zu ergattern? Kein Wunder, dass man euch nach Slytherin gesteckt hat.“
Die Slytherin lief puterrot an und richtete ihren Stab blitzschnell auf James. „Pass bloß auf, was du sagst, sonst –“
„Ah, hier wird sich doch nicht gestritten, oder?“, bellte die laute Stimme Professor Slughorns durch die Eingangshalle. Überraschend leise hatte sich der rundliche Mann aus der Kerkertür neben ihnen bewegt.
„Nicht doch, Professor“, erwiderte die Schülerin mit Unschuldsmiene. „Der Winzling – ich meine, der Erstklässler hat nur nach dem Weg gefragt, nicht wahr?“
James wusste, wann es Zeit war, mutig zu sein und wann man besser die Klappe hielt, allerdings hatte er noch nicht ganz gelernt, wie er dieses Wissen auch umsetzte. Bevor er die Gruppe Slytherins allerdings bei ihrem Hauslehrer hätte anschwärzen können, erhob Remus Lupin hinter ihm die Stimme: „Richtig, Professor. Wir waren uns nicht mehr ganz sicher, wie man zu den Waschräumen kommt. Glücklicherweise waren diese hilfsbereiten Schüler in der Nähe.“ Remus spuckte das Wort hilfsbereit aus, als wäre es Gift.
Slughorn lachte auf. „Dann ist ja alles geklärt! Carrow, kommen Sie, kommen Sie, ich habe gehört, es gibt heute wahnsinnig guten Pudding zum Nachtisch. Sie auch, Belby.“ Slughorn schubste und schob die Gruppe an Slytherins in Richtung Großer Halle.
Als er sich sicher war, dass sie außer Hörweite waren, wirbelte James zu Remus um. „Was sollte das?“, zischte er. „Wieso hast du mich sie nicht verpetzen lassen?“
„Was glaubst du, was sie getan hätten, wenn du das machst?“, fragte Remus unbeeindruckt zurück. „Als nächstes würden sie dich durch die Luft fliegen lassen.“
„Pah“, meinte James und verschränkte die Arme. Sirius klopfte ihm auf die Schulter. Peter Pettigrew betrachtete ihn mit glänzenden Augen, als wäre James gerade als Kriegsheld zurückgekehrt, was ihm tatsächlich bessere Laune verpasste.
„Aber das war echt cool, wie du gehandelt hast, James“, sagte eine Gryffindormitschülerin, Marlene McKinnon, hinter ihm.
„Das war ziemlich mutig, James“, fügte Mary Macdonald an. „Mir zittern immer noch die Knie, obwohl ich gar nichts gemacht habe.“
James drehte sich grinsend zu den Mädchen um, wurde dabei aber direkt vom zweifelnden, missbilligenden Blick Lily Evans getroffen. „Was ist, Evans? Keine gute Show?“
„Musst du dich immer in den Vordergrund stellen?“, fragte sie mit geschürzten Lippen. „Du hättest die Sache einem Vertrauensschüler oder Lehrer überlassen sollen.“
„Und diese Gruppe an Idioten das Mädchen weiter so behandeln lassen?“, erwiderte er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nein, Danke, Evans. Lieber tue ich sofort was, als zusehen zu müssen, wie jemand fertig gemacht wird.“
Lily schnaubte. „Das sagst du, aber vorhin noch hast du Kitzelflüche auf Abby und Laura geworfen. Du bist nicht besser als diese Typen, Potter.“ Ohne ihn zu einer Antwort kommen zu lassen, stürmte Lily in Richtung Mittagessen davon. Mit ihr teilte sich langsam die Gruppe an Erstklässlern und jeder ging wieder seinen eigenen Weg. Zurück blieben lediglich James, Sirius und Marlene McKinnon.
