Peter Pettigrew
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Als der erste September vorbeigegangen war, hätte Peter niemals gedacht, dass er mit den coolsten Typen aus der Schule befreundet sein würde, noch dass sie ihn wie einen gleichgestellten behandeln würden. Es mochte nicht immer so für alle wirken – anderen Leute, mit denen er befreundet war, hatten ihm schon oft sorgenvoll gebeichtet, dass sie glaubten, Sirius Black würde Peter erpressen oder verfluchen, wenn er nicht hinguckte, aber Peter wusste, dass es alles nur Einbildung war. Peter würde lügen, wenn er sagen würde, er hätte keine Vorurteile gehabt, als er das erste Mal gehört hatte, dass Sirius Black in seinem Jahrgang sein würde und dass er dann auch noch ein Zimmer mit ihm teilen müsste. Die alleinige Vorstellung, dass er mit einem potenziell gefährlichen schwarzmagischen Erben zusammenleben würde, der ihn im Schlaf verhexen könnte, war so angsteinflößend gewesen, dass Peter schon an diesem Abend gedacht hatte, dass der Sprechende Hut einen Fehler mit seiner Einteilung gemacht hatte. Aber es kam wie es kommen musste, und mittlerweile war Peter sich sicher, dass er und Sirius richtige Freunde waren, trotz der manchmal harten Worte, die der etwas ältere Junge an ihn richtete.
Alle wussten, dass Peter nicht so talentiert, reich oder schlau wie seine Freunde war, er hatte nicht die natürlichen Flugkünste wie James, war nicht der Beste in jedem Fach wie Remus oder war so selbstbewusst wie Sirius. Es gab Gemurmel, warum die drei besten Schüler ihres Jahrgangs überhaupt mit jemand mittelmäßigem wie Peter befreundet waren. Gerüchte brodelten in Hogwarts auf, beinahe glaubhaft, dass Peter schon seit seiner Kindheit ein Freund von James sei und deshalb noch bei den anderen mitmache, bis hin zu absolut lächerlich, dass Peter am Anfang des Schuljahres einen so starken Verwirrungszauber auf seine Klassenkameraden gewirkt hatte, dass diese nun dachten, er wäre genau so cool und talentiert wie sie selbst. Peter machten diese Gerüchte nicht viel aus. Sollten andere doch denken, er wäre es nicht wert, mit Menschen wie James, Sirius und Remus überhaupt in einem Raum zu sein, er wusste es besser. Jeder Tag war ein neuer Beweis, dass die drei mit ihm befreundet sein wollten, sei es weil sie am Morgen auf ihn warteten, damit sie alle gemeinsam zum Frühstück gehen konnte, oder dass sie ihn immer mal fragten, was er unternehmen wollte, wenn sie eine Freistunde hatten. Es gab nichts, was diese Freundschaft für Peter zerstören konnte.
Nichts, außer Sirius, der zu allen und jedem miserabel war. Sirius würde es niemals zugeben, dafür war er viel zu stolz, aber der Brief seiner Mutter und die darauffolgende Unterhaltung, die er mit Professor Dumbledore und Professor McGonagall führen musste, hatten ihn alles andere als kalt gelassen. Peter war sich sicher, dass er nachts gehört hätte, wie Sirius in seinem Bett geweint hatte, aber er hatte es nie angesprochen. Es gab gewisse Grenzen, bei denen er sich noch immer nicht sicher war, wie und wann er sie überschreiten sollte. Seit der Heuler von Walburga Black gekommen war, war Sirius launenhaft geworden; er gab den Lehrern patzige Antworten, er verhexte Drittklässler, wenn sie beim Vorbeigehen mit zu lauten Stimmen über ihn redeten, er hatte sogar Mrs. Norris, die schreckliche Katze vom Hausmeister, in eine Besenkammer gesperrt und dafür zwei Wochenenden Nachsitzen bekommen. Als er lediglich andere Leute mies behandelt hatte, hatten sich Peter und die anderen nicht viel dabei gedacht, aber als Sirius eines Abends Mary Macdonald so sehr angemeckert hatte, dass sie weinend in ihren Schlafsaal geflüchtet war, war ihnen klar geworden, dass sie Sirius irgendwie aufmuntern mussten, bevor er den Rest des Jahres Nachsitzen bekommen würde. Remus hatte ihnen zwar versichert, dass Mary sich sicherlich wieder beruhigen würde – hatte er doch eine ähnliche Situation mit Marlene schon erlebt, bei der das Mädchen ebenfalls weinend geflüchtet war, nachdem der Junge sie hart angefahren hatte – aber James hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass er seinen besten Freund jetzt aufmuntern musste.
