Sirius Black
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Es gab nicht viele Dinge, die Sirius dazu verleiten würden, freiwillig mit seinen Eltern zu reden und noch weniger gab es, die ihn dazu bringen würden, ihnen einen Brief zu schreiben, aber trotzdem setzte er sich einen späten Aprilabend allein in den Gemeinschaftsraum, fernab von Lily, Mary und Marlene, die den Verwandlungsstoff die kommenden Prüfungen wiederholten und fernab von seinen Jungs, die im Schlafsaal Zauberschnippschnapp spielten, statt für die Prüfungen zu lernen. Eine leere Rolle Pergament lag vor ihm, sein gutes Tintenfass daneben, die schicke, schwarze Feder, die ihm Marlene zum Geburtstag geschenkt hatte, in seinen Fingern, die Spitze nur Zentimeter vom Pergament entfernt. Die Feder hing in der Luft und Sirius starrte auf das Papier vor ihm.
Er wusste, was er wollte und er wusste, wie er das erreichen konnte und er wusste ebenfalls, dass er sich dafür nur ein wenig verstellen musste, aber … inmitten all seinem Wissen, fehlte es ihm an dem nötigen Feingefühl, um wirklich mit der Sache zu beginnen. Es war für Remus, sagte er sich immer wieder, die Federspitze noch immer nur über den Pergament. Für Remus würde er es tun. Aber wie?
Sirius entschied sich, einfach anzufangen, ohne lange nachzudenken. Was sollte schon wirklich schiefgehen können?
Vater,
sicher wunderst du dich, warum ich dir schreibe. Ich glaube, ich habe dir bisher noch keinen Brief während meiner Schulzeit geschrieben. Dafür entschuldige ich mich. Ich glaubte nicht, dass du dies erwünschen würdest, aber vielleicht findest du trotzdem ein wenig Freude in meinen Worten.
Ich habe ein gutes Gefühl, was meine Prüfungen angeht und stehe mittlerweile in so ziemlich all meinen Klassen an der Spitze, so wie du und Maman es immer wünscht. Ich lerne fleißig und viel, auch wenn ich natürlich einen Großteil meines Vorsprungs euch zu verdanken habe: Die Tutoren, die ihr für mich und Regulus angeheuert hattet, zahlen sich nun wirklich aus.
Vater, der eigentliche Grund, wieso ich dir schreibe, ist anderer Natur, als nur eines einfachen Plauderns. Obwohl ich unsere Unterhaltung von der Weihnachtsfeier bei den Malfoys noch in guter Erinnerung habe. Ich hoffe, wir können solch eine Unterhaltung erneut führen, wenn Regulus und ich in den Sommerferien wieder nach Hause kommen. Sicherlich gibt es bis dahin einige Dinge, die wir besprechen können. Nun, wieso ich dir schreibe, ist der Grund, dass ich eine Bitte an dich habe. In deiner Bibliothek befindet sich ein Buch, das ich mir gerne ausleihen würde.
Ich weiß, dass du mir verboten hast, deine Bibliothek zu betreten und ich weiß, dass ich dieses Verbot verdient habe, aber ich habe gedacht, wenn ich dich vorher frage, dann können wir sicher einen Weg finden, uns zu einigen, nicht wahr? Nun, das Buch, an dem ich interessiert bin, nennt sich Verwandlung der Meiserklasse und befindet sich leider nicht im Kurrikulum der Hogwarts-Bibliothek. Es ist ein ziemlich seltenes Buch, also würde es mich auch eigentlich nicht wundern, wenn du es nicht besitzt, aber ich dachte mir, wenn ich jemanden fragen kann, dann dich.
Das Buch brauche ich aus Interesse an der Verwandlung und weil Professor McGonagall, so talentiert sie auch ist, mir nicht das lehren kann, was ich wirklich lernen will. Sicherlich verstehst du, was ich meine, Vater, immerhin müsstest du sie gut kennen. Professor McGonagall weicht ungerne vom Lehrplan ab, weswegen es mir schwer fällt, meine eigenen Studien voranzubringen, wenn ich nicht wirklich ein gutes Lehrbuch habe.
