Lily Evans
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„Unglaublich, dass sie dich dafür auch noch belohnt hat“, sagte Emmeline begeistert klingend. Nach dem ihr Streich gegen die Gryffindor-Jungs hervorragend funktioniert hatte, hatten sich die fünf Mädchen auf den Ländereien getroffen, wo Lily Dorcas, Emmeline und Mary davon berichtet hatte, was McGonagall noch gesagt hatte.
„Ich hab uns schon beim Nachsitzen gesehen“, gab Marlene zu, die ihre Finger aneinander rieb. Weißer Dampf stob aus ihrem Mund, als sie sprach. „Ich dachte, wir werden total bestraft.“
„Ich nicht“, sagte Lily wahrheitsgemäß, wofür sie überraschte und skeptische Blicke erntete. „Wirklich. McGonagall wusste genauso gut wie ich, dass die Jungs für die Sache mit Sev verantwortlich waren. Außerdem glaube ich, dass sie es irgendwie auch lustig fand.“
„So wie Professor Flitwick. Habt ihr gesehen, wie er vor Lachen fast von seinem Stuhl gefallen wäre?“, fragte Dorcas grinsend. Sie hatte sich ein Paar Ohrenschützer aufgesetzt, wodurch eine dicke Delle in ihr Haar gepresst wurde.
Lilys Euphoriegefühl brodelte in ihrem Inneren. Es war, als würde sie ohne Besen vom Astronomieturm springen - erst raste ihr Herz, dann flog sie, der Himmel eine stahlblaue Fläche über ihr. Regentropfen prasselten auf den steinernen Boden, aber ertränkten nicht das Gefühl des Sieges in ihr. Entgegen den Erwartungen hatte sie es Potter und seiner Bande heimgezahlt, hatte sie vor der Schule mit ihren unsinnigen Aussagen blamiert. Als sie und Marlene die Große Halle verlassen hatten, sich der Blicke anderer Schüler sehr wohl bewusst, hatte sie immer wieder Tuscheleien und verhaltenes Kichern gehört, wenn jemand wiederholt hatte, was aus Sirius Blacks Mund gesprungen war. Es war ein voller Erfolg gewesen und -
„Irgendwie hat das Spaß gemacht“, endete Mary Lilys Gedanken. „Macht mich nicht zum nächsten Opfer, aber“, sie lächelte verhalten, ein Schatten auf ihren dunklen Wangen, „ich glaube, ich weiß jetzt, warum Potter ständig Streiche spielt.“
Lily wollte protestieren, aber Emmeline kam ihr zuvor: „Ja, das sollten wir wiederholen! Es war auch echt witzig diese Pläne mit euch zu schmieden.“
„Auch wenn die Hälfte nicht funktioniert hat“, überlegte Marlene laut grinsend, woraufhin Emmeline eine wegwerfende Handbewegung machte.
„Komm schon, Lily“, sagte Mary und stieß sie mit der Schulter an. „Los, gib zu, dass es dir auch Spaß gemacht hat.“
Selbst wenn sie es hätte verneinen wollen, ihre Freundinnen hätten sie sofort durchschaut. Der rote Schleier auf ihren Wangen kam nicht von der Kälte, als Lily seufzte und sagte: „Es war wirklich lustig.“
Marlene und Mary lachten und Dorcas sagte: „Ich wusste du bist nicht so ein Spießer, für den ich dich anfangs gehalten hatte.“
„Na danke auch“, brummte Lily, aber sie lächelte trotzdem.
„Ach, nicht der Rede wert“, erwiderte die Ravenclaw lachend. „Also, was machen wir als nächstes? Ich finde, ein paar dieser Slytherin waren zu schadenfroh, die könnten auch was vertragen...“
„Ich passe“, sagte Lily. „Das soll eigentlich eine einmalige Sache bleiben, ich will mich nicht auf Potters Level begeben und dort bleiben.“
„Also ich finde es macht Spaß hier unten“, meinte Emmeline.
„Genau, komm schon, Lily“, sagte Marlene mit ihren besten Hundeaugen. Sie schon die Unterlippe hervor und starrte Lily aus großen blauen Augen heraus an. „Du könntest es Mulciber heimzahlen, dass er Mary letztens beim Quidditch-Match versucht hat ein Bein zu stellen.“
„Uh, darf ich seinen Kopf anschwellen lassen?“, fragte Mary begeistert klingend, als würden sie nicht über den Jungen reden, der sie fast 300 Treppenstufen hinabstürzen lassen wollte. „Flitwick hat letztens so einen Zauber erwähnt und den würde ich nur zu gerne ausprobieren.“
Emmeline lachte kurz auf. „Ich mag deine Art zu denken! Das behalten wir auf jeden Fall im Hinterkopf.“
„Was sagst du, Lily?“, fragte Dorcas etwas leiser. Ihre dunkelbraunen Augen glänzten im Fackellicht, wodurch sie einen sehr schelmischen Ausdruck bekam. „Bist du dabei noch jemanden zu rächen?“ Die Ravenclaw lächelte breit und strahlend.
Lily seufzte. „Schätze, da habe ich keine andere Wahl.“ Das Grinsen konnte sie allerdings nicht unterdrücken, auch nicht die kribbelnde Vorfreude, die sich in ihrer Magengrube sammelte.
