„Erwartest du denn noch mehr Gäste?“, fragte Darius mit einem schockierten Blick auf den Tisch und Alfred kratzte sich verlegen am Kopf.
„Das nicht, aber-“, er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, dass es nicht ganz so peinlich wirken würde, „Ich dachte nur, wenn wir schon nicht a la carte speisen, sollte das Selbstbedienungs-Büffet in meinem privaten Sternerestaurant für solch einen hohen Gast wenigstens eine großzügige Auswahl bieten!“
Scheinbar hatte er mehr Glück als Verstand, denn mit dieser Aussage entspannte sich Darius‘ Mimik nicht nur sichtlich, er hatte wohl wieder auch genau seinen Humor getroffen.
Alfred meinte sogar, es mittlerweile unterscheiden zu können, ob er nur aus Höflichkeit lachte oder etwas so lustig fand, dass er gar nicht anders konnte. Und wenn Darius beim Lachen so wahnsinnig charmant den Kopf zurückwarf, wurde sowieso alles andere nebensächlich.
„Ich maße mir allerdings die dreiste Behauptung an, dass auf diesem wirklich zauberhaft angerichteten Büffet noch etwas fehlt“, meinte Darius und Alfred rutschte kurz das Herz in die Hose.
Erst als er schon panisch aus Angst vor seinem Versagen in Gedanken nochmal alles durchgegangen war, bemerkte er, dass Darius einfach nur ebenfalls gescherzt hatte und damit wohl die Papiertüte meinte, die er Alfred nun die Hand drückte.
„Was für ein Zufall, dass du ausgerechnet das dabei hast, was ich in meiner Zerstreutheit doch noch vergessen habe“, erwiderte er lachend.
Als er den Inhalt der Tüte in seinem Brotkorb verteilte, fiel Alfred mit einem Schmunzeln auf, dass Darius entgegen seiner eigenen Worte es auch sehr gut mit ihnen beiden gemeint hatte. Dass die Papiertüte groß war, hatte er ja schon gesehen, dass sie aber bis oben hin voll mit einer Auswahl an verschiedensten Backwaren war, ließ ihn vermuten, dass er einfach ähnlich wie Alfred beim Eindecken gedacht hatte, besser etwas mehr zu kaufen als am Ende zu wenig zu haben.
„Du dachtest wohl auch, dass wir noch Gesellschaft bekommen?“, fragte er grinsend und Darius lief rot an.
Bald darauf saßen sie sich zu zweit an einem fast albern reichlich gedeckten Tisch gegenüber und lachten einfach nur darüber.
„Wir könnten ja noch schnell einen telefonischen Hilferuf starten, damit uns die anderen Mitglieder des Orchesters unterstützen“, scherzte Alfred, „Andererseits aber wäre wohl gar nicht so viel Platz am Tisch, um genügend Menschen einzuladen, dass nichts mehr übrig bleibt.“
Darius grinste und zuckte mit den Schultern,
„Ich würde ja behaupten, dass wir sicherlich die nächsten zwei Wochen davon satt werden, aber andererseits wäre vieles nach einigen Tagen bestimmt auch ungenießbar!“, meinte er lachend.
So viele Köstlichkeiten einfach verderben zu lassen klang jedoch nach der schlechtesten aller Ideen und so gingen sie dazu über, kuriose Sandwichkreationen zu ersinnen, die man eventuell an einem improvisierten Stand vor der Oper für eine geringe Aufwandsentschädigung an die Passanten verkaufen könnte.
Letzten Endes entschieden sie sich dafür, die nach der eigenen Auswahl übrig bleibenden Brötchen allesamt nacheinander aufzuschneiden und mit reichlich Käse belegt Stück für Stück in Butterbrotpapier einzuwickeln, um sie später in ihrer Not als kleine Aufmerksamkeit ans Orchester zu verfüttern.
„Eigentlich ging ich ja davon aus, dass jeder sich selbst etwas mitbringt, wenn er nicht vor Ort etwas kaufen möchte“, meinte Darius lachend, als sie endlich fertig waren und sich nun dem eigenen Frühstück widmen konnten.
„Ach, die sind schneller weg als wir schauen können“, beteuerte Alfred mit einem Schmunzeln, „Allein Erwin wird sich trotz eigener Verpflegung mit einem einzigen nicht zufrieden geben. Und da wir so schlau waren und Käse statt Wurst genommen haben, kommen auch alle Vegetarier auf ihre Kosten!“
Darius ließ kurz grinsend den Blick über den Tisch schweifen.
