James Potter
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James hatte ein riesengroßes Problem und er wusste nicht, wie er es lösen sollte.
Also, eigentlich wusste er sehr gut, wie er es lösen sollte, aber gerade diese Lösung wollte er nicht wahrhaben. Wenn man nämlich seinem besten Freund predigte, dass er andere nicht schlecht behandeln konnte, nur weil er selbst mies behandelt wurde, dann sollte man meinen, dass man diesem Prinzip auch irgendwie selbst folgte. James fühlte sich schrecklich, dass er für Sirius die Moralapostel gespielt hatte, aber selbst noch immer dabei war, fiese Gedanken einem Slytherin-Mitschüler gegenüber zu denken und ab und an den Stab zu erheben, um eine Zitrone nach ihm zu werfen.
Es lag James fern, ein Mobber zu sein. Er würde es sich und seiner Erziehung niemals verzeihen, wenn er jemals auf solch eine Stufe sinken würde, deswegen hatte er es sich auch zur Aufgabe gemacht, nicht nur Snape sondern auch die halbe Schule mit seinen Streichen anzugreifen. Bisher hatte das auch ziemlich gut geklappt, aber er hatte realisiert, dass er von Sirius nicht verlangen konnte, gut zu seinem Hauselfen zu sein, wenn er selbst es nicht einmal schaffte ein nettes Wort Snape gegenüber zu verlieren. (Wenn James ehrlich war, dann machte es Snape einem auch wirklich schwer nett zu ihm sein, aber das wollte er nicht denken.)
James hatte, so wie er es sah, drei Möglichkeiten. Er könnte so tun, als hätte er seine eigene Heuchlerei nicht mitbekommen und so weitermachen wie bisher, bis irgendjemand ihn darauf ansprach und dann würde alles nur viel schlimmer werden. Er könnte versuchen, Snape einfach zu ignorieren und nichts mehr mit seinem langhaarigen Mitschüler zu tun, oder, die Möglichkeit, die ihm am meisten das Gehirn verbrannte, er könnte die einzige Person um Hilfe bitte, die in Severus Snape sowas wie einen Freund und einen guten Menschen sah.
Lily Evans.
Wenn es jedes andere Mädchen wäre, dann hätte James sicher kein Problem damit, mit ihr zu reden und sie zu fragen, wie er es schaffen könnte, sich gut mit Snape zu stellen, aber Lily war nun mal nicht jedes andere Mädchen. Sie war vielleicht wie jedes andere Mädchen (immerhin bildete James sich nicht ein, dass Lily irgendwas besonderes war, vielen Dank auch), aber sie war leider auch Lily Evans und das bedeutete, dass sie ihn nicht ausstehen konnte.
James, der sich selbst sehr liebenswürdig fand, fand das ungeheuer ungerecht. Nur weil er sie mit ein paar Streichen bloß gestellt und ein paar unschöne Worte in ihre Richtung geworfen hatte, hießt das noch lange nicht, dass er unausstehlich war, wie sie so gerne tat. Deswegen hatte James sich selbst eine Mission gegeben. Sobald die Prüfungen vorbei waren, würde er die letzten eineinhalb Wochen dafür nutzen, sich mit Lily und Snape gut zu stellen und Sirius – und damit auch sich selbst – beweisen, dass er wirklich ein Mann seiner Worte war.
Gryffindors Sieg im letzten Quidditchspiel hatte ihnen den heiß begehrten Quidditch-Pokal eingebracht und James war mächtig stolz darauf, dass er selbst etwas dazu beigetragen hatte, aber er fürchtete, dass es nicht gerade helfen würde, wenn er sich mit einem Slytherin besser verstehen wollte. Die Hausrivalität war an ihrem Höhepunkt, so wie jedes Jahr, wenn es auf die Pokalvergabe zuging. Quidditch war in Gryffindors Hände gefallen, aber James war sich sicher, dass die Schlangen nicht ruhen würden, ehe sie nicht zumindest den Hauspokal ergattern würden. Es lag James fremd, sein eigenes Haus zu manipulieren, aber er wusste auch, dass es wahrscheinlich einfacher sein würde, mit Snape zu reden, wenn Slytherin den Pokal gewann.
James fand, dass er zu jung war, um sich über solche Moralprobleme Gedanken zu machen.
