Sirius Black
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Es gab nicht viel, was Sirius so richtig nach einem Streit mit seinem Bruder aufmuntern konnte, aber James hatte einfach den richtigen Riecher dafür, was ihn zumindest die bösen Worte vergessen ließ, die zwischen ihm und Regulus gefallen waren. Ein paar gut gezielte Verwandlungen und die gesamte Slytherin-Quidditch-Mannschaft trug plötzlich knallrote Umhänge, während jeder Haarschopf in seidigem Gold glänzte. „Danke für den Mannschaftsgeist!“, rief James lauthals durch die Große Halle, nachdem auch jeder die plötzlich geänderten Farben mitbekommen hatte. Die Slytherins waren aufgebracht und verlangten Bestrafung, aber Professor Slughorn, der alles mit ein wenig mehr Humor als Professor McGonagall nahm, kehrte die Verwandlungen lediglich um und beteuerte seine Schüler, dass sie die Energie lieber aufs Quidditchfeld nehmen sollten.
„Und?“, grinste James, nachdem sich der Trubel gelegt hatte. „Endlich lohnt sich mein Ohnegleichen in Verwandlung.“
„Man sollte meinen, du würdest deine guten Fähigkeiten für bessere Dinge einsetzen“, erwiderte Remus halb missbilligend, halb beeindruckt. „Stell dir nur vor, du würdest tatsächlich mal lernen.“
„Langweilig“, sagte James. „Wo bleibt denn da der Spaß?“
„Lernen macht Spaß“, entgegnete Remus nachdrücklich, was Sirius schnauben ließ.
„Na klar, Lupin“, sagte er. „Welcher anständige Zauberer würde denn Lernen dem Streiche spielen vorziehen?“ Kopfschüttelnd fügte er hinzu: „Der Tag, an dem James und ich unsere Fähigkeiten für akademische Zwecke einsetzen, wird ein sehr trauriger sein.“
„Spätestens zu den UTZs“, brachte Peter an. „Die besteht nicht einmal ihr, ohne zu lernen.“
„Sagt wer?“, fragte Sirius.
„Ja, genau, sagt wer? Das klingt nämlich wie die perfekte Herausforderung für uns, nicht wahr?“, fügte James an.
„Absolut, Jamie“, meinte Sirius nickend. „Passt nur auf, ihr beiden“, er deutete mit den Fingern auf Remus und Peter, die absolut unbeeindruckt dreinblickten, „nicht ein einziger Tag wird an dieser Schule vergehen, an dem ich freiwillig in ein Lehrbuch schauen werde.“
Remus seufzte lautlos und wandte sich seiner Tasse Tee zu, die verführerischen Dampf in die Luft abgab.
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Ein weiterer Vollmond rückte näher und mit ihm füllte sich ebenfalls Sirius‘ Angst. Seit sie herausgefunden hatten, was Remus‘ Geheimnis war, hatte er sich immer wieder dieselbe Frage gestellt: Was könnte man nur tun, um ihm zu helfen? Es schien ihm wie ein schlechter Scherz, dass der netteste und ungefährlichste Junge, den er kannte, gerade der war, der sich jeden Monat einmal in eine menschenfressende Bestie verwandelte, ohne etwas dagegen tun zu können. Aber sowohl Remus als auch Madam Pomfrey und Professor Dumbledore waren sehr eindeutig in ihren Aussagen gewesen – es gab nichts, dass sie tun könnten, damit Remus seine Verwandlungen besser überstehen würde.
Für Sirius war das wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Welchen Sinn hatte ein prestigeträchtiges Leben denn, welchen Sinn hatte das ganze Gold in seinem Namen, wenn er es nicht nutzen konnte, um seinem besten Freund zu helfen? Wieso war Sirius überhaupt der Erbe einer Familie, die vor Gold und Macht nur so überquoll, wenn nichts auch nur einen Knut wert war, wenn es darum ging, Remus ein wenig seiner Last abzunehmen? Der heranrückende Vollmond war wie eine kontinuierliche Erinnerung daran, dass Sirius ein Versager war. Er konnte sich nicht wirklich seiner Familie entziehen und noch weniger konnte er Remus helfen, sich nicht wie ein Monster zu fühlen. Was war es denn wert?
