James Potter
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Unter dem Vorwand, dass James Sirius einen neuen Quidditch-Umhang zeigen wollte, zog er ihn mit in den Schlafsaal und schloss die Tür.
„Seit wann bitte willst du mir deine Kleidung zeigen“, fragte Sirius mit verschränkten Armen, während er ihn kritisch betrachtete. „Nicht, dass du irgendwie Ahnung von Mode hättest.“
James schnaubte. „Du machst es einem Jungen manchmal wirklich schwer, dass er sich um dich sorgt. Also?“
„Also?“, wiederholte Sirius. „Also was?“
„Wie geht es dir, du Drachenhirn“, sagte James, bevor er Sirius gegen den Oberarm boxte. „Ich hab nur ein einziges Mal von dir im Sommer gehört und da hast du die Hälfte vom Brief durchgestrichen, noch hast du uns auf der Fahrt etwas erzählt. Also, wie geht es dir?“
Sirius zuckte mit den Schultern, bevor er sich gegen den Türrahmen lehnte. „Wie soll es mir schon gehen“, antwortete er. „Ich hab einen guten Jungen gespielt und meine Mum hat den Zauberstab nur ein paar Mal auf mich gerichtet. Alles in allem war es sehr erfolgreich.“
„Erfolgreich“, echote James, der sich auf sein Bett sinken ließ. „Manchmal werde ich aus dir nicht schlau.“
Seufzend erwiderte Sirius: „Mach dir nicht gleich ins Hemd, Potter. Der Sommer war in Ordnung. Ich habe mich zusammengerissen, so wie Remus und mein perfekter kleiner Bruder es immer wollten. Ich habe mitgespielt, habe die Unterrichtsstunden über mich ergehen lassen, damit ich etwas daraus ziehen kann. Hast du dir die Seiten nicht durchgelesen, die ich dir geschickt habe?“
„Doch, natürlich, aber ich weiß nicht, wie uns dutzende Verwandlungszauber weiterhelfen sollen. Es sei denn, du hast damit –“
„Du bist aber auch nutzlos“, meinte Sirius und stieß sich von der Wand ab. „Gib mir mal die Seiten.“
Mit zusammengekniffenen Augen bückte James sich, zog seinen Koffer unterm Bett hervor und wühlte darin nach den zusammengefalteten Pergamentseiten, die Sirius ihm im Sommer zugeschickt hatte. Als er sie gefunden hatte, reichte er sie seinem besten Freund.
Sirius zog seinen Zauberstab hervor, tippte auf das Pergament und sagte: „Finite.“ Ein schwacher Glanz ging von seinem Stab in seine Hand über. Das Pergament hatte sich auf den ersten Blick hin nicht verändert, doch als James einen genaueren Blick auf die erste Seite warf, stockte er.
„Hey, das ist –“
„Eine Anleitung für die Verwandlung in einen Animagus“, unterbrach Sirius grinsend, ehe er James die Seiten reichte. „Hab sie in einem alten Wälzer in der Bibliothek meines Vaters gefunden. Ich musste ihm vorlügen, dass ich total an Verwandlung interessiert wäre, damit ich es überhaupt ansehen durfte und dann hab ich die Seiten mit einem einfach Duplikations-Zauber vervielfacht und getarnt, damit niemand Verdacht schöpfen würde, wenn ich sie mitnehme. Mein Vater hätte mir das Buch nie gezeigt, wenn er wüsste, was ich wirklich damit vorhatte. Genial, oder?“, schloss er, als er sich neben James setzte, der wie gebannt auf die Seiten starrte.
„Das ist unglaublich“, erwiderte dieser mit leiser Stimme. „Ich hätte nicht gedacht, dass du – ich meine, ich dachte, das wären alles Verwandlungen, die du für ein paar Streiche ausprobieren willst.“
Sirius lachte. „Das vielleicht auch. Aber in erster Linie ging es mir um die Animagus-Sache. So können wir Remus endlich helfen, nicht?“
Als James den Kopf hob, war ein schwaches Glänzen in Sirius´ sturmgrauen Augen eingetreten. Er grinste, als hätte er bereits den Hauspokal gewonnen. „So können wir Remus helfen“, entgegnete James sprachlos. „Aber“, er blickte wieder auf das Pergament, „das ist wahnsinnig kompliziert. Allein für den Trank müssen wir monatelang warten, der muss, was steht hier? Tau, das für sieben Tage weder Sonnenschein noch Menschenfuß gesehen hat, wird der Phiole hinzugegeben, sowie das speicheldurchtränkte Alraunenblatt. Vergrabe die Phiole an einem lichtlosen Ort und sehe sie nicht einmal an, bis der nächste Donnersturm erscheint. Merlins linkes Hosenbein, man muss ein Alraunenblatt einen ganzen Monat lang im Mund behalten?“ James blickte auf, den Mund offen hängend.