„Sich nur bei Mary entschuldigen, bringt ihm nichts“, sagte James mit wissendem Blick. „McKinnon hat sich schnell beruhigt, aber dir kann ja auch keiner böse bleiben, Remus. Du bist einfach zu gutmütig.“
„Sehr witzig“, brummte Remus als Antwort.
„Also Männer.“ James klatschte in die Hände und das Geräusch ließ ein paar der älteren Schüler im Gemeinschaftsraum den jungen Erstklässlern genervte Blicke zuwerfen. „Was machen wir, damit es Sirius wieder besser geht?“
„Seine ganze Familie mit dem Confundus-Zauber belegen?“, fragte Peter, der sich an die Gerüchte erinnerte, die über ihn kursierten. „Vielleicht denken sie dann, Sirius wäre ein perfekter kleiner Engel.“
„So einen starken Verwirrungszauber könnte nicht mal Dumbledore“, schnaubte Remus belustigt. „Wo ist Sirius überhaupt hin?“
„Im Schlafsaal“, erwiderte James. „Monty leistet ihm Gesellschaft. Langweilt ihn wahrscheinlich grad mit Quidditchtaktiken zu Tode, die er eigentlich mit mir besprechen wollte…“
„Wir könnten seine Cousine entführen“, meinte Remus achselzuckend.
„Und dann?“, fragte Peter. „Willst du sie im Gryffindorturm festhalten?“
„Sirius würde es bestimmt lustig finden.“
„Wahrscheinlich. Aber es ist zu unpraktisch“, sagte James. „Außerdem würde Narzissa uns sofort Punkte abziehen und dann Nachsitzen verpassen. Wir brauchen etwas, dass ihn aufmuntert, irgendwie legal ist, aber hart an der Grenze, damit er es trotzdem lustig findet und dass ihn so sehr ablenkt, dass er seine schreckliche Familie für ein paar Tage vergessen kann.“
„Halloween steht doch vor der Tür“, sagte Peter begeistert.
„Ein paar Kürbisse werden ihn nicht unbedingt ablenken, Pete.“
„Nein, hör zu. An Halloween ist die ganze Schule beim Festessen, ja? Was ist, wenn wir der gesamten Schule einen riesigen Streich spielen? Und nicht nur Schniefelus?“ Peters Augen glänzten vor Aufregung. „Stellt es euch doch nur mal vor, wie genial wäre das bitte?“
Es war, als hätte man James gesagt, er würde für Nationalmannschaft spielen können. Er sprang begeistert auf und rief: „Pete, das ist ja – ich bin beeindruckt! Das ist die beste Idee, die du bisher hattest. Das schlägt den Wäscheklammerfluch um Längen, den du Schniefelus aufgehetzt hast.“
Remus, der bei der Erinnerung daran immer lachen musste, grunzte vor Belustigung. „Aber schaffen wir sowas auf die Beine zu stellen? Und was sollen wir überhaupt machen?“
„Klar schaffen wir das, Lupin“, meinte James. „Wenn wir Sirius mit ins Boot holen, dann wird das doch ein Klacks. Wir sind nicht umsonst die besten Schüler, nicht wahr?“
Peter wusste, dass er nicht mitgemeint war, aber interessierte sich nicht wirklich dafür. Das Lob von James klingelte noch immer wie ein wohltuendes Glöckchen in seinen Ohren nach. „Ich hab auch schon ein paar Ideen, Leute.“
Die nächsten Tage verbrachten Peter, Remus, James und Sirius – der, wie erwartet, Feuer und Flamme für ihren Plan war – damit, ihren Streich gegen die Schule zu planen. Die meisten Leute würde es nicht glauben, aber um einen perfekten Streich auf die Beine zu stellen, musste man eine ganze Menge Bücher wälzen. Peter war kein schneller Leser wie Remus oder verstand immer sofort, worum es in den ganzen komplizierten Zaubersammlungen ging, aber jedes Mal, wenn er etwas Nützliches fand, fand er einen Augenblick später eine Hand auf seiner Schulter wieder, die ihm stolz auf den Rücken klopfte. Peters Ideen wurden zumeist durch Remus verfeinert, der sich am besten mit Zaubern auskannte. James und Sirius waren immer bereit, die Zauber zu testen, auch wenn sie dadurch das ein oder andere Mal in den Krankenflügel laufen mussten, weil sie einen fehlgeleiteten Fluch nicht mehr umkehren konnten. Merlin sei Dank stellte Madam Pomfrey nicht sonderlich viele Fragen und war mit der Erklärung, dass James und Sirius sich duelliert oder bei einer Hausaufgabe die Kontrolle verloren hatten, zufrieden.