Noch dazu schien es Remus nicht zu stören – oder besser – Remus konnte sich nicht mehr dazu abmühen, sich darum zu kümmern. Er hatte seine Kondition lange akzeptiert und würde sein Leben damit verbringen, einmal im Monat irgendwo angekettet oder weggesperrt zu sein, damit er niemandem die Kehle aufreißen würde. Sirius wollte nicht so denken, aber manchmal glaubte er, es würde ihm besser gehen, wenn er nicht wüsste, was Remus wirklich war. Er hatte keine Angst vor ihm, er war auch nicht angewidert oder wollte ihn wie ein wildes Tier einschläfern lassen - Sirius wollte einfach nur helfen, aber er konnte nichts tun und genau das raubte ihm so manchen Schlaf. Wie viele Nächte hatte er bereits damit verbracht, an die Decke seines Himmelbettes zu starren, den Geräuschen seiner Mitbewohner zu lauschen und sich dabei den Kopf zu zerbrechen, was in seiner Macht lag, damit er seinem Freund helfen könnte? Es mussten zu viele gewesen sein, denn auch heute war er zu keiner Lösung gekommen.
Sirius zog sich den Komfort daraus, dass er nicht der Einzige war, der nachdachte und nach Antworten suchte. James und Peter, man sollte die beiden segnen, opferten ebenfalls viele ihrer freien Minuten, um gemeinsam mit Sirius die Köpfe zusammenzustecken und über Werwölfe, Hilfestellungen und Freiheiten für Remus zu tuscheln, auch wenn sie nicht ein einziges Mal zu einer sinnvollen Lösung gekommen waren. Sie hatten bereits einiges durchgesprochen (magische Fesseln, silbergetränkte Kleidung, Schocktherapie (Peters Vorschlag) und Hypnose (James‘ Vorschlag)), aber nichts davon war eine adäquate Lösung für das Problem, dass sich jeden Monat abspielte. Sirius könnte sich jedes Mal die Haare raufen, wenn er daran dachte, dass einer seiner besten Freunde sich selbst zerfleischte, während er genügsam in seinem weichen Bett lag.
„Kumpel“, riss ihn James‘ leise Stimme aus der gedanklichen Trance. „Hast du eine Idee oder starrst du nur wieder an die Wand?“
„Wand“, gab Sirius mit knirschender Stimme zu. „Mir fällt nichts ein. Ich glaube, ich habe alle meine Gedanken aufgebracht.“
„Deine Noten sagen andere Dinge“, erwiderte Peter. „Du hast ein Ohnegleichen in allen Aufsätzen bekommen, obwohl du sie zehn Minuten vorher geschrieben hast.“
Sirius verzog das Gesicht, aber konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Das ist den ungefähr drei Dutzend Privatlehrern zu verdanken, die Reggie und mich in all den Jahren Zuhause unterrichtet haben. Wenn wir keine perfekten Antworten vorzuweisen hatten, gab es ein Wochenende Keller mit dem Irrwicht.“
James gab ein leises Geräusch von sich, aber ging nicht weiter darauf ein. „Langsam werde ich frustriert“, sagte er. „Kommt schon, Leute. Wir sind die schlausten Schüler auf dieser Schule, es sollte doch wohl ein Kinderspiel sein, eine Lösung für Lupins‘ kleines, pelziges Problem zu finden.“ James stieß mit seiner Faust gegen sein Kopfkissen, ein eher schwächlicher Akt, wenn es darum ging, seinen Ärger kundzutun. „Vielleicht denken wir einfach noch zu legal.“
„Ich weiß ja nicht was du gemacht hast, aber ich habe nicht eine Sekunde lang an etwas legales gedacht, vielen herzlichen Dank auch.“ Sirius schüttelte den Kopf. „Es gibt sicherlich irgendwas, aber –“
„Wir wissen nicht, was“, schloss Peter trübsinnig. „Und solange wir das nicht herausfinden, muss Remus –“ Peter ließ seinen Satz unbeendet, aber sie wussten alle, was er meinte.
