„Ich habe mich geirrt“, sagte plötzlich eine wohlbekannte Stimme hinter ihm und Darius fuhr erschrocken zusammen, bevor er sich verwirrt umdrehte.
Theresa stand in einem für diese frühlingshafte Jahreszeit fast schon lächerlich warmen, aber mit Sicherheit sündhaft teuren Kunstfellmantel vor ihm und grinste ihn mit vor der Brust verschränkten Armen herausfordernd an, „Es geht gar nicht um die Karriere, hm?“
Scheinbar hatte sie sich in der Zwischenzeit umgezogen und noch ein bisschen mehr zurechtgemacht, als sie es ohnehin schon täglich tat. Leuchtend rote Lippen, glitzernde Ohrringe und eine feine Hochsteckfrisur ließen vermuten, dass sie tatsächlich mit ihm ausgehen wollte.
Darius ging darauf gar nicht weiter ein, sondern starrte nur.
Er konnte sie unmöglich direkt nach der Arbeit ausführen, er hatte geschwitzt, sein Haar sah sicherlich katastrophal aus und ohnehin fühlte er die Erschöpfung gerade über sich hereinbrechen.
„Alfred Wunderlich also“, Theresa feixte über das ganze Gesicht und zwinkerte ihm keck zu, „Darum also auch das uralte Video heute Morgen, nicht wahr? Ich wusste doch, das ist genau dein Beuteschema!“
„So ein Unsinn“, sagte Darius und wandte den Blick rasch ab.
Er konnte förmlich spüren, wie ihm die Röte wieder ins Gesicht stieg, denn Theresa hatte vielleicht auch ohne es wirklich auszusprechen tatsächlich viel mehr ins Schwarze getroffen, als er ihr gegenüber zugeben würde.
Mit einem glockenhellen Lachen trat Theresa zu ihm und nahm ihn sanft am Arm, wobei sie noch immer so frech grinste und ihm ob seines säuerlichen Gesichtsausdruckes verschwörerisch zuzwinkerte.
„Na, dann nutze ich doch die vielleicht letzte Chance, die sich mir bietet, um mit dir auszugehen!“, flötete sie lieblich, „Ich hörte, du wolltest mich heute Abend ins Steirereck einladen?“
Darius hob wenig amüsiert eine Augenbraue.
„Ganz sicher nicht“, sagte er knapp, „Du wolltest reden, nicht essen.“
Theresa schüttelte lachend den Kopf und hakte sich bei ihm unter, bevor sie ihm einen zarten Kuss auf die Wange hauchte, den er nur mit einem Murren bedachte.
„Dann vielleicht die Blaue Bar?“, fragte sie.
„Meinetwegen“, sagte Darius zähneknirschend, „Wenn du mich wirklich derartig heruntergekommen mitnimmst, aber ich hafte nicht dafür, wenn sie mich so gar nicht hereinlassen. Und außerdem – du bezahlst!“
Theresa lachte wieder und zog ihn unbarmherzig mit sich, wobei sie ihm spielerisch in die Hüfte kniff. Er verzog ungnädig das Gesicht über diese Geste, aber Theresa lächelte nur sanft.
„Fein“, sagte sie, „Abgemacht! Aber du isst dafür auf, was ich dir bestelle. Du siehst nämlich aus, als hättest du seit mindestens drei Tagen nicht mehr als Kaffee zu dir genommen. Da kann ein Stück Torte nicht schaden!“
Darius verdrehte die Augen, kam aber gar nicht dazu, sich zu beschweren.
Theresa zog ihn unerbittlich am Arm weiter und schien kein bisschen darauf zu achten, wie er den Weg über vergeblich versuchte, sich diskret aus ihrem Griff zu lösen, der sich vielmehr wie ein Schraubstock als eine sanfte Geste anfühlte.
Er wusste gut, dass Theresa keine Widerrede duldete, wenn sie sich auf etwas eingeschossen hatte. Dennoch hoffte er zumindest halbherzig, dass sie von selbst auf den Gedanken gekommen war, dass es besser war, ihn nicht noch einmal auf Gabriel anzusprechen.
„Ferdinand lässt fragen, ob du morgen wieder zum Kaffee erscheinen wirst“, sagte Theresa fast beiläufig, als sie das Lokal betraten und er ihr zuvorkommend den Mantel abnahm, um ihn fein säuberlich an die Garderobe zu hängen, „Mich allerdings würde mehr interessieren, wie es dir bisher ergangen ist. Du lässt dir jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen und mir stellt sich nun auch die Frage, ob du überhaupt noch einen Kopf für die Wiener Klassik hast, wenn Alfred Wunderlich ihn dir so plötzlich verdreht hat!“
Sie trug darunter tatsächlich ein fast schon atemberaubend schönes Kleid, das er noch nie zuvor an ihr gesehen hatte und fast schon panisch suchte er instinktiv an ihrem körperlichen Erscheinungsbild nach irgendeinem Anhaltspunkt für einen etwaigen offiziellen Anlass.
