Sirius Black
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„Ich hab das Gefühl, wir brechen gerade jede Schulregel, die jemals aufgestellt wurde“, sagte James aufgeregt klingend.
„Mach dir nicht gleich ins Nachthemd, du Kleinkrimineller“, entgegnete Sirius augenrollend. „Solange nachts im Schloss herumgeistern nicht zu Vandalismus, schwarzer Magie und dem Mitbringen von als gefährlich eingestuften magischen Wesen gehört, haben wir noch ein paar Regeln vor uns.“
„Ich bin überrascht, dass du überhaupt so viele Regeln kennst“, meinte Remus im Flüsterton hinter ihm.
Sirius drehte sich grinsend um. „Das hab ich meinem guten Kumpel Filch zu verdanken. Wenn er mich nicht die Schulregeln hätte abschreiben lassen, dann wüsste ich immer noch nicht, dass man keine Dungbomben in die Kerker werfen dürfte.“
„Weil dich das ja auch davon abhält“, murmelte Peter.
„Selbstverständlich tut es das nicht, Pete, ich bin ein gefährlicher und wahnsinnig gerissener Zauberer“, antwortete Sirius, bevor er sich wieder nach vorne drehte. „Aber solange Filch jetzt glaubt, ich hätte aus meinen Fehlern gelernt …“
„Wenn wir doch nur so glücklich wären“, sagte Remus leise, aber Sirius ignorierte ihn.
Das Schloss war kalt und ausgestorben. Außer der Fetten Dame, die sie bei ihrem nächtlichen Ausbruch geweckt hatten, hatten sie bisher niemanden gesehen, der sie hätte verpfeifen können. Um ihre Zeit auch sinnvoll nutzen zu können, hatten sich die vier Rumtreiber ein weiteres Mal aufgemacht, um die Hallen und Gänge von Hogwarts des Nachts zu untersuchen, bewaffnet mit Pergament und Federkiel, damit sie auch all ihre Entdeckungen aufschreiben konnten.
Sirius konnte es kaum erwarten. Seine Hände zitterten und er konnte sich kaum ruhig halten; es juckte ihn überall, dass er endlich einen geheimen Raum oder Gang finden würde, mit denen sie es den Slytherins heimzahlen konnte, die beim letzten Quidditchspiel Ravenclaw so sehr in den Boden gestampft hatten, dass sie nun an erster Stelle der Punktetabelle standen. Gryffindor musste nun die nächsten beiden Spiele haushoch gewinnen, damit sie überhaupt noch eine Chance auf den Quidditch-Pokal hatten und Sirius war sich sicher, dass James es sich selbst vorwerfen würde, wenn sie es nicht schaffen würden. Der Junge war viel zu besessen von Quidditch, als dass es gut für ihn wäre.
In der Dunkelheit der Nacht, war es aufregender und atemberaubender denn je, durch die lichtlosen Korridore zu schleichen, vorsichtig in die Entfernung zu spähen, ob dort eine leuchtende Zauberstabspitze brannte oder nach Schritten zu lauschen, die im Echo ihres eigenen Atems untergehen würden. Sirius war aufgeregt wie noch nie, noch aufgeregter, als er letztes Jahr beim ersten Halloween-Fest war. Er war sich sicher, dass sie diese Nacht fündig werden und damit das Schloss noch besser kennenlernen würden.
Er konnte es in seinem Blut spüren, in der Art, wie sein Puls gegen seine Haut drückte.
Sicher spürte James es auch, der mit eiligen Schritten vor ihnen lief und den Weg sicherte. Er hatte den Zauberstab in der einen und den Federkiel in der anderen Hand, während er ein hastig zusammengefaltetes Stück Pergament in die Tasche seines Umhangs gestopft hatte. Immer, wenn sie um eine Ecke gehen musste, ließ er sie alle anhalten, bevor er als erstes vorsichtig um die Wand spähte, damit sie nicht in einen Vertrauensschüler oder Mrs. Norris liefen, die, in Sirius´ Meinung, unnötigerweise nachts die Korridore patrouillierten.
