Lily Evans
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Mit einem Klicken brachte Lily den Plattenspieler dazu, die Platte anzunehmen und einen Augenblick später ertönte die wunderbare Musik ihrer Lieblingsband im Gemeinschaftsraum. Sie konnte die verwirrten Blicke der nicht-muggelstämmigen Schüler bereits sehen, als Fleetwood Mac begann, aber das kümmerte sie nicht viel. Sie hatte sich extra dafür gemeldet, die Musik für diese Party auszusuchen, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie einen weiteren Abend lang nicht überstanden hätte, bei dem nur Celestina Warbek gespielt hätte.
„Ohh, Mac!“, sagte Mary aufgeregt, die neben ihr aus dem Schlafsaal stolperte. Sie hatte die Hogwartsuniform abgelegt und sich in eine schickes, bauchfreies Top geworfen, sowie eine Jeans, die an den Beinen immer breiter wurde und Blumen in die Seiten gestickt hatte. Noch dazu hatten sie und Marlene sich Make-Up aufgetragen, sodass ein dunkler Rand ihre Augen noch besser betonte. Es war seltsam, Mary so zu sehen, weil es für Lily manchmal nicht verständlich war, dass sie alle älter wurden. Das war jetzt schon ihr drittes Jahr an Hogwarts. Das dritte Jahr, das sie mit Mary und Marlene verbringen würde. Sie wusste gar nicht mehr, wie es war, nicht mit den beiden zu sein.
„Dad hat mir die neue Platte gekauft“, erklärte sie grinsend. Lily fühlte sich neben Mary ziemlich unterkleidet. Sie hatte sich lediglich ihres Umhangs entledigt und ihr Hemd an den Ärmel hochgekrempelt, sowie ihre widerspenstigen Haare in einen raschen Zopf gebunden. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, sich irgendwie Make-Up aufzutragen, zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, den Plattenspieler zum Funktionieren zu bringen. Sie glaubte aber auch nicht, dass sie sich unbedingt schminken müsste – immerhin kannte sie alle, die zur Party kommen würden, sowieso schon und wenn es eines gab, für das Lily noch immer nicht bereit war, dann war es mit Jungs Tanzen. Schon gar nicht, wenn diese Jungs wie James Potter waren. Nein, Danke.
„Und ich hab meine zuhause gelassen, weil der Koffer nicht mehr zuging“, sagte Mary. „Mum hat die gesamte Sammlung, auch noch signiert! Sie hätte sie mir wahrscheinlich sowieso nicht geliehen, aber trotzdem.“
„Du kannst meine auch hören, wenn du willst.“
„Du bist ein Schatz.“ Mary legte die Stirn in Falten. „Hm.“
Lily, die es nicht gern hatte, wenn man ihr ins Gesicht starrte, wand den Blick ab. „Was ist denn?“
„Gar nichts, gar nichts“, erwiderte sie. „Es ist nur – ich meine, geht es dir gut?“
Überrascht blickte sie wieder zu ihrer Freundin. „Natürlich“, antwortete Lily. „Wieso sollte es mir denn nicht gut gehen?“
„Nein, ich meine, ich dachte nur, weil –“, Mary brach ab und presste die pinken Lippen zusammen. Sie senkte die Stimme und fügte an: „Es sieht aus, als hättest du geweint.“
„Oh.“ Bob Welchs samtige Stimme wehte um Lily, sang immer wieder wiederholend das Outro ihres Lieblingsliedes, während Lily nicht anders konnte, als Mary anzustarren, die sie besorgt betrachtete. Sie hätte nicht gedacht, dass Mary es ihr ansehen konnte. Lily hasste es, dass Mary es sofort erkannt hatte. Lily hasste es noch mehr, dass sie überhaupt geweint hatte. Nicht nur, dass sie den Anfang ihres dritten Jahres direkt mit Tränen ruiniert hatte, nein, sie musste auch noch das Klischee erfüllen, das Mädchen immer wieder bei jeder Kleinigkeit anfangen würden zu heulen. Dabei hatte sie lediglich Severus gesehen, der am Slytherintisch vollkommen entspannt mit seinen eigenen Freunden gegessen hatte und die ganze Feier über keinen Blick in ihre Richtung geworfen hatte. Gerade darüber hätte sie nicht weinen sollen, aber es hatte weh getan. Es hatte weh getan, weil sie nicht wusste, was sie erwartet hatte und trotzdem enttäuscht wurde, als er sich nicht dazu aufgerafft hatte, sich bei ihr zu entschuldigen.