„Das war sehr zuvorkommend von uns. Ich hätte jetzt zwar behauptet, dass du gar keine Wurst da hast und wir deswegen so entschieden haben, aber-“, meinte er belustigt, fiel sich dann aber überrascht selbst ins Wort, „Du bist Vegetarier?“
Alfred schnaufte amüsiert, während er ihnen beiden Kaffee eingoss und Darius ganz stolz nicht einmal Milch anbot, weil er sich das ja längst gemerkt hatte.
„Eigentlich nicht“, meinte er fast nachdenklich, „Aber jetzt wo ich überlege, habe ich wirklich selten Fleisch da. Ich könnte wohl auch komplett darauf verzichten, aber eine bewusste Entscheidung habe ich diesbezüglich nie getroffen.“
Darius nahm die Kaffeetasse dankend an, nippte kurz daran und verschluckte sich beinahe vor Lachen, „Ich schätze, der Kaffee hat mittlerweile wirklich nur noch etwa um die zwanzig Grad, aber- nein, bleib sitzen, das sind wir selbst schuld, darum wird der jetzt auch getrunken!“
„Was ist mit dir?“, fragte Alfred schließlich interessiert, musste sich beim Weiterführen eines scherzhaften Gedankens aber ein Lachen verkneifen, „Bist du Vegetarier oder am Ende doch ein Kaffeevampir, der ansonsten gar keine andere Nahrungsquelle mehr braucht, um für alle Ewigkeit am Leben zu bleiben?“
Darius sah ihn kurz wie vom Donner gerührt an, fast als fühlte er sich ertappt, dann lachte er scheinbar etwas verlegen und deutete auf das dekorative Croissant auf seinem Teller, das Alfred schon in Vergessenheit geglaubt hatte.
„Diese Taktik kenne ich schon, mein werter Graf Arabica!“, Alfred lachte, „Die meisten Menschen werdet Ihr durch das Alibi-Croissant sicherlich an der Nase herumführen, doch ich habe Eure wahre Identität längst durchschaut!“
Erst als Darius nur noch zerknirscht den Kopf schüttelte, kam Alfred der Gedanke, dass dieser Witz in punkto Albernheit dann sicherlich doch etwas zu weit ging, und Darius daran wohl nur kurz lustig gefunden hatte, wie sehr er selbst darüber hatte lachen müssen.
Seine nächsten Worte klangen allerdings fast auffallend kühl und für einen Moment fühlte sich Alfred vor den Kopf gestoßen. Dass er etwas Falsches gesagt haben könnte, hatte er bei so einem Vampir-Blödsinn wirklich nicht erwartet.
Aber Darius schien es überhaupt nicht mehr lustig zu finden.
„Lass mein Croissant besser meine Sache sein“, meinte er nämlich knapp und Alfred war einfach nur vollends verwirrt.
Scheinbar allerdings hatte er die Sache mit den albernen Witzen nun zu Genüge ausgereizt und musste sich wohl in Zukunft etwas Besseres als spontane Ergüsse von schlechten Humor einfallen lassen, um Darius zum Lachen zu bringen.
„Entschuldige bitte“, sagte Darius aber mit hochrotem Kopf, nachdem einige Minuten schweigend vergangen waren, „So war das wirklich nicht gemeint. Ich wollte nicht- Ich meine, ich dachte nur-“
Er stockte, biss sich auf die Unterlippe und Alfred sah ihn verwirrt an.
Dann legte sich ein unsicheres Lächeln auf Darius‘ Züge und er beugte sich leicht über den Tisch, um Alfred verschwörerisch zuzuraunen, „Wir halten nicht viel davon, wenn ein gewöhnlicher Mensch von der geheimen Existenz der Kaffeevampire erfährt. Daher hoffe ich sehr, dass diese Sache unter uns bleibt!“
„Selbstverständlich, werter Herr Graf“, sagte Alfred mit einem sanften Lächeln.
Irgendwie überkam ihn das Gefühl, irgendetwas nicht verstanden zu haben, was ihm eigentlich hätte auffallen müssen. Danach zu fragen schien ihm nach Darius‘ erster Reaktion aber nicht nur unangebracht, sondern auch dreist und über alle Maßen unhöflich, darum versuchte er, die verunsicherten Gedanken auszublenden.