Je länger die drei Gryffindors überlegten und nach Lösungen suchten, desto öfter musste Remus sich allein in einer schmutzigen Hütte verwandeln. „Wir müssen einfach weitermachen“, sagte Sirius. „Ich meine, es ist für Remus, nicht wahr? Das muss es wert sein.“
„Ist es auch“, sagte James grimmig. „Ich will nicht daran denken, wie es für ihn ist.“
„Wenn wir doch bei ihm sein könnten“, seufzte Peter. „Glaubt ihr, dann würd es ihm besser gehen?“
„Sicher“, schnaubte James. „Weil er uns als Werwolf dann die Kehle rausreißen und auffressen würde, Pete.“
„Ja, aber was – ich weiß nicht, wenn wir hinter Gittern wären? Oder in einer sicheren Box? Wie in einem Zoo, ihr wisst schon.“ Peters Stimme wurde ein wenig höher, als er sprach, als würde er selbst bemerken, was er für einen Unsinn von sich gab. Er verschränkte die Arme. „Schon kapiert, würde nicht klappen.“
„Hey, warte mal“, sagte Sirius und setzte sich aufrechter hin. „Vielleicht ist die Idee gar nicht so abwegig.“
„Ist das dein Ernst?“, fragte James. „Du willst dich neben Remus setzen, wenn er als Werwolf in der Hütte eingesperrt ist?“
„Nein, naja, nicht unbedingt. Aber, was ist denn, wenn wir bei ihm sein könnten, wenn er sich verwandelt? Er hat gesagt, er verletzt sich nur, weil er allein ist und der Wolf eingesperrt ist, aber wenn wir bei ihm sind, dann wäre er offensichtlich nicht mehr allein und –“
„Sirius“, sagte James laut, Ärger in seiner Stimme aufkeimend, „du weißt genau, dass das nicht möglich ist! So wenig wir es alle zugeben wollen, aber Remus würde uns töten, wenn wir ihm während seiner Verwandlung zu nahe kommen. Wenn er verwandelt ist, dann sind wir nicht mehr seine Freunde, dann sind wir Beute. Bekomm das in deinen Schädel rein, okay!?“
Sirius starrte seinen besten Freund für einen Augenblick schockiert an, dann sackten seine Schultern zusammen. „Du hast ja Recht“, murmelte er. „Aber – daran zu denken, dass Remus, dass er dort ganz allein ist und sich selbst in Stücke reißt – ich weiß auch nicht. Es bricht mir das Herz.“
„Nicht nur dir“, brummte James. „Aber hier geht es nicht darum, was wir wollen, sondern was für Remus am besten ist. Wir können nicht während seiner Verwandlung neben ihm sitzen und seine Hand halten, so gerne du das auch wollen würdest, aber –“
„Hey!“, rief Peter plötzlich aus, wodurch er sowohl James unterbrach als auch die Blicke beider Gryffindors auf sich zog. Der Junge erhob sich von seinem Bett und sprang aufgeregt auf den Boden. „Ich glaube, ich hab eine Idee!“
Sirius beobachtete mit zusammengezogenen Augenbrauen, wie sein Mitbewohner in seiner Tasche wühlte und schließlich das Lehrbuch für Verwandlung hervorzog. „Ungünstige Zeit, um für die nächste Prüfung zu lernen, Pete“, sagte Sirius.
„Nein, warte“, meinte Peter, bevor er anfing rasch in seinem Buch zu blättern.
James fing Sirius‘ Blick auf, aber zuckte lediglich mit den Schultern, auch nicht schlauer aus dem plötzlich Lehrbuchinteresse ihres Freundes. „Wenn du uns irgendwann einweisen willst, dann wären wir dir sehr verbunden.“
Peter blickte mit glänzenden Augen auf, bevor er das Buch herumdrehte, sodass das aufgeschlagene Kapitel für James und Sirius sichtbar war. Animagi war in dicken Buchstaben am oberen Seitenrand gedruckt und darunter befand sich eine Illustration eines Zauberers, der sich halbwegs in ein Pferd verwandelte. „Animagi“, sagte er aufgeregt. „McGonagall hat uns davon erzählt, erinnert ihr euch? Das sind Zauberer, die sich willentlich in ein Tier verwandeln können, okay?“
„Okay?“, fragte James.