„Bist du schwanger?“, flüsterte Darius vorsichtig, um sich den Schock der Nachricht durch diese Umsicht zu ersparen.
Theresa sah ihn empört an und stieß ihm den Ellenbogen mit einer knappen, dafür aber umso heftigeren Bewegung unsanft in die Rippen.
„Du bist ein ungehobeltes Ekelpaket, weißt du das?“, zischte sie, „Ich habe drei Kilo zugenommen, ja. Aber keine Sorge, von meinen nächtlichen, frustrierten Eskapaden am Kühlschrank wird schon nicht gleich ein Kind entstehen!“
Ohne Darius noch eines Blickes zu würdigen, setzte sie sich auf ein freies Sofa und studierte konzentriert die Karte. Vermutlich wollte sie ihm damit zeigen, dass eine solche Frage eher unangebracht gewesen und sie nun eingeschnappt war.
„Gibt es einen speziellen Grund, warum du neuerdings unter einer bipolaren Störung leidest oder hast du tatsächlich eingesehen, dass es dir nichts bringen wird, mich noch einmal auf dieses leidige Thema anzusprechen?“, fragte er schließlich ohne Umschweife, als er sich gegenüber von ihr ebenfalls am hübsch dekorierten Tisch niedergelassen hatte.
„Mit dir kann man sowieso keine vernünftige Unterhaltung führen!“, beschwerte sich Theresa, „Weshalb mache ich mir überhaupt die Mühe? Ich glaube, meine Finger und Zehen reichen auch gemeinsam genommen gar nicht mehr aus, um all die Angelegenheiten zu zählen, zu denen du dich noch nicht geäußert hast. Von unbeantworteten Fragen fange ich gar nicht mal an!“
„Du hast meine Frage eben genauso wenig beantwortet“, ließ Darius sie wissen.
Theresa verzog bitter das Gesicht, „Weil du immer nur ausweichst!“
„So kommen wir nicht weiter“, stellte Darius fest.
Theresa seufzte und blätterte kopfschüttelnd in der Karte, ehe sie diese an ihn weiterreichte.
„Mir ist dank deines unglaublichen Feingefühls die Lust auf Torte vergangen, ich nehme nur einen Kaffee. Such dir etwas aus, ich lade dich selbstverständlich ein“, sagte sie und wirkte mit einem Mal fast schon resigniert.
„Unsinn“, sagte Darius, „Du siehst bezaubernd aus!“
Sie hob eine Augenbraue und lächelte schwach.
„Weißt du“, begann sie leise, „Ich hatte mir das alles anders vorgestellt. Vielleicht bin ich tatsächlich so naiv wie du immer denkst, aber ich hatte mir ausgemalt, wie schön es sein wird, wenn du wieder hier bist!“
Darius wandte beschämt den Blick ab und kramte ausweichend in seiner Tasche nach der Handcreme.
„Und jetzt“, fuhr Theresa fort, „Jetzt hast du kaum Zeit und bist immer komplett gestresst, wenn ich dich doch mal zu Gesicht bekomme. Vielleicht sollte ich mich wirklich damit abfinden, dass es nie wieder so sein wird wie früher, aber-“
Sie stockte und klang wieder, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
„Ich habe dich so wahnsinnig vermisst, Darius!“, wisperte sie erstickt.
Er wusste einige Momente nicht so recht, was er tun sollte. Dann ließ er jedoch die Cremetube in der Tasche und nahm stattdessen Theresas Hand in seine, um sanft mit dem Daumen darüber zu streicheln.
„Ich bin froh, dass ich hier bin“, sagte er leise, „Und ich bin mir sicher, dass es nach diesem Konzert ruhiger wird. Es kommt gerade einiges zusammen, ich verspreche dir, es wird nicht so bleiben. Wir haben noch so viel Zeit, du musst mir noch so viel erzählen und wenn es dir wirklich wichtig ist, werde ich auch Gabriel anrufen. Spätestens nach dem Konzert.“
„Das versprichst du?“, fragte sie.
Darius nickte und versuchte sich an einem leicht zuckenden Lächeln.
„Ich wollte dir nicht zu nahe treten“, sagte Theresa und zog leicht die Nase nach oben, „Ich will mich weiß Gott nicht in deine Angelegenheiten einmischen und es tut mir leid, dass ich dich nicht einfach in Ruhe erstmal ankommen lasse. Es ist nur so schwer, zu akzeptieren, dass immer wieder alles nur auseinander bricht.“
Er schüttelte hastig den Kopf und drückte Theresas Hand fester.