Madam Pince, die Bibliothekarin, vertraute den vier Erstklässlern kein Stück. Jedes Mal, wenn sie die Bibliothek betraten, um ein wenig freie Zeit für Streichrecherche zu opfern, geisterte die misstrauische Frau ihnen hinterher und lauerte zwischen den Gängen auf, als würde sie nur darauf warten, dass sie einen Grund fand, die vier rauszuschmeißen. Von ihnen allen konnte sie Remus noch am ehesten tolerieren, der manchmal mit Lily Evans in der Bibliothek Hausaufgaben machte oder lernte, auch wenn das nicht hieß, dass sie ihm nicht ebenfalls zwei argwöhnische Augen hinterherwarf, wann immer er die vielen Regalreihen durchwanderte.
Eine Woche vor Halloween hatten sie alle Zauber beisammen, die sie brauchten. James hatte Sirius oft genug bei Laune gehalten, aber selbst er konnte seinen besten Freund nicht daran hindern, an späten Abenden in einen Sessel eingerollt in die Glut zu starren und trübe Gesichtsausdrücke zu bekommen. Es half am besten, hatten sie herausgefunden, wenn sie ihn einfach für ein paar Stunden in Ruhe ließen, damit er grübeln und schmollen konnte. Sirius war in solchen Phasen sowie nicht ansprechbar, es sei denn, man wollte von ihm angeschrien oder verhext werden. Wo James und Peter massiv versagten, wenn sie versuchten, Sirius spät abends dazu zu bewegen, ins Bett zu gehen, fand Remus immer die richtigen Worte. Keiner von ihnen hörte, was der Junge seinem Mitschüler zuflüsterte, aber es war jedes Mal das richtige. Sirius stand, ohne zu schreien, ohne zu meckern und ohne Verwünschungen auf und schlurfte ins Bett, die Augen zwar immer noch trüb, aber das Glänzen in ihnen wiederhergestellt. Remus wollte sein Geheimnis nicht preisgeben und hatte lediglich gesagt, dass er Sirius eben besser verstand, was diese Sachen anging.
Es war ein sehr kalter Herbsttag. Mit dem langsam endenden Oktober hatte fröstelnde Luft in Hogwarts Einzug gehalten und der Innenhof war eigentlich kein sehr angenehmer Aufenthaltsort. Schülergruppen standen eng beieinander, die Älteren hatten die großen Fackelhalter für sich in Anspruch genommen, während sich die Jüngeren mit den wenigen Resten zufrieden geben mussten. Absterbendes Laub lag in dicken Haufen in allen Ecken verteilt und das ein oder andere Mal konnte man die Laubberge zittern sehen, wenn ein Niffler oder der Hund von Hagrid, dem riesenhaften Kerl, der sie vom Zug abgeholt hatte, in ihnen spielten. Peter war sich sogar sicher, dass er einmal einen Phönix über den eisblauen Himmel hatte fliegen sehen, aber keiner wollte ihm glauben.