Sirius hatte das Gesicht zur Grimasse verzogen. „Ich weiß, es ist ein echt kompliziertes Stück Magie. Ich – ich bin nicht sicher, ob wir überhaupt alle Zutaten hier bekommen. Diese Totenkopfmotte soll unglaublich selten sein, ich weiß nicht, wie wir den Kokon finden sollen. Und Alraunen sind auch nicht gerade in jedem Kräuterbeet zu finden.“
„Einen Monat?!“, fragte er erneut mit leiser, panischer Stimme. „Wie sollen wir das bitte hinbekommen?“
„Schön, dass du mir zugehört hast“, grummelte Sirius, bevor er sich die Pergamentblätter selbst schnappte. „Ich habe überlegt, das Blatt mit einem Klebezauber einfach unterhalb der Zunge zu befestigen“, sagte er. „Ich hab´s im Sommer schon mal ausprobiert und an sich hält es schon, aber … Essen wird damit schwierig. Und trinken. Und reden. Eigentlich alles.“
„Wie sollen wir das bitte geheim halten? Und wir können es zwischendurch nicht rausnehmen, oder – oder wir müssen von vorn beginnen?“
„Nicht nur das, wenn wir das Blatt rausnehmen und es an der Vollmondnacht wolkenbehangen ist, dann müssen wir es auch neu versuchen. Der Mond muss direkt auf die Phiole scheinen, wenn wir das Blatt mit dem Tau vermischen. Es ist … Merlin, es ist echt kompliziert.“
James dachte an seine eigenen eher passablen Zaubertranknoten, sowie Peter, der mit den meisten Tränken bereits überfordert war, wenn sie mehr als drei Schritte hatten. Aber er dachte auch an Remus, der während der Sommerferien erneut allein in seiner Verwandlung gewesen war, der die ganzen letzten Jahre immer allein gewesen war. Er musste es versuchen. Sie konnten Remus nicht weiterhin im Stich lassen. Und wenn sie dafür mit einem ollen Blatt im Mund herumlaufen mussten, dann würden sie es bei Merlins Bart auch tun. Remus riss sich selbst jeden Vollmond die Haut auf. Wenn er das überstehen konnte, dann könnten James, Sirius und Peter auch Animagi werden, ohne sich über die Herstellungsweise des Tranks zu beschweren. „Okay“, sagte James.
„Okay?“
„Wir machen es.“ James setzte einen gewinnenden Gesichtsausdruck auf. Einen, den er beim Quidditch geübt hatte und einen, von dem er wusste, dass er genau das aussagte, was er dachte.
Sirius allerdings blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an, als hätte James kurzerhand den Verstand verloren. „Natürlich machen wir es, du Kobold“, sagte er, bevor er James gegen den Arm boxte. „Meinst du, ich hätte mir all die Mühe gemacht und den Sommer über Black-Erbe gespielt, wenn ich jetzt kalte Füße bekommen würde, nur weil es kompliziert ist? Ich meine, das alles ist für Remus. Natürlich machen wir es. Da gibt es nicht einen Zweifel bei.“
Einmal mehr war James überrascht und erstaunt von Sirius´ unfassbarer Loyalität. Er wusste, dass Sirius immer für ihn da war, er wusste, dass Sirius der beste Freund war, den er je gehabt hatte, aber er war dennoch überrascht. Überrascht von der Intensität in Sirius´ Blick, mit der ihn sein Freund beinahe schon herausforderte, etwas dagegen zu sagen. Selbst wenn James etwas dagegen hätte sagen wollen, Sirius hätte ihn niedergemacht. Sirius hätte nicht dafür eingestanden, dass James den Schwanz einziehen würde. „Natürlich nicht. Ich meinte nur – ich dachte –“ James seufzte angestrengt. „Du hast Recht. Es gibt keinen Zweifel. Wir machen das für Remus.“
Sirius grinste ihn grimmig an. „Genau das wollte ich hören, Potter. Was glaubst du, wird Remus eher in Ohnmacht fallen oder in Tränen ausbrechen, wenn wir es ihm zeigen?“
„Ich hoffe gar nichts von beiden, er soll sich einfach nur freuen.“
„Langweiler.“ Sirius stand auf. „Wir können Peter morgen einweihen“, sagte er und verstaute die Pergamentseiten in seinem Nachtschrank. „Dann können wir auch klären, wie wir das alles angehen sollen.“
„Willst du es dieses Jahr schon machen? Glaubst du, wir bekommen das schon hin?“
„Warum denn nicht? Wenn es jemand schaffen sollte, dann ja wohl wir, nicht wahr?“
James erhob sich ebenfalls. „Ich dachte nur … keiner von uns ist wirklich zaubertränkebegabt und Remus können wir dabei schlecht um Hilfe bitten.“
Sirius schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Wir brauchen doch keine Hilfe dabei. Sind wir die Rumtreiber, oder nicht? Es gibt nichts, was wir nicht können. Der Zaubertrank kann noch so kompliziert sein, wir schaukeln den schon. Zur Not wiederholen wir ihn einfach immer wieder, bis es klappt. Aber ich werde Remus nicht länger im Stich lassen.“
„Hast Recht“, sagte James lächelnd. „Für Remus kann das gar nicht kompliziert genug sein.“
„Apropos Remus, er und Pete müssten wahrscheinlich bald wieder hier sein. Wir sollten wieder runtergehen, sonst denkt man noch, ich hätte dich in deinem neuen Quidditch-Umhang erwürgt.“