Ich gehe davon aus, dass ich das Buch für ein paar Monate brauchen würde, um mich wirklich durch alle Lehren und Theorien der Verwandlung zu begeben. Ich verstehe, wenn dir das zu viel Zeit wäre, aber würde dir auf jeden Fall dankbar sein, wenn du es mir trotzdem leihen würdest.
Ich hoffe, wir sehen uns bald.
Sirius
Zweifelnd betrachtete Sirius, was er geschrieben hatte. Er war sich nicht sicher, ob er seinen Vater damit rumkriegen würde, aber einen Versuch war es wert. Wenn er auf etwas aus dem Brief anspringen würde, dann darauf, dass Sirius nicht sicher, ob sein Vater dieses seltene Buch überhaupt besaß. Es würde Orion Blacks Ego ankratzen, darauf hingewiesen zu werden, dass er etwas nicht besaß, also würde er es sich hoffentlich zur Aufgabe machen, Sirius das Gegenteil zu beweisen und ihm das Buch dann auch gleich auszuleihen. Soweit er es herausgefunden hatte, war Verwandlung der Meisterklasse das einzige Buch, in dem die Herangehensweise für die Animagus-Verwandlung beschrieben war.
Und wenn sie Remus irgendwie bei seinen Werwolftransformationen behilflich sein wollten, dann mussten sie lernen, wie man ein Animagus wurde. Es war die einzige Möglichkeit, die sie hatten. Sirius würde noch verrückt werden, wenn er noch länger zusehen musste, wie Remus Verwandlung für Verwandlung litt. Es war manchmal nicht auszuhalten, wenn er aufwachte und wusste, Remus hatte gerade die schlimmste Nacht seines Lebens hinter sich, hatte sich selbst gebissen, gekratzt und geblutet, bis er die Augen nicht mehr offen halten konnte. Sirius hatte schon viele Albträume erlebt, aber der schlimmste war immer der, in dem Remus am Morgen die Augen nicht mehr öffnete.
In denen der Werwolf blieb.
Und der Junge verloren war.
Sirius atmete tief ein, ehe er die Feder beiseitelegte. Er betrachtete den kurzen Brief, den er verfasst hatte, ein weiteres Mal, bevor er das Tintenfass zuschraubte und das Pergament zusammenrollte. Es würde nichts bringen, sich jetzt endlich Gedanken darüber zu machen, was er besser schreiben könnte oder wie er anders an die Situation herangehen würde. Er steckte den Brief in seine Umhangtasche und stand auf.
Niemand beachtete ihn wirklich – zumindest nicht so, dass sie ihn aufhalten würden. Einige Augenpaare lagen immer auf ihm, entweder von eingeschüchterten Erstklässlern, die selbst Zweitklässler schon zu cool fanden oder von ein paar älteren Schülern, die viel mehr seinen Nachnamen sahen und sich kein eigenes Bild von ihm machen wollte. Für einige würde er immer nur ein Black bleiben, egal wie viel Zeit er im Gryffindor-Gemeinschaftsraum verbringen würde.
Auf dem Weg zum Portraitloch fing er Alice und Franks Blicke auf, die nahe dem Kaminfeuer auf dem Sofa saßen, eng aneinander gedrückt und über ein Buch gebeugt waren. Alice lächelte und Frank nickte und Sirius fragte sich, wie viel Frank wirklich wusste. Ob Frank wusste, dass seine Freundin sich nachts rausschlich, um mit einer Slytherin zu reden? Ihr den Schal hinterherbrachte, mit ihr in der Dunkelheit lachte und Geheimnisse teilte? Wie viel teilte Alice mit ihrem festen Freund und wie viel teilte sie nur mit Narzissa?