In Sirius‘ Kopf fiel allerdings die Galleone etwas schneller. Als wäre eine Extraladung Energie in seine Venen gepumpt worden, sprang er auf. „Bei Merlins linkem Hosenbein!“, rief er und deutete mit dem Finger auf Peter und das Buch.
„Nicht wahr?!“
„Das ist ja absolut genial, Peter!“
„Könntet ihr mich mal einweisen?“, fragte James lauthals, der abwechselnd zwischen Sirius und Peter hin- und herblickte. „Oder wollt ihr lieber allein Pläne schmieden?“
„Werwölfe sind nur gefährlich für Menschen“, sagte Sirius schnell, der das Gefühl hatte, fast über seine eigene Zunge zu stolpern. „Jedes andere Lebewesen könnte sich neben einem Werwolf schlafen legen und würde wieder aufwachen!“
Auf James‘ Gesicht schlich sich langsam, aber sicher die Erkenntnis. Er erhob sich ebenfalls von seinem Bett.
„Und wenn wir Animagi wären, dann könnten wir uns in Tiere verwandeln und während Remus‘ Verwandlung dabei sein“, schloss Peter die Erklärung. „Wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen? McGonagall hat ungefähr einhundert Mal erwähnt, wie wichtig es ist, dass wir den Unterschied zwischen einer Tier-Verwandlung und einem Animagus kennen.“
„Die Lösung hat uns ins Gesicht gelacht und wir haben sie nicht bemerkt“, erwiderte Sirius halb lachend, halb seufzend. „Oh man, Pete. Das ist – du bist genial, hat dir das schon mal jemand gesagt?“
Offenbar nicht; das dickste, stolzeste Grinsen überhaupt breitete sich auf Peters Gesicht aus und er strahlte seine Freunde an. Er legte das Buch auf den Boden und sagte: „Ab und zu bin ich auch in der Lage, mit euch mitzuhalten.“
„Was soll das denn heißen“, meinte James grinsend. „Du bist genauso genial wie Sirius und ich.“
„Mindestens“, fügte Sirius an. „Immerhin ist nur die dir Idee gekommen.“
„Ach“, murmelte Peter, dessen Wangen einen verräterischen Rotton angenommen hatten, „ihr wärt bestimmt auch darauf gekommen.“
„Jetzt nimm das verdammte Kompliment an, Pettigrew“, sagte James, trat neben seinen Freund und warf einen Arm um seine Schulter. „Du bist ein genialer Zauberer, klar?“
„Und du hast gerade die Lösung für Remus‘ Problem gefunden“, fügte Sirius an und konnte nicht anders, als beeindruckt zu klingen. „Dafür sollte man dir einen Pokal überreichen.“
„Gleich drei davon!“
„Hört auf“, sagte Peter grinsend und versuchte sich aus James‘ Umklammerung zu befreien, aber der Potter-Junge hielt sich fest an Peters Schulter fest. „Denn so wirklich bringt uns das noch nicht weiter. Wir haben keine Ahnung, wie man zu einem Animagus wird.“
„So schwer kann das nicht“, meinte James beiläufig.
„Genau. Schon gar nicht für die drei schlausten Köpfe Hogwarts‘„, sagte Sirius. „Ich meine, Minnie hat es ja auch hinbekommen und ich würde man fast sagen, wir sind mindestens genauso gut wie sie.“
Peter zog eine Augenbraue in die Höhe. „McGonagall war doch diejenige, die gesagt hat, dass es unglaublich schwierig, gefährlich und langatmig ist. Außerdem illegal, wenn man es nicht mit der Erlaubnis vom Ministerium macht.“
Sirius machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das sagt sie nur so daher, damit es nicht gleich alle ausprobieren. Wenn ich dir doch sage, dass wir das locker hinbekommen, Pete. Wie schwer kann das schon sein? Wahrscheinlich muss man nur eine komplizierte Zauberformel auswendig lernen und die dann zehn Mal perfekt aufsagen oder sowas.“