Da James und Sirius einmal mehr Strafarbeiten absitzen mussten und Remus mit Lily und Mary in der Bibliothek lernte und Hausaufgaben erledigte, hatte Peter sich mit seinen anderen Freunden zusammengefunden. Es war eigentlich Marlene zu verdanken, dass Peter in dieser anderen Gruppe aufgenommen wurde, aber Peter redete sich ein, dass er auch ohne ihre Hilfe zu ihnen gefunden hätte. Immerhin hatte er Dorcas Meadows und Emmeline Vance bereits kennengelernt und mit ihnen eine Zugfahrt verbracht, auch wenn er den fünften in ihrer Gruppe, Benjy Fenwick, nicht wirklich gut kannte.
Emmeline, die sehr gut in Beschwörungen war, hatte ein winziges Feuer in ein leeres Einmachglas beschworen, um welches sie verteilt standen, in der Hoffnung, es würde sie genügend wärmen, damit sie ihre Pause nicht in den zugigen Korridoren des Schlosses verbringen mussten. „Es wäre wesentlich einfacher, wenn Hogwarts einfach modernisieren würde“, sagte Benjy Fenwick mit klappernden Zähnen. „Abwassersysteme haben sie hinbekommen, aber eine Heizung war zu viel verlangt?“ Benjy war ein ziemlicher schmächtiger Junge, mit gebräunter Haut und hellbraunen Haaren, die sehr kurzgeschoren waren. Er trug eine schmale, drahtige Brille und hatte einen Umhang an, der ihm etwas zu groß war.
„Also mir macht die Kälte nichts aus“, erwiderte Dorcas, die als einzige von ihnen keinen Winterumhang trug und trotzdem nicht zitterte. Sie hatte sogar ihre Ärmel hochgekrempelt. „Wir könnten ja ein wenig Quidditch spielen, dann wird euch warm.“
„Kommt nicht in Frage“, sagte Marlene, Peter und Benjy zustimmend nickend. Sie hatte eine dicke Wollmütze auf dem Kopf, wodurch ihre blonden Strähnen kaum noch zu erkennen waren. „Ihr beiden nehmt das immer viel zu ernst und am Ende hat keiner von uns Spaß.“
„Ist ja nicht unsere Schuld, wenn wir gewinnen wollen“, meinte Emmeline achselzuckend, woraufhin Dorcas grinste.
„Wenn wir schon kein Quidditch spielen, dann könnte uns Peter aber ruhig mal verraten, was er und seine Kumpels vorhaben.“ Dorcas hatte eine Augenbraue gehoben und sah Peter abwartend an.
Es war weithin bekannt, dass Peter, James, Sirius und Remus für die meisten Streiche und Unterbrechungen im Schulalltag verantwortlich waren, eine große Menge von diesen gegen die Slytherins gerichtet, ganz spezifisch, Severus Snape, der sich immer wieder lautstark bei den Professoren beschwerte, aber nur müde belächelt wurde. Seit Peter aber angedeutet hatte, dass sie etwas Großes planten, hatte Dorcas bei jeder Gelegenheit versucht herauszufinden, was genau das war. Bisher hatte sie lediglich erraten, dass es an Halloween stattfinden würde.
„Ich verrate nichts“, sagte Peter. „Ich habe ein Ehrenwort gegeben und ich werde meine Freunde nicht verraten.“
„Ach komm schon, Pete“, meinte Benjy mit seinen besten Hundeaugen, „nur ein Hinweis. Komm, sei nicht so.“
„Kommt nicht in Frage.“
„Du bist total langweilig“, maulte Marlene. „Keiner von euch will uns irgendwas verraten.“
„Dann wäre es ja auch keine Überraschung mehr, oder?“ Peter grinste, als Marlene einen Schmollmund aufsetzte. „Nimm’s nicht so schwer, Marls, in vier Tagen ist es doch so weit, dann hat das Warten ein Ende.“
„Aber wehe ihr unterbrecht das Festessen“, sagte Benjy. „Darauf freue ich mich schon seit unserer Ankunft und das lasse ich mir nicht kaputt machen.“
Das hatten die vier Gryffindors natürlich ebenfalls bedacht. Ein Festessen zu unterbrechen oder gar zu ruinieren, würde nicht mit ihren Prinzipien übereinstimmen, zumal damit die ganze Arbeit der schwer schuftenden Hauselfen vernichtet wäre und, da hatten sie sich alle zugestimmt, das wäre einfach nicht fair den kleinen Kreaturen gegenüber. „Keine Sorge, du wirst schon zu deinen fünf Portionen Kuchen kommen“, erwiderte Peter lachend, woraufhin Benjys Gesicht eine dunklere Färbung annahm.