Darius jedoch lachte längst wieder, „Nun haben wir zumindest schon einen Namen für das gemütliche Kaffeehaus, das wir in der Zukunft eröffnen wollten! Und die Arbeitsteilung bei der Sandwich-Herstellung läuft ja auch schon sehr gut.“
„Du belegst sie und ich esse sie?“, fragte Alfred grinsend.
Darius wies mit hochrotem Kopf lachend auf den Stapel an Brötchen, „Bitte, tu dir keinen Zwang an! Die anderen werden sicherlich etwas dabei haben.“
„Nein, im Ernst-“, begann Alfred und schnaufte amüsiert, „Eigentlich meinte ich, dass wir ein Kaffeehaus nach dir benennen wollten, aber die Idee, es zu eröffnen und selbst darin tätig zu werden, sollte die Musikerkarriere irgendwann doch nicht mehr zum Leben reichen, ist gar nicht mal so schlecht.“
Darius schüttelte lachend den Kopf, „Und ich dachte eigentlich, wir würden in diesem Fall dann doch in die Entenforschung wechseln.“
Eigentlich hatte Alfred das letzte Stück seines Käsebrötchens gerade noch mit einem Schluck Kaffee herunterspülen wollen, aber stattdessen prustete er los.
„Na, das kann man sicherlich kombinieren“, meinte er belustigt, „Wir brauchen lediglich einen ähnlich taktisch klugen Standort wie das Motto, dann geht das von allein! Unser erstes Forschungsprojekt wäre in dem Fall allerdings, die Enten ordnungsgemäß zu stimmen, ansonsten hättest du wohl keinen Spaß an der Sache.“
Darius lachte und Alfred war eigentlich gar nicht überrascht, dass er zwar regelmäßig neuen Kaffee nachgoss, das Croissant aber nach wie vor trotz allem Humor tatsächlich ein Alibi zu bleiben schien.
Es erklärte lediglich, warum Darius einen Moment lang gerade deswegen wohl keinen Spaß verstanden hatte. Dass er es nun überspielte, warf in Alfreds Kopf allerdings nur noch mehr Fragen auf.
Sie zu stellen kam ihm einer Frechheit gleich, doch für ihn ergab es keinerlei Sinn, zur bloßen Dekoration Croissants auf einen Teller zu legen. Diesmal hatte er dafür zwar wohl deutlich weniger bezahlt als im Café, trotzdem verstand Alfred nicht, wieso er dann überhaupt eins kaufte, wenn er es gar nicht zu essen gedachte.
Für einen Vampir mochte der Ausdruck „Alibi“ wohl noch taugen, für einen Menschen gab es allerdings absolut keinen Grund, den Verzehr eines Croissants vorzutäuschen. Entweder man aß es oder man aß es nicht, aber rechtfertigen musste man sich wohl für keinen dieser beiden Umstände.
Während Alfred sein zweites Brötchen mit dem letzten Rest Käse belegte, dachte er darüber doch um einiges tiefer nach als er eigentlich wollte.
Warum sollte Darius Ottesen, der garantiert nicht der spontan erfundenen Spezies irgendwelcher nichtexistenter Vampire angehörte, vorgeben zu frühstücken, obwohl ihm der Sinn nicht danach stand?
Da blieb dann nur noch eine Möglichkeit, aber dies zu vermuten wäre so selbstgefällig, dass Alfred es nicht einmal zu denken wagte. Dass er die Einladung nicht des Frühstücks wegen angenommen hatte, sondern einzig und allein, weil er eben gern Zeit mit ihm verbrachte, war das Einzige, was ihm dazu einfiel.
Es machte Alfred in diesem Moment einfach nur glücklich.
Sie sinnierten noch eine gute Weile über das gemütliche Lokal, dessen Eröffnung sie im Falle einer plötzlichen Arbeitslosigkeit oder wahlweise nach Beginn der Rente tatsächlich in Erwägung ziehen würden.
Alfred schlug noch mit vollem Mund vor, dass darin auf gar keinen Fall klassische Musik gespielt werden würde, sondern täglich eine neue Auswahl an Songs von ABBA und Queen die Gäste unterhalten sollte.
Dann fiel ihnen ganz beiläufig ein, dass sie irgendwann auch mal wieder auf die Uhr schauen könnten und das gemütliche Frühstück fand ein hektisches Ende.