Sirius kletterte durch das Portrait der Fetten Dame, sein Brief sicher in den Falten seines Umhangs verstaut und begab sich auf den Weg in die Eulerei. Es war vielleicht unsinnig, aber er hoffte sehr darauf, dass sein Vater ihm antworten und das Buch zukommen lassen würde, auch wenn sein Vater in den letzten Jahren nicht viel getan hatte, damit sich diese Hoffnung in ihm aufbauen konnte. Seit Weihnachten hatten sie nicht miteinander gesprochen und Sirius war sich nicht einmal sicher, ob man dieses Gespräch wirklich unterhaltsam oder echt nennen konnte, immerhin hatte seine Mutter sich nicht davor gescheut, ihn mit dem Imperius-Fluch zu belegen. Fetzenweise erinnerte er sich an die Zeit auf Malfoy Manor, aber der Großteil war verschwommen, als hätte er alles durch ein milchiges, zerbrochenes Fenster beobachtet.
In der Eulerei war es überraschend kühl für die Jahreszeit, aber Sirius machte die Kälte nichts aus. Als sie seine entblößten Unterarme emporkroch, genoss er es sogar ein wenig. Seine Mutter würde ihn verfluchen, wenn sie wüsste, dass er keinen einfachen Wärmezauber um sich legte und fror, als wäre er ein Muggel. Wahrscheinlich hätte sie ihn bereits dafür verflucht, dass er den Brief an seinen Vater nicht von einem Hauselfen hatte losschicken lassen, sondern den ganzen Weg selbst auf sich genommen hatte.
Aber seine Mutter war nicht hier. Hier konnte sie ihn nicht erreichen. Sirius schloss die Augen, lauschte den leisen, kratzenden Geräuschen, die die Eulen machten, wenn sie über die steinernen Böden liefen, wenn sie mit dem Schnabel nach Futter suchten, versuchte das Rascheln von Pergament ausfindig zu machen. Inmitten des zugegebenermaßen nicht gerade gut riechenden Eulenturms fühlte er sich frei.
Es dauerte nicht lange, dann war er zurück im Gryffindorturm. Er betrat den Schlafsaal gerade, als eine dunstige Explosion die Luft rund um James´ Bett füllte.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Pete, du schummelst doch!“
„Gar nicht! Ich bin einfach besser als du.“
„Bist du überhaupt nicht. Ich bin der amtierende Zauberschnippschnapp-Champion!“
„Hmhm, das sehe ich“, sagte Peter trocken und deutete auf James´ versengte Augenbrauen.
„Warts nur ab, ich werde schon beweisen, dass du ein elender Schummler bist. Remus, hilf mir!“
„Niemals“, erwiderte der andere Junge, der rücklings auf seinem eigenen Bett lag und ein Buch über sie streckte. „Gib es zu, James, du bist ein schlechter Verlierer.“
„Bin ich nicht!“
„Bist du doch.“
„Nicht!“
„Doch!“
„Nicht!“
„Du bist wirklich ein mieser Verlierer, Potter“, sagte Sirius und ließ sich neben James nieder. „Oder muss ich dich daran erinnern, dass du mich im Zug eine halbe Stunde angeschwiegen hast, weil ich dich im Schach besiegt hab?“
James hatte den Anstand, nicht peinlich berührt zu werden oder den Blick abzuwenden. „Das war aber auch nur, weil du ein mieser Gewinner bist.“
„Da hat er Recht“, sagte Peter. „Dein Jubeln hat man noch bis zu den Klokabinen gehört.“
Sirius machte ein wegwerfende Handbewegung. „Wie auch immer. Komm schon, Potter, spiel eine Runde gegen mich, dann werden wir ja sehen, ob Peter wirklich schummelt oder nicht.“
„Sieh gut zu, Pete“, meinte James leise. „Wir werden dich schon entlarven.“
„Ich schlottere“, erwiderte Peter augenverdrehend, ehe er Platz machte, damit Sirius sich James gegenüber hinsetzen konnte.
„Besser ist das“, sagte James.
„Ich hätte im Krankenflügel bleiben sollen“, murmelte Remus, aber das Grinsen war deutlich auf seinem Gesicht zu sehen.