„Ich bin noch im Wachstum, ja! Ich muss essen, sonst bleibe ich immer so klein!“ Benjy hasste es, dass er der kleinste aus dem gesamten Jahrgang war und Emmeline erinnerte ihn liebend gern mit ihrem diebischen Grinsen genau daran.
„Red dir das ruhig ein, Benjy“, sagte sie und verwuschelte seine Haare, als würde sie mit einem kleinen Bruder reden. „Aber ich finde du könntest uns ruhig einen kleinen Hinweis geben, Pete. Dann können wir uns auf das Unvermeidliche vorbereiten, wenn euer ganzer Plan nach hinten losgeht.“
„Das war gemein und genau deswegen sage ich jetzt gar nichts mehr“, erwiderte Peter gespielt verletzt. „Wer so wenig Vertrauen in die Fähigkeiten von mir und meinen Freunden setzt, verdient es nicht, dass ich etwas verrate.“
„Du hättest eh nichts verraten“, meinte Marlene.
„Richtig, aber es geht ums Prinzip.“
„Spielverderber“, sagte Benjy.
„Miesepeter.“
„Wie die kleinen Kinder“, schüttelte Dorcas grinsend den Kopf.
„Du bist nur vier Monate älter als ich“, sagte Peter trocken.
„Und vier Monate weiser.“ Dorcas nickte beständig. „Glaub mir, diese vier Monaten machen eine ganze Menge aus.“
„Trotzdem sind deine Zauberkunstnoten echt mies“, kommentierte Emmeline.
„Oh, das war fies und hinterhältig und ich werde nicht zulassen, dass du so mit mir redest.“
„Was willst du machen, mich bei meiner Mum anschwärzen?“, grinste ihre Freundin. „Du weißt doch, dass ich dich lieb hab.“
Dorcas grummelte etwas, aber sie wurden alle unterbrochen, als ein großer Schatten hinter ihnen auftauchte. Aus Angst, es könnte ein Lehrer oder ein Vertrauensschüler auf der Suche nach unartigen, regelbrechenden Schülern, versteckte Dorcas schnell das Einmachglas mit der kleinen Flamme in ihrer Umhangstasche, bevor man sie erwischte. Keiner wusste so genau, ob es verboten war, aber sie wollten es auch nicht herausfinden – sie strapazierten die Regeln nicht so gerne, wie ein Sirius Black es tat.
Der Schatten stellte sich als große, blonde Sechstklässlerin mit schimmerndem Vertrauensschülerabzeichen auf der Brust heraus, die ein breites Grinsen im rundlichen Gesicht hatte, als sie die kleine Gruppe ansteuerte.
„Phyllis!“, rief Peter überrascht aus, als er seine Schwester erkannte, die sofort einen Arm um seine Schulter legte und ihn an sich drückte.
„Hey, Petey“, erwiderte Phyllis Pettigrew, die ungefähr zwei Köpfe größer als ihr Bruder war, aber ebenso eine füllige, rundliche Statur hatte. Ihre Haaren waren in einem langen Pferdeschwanz zurückgebunden und sie trug eine ähnliche Brille wie Benjy, drahtig und silbern, die ihre braunen Augen wesentlich größer erscheinen ließ, als sie eigentlich waren. Trotz ihrer blonden Haare hatte Phyllis sehr kräftige, dunkle Augenbrauen. „Dachte ich mir doch, dass ich dich hier gesehen habe.“
„Gibt’s was?“, fragte der jüngere der beiden Geschwister. Seine Freundesgruppe hielt, plötzlich überaus schüchtern im Angesicht mit einer älteren Schülerin, die noch dazu Vertrauensschüler war, großen Abstand, außer Marlene, die bereits an ältere Schüler gewöhnt war, hatte sie doch selbst einen Bruder, der die Schule bereits abgeschlossen hatte.