„Vorsicht“, zischte James, ehe sie alle in ihren Schritten stockten. „Ich hab was gehört.“
Sirius spitze die Ohren, konnte aber nichts, außer ihrem eigenen Atem vernehmen. „Ich hör nic-“, weiter kam er nicht, denn eine Hand drückte ihm den Mund zu.
„Psst“, murrte Remus in sein Ohr, der ihm die Hand auf den Mund gelegt hatte. „Ich höre es auch. Schritte.“
Ein unverständliches Brummen entkam Sirius´ Kehle, als er erwidern wollte, dass er immer noch nichts gehört hatte, aber Remus ließ ihn mit einem Blick verstummen.
„Werwolf-Gehör“, sagte der Junge, bevor er ein rasches Grinsen zeigte. „Die Schritte sind unter uns.“
„Praktisch“, hauchte James beeindruckt klingend. „Aber ich hab sie auf dieser Ebene gehört. Sie kommen auf uns zu.“
„Mist“, murmelte Peter, bevor er an Remus´ Umhang zog. „Da!“ Mit dem ausgestreckten Arm deutete er auf das Ende des Gangs, aus dem sie gerade gekommen waren. Hinter der Decke, kaum zu sehen im Mondlicht, wanderte ein schmaler, gelblicher Fleck über den Boden, der mit jeder verstrichenen Sekunde größer wurde.
„Verdammt“, brummte James.
Sirius wischte Remus´ Hand endlich von seinen Mund. „Da rein“, sagte er leise.
„Zu auffällig“, erwiderte James kopfschüttelnd, als er Sirius´ Blick zum Klassenzimmer gefolgt war. „Wenn das ein Vertrauensschüler ist, gucken die da doch sofort nach.“
„Moment“, Remus zückte seinen Zauberstab, bevor er damit auf die Tür des Klassenzimmers zeigte. „Rein, schnell.“
„Hast du nicht gehört, was ich –“, fing James an, wurde aber von Remus unterbrochen.
„Rein da“, zischte er in einer Weise, die keine Widerworte zuließ.
James ließ die Schultern sinken, bevor er sich seinem Schicksal ergab und in den Klassenraum lief. „Wenn wir erwischt werden, dann schieb ich die Schuld auf dich, Lupin“, flüsterte er, als Remus hinter ihm die Tür schloss.
„Schon klar“, murmelte Remus. „Sieh zu und lerne, Potter.“ Den Stab richtete er auf die gerade geschlossene Tür, dann sagte er: „Duro!“ Ein kaum erkennbares gräuliches Licht verließ Remus´ Zauberstab, traf auf die Tür und – bewirkte augenscheinlich rein gar nichts.
„Ich bin beeindruckt“, sagte Sirius trocken.
„Klappe“, entgegnete Remus. „Wenn ihr in Zauberkunst aufgepasst hättet, dann wüsstet ihr, was dieser Zauber tut.“
„Ich habe bessere Dinge zu, als Flitwick zuzuhören“, meinte Sirius. „Außerdem kann der Zauber nicht so großartig sein, wenn –“, er verstummte, als eine Stimme vor der Tür zu hören war.
„Was zum – Alohomora.“
Sirius hielt den Atem an und drückte sich von der Tür weg, während Remus gänzlich gelassen wirkte. Er warf ihm einen irritierten Blick zu, doch sein Klassenkamerad grinste nur.
„Warum geht diese Tür nicht auf?“, ertönte die genervte Stimme eines Vertrauensschülers auf der anderen Seite. „Alohomora!“ Stille. Nur ihr Atem in der Luft. Dann: „Oh. Verstehe.“ Der Schüler auf dem Gang ließ einen tiefen Seufzer von sich, bevor sie hören konnten, wie er weiterlief. Das Echo seiner Schritte verklang so schnell, wie es gekommen war.