„Nichts bricht auseinander“, versuchte er sie zu beruhigen, „Ich bin bei dir und hier bleibe ich. Das hoffe ich zumindest. Und wenn er sich nicht selbst wieder ein Bein stellt, kann ich meinetwegen auch Gabriel noch eine Chance geben, wenn es dir ein persönliches Bedürfnis ist.“
Theresa lächelte leicht, sah aber noch nicht überzeugt aus.
„Wir müssen zusammenhalten, Darius“, sagte sie, „Nicht nur wir beide, sondern alle drei. Und wenn du es nur für Mutter tust - Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie von all dem Streit und Hass wüsste. Sie würde-“
Theresa brach mittendrin ab, als ein adrett gekleideter Kellner an den Tisch trat und die Bestellung aufnehmen wollte. Schnell wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln, bestellte zwei Tassen Kaffee und ein Stück Sachertorte, wobei sie Darius einen warnenden Blick zuwarf.
Mit einem fast schon versöhnlichen Augenrollen entschied dieser sich dazu, sich nun doch noch einmal die Hände einzucremen.
„Nun“, wandte sich Theresa wieder an ihn, nachdem sie einige Male tief durchgeatmet hatte und wieder ein bezauberndes Lächeln auf ihren Lippen lag.
Und mit einem Mal wurde Darius bewusst, dass sie mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit weder launisch noch bipolar war, sondern einfach nur eine Meisterin des Schauspiels, die alle Sorgen und Nöte unerkannt unter einer strahlenden Fassade verbergen konnte.
„Berichte mir doch ein wenig von deinen letzten Tagen“, bat sie, „Ich bekomme gar nichts mehr mit und du weißt doch – ich bin furchtbar neugierig! Und auch wenn ich den Alfred noch kenne, so bin ich doch unheimlich gespannt darauf, zu erfahren, was du neuerdings in ihm zu sehen scheinst!“
„Ach“, sagte Darius schnell, „Das hast du komplett falsch aufgefasst.“
Theresa schmunzelte.
„Habe ich das?“, fragte sie herausfordernd, „Wir haben uns zwar eine Weile nicht gesehen, aber ich bin mir doch ziemlich sicher, dass ich diesen ganz speziellen Blick noch erkenne, mit dem du jemanden anhimmelst.“
Darius errötete merklich.
„Unsinn“, sagte er ärgerlich, „Das bildest du dir ein. Ich und jemanden anhimmeln? Also wirklich – ich bitte dich!“
Theresa nickte mit einem Augenrollen.
„Natürlich, natürlich“, sagte sie mit einem hintergründigen Lächeln.
Er beschloss, so schnell wie möglich das Thema zu wechseln.
„Die Proben laufen recht gut“, sagte er und schaffte es nicht, die Röte aus seinem Gesicht zu vertreiben, „Der Anfang war etwas holprig, aber davon hat dich sicherlich dein Ferdinand bereits in Kenntnis gesetzt. Wenn man bedenkt, dass er dir sicherlich ohnehin alles erzählt hat, gibt es auch überhaupt nicht viel vom Orchester zu berichten.“
Theresa schmunzelte wieder.
„Ich wollte mich nicht nach dem Orchester erkundigen“, sagte sie, „Aber ich werde mich wohl damit zufrieden geben müssen, dass du nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln bist.“
Sie sah ihn einige Momente lang direkt an und er meinte sogar, etwas Zärtliches zwischen all den Zweifeln in ihrem Blick zu erkennen.
„Ich mache mir Sorgen, Darius. Bitte versprich mir, dass du in Zukunft besser auf dich achtest!“
Nun war er es, der wieder mit den Augen rollte.
„Du machst dir sowieso immer Sorgen!“, beschwerte er sich.
Theresa lachte auf.
„Solange du mir genügend Grund dazu gibst, werde ich niemals aufhören, mir Sorgen zu machen. Das ist schließlich mein Job! Und nun, wo du hier bist, solltest du dich besser schnell daran gewöhnen.“
Darius hob amüsiert eine Augenbraue, aber er lächelte.
Tatsächlich konnte er sich das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht zwingen, selbst wenn er es gewollt hätte.
Nicht während Theresa geduldig und mit eiserner Sturheit am Tisch sitzen blieb, bis er vor ihren Augen das gesamte Stück Torte aufgegessen hatte. Nicht als er schließlich doch für beide selbst bezahlte, bevor sie eine Chance dazu hatte.
Und schon gar nicht, als er zuhause angekommen die Partitur mit der kleinen, bedeutsamen Notiz noch einmal kurz betrachtete, bevor er doch vollkommen erschöpft nach diesem viel zu langen Tag noch komplett bekleidet auf sein Sofa und fast sofort in einen tiefen, bitter notwendigen Schlaf fiel.
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