„Kann eine große Schwester nicht einfach Hi zu ihrem kleinen Bruder sagen?“, fragte Phyllis grinsend. Sie und Peter sahen sich dabei sehr ähnlich – wenn sie grinsten, dann konnte man ganz deutlich das Rot in ihren Wangen sehen, die dann noch runder wirkten. „Eigentlich wollte ich dich sowieso schon länger mal erwischen, aber du hast ein ziemliches Talent dafür, unbemerkt davonzuschleichen.“
Peter lachte. „Oder du hast nicht richtig gesucht.“
„Unwahrscheinlich, aber na gut. Nein, eigentlich wollte ich dir sagen, dass ich sehr stolz auf dich bin, Petey.“
Peter wurde sehr heiß im Gesicht, als er versuchte eine Antwort zu stammeln. Dass er dabei auch noch die mittlerweile feixenden Blicke von Emmeline, Dorcas und Benjy auffing, half ihm nicht weiter. „W-Wie das?“
„Ich hab mit ein paar deiner Lehrer gesprochen“, erklärte seine ältere Schwester geduldig. „Weißt du, einfach weil ich wissen wollte, wie du dich so anstellst und ich war positiv überrascht, dass alle in sehr hohen Tönen von dir gesprochen haben. Na gut, außer Slughorn. Wir Pettigrews sind aber auch keine Tränkebrauer.“
„Oh.“ Er wusste, er sollte sich freuen, dass seine Schwester stolz auf ihn und seine Leistungen war und dass seine Lehrer ihn lobten, aber er konnte nicht umhin, als sich zu sehr auf die Überraschung zu fixieren, die Phillys verspürt hatte, als sie davon gehört hatte. War es denn so unwahrscheinlich, dass Peter gut in der Schule war? Musste man deswegen wirklich überrascht sein? Peter hatte so sehr gehofft, in Hogwarts würde er endlich für das erkannt werden, was er war, aber stattdessen ließ ihn das alte Bild nicht zur Ruhe kommen, das seine Familie noch immer von ihm hatte. Wahrscheinlich sah seine Schwester ihn noch immer als den kleinen, dicken Jungen an, der mit sieben von der Schaukel springen wollte und sich dabei den Fuß gebrochen hatte. Aber Peter war kein kleiner Junge mehr! Er war schon bald zwölf, er bekam gute Noten (er redete sich nicht ein, dass er einer der besten Schüler wie seine Freunde oder Lily Evans war) und er hatte ein tolles Umfeld, mit Leuten, die ihn mochten. Reichte das nicht aus? „Mum hat dich dazu angestiftet, oder?“, fragte er leise, die Stimme etwas rau.
Phyllis war schon immer eine schlechte Schauspielerin gewesen. Sie täuschte einen Hauch von Überraschung vor, dann seufzte sie geschlagen und hob kapitulierend die Hände. „Hat sie. Sie wollte, dass ich ein Auge auf dich halte, damit du nicht in Schwierigkeiten gerätst oder in der Schule zurückhängst.“
Es sollte Peter nicht überraschen, dass seine Mutter so etwas dachte. Sie hatte noch nie sehr viel Vertrauen in ihren jüngsten Sohn gesteckt, war es doch von jungen Jahren schon klar gewesen, dass er nicht so mächtig wie sein Vater oder so talentiert wie seine Schwester sein würde. Nicht, dass sie den Vergleich zu seinem Vater noch ziehen würde. Keiner aus der Pettigrew-Familie hatte seit gut sieben Jahren von ihm gehört; nach allem, was sie wussten, war er längst tot.
„Nimm’s nicht persönlich, Petey. Du weißt doch, dass sie sich nur Sorgen macht.“
„Ich weiß“, erwiderte Peter leise. „Aber dann kannst du ihr ja sagen, dass sie das nicht muss. Ich komme super zurecht.“ Er fälschte ein Lächeln.
„Petey…“
„Nein, wirklich“, sagte er und wich aus ihrem Arm um seiner Schulter aus, sodass Phyllis‘ Hand schlaff an ihre Seite fiel. „Richte Mum aus, dass ich sie schon stolz machen werden.“
Phyllis zog eine Grimasse. „Du weißt genau, dass sie das bereits ist.“
„Tut mir leid, ich muss weiter. Der nächste Unterricht, du weißt ja –“ Peter eilte an seiner Schwester vorbei und war fest davon überzeugt, allein ins Schloss zu laufen, aber wurde in der Eingangshalle von Marlene und den anderen eingeholt.
