Es schien Darius ebenso schwer zu fallen wie Alfred, sich wieder voneinander zu lösen. Schließlich atmete er tief durch und entzog ihm fast entschuldigend die Wärme und Geborgenheit, um ihm ein schiefes Lächeln zu schenken.
„Vielleicht liegt es gar nicht daran, dass wir etwas falsch gemacht hätten“, begann Darius leise, „Vielleicht ist es einfach nur der falsche Zeitpunkt.“
Alfred zog leicht die Nase hoch und legte den Kopf schief.
„Ich- Ich stelle mir eine Beziehung oft als ein Haus vor“, versuchte Darius zu erklären, „Und wenn das Fundament wacklig ist, wird es nicht so sicher und beständig sein, wie man es sich wünscht. Natürlich kann man die Wände darauf noch so stabil bauen wie man möchte, sie werden Risse bekommen.“
Alfred seufzte leise. Darius meinte es sicher gut, doch es tat einfach weh.
„Damit möchte ich nicht sagen, dass keine gemeinsame Grundlage vorhanden ist“, langsam fing Darius an, sich um Kopf und Kragen zu reden, „Doch bevor man gemeinsam baut, sollten die jeweils persönlichen Baustellen zuvor zumindest in ihren Grundzügen bearbeitet sein. Und damit ich kann ich gerade nicht dienen.“
Alfred nickte betrübt.
Darius hatte recht. Natürlich hatte er recht.
Wenn Alfred es nämlich recht bedachte, konnte er selbst auch nicht reinen Gewissens behaupten, keine eigenen Baustellen mehr offen zu haben.
„Und- und wenn wir-“, begann er schließlich mit einem zaghaften Lächeln, „Und wenn wir einander Zeit geben, es langsam angehen lassen und dann von vorn beginnen, heißt das ja nicht, dass jetzt schon alles verloren ist?“
Darius schmunzelte leicht.
„Nochmal von vorn beginnen?“, fragte er zweifelnd.
Alfred zuckte verlegen mit den Schultern.
„Ich weiß doch auch nicht“, gab er zu, dann lächelte er schwach, „Aber ich möchte diesem Abschied die Endgültigkeit nehmen. Wer weiß, was die Zukunft bringt- und selbst wenn es zum Scheitern verurteilt ist, hilft es uns über die Zeit hinweg, in der wir ansonsten daran verzweifeln würden.“
Darius nickte leicht und seine Züge entspannten sich merklich.
Sein Blick wirkte unendlich sanft, als er sich für einen Moment umzusehen schien und dann mit einem feinen Lächeln auf dem Gesicht zu Alfred trat.
„Entschuldigen Sie“, wandte er sich an ihn und Alfred starrte ihn für einen Moment lang schockiert an, bevor er zu verstehen begann, „Kommen Sie öfters hierher? Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie schon einmal gesehen zu haben!“
Alfred schnaufte und wusste nicht ganz, ob er sich auf dieses Spielchen gerade einlassen konnte. Doch dann entsann er sich der wichtigsten Frage, die er sich doch in Zukunft in solchen Momenten stellen wollte:
Warum eigentlich nicht?
„Ich könnte schwören, Sie wiederum auch schon einmal gesehen zu haben“, scherzte er verlegen und fühlte sich ein bisschen dämlich.
Aber nachdem sie sich einander vorgestellt hatten und beide anschließend das Lachen nicht verkneifen konnten, dankte er Darius für diese eigentlich sehr alberne Idee, die ihre ausweglos scheinende Situation ein bisschen auflockerte.
Zumindest für den Moment. Aber weiter wollte er gerade auch nicht denken. Es dämmerte ihm erst, als Darius ihn scheinbar spontan ins Motto am Fluss einladen wollte und Alfred ob dieser Verabredung dankend zusagte.