„Das ist die richtige Einstellung“, sagte Emmeline lächelnd, wodurch sie eine ganze Reihe ihrer hellen Zähne zeigte. „Also, noch jemand Ideen, außer Köpfe anschwellen zu lassen?“
***
Ohne brodelnde Rachegelüste gegen ihre Klassenkameraden, fand Lily es schwierig, weiterhin sauer auf Remus Lupin zu sein, als wäre er persönlich für all das Unglück der Welt zuständig. Die folgenden zwei Tage hatte Lily versucht, Gründe zu finden, wieso sie nicht mit dem vernarbten Jungen befreundet sein sollte, aber es wollte ihr nichts Triftiges einfallen. Seine Kameradschaft zu Potter war zwar schmerzhaft zu akzeptieren, aber Lily konnte nicht wirklich darüber richten, mit wem er befreundet war. Für sie war James Potter die Verkörperung von Arroganz und Ignoranz. Lily könnte den ganzen Tag lang darüber reden, wie sehr James Potter sie aufregte und was für ein widerwärtiges Gefühl er in ihr auslöste und das hatte sie auch schon mit Mary und Marlene besprochen. In einer sehr langweiligen Stunde Geschichte der Zauberei hatten die drei jungen Hexen in leisem Flüsterton darüber gesprochen, was für ein Blödmann Potter war, bis Marlene angedeutet hatte, dass es gute Gründe dafür gab, wieso man mit Leuten befreundet war, die bei anderen nicht immer beliebt waren. Lily wusste, dass sie ihre und Severus' Freundschaft meinte und konnte daraufhin nichts antworten.
Die Wirkung des Plappertrankes hatte lang nachgelassen, als Lily Remus im Gryffindor-Gemeinschaftsraum ansteuerte und sich neben ihn auf dem roten Sofa setzte. Peter, der ihnen gegenüber auf einem Sessel saß und über einem Pergamentbogen hing, zuckte kaum merklich zusammen, als er sie erkannte. „Kein Grund zur Panik“, sagte Lily und versuchte sich an einem Lächeln. „Ich bin hier um“, sie drückte ihre Fingernägel tief in den weichen Couchstoff, „mich zu entschuldigen.“
„Fürs Einflößen vom Plappertrank?“, fragte Remus mit einem amüsierten Brummen in der Stimme.
„Nein, dafür stehe ich“, erwiderte Lily. „Außerdem war das lustig.“
„Für dich vielleicht“, murmelte Peter mit roten Flecken auf den Wangen. „Über uns wird überall gelacht.“
Normalerweise sollte sie Mitleid haben, aber da sie wusste, dass die Jungs es mehr als verdient hatten, zuckte sie nicht einmal mit der Wimper. „Vielleicht denkt ihr jetzt einmal mehr darüber nach, bevor ihr jemandem einen fiesen Streich spielt“, sagte sie, ohne die Kälte ganz aus ihrer Stimme verbannen zu können.
„Dachte ich mir doch, dass es um Sna- Severus geht“, entgegnete Remus gelassen. „Das ist dann wohl deine Idee von Rache gewesen.“
Lily reckte das Kinn ein wenig in die Höhe. „So ziemlich. Jedenfalls hoffe ich, dass es euch und Potter und Black eine Lektion war.“
„James und Sirius sicherlich nicht“, murrte Peter.
Seufzend sagte Lily: „War ja klar.“
„Aber sie werden sich bestimmt in nächster Zeit zurücknehmen, was ihre Rivalität mit Severus angeht“, fügte Remus gutmütig an. „Sie waren sehr beeindruckt von dir, Lily.“
„Nun, solange es reicht, damit sie Sev in Ruhe lassen.“ Sie schob das seltsame Gefühl von Stolz beiseite, ehe sie zu Peter auf dem Sessel blickte. „Tut mir leid, wie ich letztens mit dir geredet habe.“ Er hob beide Augenbrauen an, bis sie im unordentlichen Pony seiner blonden Fransen untergingen. „Das war nicht in Ordnung und es wird nicht wieder vorkommen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen“
Peter bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Er lehnte sich zurück und warf seine Feder auf dem Pergament ab, sodass einige Tintenspritzer darauf erschienen. „Ich schätze schon“, sagte er langsam. „Auch wenn das echt mies von dir war, E-Evans.“ Peter lief purpurfarben an; Lily vermutete, dass er das bei Potter aufgeschnappt hatte und es ihm jetzt herausgeplatzt war.
„Ich weiß“, sagte Lily und tat einfach so, als hätte sie nichts gehört. „Es kommt auf jeden Fall nicht mehr vor, großes Ehrenwort.“
„Dann ist alles vergeben und vergessen“, quiekte Peter rotwangig, seine Schultern etwas eingesunken.
Lily lächelte ihn an, bevor sie den Kopf zu Remus drehte. „Da das geklärt wäre, würdest du morgen mit mir und Mary für Verwandlung lernen? Wir könnten uns in der Bibliothek treffen.“
Ein schiefes Lächeln paarte sich mit einem schelmischen Glänzen in Remus' Augen. „Ich denke, da hätte ich nichts gegen. Vielleicht kannst du mir dann auch bei meinem Zaubertrankaufsatz helfen. Du scheinst ja ein Händchen dafür zu haben.“ Remus grinste und Lily lachte.
„Abgemacht“, erwiderte sie. „Hat jemand Lust auf Zauberschach?“
„Du meinst, du willst verlieren?“, fragte Peter. „Du sitzt hier immerhin Hogwarts' nächsten Schachmeister gegenüber.“
Und kurz darauf verlor Lily im hohen Bogen gegen Peter, aber jetzt waren sie wieder Freunde, also störte es sie nicht. Sie verlangte lediglich Revanche und grinste.