Sirius Black
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Die einzige Person, die sich über Sirius‘ Erscheinen im Grimmauldplatz Nummer 12 freute, war der zehnjährige Regulus Black. Regulus war seinem Bruder in sehr vielen Belangen ähnlich; sie hatten beide das schulterlange, pechschwarze Haar der Black-Familie, die gleichen hellen Augen mit dem Glänzen in den Pupillen, die gleichen scharf geschnittenen Augenbrauen und Kieferknochen. Regulus allerdings hatte noch immer das Aussehen der kindlichen Unschuld in seinem Gesicht, er hatte runde Wangen und Schrammen vom Spielen und das aufgeregt kindliche Grinsen, als er seinen Bruder erblickte, während Sirius ein schlankes, hartes Gesicht hatte, dunkle Blicke und schiefes Grinsen und der versteckte, panische Blick hinter seinen Augen, der sicherstellte, dass der Ausgang noch frei war.
„Sirius!“ Regulus schlang seine Arme um die Taille seines älteren Bruders und drückte ihn fest. „Du musst den Rest des Schuljahres hierbleiben, ja? Dann fangen wir einfach gemeinsam an Hogwarts an.“
„Ach, Reggie“, meinte Sirius lachend und tätschelte seinem kleinen Bruder den Kopf. „Ich dachte, du bist schon ein großer Junge und brauchst mich nicht mehr als deinen Aufpasser.“
„Aber es ist so langweilig“, beschwerte sich der jüngere der Black-Brüder. „Keiner spielt richtig mit mir, seit du weg bist. Und Kreacher schummelt immer beim Verstecken. Er nutzt Magie!“
„Unerhört“, lachte Sirius bellend. „Pass auf, ich spiel mit dir Verstecken, okay? Und keiner von uns kann Magie benutzten.“
„Okay!“ Regulus ließ von Sirius ab, aber die Freude, die Grimmauldplatz kurz heimgesucht hatte, wurde in wenigen Sekunden wieder entrissen, als eine schlurfende Stimme im düsteren Gang ertönte.
„Die Herrin ruft nach dem jungen Master Sirius“, sagte Kreacher mit einer tiefen Verbeugung. „Die Herrin wünscht, dass Kreacher Master Sirius sofort in das Büro im zweiten Stock bringt. Kreacher hat der Herrin gesagt, dass sie sich auf Kreacher verlassen kann.“
„Ich kann allein laufen“, erwiderte Sirius kühl. Er warf dem Elfen einen verächtlichen Blick zu, dann wandte er sich wieder an Regulus. „Ich muss jetzt mit Mum und Dad reden, aber wir spielen nachher, ja?“
Regulus nickte. „Ich erinnere dich dran.“
„Tu das, Reggie.“ Sirius verwuschelte Regulus‘ Haare, dann stapfte er grimmig die Stufen in die höheren Stockwerke hinauf.
Die Tür zu seinem eigenen Zimmer stand offen und eins der Fenster war geöffnet, sodass eiskalte Winterluft hineinfloss. Einen Augenblick lang zog Sirius es in Erwägung, sich einfach in seinem Zimmer zu verkriechen und seine Eltern zu ihm kommen zu lassen, aber er wusste, es würde nicht gut enden. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf sein Bett, dann begann er den Aufstieg in den zweiten Stock. Normalerweise war es Regulus und Sirius verboten, in den zweiten Stock zu gehen. Das Schlafzimmer ihrer Eltern, die verbotene Bibliothek und das Büro seines Vaters befand sich auf dieser Etage und Sirius wurde oft genug von Kreacher dabei erwischt, wie er die Treppen hinaufgeschlichen war. Heute, mit der expliziten Einladung, dass er ins obere Geschoss gehen sollte, fühlte es sich wie sein letzter Gang auf Erden an.