Als sie eine halbe Stunde später an einem gemütlichen Tisch im Lokal saßen und nach der augenzwinkernden Frage nach dem Beruf des anderen schon kurz darauf komplett in eine Unterhaltung über ihre jeweilige Studienzeit vertieft waren, war Alfred sich beinahe sicher, dass dieses Gespräch sehr viel mehr war.
Es war eine zweite Chance.
Vielleicht fingen sie nicht von null an, doch hatten sie beide nun durch diese albern begonnene Spielerei die Möglichkeit, eben die Fragen zu stellen, die ihnen auf der Seele brannten, ohne dass der bedrohlich wirkende Satz „Wir müssen über alles reden“, im Raum stand.
Alfred erfuhr ohne tiefgreifende Fragen zu stellen, mehr über Darius, als er sich von diesem spielerisch aufgezogenen Gespräch erhofft hatte. Es motivierte ihn selbst dazu, ein paar mehr Details preis zu geben, als er für gewöhnlich tat und als der Kellner das jeweils zweite Heißgetränk an den Tisch brachte, waren sie quasi fast schon dazu übergangen, einander intime Geheimnisse anzuvertrauen.
Beide stockten, als der nette Herr die Kaffeetassen servierte und sahen einander peinlich berührt an. Alfred hatte vollkommen vergessen, dass sie gar nicht allein waren. Für ihn gab es wieder einmal nur Darius.
Der Mann, der ihm eben gestanden hatte, dass er schon mehrmals in stationärer psychotherapeutischer Langzeitbehandlung gewesen war. Der ihm aufmerksam dabei zugehört hatte, als Alfred die entschärfte Version seiner verflossenen Verlobung doch mit der Wahrheit richtig stellte, dass er Renate kurz vor der Hochzeit aus heiterem Himmel hatte sitzen lassen, weil er kalte Füße bekommen hatte.
Derselbe unmögliche Mann, der daraufhin sogar zugegeben hatte, eine heimliche Beziehung mit seinem damaligen Klavierlehrer begonnen zu haben, als er selbst noch nicht einmal volljährig gewesen war.
Sein Darius, der gerade noch lachend die Kerze auf dem Tisch angezündet und auf die Frage, ob er denn rauchte oder wieso er ein Feuerzeug bei sich trug, ganz verlegen mit den Schultern gezuckt hatte.
Darius, der den Kellner nun schließlich fragte, ob es irgendwie möglich sei, um diese Uhrzeit noch ein Croissant mit Marmelade serviert zu bekommen. Darius, der auf die Antwort des Angestellten hin, dass er mal schauen würde, ob da etwas zu machen sei, nervös in seiner Tasche kramte und Darius, dem der panische Schock ins Gesicht geschrieben stand, als der pflichtbewusste Mann gestand, dass die Frühstückszeit ja längst vorbei war, aber doch noch ein paar vom Vormittag übrig waren, die er gern nochmals aufbacken konnte, wenn es ihm denn nichts ausmachte, dass sie nicht komplett frisch waren.
Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und Alfreds Herz machte einen kleinen Hüpfer, als Darius tief durchatmete, einen Entschluss zu fassen schien und mit entschlossener Miene ihnen beiden eines bestellte.
„Der Mann denkt sicher, dass wir nicht mehr ganz bei Trost sind“, flüsterte Darius mit einem aufgeregten Lächeln auf dem Gesicht, als er weg war.
Alfred brauchte ein paar Augenblicke, in denen er Darius nur fasziniert mit großem Bewundern und so zärtlichen Gefühlen ansah, dass es fast weh tat, bis er schmunzelnd auf die Uhr blickte und zu bedenken gab, „Um diese Uhrzeit frühstücke ich für gewöhnlich aber tatsächlich nicht!“
Sie mussten beide lachen und ehe Alfred sich versah, berührten Darius‘ Finger sanft seine Hand, die er irgendwann gemütlich auf der Tischplatte hatte liegen lassen. Er streichelte sanft seinen Handrücken und Alfred musste sich beherrschen; mehr noch da sie in der Öffentlichkeit waren und am meisten da ein sanfter Kuss in der momentanen Situation eher unangebracht wäre.