Wie im letzten Jahr auch schon, kamen die Abschlussprüfungen viel zu plötzlich, auch wenn Remus beteuerte, dass die Lehrer ihnen mindestens zwei Monate zuvor schon damit angedroht hatten. Den einen Tag hatten sie noch am See gefaulenzt, James hatte einen Brief an seine Eltern geschrieben, Remus in irgendeinem Buch gelesen und Peter und Sirius hatten Zauberschach gespielt, und den nächsten Tag mussten sie plötzlich ihre Abschlussprüfung in Verteidigung gegen die dunklen Künste schreiben? James fand es sehr unfair, dass sie ihre Prüfungen dann schreiben mussten, wenn das Wetter am schönsten war und der Schwarze See mit seiner glänzenden, spiegelglatten Oberfläche dazu einlud, dass sie darin badeten. Es war sicherlich eine Strafe der Lehrer.
Als sie nach der schriftlichen Prüfung aus der Großen Halle traten, blendete die Sonne aus den offen stehenden Eingangstüren. Der kleine Brunnen, der in der Mitte des Innenhofs stand, glänzte förmlich unter den goldenen Strahlen und auf den drachenartigen Statuen saßen ein paar Tauben sowieso einige der weniger nachtaktiven Eulen, die es sich am kühlen Wasser gemütlich machten.
„Wann ist die nächste Prüfung?“, fragte James mit sehnsüchtigem Blick auf den Brunnen. Obwohl er nur das weiße Hemd der Schuluniform trug, war ihm schrecklich warm.
„In einer Stunde“, erwiderte Remus. „Denk nicht mal dran.“
„Aber bitte“, maulte James, der seinen Freund mit seinem besten Hundeblick versuchte zu überzeugen. „Nur kurz, Remus, ja? Wir ruhen uns ein bisschen am Brunnen aus und dann –“
„Und dann schläfst du ein und ich muss dich wecken und wir kommen fast zu spät, nein, Danke“, unterbrach Remus ihn mit strenger Stimme. „Wir können uns nach den Prüfungen ausruhen.“
„Aber dann müssen wir schon für die nächste Prüfung büffeln“, sagte Sirius.
„Ihr lernt doch sowieso nicht“, meinte Peter mit Schweißperlen auf der Oberlippe.
„Ja, eben, dann können wir doch genauso gut –“
„Nein.“ Remus´ Stimme war hart und entscheidend, auch wenn ein belustigtes Glänzen in seinen Augen wohnte. „Wenn Peter und ich lernen müssen, dann müsst ihr das auch. Wir sind ein Team, oder nicht? Entweder wir alle lernen oder gar keiner und nein“, fügte er an, als James bereits den Mund öffnete, „gar nicht lernen steht nicht zur Auswahl.“
„Weißt du“, sagte Sirius in James´ Richtung, „manchmal bereue ich es, dass wir Remus in unsere Gruppe aufgenommen haben.“
Remus betrachtete ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue und dem trübsten Blick, den James je gesehen hatte. „Ohne mich würdet ihr wahrscheinlich jeden Tag zu spät kommen und hättet McGonagall schon längst alle Haare vom Kopf gefressen. Ich bin mir sicher, dass du es nicht bereust.“
Ein scharfes Grinsen erschien auf Sirius´ Gesicht. „Du scheinst dich ja gut in meinem Kopf auszukennen.“
„Das ist keine Kunst. Da oben passiert eh nicht viel, das hab ich in einer Stunde durchsortiert.“
James unterdrückte sein Lachen, in dem er sich auf die Zunge biss. „Okay, schon kapiert“, sagte er. „Kein Ausruhen, kein Entspannen, nur Lernen. Schon verstanden. Welche Prüfung haben wir überhaupt als nächstes?“
„Verwandlung“, sagte Peter, der ein wenig blass um die Nase wirkte. „Remus, hast du dein Buch mit? Ich glaube, ich hab spontan alles vergessen, was wir das letzte Jahr über gelernt haben.“
Remus seufzte kaum hörbar. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass du übertreibst.“
„Ganz und gar nicht. Ich weiß nichts mehr. Überhaupt gar nichts. Mein Kopf ist leer. Noch leerer als leer. Ich glaube, ich habe ein Vakuum in meinem Kopf.“
„Das würde mich nicht überraschen“, schnaubte Sirius.
„Hey.“
„Was? Du hast es doch auch gesagt!“
„Ja, ich darf das! Bei dir ist es einfach nur gemein.“
„Das ergibt überhaupt keinen Sinn.“
„Sirius“, sagte Remus mit ruhiger Stimme, der sein Verwandlungsbuch aus der Tasche geholt hatte. „Sei lieb oder du darfst nachher nicht beim Brunnen spielen.“
Erneut musste sich James auf die Zunge beißen, damit er nicht lachen würde. Es war manchmal ein wahres Wunderwerk, Remus dabei zuzusehen, wie er Sirius im Griff hatte, selbst wenn keiner der beiden zugeben würde, dass das der Fall war.