„Nimm es ihr nicht so übel, James“, sagte Marlene achselzuckend. „Ich glaube, insgeheim war Lily auch beeindruckt von deiner Aktion, aber sie will es sich nicht anmerken lassen.“
„Ist mir egal“, log er. „Ich kann auch den Tag überstehen, wenn Evans nicht bei meinem Anblick in Ohnmacht fällt.“
„Macht sie bestimmt bald, wenn du diese Mähne nicht bald zähmst“, kommentierte Sirius grinsend und zog an einer wilden Strähne auf James‘ Kopf.
„Lass das, Black.“
„Jedenfalls war es echt cool von dir, dem Mädchen zu helfen“, fuhr Marlene fort als sie gemeinsam mit Sirius und James die Große Halle betrat. „Wir könnten uns alle ein Beispiel an dir nehmen.“ Sie winkte den beiden noch zu, ehe sie sich zu Lily und Mary an den Tisch setzte.
James und Sirius gingen etwas weiter in die Halle hinein. „Hast du das gehört?“, grinste James.
„Lass dir das nicht zu Kopf steigen, Potter, sonst passt du bald nicht mehr durch die Tür.“ Sirius schaufelte sich eimerweise Kartoffeln auf seinen Teller. „Allerdings finde ich, dass wir es den Schlangen heimzahlen sollten. Zur Abwechslung sollte mal jemand ihnen das Leben schwer machen.“
„Ich mag es, wie du denkst, mein Freund“, erwiderte James grinsend, ein Glitzern in seinen Augen. „Und ich weiß auch schon, wer unser glückliches Opfer sein wird.“ Über Sirius‘ Schulter hinweg fand James sein Ziel am Slytherintisch schneller als einen bunten Hund. Die öligen, schwarzen Haare und dieser kalte, dunkle Blick im Gesicht des hakennasigen Schniefelus riefen doch förmlich danach, dass man ihnen einen Streich spielte.
„Ah. Schniefelus. Sehr gut.“ Sirius war seinem Blick gefolgt und grinste nun ebenfalls.
„Könnt ihr ihn nicht in Ruhe lassen?“, fragte Remus Lupin neben Sirius. „Was hat er euch denn getan?“
„Es ist persönlich, Lupin“, erwiderte Sirius. „Wir hatten auf der Fahrt hierher schon eine kleine Auseinandersetzung und außerdem ist Schniefelus ein ziemlich schleimiger Typ. Hast du nicht auch mitbekommen, wie er der Evans immer hinterherglotzt? Gruselig, wenn du mich fragst.“
„Und das gibt euch das Recht, euch auf die Stufe dieser Slytherinschüler zu begeben?“, fragte der Erstklässler mit zerknittertem Gesicht. „Findet ihr das nicht ziemlich albern?“
„Ich weiß nicht, was du hast“, meinte James. „Wir werden ihn ja nicht verletzen. Ein harmloser Streich, ein paar Lacher für alle und die ganze Sache vergisst sich in zwei Tagen wieder. Dem ollen Schniefelus wird kein Haar gekrümmt – nicht, dass ich die anfassen wollen würde.“
Sirius bellte vor Lachen auf und selbst auf Remus‘ Gesicht erschien die Spur eines Lächeln. „Was schwebt euch denn vor?“
„Wieso, willst du mitmachen?“, grinste Sirius.
„Wenn dann will ich euch aus Schwierigkeiten halten, damit ihr nicht die Punkte verliert, die ich heute bei Professor Sprout bekommen habe. Du hast McGonagall doch auch gehört – Slytherin hat den Hauspokal die letzten drei Jahre gewonnen und es liegt schon in meinem Interesse, dass sich das ändert.“ Remus zuckte lediglich mit den Schultern und wollte sich wieder seinem Mittag widmen.
„Man wird uns schon keine Punkte für einen harmlosen, kleinen Streich abziehen. Aber eine Idee habe ich wirklich noch nicht“, gab James zu. Er bediente sich ebenfalls an dem aufgetischten Essen.