„Lily, was ist?“, fragte Mary noch immer besorgt klingend.
„Es ist nichts“, erwiderte Lily. „Wirklich, das ist – das ist wirklich nicht der Rede wert. Es war nur –“ Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie froh, dass James und Sirius genau diesen Moment nutzten, um zurück aus ihrem Schlafsaal zu kommen und ihr Erscheinen selbstverständlich lautstark zu verkünden mussten. Sie lächelte Mary entschuldigend an, auch wenn sie wusste, dass Mary es nicht einfach fallen lassen würde. Dafür war sie eine viel zu gute Freundin.
„Evans!“, rief Sirius mit ausladender Handgeste aus, wodurch er selbstverständlich die Aufmerksamkeit des gesamten Gemeinschaftsraums auf sich zog. „Du hast die Musik zum Laufen gebracht! Ich wusste, auf dich kann man sich verlassen.“
„Im Gegensatz zu dir habe ich nämlich Geschmack“, erwiderte sie ebenso laut.
Sirius fasste sich theatralisch ans Herz. „Du wagst es, mir sowas ins Gesicht zu sagen? Ich bin schockiert. Absolut schockiert, Evans.“
So sehr sie sich auch dagegen wehrte, manchmal konnte sie nicht anders, als über die Unsinnigkeit von Sirius zu lachen. Sie verdrehte die Augen. „Ja, Ja, Black.“
„Wer singt das?“, fragte James, als er und Sirius neben ihr und Mary stehen blieben. Er wippte langsam mit dem Fuß.
Unnötigerweise war er über den Sommer so groß geworden, dass Lily den Kopf in den Nacken legen müsste, wenn sie ihm ins Gesicht sehen wollte. Was sie offensichtlich nicht wollte. Stattdessen tat sie so, als würde sie den Stapel an Platten sortieren. „Fleetwood Mac. Eine Muggel-Band. Du wirst sie nicht kennen.“
„Nö, aber ich mag den Song“, erwiderte er lachend. „Der ist echt gut.“
Lily unterdrückte den Drang ihm zu erzählen, dass der Song Revelation nicht nur echt gut war, sondern verdammt noch mal die beste Erfindung, seit es Musik gab. Er würde es sowieso nicht verstehen, soviel war sie sich sicher. „Dann besteht doch noch Hoffnung für dich“, sagte sie stattdessen.
„Vielleicht kannst du mir Nachhilfe in Musik geben“, meinte James locker, ehe er sich an die Wand neben sie lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt und ein Lächeln auf den Lippen.
„Wenn du mich bezahlst vielleicht“, erwiderte sie es vermeidend, zu sehr in seine Richtung zu blicken.
„Autsch, Evans. Ich glaube kaum, was ich da höre. Mary würde mir umsonst helfen, nicht wahr, Mary, Licht meines Lebens?“
„Das muss ich mir aber ganz genau überlegen“, sagte Mary. Aus dem Augenwinkel konnte Lily sehen, wie ihre Freundin lächelte und wollte am liebsten schreien. Sie hoffte, dass sie Mary mit einem Blick mitteilen konnte, dass sie nicht immer bei Potters Dummheiten mitmachen sollte, aber ihre Freundin mied es, in ihre Richtung zu sehen. Stattdessen sagte sie ein wenig zu laut: „Hey, wo ist Marlene eigentlich?“
„Sich umziehen, was sie uns vor zehn Minuten gesagt hat“, erwiderte Lily mit scharfer Stimme.