„Du bist dran“, erinnerte er Alfred grinsend an die vorangegangene Konversation, in der sie die Geheimnisse sozusagen gegeneinander eingetauscht hatten.
Alfred räusperte sich und holte tief Luft.
„Ich-“, begann er zaghaft, aber der aufmerksame, fast schon herausfordernd wirknde Blick aus Darius Augen machte es schwer, sich überhaupt auf irgendetwas zu konzentrieren, „Ich muss noch etwas richtig stellen.“
Darius hob die Augenbrauen.
Alfred schnaufte, dann fasste er sich ein Herz.
„Ich habe bereits aufgehört zu singen, als die Diagnose noch nicht einmal im Raum stand“, gestand er und Darius sah ihn überrascht an, weswegen er meinte, sich rechtfertigen zu müssen, „Natürlich hatte meine Stimme bereits unter der sich anbahnenden Krankheit gelitten, aber um ehrlich zu sein-“
Alfred kratzte sich verlegen am Kinn.
„Ich habe nicht ertragen, stets im Schatten meines Vaters zu stehen. Ich habe nicht ertragen, immer mit ihm verglichen zu werden. Ich habe noch so viele Beispiele vernichtender Kritik im genauen Wortlaut in Erinnerung, dass ich ein Buch damit füllen könnte, ich-“, er atmete tief durch, „Mir ist bewusst, dass es das Bild, das die Leute vom tragischen Verlust meiner Stimme für die Welt der Musik haben, doch ein wenig trübt, aber- Zumindest dir bin ich die Wahrheit schuldig.“
Darius lächelte schwach.
„Du bist mir nichts schuldig“, sagte er sanft, „Und ich weiß, dass wir eigentlich abgemacht hatten, nicht allzu viele kommentierende Worte zu unseren Erzählungen zu verlieren, aber wenn du erlaubst-“
Alfred nickte und schmunzelte unsicher, „Tu dir keinen Zwang an.“
„Wie du bereits einmal angedeutet hast“, meinte Darius, „Was die anderen Leute sagen oder denken, ist bestenfalls nebensächlich. Wichtig ist, dass du vor dir selbst gerade stehen kannst und mit reinem Gewissen sagst, dass du diese Entscheidung damals so getroffen hast, weil du dich damit besser gefühlt hast.“
Alfred schluckte. Lange Zeit schwieg er, dann seufzte er tief.
„Du hast recht“, sagte er mit brüchiger Stimme, „Und das ist genau das Problem – denn genau das war nie der Fall und ist es auch heute noch nicht.“
Darius fasste ihn sanft an der Hand. Alfred atmete zittrig aus und klammerte sich geradezu an seinen Fingern fest.
„Ich glaube, es ist um einiges einfacher, es den anderen Leuten recht zu machen als mich selbst zufrieden zu stellen“, meinte er leise, „Und das aus den Augen zu verlieren ist wohl auch oft, womit ich mir selbst Steine in den Weg lege.“
Darius‘ Augen glänzten im Licht der Kerze, der flackernde Schein ließ seinen Blick intensiv und eindringlich wirken und Alfred konnte sich nicht von ihm lösen.
Darius streichelte sanft seine Hand und schenkte ihm ein zärtliches Lächeln, „Das mag sein. Eigentlich möchte ich dir auch nicht zu nahe treten, aber ich bin nicht gut darin, meinen Mund auf längere Dauer zu halten, wenn mir etwas wichtig ist – oder jemand. Wenn du also erlaubst, mich einzumischen-“
Alfred nickte zaghaft.
Er wusste nicht, was er erwartete. Was Darius dann aber sagte, ließ ihn derartig den Boden unter den Füßen verlieren, dass er sich sowieso niemals hätte darauf vorbereiten können.