„Na schön“, brummte Sirius. „Aber dann kannst du mir bestimmt auch noch mal den Unterschied zwischen tierischer Verwandlung und Verwandlung in ein Tier erklären, oder?“
„Meinetwegen.“ Remus verdrehte die Augen, aber lächelte.
Die Verwandlungsprüfung stellte sich als nicht sonderlich schwierig heraus. Die tierischen Verwandlungen kamen überhaupt nicht dran und auch die fünf Arten von Verwandlungszaubern, die man in verschiedenen Kombinationen nutzen konnte, um Verwandlungen zu beherrschen, waren nicht vorhanden, obwohl McGonagall sie die letzten Stunden damit genervt hatte. Dafür sollten sie allerdings erklären können, was mit einem Wesen geschah, sobald es verwandelt werden würde. James erinnerte sich lebhaft an die Stunde zurück, in der Marlene genau diese Frage gestellt hatte.
Nach der Prüfung hatten sie Mittagessen, bei dem sowohl Remus als auch Lily, zu der James vielleicht aber vielleicht auch nicht einen heimlichen Blick den Tisch hinab geworfen hatte, in ihren Büchern geblättert hatten, um sich die letzten Zauberkunstformeln zu merken. Ihre erste praktische Prüfung würde bei Professor Flitwick stattfinden, der sie alle nach und nach aufrufen und dann einige Zauber von ihnen verlangen würde. Es würde sich nicht sonderlich vom letzten Jahr unterscheiden, allerdings mussten sie dieses Jahr mehrere Früchte dazu bringen, eine Tanzchoreographie vorzuführen und nicht nur einer einzelnen Ananas Stepptanz beibringen.
Für James war das alles kein Problem. Seine Eltern hatten ihm noch vor Hogwarts alle Grundlagen beigebracht, sodass er sich in den wenigsten Fächern überhaupt anstrengen musste, um ein Ohnegleichen zu erzielen. James hatte vor den Prüfungen nicht einmal in seine Bücher schauen müssen, um sich an all die Unterschiede zwischen den Zauberformeln zu erinnern, die Flitwick von ihnen wissen wollte.
Am nächsten Tag hatten sie ihre praktische Prüfung in Kräuterkunde, ein Fach, in dem James nicht von vorherein alles wusste, aber trotzdem Bestnoten erzielte. Es war aber auch wirklich nicht schwierig, zu erklären, warum Drachendung für eine gewöhnliche Hauspflanze gefährlich sein konnte, für eine Venemosa Tentacula allerdings der geeignetste Dünger überhaupt war. Und solange er sich beim Umtopfen nicht von den um sich schlagenden Rosenbüschen erwischen ließ, gab es bei Professor Sprout auch keinen Punktabzug.
Ihre praktische Prüfung in Verteidigung gegen die dunklen Künste war wohl James´ liebste Prüfung. Sie wurden in Paare aufgeteilt und mussten sich mit all den Zaubern und Flüchen duellieren, die sie das Jahr über gelernt hatten. James´ Partner, ein Junge aus Hufflepuff, mit dem er noch nie zuvor geredet hatte, hatte es nicht geschafft, James´ Kitzelfluch auszuweichen und wusste nicht, wie er den Beinklammerfluch wieder auflösen konnte. Die Gegenflüche zu jeden von seinem Gegner gemurmelten Flüche zu wirken, war für James ein Kinderspiel, besonders wenn man bedachte, dass er das halbe Jahr damit verbracht hatte, genau diese Flüche selbst auf seine Mitschüler zu werfen.
Die Prüfungen waren im Großen und Ganzen keine wirkliche Herausforderung. Den Großteil der schriftlichen Examen konnte James im Schlaf lösen und auch die praktischen Prüfungen waren ein Kinderspiel für jemanden wie ihn. Es war ihm nicht entgangen, dass Peter in einigen Fächern immer wieder Schwierigkeiten hatte, die gewünschten Zauber zu wirken, weswegen er sich die mentale Notiz machte, in ihrem nächsten Jahr ein wenig mehr Zeit zu nehmen, um seinem Freund zu helfen, alles zu verstehen, was er verstehen musste, damit er nicht zurückfiel.