„Ah ja!“
„Meine Güte, Macdonald, fängt das mit dem Gedächtnisschwund jetzt schon an? Da muss man ja fast Angst haben, älter zu werden“, kommentierte Sirius, ehe er sich locker durch die schulterlangen Haare fuhr.
Lily fand es fast schon lächerlich, wie die beiden Jungs sich aufführten, mit versucht cooler Haltung und hochgekrempelten Ärmeln, als hätten sie irgendwas, was sie zeigen konnten. Sie hatte genau diese Art und diesen Stil bei den älteren Jungs schon gesehen, bei denen es wirklich gut ausgesehen hatte, aber bei James und Sirius sah es einfach wie zwei zu groß geratene Kleinkinder aus, die unbedingt die Großen nachmachen wollte. Sich das Lachen verkneifend antwortete Lily: „Wenn du weiter so tust, dann sorge ich dafür, dass du nicht älter wirst.“
„Wow, da ist jemand über den Sommer aber richtig entspannt geworden.“
„Im Vergleich zum letzten Jahr würde ich das fast schon als nett bezeichnen“, fügte James lachend an.
„Verpiss dich“, sagte Lily mit süßlicher Stimme. „Solange du in der Nähe bist, fühle ich meinen IQ stetig sinken.“
„So temperamentvoll“, kommentierte Sirius.
„Dann stimmt es wohl, was man mir über die Pubertät gesagt hat“, meinte James pfeifend.
Lily wirbelte herum, zog in der Bewegung ihren Zauberstab und deutete ihn auf James´ Brust. „Möchtest du es herausfinden, Potter?“
„Woah“, sagte er und warf die Hände in einer Defensivhaltung in die Luft. „Ganz ruhig, Evans, wir machen nur Spaß, wir wollen – “
„Ihr wolltet gerade gehen, glaube ich“, klinkte Mary sich ein, die Lily einen warnenden Blick zuwarf. „Sicher brauchen Remus und Peter eure Hilfe irgendwo.“
Sirius zischte leise. „Glaub ich aber auch. Komm schon, James.“ Er zog an James´ Arm, bis er ihn unter Lilys ausgestreckter Zauberstabspitze hervorgezogen hatte, dann verschwand er mit ihm in der Menge der anderen Gryffindors.
Mittlerweile war es soweit, dass die Party losgegangen war. Lily nahm den Stab herunter und verstaute ihn wieder sicher in ihrer Hosentasche. „Was sollte das denn?“, fragte Mary. „Ich meine, klar, James und Sirius sind nervig, aber –“
„Ich weiß“, unterbrach Lily sie. „Tut mir leid. Ich bin – ich wollte sie nur loswerden. Ich – Ich kann die jetzt nicht gebrauchen.“ Sie hatte es nicht bemerkt, als die beiden noch da waren, doch je länger sie in der Nähe von James und Sirius gewesen war, desto mehr hatte sie Severus vermisst. Er sollte eigentlich bei ihr stehen, er wollte Witze mit ihr reißen und versuchen, sie zu überreden, die Party zu verlassen, damit sie gemeinsam abhängen konnten. Aber er hatte nicht einmal versucht, mit ihr zu reden und Lily hatte es satt. Wieso konnten alle anderen besten Freunde sich immer so gut verstehen, aber sie und Severus mussten sich streiten? James und Sirius waren ein Herz und eine Seele, während Lily sich fühlte, als würde ein Teil von ihr fehlen, weil Severus nicht hier war.
Marys Miene wurde weicher. „Okay“, sagte sie leise. „Das ist okay. Komm, wir holen uns was zu trinken und sehen zu, dass Marlene nicht im Kleiderschrank verloren gegangen ist.“