„Alles okay, Pete?“, fragte Marlene leise.
„Alles bestens.“
„Du sahst sehr gekränkt aus“, meinte Emmeline vorsichtig.
„Wirklich, es ist alles gut.“
„Du kannst ruhig ehrlich sein“, sagte Benjy. „Sowas muss dir nicht –“
„ES IST ALLES GUT, OKAY!?“, rief Peter laut und gereizt aus und war einen Augenblick später selbst von sich überrascht. Er machte einen Schritt von seinen Freunden weg und blickte schamvoll zu Boden. „Tut mir leid“, murmelte er.
„Das muss es nicht“, sagte Marlene mit sanfter Stimme. „Mein Bruder hat mich auch manchmal so aufgeregt, obwohl er sehr freundlich war und ich weiß, wie es ist, wenn man im Schatten des älteren Geschwisterkindes steht.“ Sie zog eine Grimasse, der von Phyllis nicht unähnlich. „Deine Schwester meint es sicherlich nicht böse, wenn sie von deinen guten Ergebnissen überrascht ist. Meine Mum hat mir auch schon fünf Briefe geschickt, wie stolz und alles sie doch ist, dass ich auch so gute Noten wie Marek schreibe, aber ich solle mich doch mehr in Verwandlung und Zauberkunst anstrengen, Marek hätte in meinem Alter wesentlich besser in diesen Fächern abgeschnitten.“ Sie verdrehte die Augen. „Eltern können manchmal richtig doof sein, wenn es um die Gefühle ihrer Kinder geht, nicht?“
„Schätze schon“, erwiderte Peter und wischte sich über die Augen. Die Haut an seiner Lippe war aufgerissen, als er sich zu sehr gebissen hatte. „Danke, Marlene. Benjy, tut mir leid, ich wollte nicht –“
„Vergeben und vergessen, Pete“, erwiderte Benjy, bevor Peter seinen Satz beenden konnte. „Ehrlich, ich hab vielleicht nicht die größte Ahnung, was so Familiendrama angeht, aber ich weiß, wann jemand mal ordentlich schreien muss und ich glaube, du konntest das richtig gut gebrauchen.“ Er grinste, als Peter rot anlief. „Du solltest mal versuchen vom Astronomieturm zu brüllen. Danach geht es dir bestimmt besser.“
„Ich werd’s versuchen“, antwortete Peter.
Emmeline und Dorcas warfen ihm einen `Alles bereits wieder vergessen`-Blick zu, dann folgten sie den anderen drei die Treppe hinauf. Im siebten Stock gingen Emmeline, Dorcas und Benjy in die andere Richtung, um zum Ravenclawgemeinschaftsraum zu gekommen (irgendwann würde Peter schon herausfinden, wo der war) und Peter und Marlene bewegten sich zum Portrait der Fetten Dame.
„Und du verrätst wirklich gar nichts?“, fragte Marlene, als sie das Passwort genannt hatte. (Diesen Monat war es Phönixträne.) „Nicht einmal mir, deiner super guten Freundin Marlene?“
„Tut mir leid, Marls“, erwiderte Peter, nachdem er hinter ihr in den Gemeinschaftsraum geklettert war. „Es wäre unfair meinen Freunden gegenüber, wenn ich etwas verrate. Aber“, er beugte sich verschwörerisch vor, „ich kann dir sagen, dass es der Wahnsinn sein wird. Das willst du nicht verpassen.“
Marlene schnaubte und verschränkte die Arme. „Na schön. Behalt deine Geheimnisse, Pettigrew, eigentlich will ich es sowieso nicht wissen.“ Aber Marlene grinste, als sie zu Mary, Lily und Monty ging.
Peter gesellte sich zu Remus, der sein Buch beiseitelegte und ihn prompt zu einer Partie Zaubererschach herausforderte. „Oh, du wirst untergehen, Lupin.“
„Beweis es, Pettigrew!“