Düstere Familienportraits schmückten die Wände des zweiten Stocks. Längst verstorbene Familienmitglieder flüsterten miteinander, als Sirius an ihnen vorbeiging, das Kinn in die Luft gereckt. Sie redeten über ihn, als könnte er sie nicht hören. Die zweihundert Jahre tote Urgroßmutter Black spuckte, als er ihr Bild passierte. „Blutsverräter“, murmelte sie. „Gryffindorabschaum.“
Sirius tat so, als würde er sie nicht hören. Er ging mit festen Schritten an der pechschwarzen Tür in die verbotene Bibliothek vorbei, auch wenn es ihm in den Fingern juckte, den Raum dahinter zu erkunden und in den hunderten Büchern zu stöbern, die seine Familie über die Jahrtausende gesammelt hatte. In den Regalen der Bibliothek im Grimmauldplatz standen die dunkelsten Bücher, die je geschrieben wurden, genaue Anleitungen für die schwärzeste Magie, Rituale und Opferungen, Bücher mit Inhalten, die so abscheulich waren, dass jeder, der sie las, verflucht wurde, Bücher mit Einbänden aus Menschenhaut, Bücher, die in Blut geschrieben wurden, Bücher, die erst dann ihren Inhalt präsentierten, wenn man ihnen Blut opferte… Sirius hatte all diese Geschichten gehört und noch mehr. Es musste der dunkelste Raum des ganzen Hauses sein, dachte er. Passend, dass er direkt neben dem Schlafzimmer seiner Eltern war.
Ein riesiges Portrait von Salazar Slytherin schmückte das Ende der Halle. Der alte Zauberer stierte Sirius mit kühlen Augen nieder, aber Sirius hielt seinem Blick stand. Er streckte die Brust etwas vor, als könnte Salazar das Abzeichen auf seinem Umhang übersehen, als würde er den rot-goldenen Löwen nicht mit derartigem Hass in den Augen betrachten, dass er ein Loch in Sirius‘ Brust brannte.
„Wie hängt es sich hier so, Salazar, altes Haus?“
„Du wagst es, mit mir zu reden, Bursche?“, zischte der Hausgründer Slytherins. „Du wagst es, mich überhaupt anzusehen?“
„Was willst du groß machen?“, fragte Sirius mit einem selbstsicheren Grinsen. „Du bist nur ein staubiges, altes Bild in einem dunklen Flur. Wahrscheinlich hat selbst Kreacher mehr Würde als du.“
„Du –“
„Sirius“, ertönte die donnernde Stimme Orion Blacks im Flur. „Komm rein.“
Die Tür zu seiner Linken öffnete sich von allein und präsentierte das Büro seines Vaters, einen ovalen Raum mit einem Schreibtisch so groß, dass fünfzehn Leute daran hätten gemütlich arbeiten können. Orion selbst saß auf einem throngleichen Stuhl, die Lehne mit Gold und Schwarz verziert, wie Teer in der Mittagssonne. Regale und Schränke mit Büchern bedeckten die Wände und ein Fenster hinter Orions Stuhl deutete hinaus in das winterlich weiße Muggellondon.
Sirius schluckte und trat ein. Seine Mutter saß in einem kleineren Stuhl neben ihrem Mann, die Hände demütig im Schoß verschränkt, ein schwarzes Kostüm mit silbernen Stickereien tragend. Sie sah aus, als käme sie von einer Traurede.
„Sirius“, sagte Orion erneut. Er sagte nicht, dass er sich setzen sollte, obwohl im Raum genügend Stühle frei waren. „Weißt du, was das ist?“ Das Oberhaupt der Blacks schob einen Pergamentbogen über den Tisch.
„Meine Zauberkunsthausaufgaben, Vater?“, fragte Sirius unschuldig.