Hastig räumten sie gemeinsam den Tisch ab, verstauten die restlichen Lebensmittel im Kühlschrank und packten die Sachen, die sie mitnehmen wollten.
„Du brauchst nicht abzuspülen. Ich besitze tatsächlich den Luxus einer Geschirrspülmaschine“, meinte Alfred noch und rettete das einsame Croissant von einem der bereits abgetragenen Tellern, mit denen Darius sich schon im Spülbecken zu schaffen machte.
Ihn davon überzeugen, als guter Gastgeber selbst das Geschirr darin einzuräumen konnte er allerdings nicht, denn Darius bestand darauf, sich nützlich zu machen, wenn er schon eingeladen wurde.
„Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich mich dieser Sache nun doch annehmen werde?“, fragte Alfred noch vorsichtig und deutete auf das übrig gebliebene Croissant in seiner Hand.
„Selbstverständlich“, Darius lachte etwas peinlich berührt und Alfred zuckte nur mit den Schultern, ehe er ein großes Stück davon abbiss und kauend nach seinen Schuhen suchte.
Sie fassten gleichzeitig nach der Tüte mit den Brötchen und als sich dabei ihre Hände berührten, zog Alfred seine eigene nicht sofort weg, sondern lächelte sanft.
Darius sah ihn an, wirkte kurz verwirrt, lächelte aber ebenso und räusperte sich.
„Halt mal kurz still. Du- du hast da was“, auf Darius‘ Wangen lag ein leichter Rotschimmer und schmunzelnd zupfte er mit der anderen Hand sachte ein abgeblättertes Stückchen Croissant von Alfreds Mundwinkel.
„So kannst du unmöglich zur Arbeit gehen“, meinte er leise.
Alfred konnte spüren, dass er rot angelaufen war; das Prickeln der zarten Berührung auf seiner Haut fühlte sich jedoch alles andere als peinlich an.
„Dann ist ja gut, dass ich dich habe“, sagte er noch leiser, während er eine rebellische Haarsträhne aus Darius‘ Stirn strich, die sich aus dem Scheitel gelöst hatte und ihm bestimmt die Sicht versperrte, würde er sich darum nicht kümmern.
Einige Momente sahen sie einander in die Augen und Alfred meinte, sein Herz müsste jeden Augenblick zerbersten, so heftig wie es ihm bis zum Hals klopfte.
Dann besann er sich jedoch, dass sie sich nun wirklich beeilen mussten, um die nächste Bahn noch zu erwischen.
„Wir müssen los“, sagte er, nahm die Tüte an sich und Darius griff hastig nach seinem Aktenkoffer an der Garderobe.
„Wollen wir uns diesmal ebenfalls verabschieden, um dann zu bemerken, dass wir doch denselben Weg haben?“, scherzte Darius, als Alfred die Tür öffnete.
Während er sie hinter sich zuzog, wandte Darius sich allerdings um, als hätte er noch etwas vergessen. Als Alfred es bemerkte, fiel sie gerade ins Schloss.
„Verzeihung, aber-“, begann er zögerlich, „Meine Jacke-“
Er sah auf die Uhr und fluchte leise, Alfred war schon im Begriff seinen Schlüssel herauszukramen, als Darius jedoch den Kopf schüttelte und in Richtung Treppe nickte, „Egal. Es ist warm genug draußen. Du kannst sie mir sicherlich morgen zur Arbeit mitbringen?“
Alfred schmunzelte und zuckte mit den Schultern.
Er war sicherlich immer noch hochrot im Gesicht und auch sein Herzschlag beschleunigte wieder merklich, als er in seinem Übermut nicht verhindern konnte, dass er genau das aussprach was er gerade dachte.
„Womöglich vergesse ich das allerdings bis morgen und du musst mich bedauerlicherweise noch einmal besuchen, damit du sie wiederbekommst“, meinte er.
Es klang viel weniger scherzhaft, als er es eigentlich hatte sagen wollen.
Darius war gerade im Begriff, die Treppenstufen hinter sich zu bringen, aber als er den Kopf wandte und Alfred ansah, meinte dieser, so viel mehr in seinem Blick zu erkennen, als er sich jemals hätte vorstellen können.
„Das wäre wirklich sehr bedauerlich“, sagte er mit einem sanften Lächeln, dann zwinkerte er ihm zu, „Dann hoffe ich doch sehr, dass du morgen in der Früh zu viele andere Dinge im Kopf hast, um an meine Jacke zu denken!“