„Wie hast du das gemacht?“, hauchte Peter beeindruckt, der sich zur Tür vorgeschlichen hatte. Er rüttelte am Türgriff, doch nichts bewegte. „Die bewegt sich ja kein Stück!“
Remus lächelte selbstgefällig, was Sirius dazu veranlasste, zu schnauben. „Finite“, sagte der Junge mit dem Zauberstab auf die Tür gerichtet. „Ein Versteinerungs-Zauber“, erkläre er dann. „Den hat Flitwick in der letzten Stunde kurz erwähnt und ich hab mich dann ein wenig schlau gemacht. Ziemlich praktisch, um Gegenstände wie Stein wirken zu lassen und Vertrauensschüler im Glauben zu lassen, sie wäre gerade auf eine Trick-Tür reingefallen.“
„Genial“, sagte James, der Remus auf die Schulter klopfte. „Es tut mir leid, dass ich jemals an dir gezweifelt habe, mein Freund.“
„Vergeben und vergessen.“
„Es ist also doch praktisch, ab und an im Unterricht aufzupassen“, erwiderte Sirius, bevor er Remus gegen die Schulter boxte. „Aber solange ich dich habe, muss ich mich nicht selbst dazu zwingen, nicht wahr?“
Remus warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Vielleicht helfe ich dir nächstes Mal einfach nicht mehr bei deinem Aufsatz, wenn du ihn wieder bis zur letzten Minute aufgeschoben hast“, meinte er achselzuckend.
„Ah, aber wer würde dann für dich die Zaubertrankhausaufgaben lösen?“, fragte Sirius neckend und sah sich bereits als Gewinner der Unterhaltung, als Remus´ Lippen sich zu einem diebischen Grinsen formten.
„James würde mir helfen“, sagte er süßlich. „Und Lily natürlich.“
Sirius spürte, wie seine Wangen heiß wurden. „Verräter“, murmelte er in James´ Richtung, der so dreinschaute, als hätte er keine Ahnung, was überhaupt passiert wäre.
Die Rumtreiber verließen auf Zehenspitzen das Klassenzimmer, wobei sie darauf achteten, die Tür nicht allzu laut in die Angeln fallen zu lassen. James ging erneut an der Spitze und, an der Ecke, winkte er sie freudig weiter. „Freie Fahrt“, sagte er.
„Freie Fahrt?“, erwiderte Sirius zweifelnd. „Was soll das denn bedeuten?“
„Ein Muggelspruch“, meinte James grinsend. „Hab ich bei Evans aufgeschnappt.“
Sirius verdrehte die Augen, aber sagte nichts. Was auch immer James und Evans´ Beziehung zur Zeit war, manchmal war Sirius sich sicher, dass er es gar nicht wissen wollte. Entweder die beiden unterhielten sich höflich auf dem Weg zum Klassenzimmer miteinander, als wären sie allerbestens Bekannte, die sich zufällig begegneten, oder sie schrien einander über den halben Gemeinschaftsraum an, sodass Frank drohen musste, ihnen beiden Nachsitzen aufzubrummen. Es gab kein dazwischen bei diesen beiden. Sirius wurde nicht schlau aus James und Evans. Hoffentlich musste er das auch nie.
Der Weg vom vierten in den dritten Stock war ereignislos. Eine Rüstung, die am Ende der Treppe lauthals gequietscht hatte, hätte Remus fast vor Schreck die Stufen runterfallen lassen, hätte James ihn nicht am Kragen gepackt und einmal war sich Sirius sicher, dass er den geisterhaften Schleier der Grauen Dame gesehen hatte, die durch die Wand verschwunden war, ansonsten waren sie erneut vollkommen allein.
„Sind die Schritte noch zu hören?“, fragte James leise. „Die, die du oben gehört hast?“
Remus, der erst die Stirn gerunzelt hatte, hielt jetzt inne und lauschte. Für Sirius war es totenstill, aber dann wiederum hatte er auch kein Wolfgehör. „Schritte nicht mehr“, sagte Remus langsam. „Dafür … ich bin nicht sicher, was es ist, aber jemand ist auf jeden Fall auf dem Gang. Ich glaube, hinter der Ecke.“
„Sollen wir uns das ansehen?“, flüsterte Sirius.
„Was, wenn es schon wieder ein Vertrauensschüler ist?“, erwiderte Peter leise.