„Ich möchte nicht soweit gehen und behaupten, dass es an mir liegt“, begann er, „Aber wenn ich mich daran erinnere, wie ich dich vor ein paar Wochen kennen lernte und wie du nun vor mir sitzt- Ich kann nicht einschätzen, ob du recht mit dem hast, was du in deiner Nachricht behauptet hast-“
Darius holte tief Luft.
„Dass du erst jetzt wieder begonnen hast, wirklich zu leben und wieder einen Sinn in allem zu sehen- oder ob du dich selbst aus den Augen verloren hast“, fuhr er fort und Alfred musste schlucken, „Was ich jedoch ganz sicher weiß, ist dass man sein Glück niemals von einem anderen Menschen abhängig machen sollte. Zwei Menschen können einander gegenseitig stützen, sicherlich- aber nur, wenn sie selbst zumindest ansatzweise fest am Boden verankert sind.“
Alfred kämpfte gegen die Tränen an.
„Was ich eigentlich sagen wollte“, Darius wirkte ernst und seine Stimme klang fast heiser, „Du bist ein wundervoller Mensch, Alfred. Ich glaube an dich. Ich glaube daran, dass du deinen Weg finden wirst – egal ob mit mir oder ohne mich. Ich glaube daran, dass du die Kraft hast, wieder zu dir selbst zu finden.“
Alfred unterdrückte ein Schluchzen.
Er hielt noch immer Darius`Hand fest als wäre sie sein einziger Halt.
„Du hast vielleicht den Mut verloren, überhaupt den Mund zu öffnen, aber nicht deine Stimme. Ich bin mir sicher, du kannst noch singen. Und ich glaube fest daran, dass du es eines Tages wieder tun wirst.“
Darius hob die freie Hand und strich Alfred sanft eine Träne vom Gesicht.
„Danke“, hauchte Alfred, „Ich danke dir von Herzen.“
Darius lächelte sanft und doch wirkte er unendlich traurig, „Du bist mir wichtig, Alfred. Nicht als Musiker, nicht als Freund, nicht als Liebhaber, sondern als Mensch. Und genau das ist der Grund, warum ich momentan wirklich nicht verantworten kann, dir eine gemeinsame Zukunft zu versprechen.“
Alfred schluckte und fasste all seinen Mut zusammen.
„Aber du wirst nach Wien zurückkommen?“, fragte er.
Darius lächelte schief, „Es ist unwahrscheinlich, dass ich in der Zwischenzeit einen neuen Wohnort und dort auch gleich eine Arbeitsstelle finde.“
Alfred seufzte leise. Er war nicht halb so erleichtert, wie er gedacht hatte.
Vielleicht lag es an der Art der Formulierung, vielleicht war er sich aber auch bewusst, dass er gerade weder so weit in die Zukunft denken konnte noch eine räumliche Nähe alles einfacher machte.
„Außerdem“, fügte Darius noch sanft hinzu, „Ich kann dich doch nicht allein bei den ganzen Chaoten hier lassen.“
Alfred musste lächeln. Dann holte er tief Luft.
„Darf ich dich etwas fragen?“, begann er dann zaghaft.
Darius schmunzelte, „Alles was du möchtest.“
„Dieser Mann!“, entfuhr es ihm dann wohl eine Spur zu heftig, denn Darius zuckte zusammen und blickte ihn entgeistert an, „Dahl- Wie auch immer, es interessiert mich nicht- Wer- ich meine was in aller Welt-“
Darius senkte den Blick und Alfred schluckte all seine Angst hinunter.
„Ich möchte dich um die Wahrheit bitten, Darius“, flüsterte er, „Liegt es an ihm? Ist er der Grund, warum du nicht mit mir zusammen sein kannst? Ist er- Ist er für dich mehr als-“
Mehrere Minuten lang herrschte Schweigen.