Während die Erstklässler das köstliche Mittag genossen, grübelte James darüber nach, was er Snape denn für einen Streich spielen könnte. Wenn er Zuhause bei seinen Eltern Langeweile bekommen hatte, dann waren Dungbomben immer ein schöner Zeitvertrieb gewesen, auch wenn seine Mutter dann immer mit ihm geschimpft hatte. Manchmal versteckte er das Tafelsilber vor dem Hauselfen, aber das machte nicht wirklich lange Spaß, wenn der Elf einfach einen Aufrufezauber nutzte und das ganze sorgfältig versteckte Geschirr wieder in die Küche flog. Einmal hatte er alle Umhänge seines Vaters umgefärbt, aber sein Vater hatte es so lustig gefunden, dass er die grellgelben Roben den ganzen Tag getragen hatte, auch wenn er damit wie ein in die Jahre gekommener Kanarienvogel ausgesehen hatte.
Wenn sie doch nur das Dorf Hogsmeade besuchen könnten, dann könnte James sich genügend Inspiration aus dem Scherzartikelladen Zonkos holen. Dort würden ihm sicherlich gleich hundert Ideen kommen, wie er Schniefelus das Leben erschweren könnte. Irgendwas an dem Snape-Jungen störte ihn. Es war einerseits wie Sirius gesagt hatte, ihr kurzer Streit im Zug hatte bereits den Ton für den Rest ihrer Beziehung gesetzt, aber auch wie Snape Lily Evans anstarrte, als wäre sie eine Preistrophäe, die er unbedingt vor gierigen Händen schützen musste, während er selbst mit seinen schleimigen Fingern nach ihr grabschte. Es war unheimlich, wirklich.
James wollte gerade frustriert aufstehen, als die aufgeregte Stimme von Peter Pettigrew neben ihm – von dem er zuvor nicht einmal Notiz genommen hatte – erklang. „Wie wärs denn, wenn wir Snape eine Wäschezauber aufhalsen“, sagte der blonde Junge.
„Du meinst einen Waschzauber“, korrigierte Remus ihn geduldig klingend. Der blasse Erstklässler mit den vielen Narben war dabei, seinen dritten Teller voll mit Kartoffeln und Fleisch zu verdrücken. Wie konnte er bitte so viel essen und trotzdem dünner als James sein? „Aber den könnte auch jemand mit Finite beenden.“
„Kann man den Zauber nicht permanent machen?“, fragte Sirius. „Dann hätten wir ihm sogar geholfen und sein fettiges Haar würde es uns danken. Und der Rest der Schule gleich mit.“
„Wie wärs mit einer tragbaren, verfolgenden Dusche?“, schlug Peter nachdenklich vor.
James riss den Kopf hoch und starrte den anderen Jungen an. „Das ist ja genial, Pettigrew!“ Er blickte aufgeregt zu Sirius. „Meinst du, das bekommen wir hin? Ein verzaubertes Objekt kann man nicht so einfach mit Finite beseitigen, nicht wahr?“ Die letzte Frage war an Remus gestellt gewesen, der mit den Schultern zuckte.
„Professor McGonagall kann es bestimmt.“
„Dann müssen wir es eben dort tun, wo McGonagall nicht sieht, was passiert“, sagte Sirius.
„Weißt du überhaupt, wie so ein Zauber funktioniert?“, fragte Remus ihn mit hochgezogenen Brauen. „Das ist sicherlich keine Magie, die ein Erstklässler können wird.“
„Ah, ein gewöhnlicher Erstklässler vielleicht nicht, Lupin, aber ich schon. Und Potter sicher auch, nicht?“
„Sicher doch, Black. Mit einem Talent wie unseren sollte so ein Zauber ein Kinderspiel sein.“
Remus seufzte ergeben und legte sein Besteck zur Seite, den geleerten Teller von sich schiebend. „Ihr werdet euch auf jeden Fall in eine Menge Ärger begeben, soviel steht fest.“
James lehnte sich auf seinem Platz zurück. „Nur, wenn wir erwischt werden, Lupin. Nur wenn wir erwischt werden.“