„Wenn wir runter in die Kerker wollen, dann müsse wir da aber lang“, meinte James. „Ansonsten war die ganze Aktion nutzlos.“
„Warum müssen wir in die Kerker?“
„Um Geheimgänge zu finden, damit wir es den Schlangen heimzahlen können. Duh.“
„Nein, ich meinte, warum müssen wir heute unbedingt in die Kerker? Das Schloss hat mehr Etagen, weißt du. Wir können auch einfach diese Ebene durchsuchen“, entgegnete Peter.
James blickte ihn für einen Moment an, als hätte er den Verstand verloren, dann hellte sich seine gesamte Miene auf. „Ha! Genialer Einfall, Pete.“
Peter betrachtete ihn mit einem unbeeindruckten Gesicht. „Sag mir nicht, dass du nicht selbst darauf gekommen bist, James.“ Kaum merklich schüttelte er den Kopf. „Und alle sagen, du wärst der Schlaue …“
„Hey, ich bin schlau!“, meinte James beleidigt klingend.
„Klar, Kumpel, aber Pete hat Recht“, erwiderte Sirius und klopfte seinem besten Freund auf die Schulter. „Das war schon echt dumm.“
„Leise“, zischte Remus sie plötzlich an. „Ihr verratet uns noch, wenn ihr weiter so –“
„Ich hab euch schon längst gehört“, ertönte eine leicht nasal klingende Mädchenstimme. Sie kam von hinter der Ecke. „Was machst du schon wieder so spät aus dem Bett, Sirius?“
Sirius war sich nicht sicher, ob er es sich einbildete, aber die Stimme … die Art, wie sie sprach und die leicht hochgestochene Weise, die Wörter zu ziehen, die kam ihm sehr bekannt vor. Er runzelte die Stirn und fragte: „Zissy?“
„Nutz nicht diesen schrecklichen Namen, Sirius“, erwiderte seine Cousine, bevor sie tatsächlich um die Ecke kam, einen langen Mantel um die Beine schlagend, die hellblonden Haare unordentlich zusammengebunden, sodass sie wie ein dicker Knoten auf ihrer Schulter lagen. Schatten lagen unter ihren Augen, die selbst im wenigen Mondlicht gräulich-weiß glänzten. „Was macht ihr hier?“
„Was machst du hier?“, stellte Sirius die Gegenfrage. „Es ist mitten in der Nacht.“
„Wirklich? Das wäre mir gar nicht aufgefallen“, sagte sie gestochen scharf. Sie warf einen kühlen Blick auf Sirius und seine Freunde, die sich hinter ihm aufhielten. „Geht zurück in euren Schlafsaal oder ich verpfeife euch an Filch.“
„Wo warst du?“
Narzissa verengte die Augenbrauen, bevor sie einige Schritte vor ihnen stehenblieb. „Wer sagt, dass ich irgendwo war? Ich konnte nicht schlafen, also bin ich –“
„Durch den Matsch gelaufen?“, unterbrach Sirius sie und deutete mit dem Finger auf ihre Stiefel, die unter dem Mantel hervorlugten und in der Tat matschige Abdrücke auf dem Stein hinterlassen hatten.
Ihre Miene verhärtete sich noch mehr. „Ist es verboten, draußen einen Spaziergang zu machen?“, fragte sie mit eisiger Kälte in der Stimme. „Oder dürfen das nur freche kleine Zweitklässler machen, die denken, die ganze Schule wäre ihr Spielplatz?“
Mit der Antwort hatte Sirius nicht gerechnet. Er öffnete den Mund, aber wusste nicht, was er sagen sollte, also schloss er ihn wieder.
Narzissa presste die Lippen zusammen. „Dachte ich mir. Jetzt zurück mit euch, oder –“
„Zissa, du hast deinen Schal vergessen! Zissa? Wo bist du hin?“ Eine weitere Stimme ertönte hinter der Ecke, dazu Schritte, die eilig näher kamen.
„Wie viele Leute können bitte in einer Nacht im Schloss herumwandern?“, murmelte James hinter Sirius, als Narzissa sich zu der Stimme umgedreht hatte.
„Verschwindet!“, zischte die ältere Slytherin sie an. „Verschwindet sofort!“