Alfred bemerkte, dass er am ganzen Leib zitterte, während Darius es wohl nicht übers Herz brachte, diese Worte auszusprechen. Doch das Fehlen einer Antwort sagte in diesem Moment ebenso viel wie eine lange Erklärung es konnte.
„Es ist nicht wie du denkst“, seufzte Darius schließlich leise.
Alfred hob eine Augenbraue, „Du weißt also, was ich denke?“
Darius schwieg betreten und wich seinem Blick aus.
„Willst du denn wissen, was ich denke?“, begann Alfred und bemerkte, dass er im Begriff war, sich furchtbar aufzuregen, „Ich kenne ihn nicht, das ist wahr. Ich weiß nicht, welche Beziehung ihr zueinander pflegt oder welche Vergangenheit euch verbindet. Tatsache ist, dass ich euch zweimal gemeinsam gesehen habe und in beiden Fällen ging es dir miserabel. Im Prinzip hat mir jedoch gereicht, wie Theresa ihn angesehen hat, um zu wissen, dass er nicht gut für dich ist.“
Darius schnaubte, beinahe klang es verächtlich.
Alfred biss sich auf die Lippe. Er musste sich zusammenreißen, um nicht sämtliche Beherrschung zu verlieren und mitten im Café in Tränen auszubrechen oder Darius eine von verzweifelter Eifersucht getriebene Szene zu machen.
Als Darius den Kopf hob, lag so viel Wut und Schmerz in seinem Blick, dass es nun Alfred war, der kurz wegsehen musste. Er konnte nicht einschätzen, was in dem hübschen Köpfchen vor sich ging, doch er ahnte, dass er mit der Antwort auf seine Fragen nicht klar kommen würden – ganz egal wie sie lautete.
Ihre Blicke trafen sich wieder und Alfred glaubte, dass die Art, wie sich Darius‘ Gesichtszüge verkrampften, wieder darauf schließen lassen musste, dass er recht mit all seinen Vermutungen hatte.
„Es liegt nicht an ihm“, sagte Darius leise, „Es liegt nicht an dir und mit ihm hat es streng genommen überhaupt nichts zu tun. Ich bin derjenige, der es nicht auf die Reihe bekommt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.“
Alfred lachte bitter auf.
„Und die Vergangenheit ist der Grund, warum es keine Zukunft gibt?“, fragte er und erkannte seine eigene Stimme kaum wieder, so energisch klang sie mit einem Mal, „Wenn du meine Meinung hören willst- Nein, alles was ich dazu zu sagen habe, erwähnte ich bereits in der Nachricht, aber-“
Alfred schnaufte tief durch.
„Entschuldige bitte“, sagte er leiser und schüttelte den Kopf „Ich- ich verhalte mich idiotisch. Ich sollte nicht über eine Situation urteilen, ohne die Details zu kennen, ich kann nicht einschätzen, was du meinst. Es ist nur, dass- dass-“
Darius streichelte zärtlich über Alfreds Hand.
„Du musst dich nicht entschuldigen“, meinte er leise, „Ich bin mir sicher, du möchtest weder irgendwelche Details wissen, noch sollte ich erwähnen, wie unangebracht sehr es mich erschüttert hat, von meiner Vertretung zu erfahren.“
Es dauerte einige Momente, bis Alfred verstand.
„Du- du hattest befürchtet, dass Renate und ich-“, platzte es aus ihm heraus.
Darius schmunzelte, „Klingt das so absurd? Immerhin habt ihr eine gemeinsame Vergangenheit miteinander, in der sie dir sehr viel bedeutet hat.“
Alfred dämmerte langsam, worauf Darius hinauswollte.
„Ich verstehe. Nein, ich würde gern verstehen“, begann er, „Davon abgesehen, dass ich dir jedoch sehr viel von dieser Sache bereits erzählte und du wiederum Dahl nie auch mit nur einem Wort erwähnt hast, hält mein Vater noch immer sehr große Stücke auf Renate, während Theresa-“
Nun war es Darius, der etwas gereizt schien.