Orions Blick wurde hart. „Ein Brief dieses Tölpels Dumbledore“, donnerte er, sodass selbst Walburga zusammenzuckte. „Eine Ablehnung“, fügte er hinzu, „auf unseren Wunsch, dass man dich nach Slytherin stecken würde.“ Orions Hand zuckte hervor und er packte den Brief, sodass das Pergament unter seinen Fingern knisterte und tiefe Falten warf. Dann las er vor: „Ich bedauere Ihnen mitteilen zu müssen, dass an der Entscheidung des Sprechendes Hutes nichts mehr geändert werden kann. Zumal ich Ihren Ärger verstehen kann, müssen Sie doch auch verstehen, dass Ihr Sohn sein eigener Mensch ist und demnach nicht nur nach dem Namen seiner Familie gehandhabt werden sollte. Sirius ist ein fleißiger junger Mann, der sich in seinem ihm zugeteilten Haus sehr gut eingefunden hat.“
Sirius schluckte. „Das klingt doch nett.“
„Es ist eine Beleidigung!“, rief Orion Black aus, bevor er Dumbledores Antwort zu Boden warf. „Dass er es wagt, so mit mir zu reden! Seit Jahrhunderten war jedes Mitglied dieser Familie im ehrwürdigen Haus Slytherins, wir sind seine treusten und demütigsten Unterstützer. Salazar Slytherins Hand hat unsere Familie geleitet, da waren wir alle noch nicht geboren und dieser Trottel Dumbledore versucht mir klarzumachen, dass mein Sohn“, Orion spuckte dieses Wort aus, als hätte es ihm große Schmerzen bereitet, es überhaupt auszusprechen, „diese Tradition nicht würdigt? Dass mein Sohn, Sirius Orion Black, kein Slytherin ist?“ Er erhob sich schwer atmend und ging um den Tisch herum.
„Du hast Schande über diese Familie gebracht, Sirius“, sprach nun Walburga zum ersten Mal. Ihr Gesicht war verzerrt und angestrengt. „Deine Taten haben uns großen Kummer bereitet.“
Mit einem Mal fiel Sirius ein, was Orion Black in seinem Traum gesagt hatte. Du bereitest deiner armen Mutter nur Kummer und Sorgen. War es die Wahrheit? Hatte Sirius mit seinen selbstsüchtigen Aktionen der Familie Kummer und Sorge bereitet und nur sich selbst gesehen, während der Rest leiden musste? Hatte er denn auch nur einmal an seinen Bruder gedacht, der noch wie ein Kind darauf gewartet hatte, dass sein großer Bruder endlich wieder nach Hause kommen würde? Sirius ballte die Hände zu Fäusten und rammte sich die Nägel tief in die Handinnenflächen. Nein. Es war nicht seine Schuld.
„Gryffindor hat mich trotz meines Namens aufgenommen“, sagte er, angestrengt die Stimme ruhig zu halten. „Als ich die Schule betreten habe, wurde ich nur als Black wahrgenommen, mehr nicht. Ich war kein Mensch, ich war nur ein Name. Nach Gryffindor eingeteilt zu werden, war das Beste, was mir je passiert ist. In Gryffindor habe ich wahre Freunde gefunden.“ Sirius hatte die Faust seines Vaters kommen sehen, aber hatte nicht die Zeit, ihr auszuweichen.
Mit der Wucht einer Kanonenkugel kollidierte die Faust Orion Blacks mit dem Magen seines Sohnes und ließ Sirius nach Luft ächzend in die Knie gehen.
„Wir sind noch nicht fertig, Sirius“, sagte Orion gefährlich leise. Walburga verzog keine Miene, als sie ihren Sohn auf allen Vieren betrachtete, der nach Luft rang und mit Tränen in den Augen versuchte den Schmerz wegzublinzeln. „Du kannst rebellieren, soviel du willst, aber du wirst unserer Führung folgen. Ich werde nicht zulassen, dass du noch mehr Enttäuschung in diese Familie bringst. Du wirst als Erbe der Familie Black das tun, was von dir verlangt wird und du wirst nicht hinterfragen, was wir von dir verlangen, Sirius. In einer Familie wie unserer ist kein Platz für einen jämmerlichen Feigling wie dich. Entweder, du folgst unserem Beispiel“, Orions Stimme war kaum mehr ein Wispern und doch füllte sie den gesamten Raum, wie ein langsames Gift die Luft füllte, „oder du wirst ausgelöscht. Vergiss nicht, dass du nicht der einzige Sohn bist.“