„Es ist keine halbe Stunde her, dass ich dir die Geschichte erzählt habe! So fing es an, irgendwie ging es weiter und vor einigen Monaten bin ich gegangen, nun ist er plötzlich in Wien. Ende der Diskussion“, fasste er zusammen und Alfred stutzte.
„Du hast mir nicht von ihm erzählt“, verteidigte er sich, „Das wüsste ich!“
Darius schnaubte.
„Mein Klavierlehrer, als ich damals in Wien bei Theresa gelebt habe. Die Zeit, in der ich mit Jasper Sundström zur Schule gegangen, bin- Alfred, eben habe ich dir das lang und ausführlich erklärt und jetzt-“
Alfred sah ihn erschüttert an.
„Bitte was?“, fragte er.
Darius raufte sich das Haar, „Es ist nicht wichtig!“
Alfred schnappte einige Momente nach Luft.
Dass es wichtig war, lag auf der Hand. Er hatte nun zwei Möglichkeiten. Entweder er gab sich mit Darius‘ Versuchen, wieder auszuweichen, zufrieden und würde mit ihm einen schönen Abend verbringen, ehe sie sich sehr lange Zeit nicht mehr sehen würden. Oder er bohrte nach, nahm vielleicht in Kauf, dass sie streiten würden und Darius im schlimmsten Fall einfach gehen oder gar einen weiteren Zusammenbruch erleiden würde. Und so unvernünftig die zweitere Variante auch klang- Alfred schaffte es gerade nicht, die richtige Entscheidung zu treffen.
„Nochmal von vorn“, fasste er verbissen zusammen, „Dein ehemaliger Klavierlehrer ist plötzlich in Wien aufgetaucht, nachdem du ihn nach weiß Gott wie langer gemeinsamer Zeit verlassen hast, weil du hier Arbeit gefunden hast? Ich verstehe den Zusammenhang nicht ganz, denn wenn er zwischen uns steht, hört sich das für mich so an, als wäre eine Trennung nicht in deinem Sinne gewesen!“
Darius sah ihn an, als wolle er ihn jeden Moment erwürgen.
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder. Alfred bereute seinen Ausbruch schon, als Darius mit einem Mal sehr viel verletzlicher als angriffslustig wirkte. Als Darius wenige Momente später jedoch in erstickte Tränen ausbrach, war Alfreds Wut in tiefe Sorge umgeschlagen.
Ohne zu zögern stand er auf und gab dem Kellner, der gerade schon mit der Croissant-Bestellung ankam, ein diskretes Handzeichen, dass sie gleich wieder da sein würden. Er legte die Arme um Darius, half ihm aufzustehen und führte ihn sicher mit sich nach draußen.
„Entschuldige bitte“, schluchzte Darius, als er am Geländer der Terrasse lehnte und das Taschentuch in seiner Hand verkrampft umfasste, „Ich wollte nicht- ich wollte doch nur- Es tut mir so leid.“
Alfred hielt ihn sanft umfasst und streichelte seinen Rücken.
„Es ist doch alles gut“, flüsterte er, „Mir tut es leid. Ich hätte dich nicht in die Enge treiben sollen. Ich bin nur so wahnsinnig eifersüchtig. Das ist albern, ich weiß- Und du solltest nicht darunter leiden müssen.“
„Nein“, Darius schüttelte den Kopf und wischte sich energisch über das Gesicht, „Nein, es ist nicht wie du denkst. Die Wahrheit ist- ich meine.“
Er holte Luft und atmete zittrig aus.
„Ich denke, ich bin wieder an der Reihe, ein Geheimnis preis zu geben“, sagte er dann leise, schien in seinem Vorhaben plötzlich aber entschlossen.