Die Krankenschwester schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als Kristian ihn scheinbar sicher an seinem Arm geführt wieder zur Station brachte.
„Da lass ich Sie für ein paar Minuten aus den Augen- Ich hab’s eh kommen sehen!“, jammerte sie und wuselte schon geschäftig herum, um nach Verbandsmaterial zu suchen, „Stellen’s sich bloß mal vor, Ihr Lebensgefährte wär nicht zur Stelle gewesen, was dann? Ach herrje- Wenn das der Doktor sieht!“
Kristian reagierte souverän, ja er musste gar zuckersüß auf die Schwester wirken, wie er Darius sanft zum Bett führte und nah bei ihm blieb, um sanft über sein Haar zu streicheln, als wollte er ihn beruhigen. Er wandte sich lächelnd an die Pflegerin und winkte ab.
„Es ist ja alles noch einmal gut gegangen. An seiner Stelle hätte ich auch nichts lieber gewollt, als mal ein wenig frische Luft zu schnappen“, meinte er verständnisvoll und mimte den besorgten Liebhaber so perfekt, dass Darius wieder sterbenselend wurde, „Ich bin ja im Bilde und weiß glücklicherweise, wie ich bei seinen Schwächeanfällen reagieren muss- Nun hoffe ich wirklich, dass er sich ein wenig erholen kann. Was hatten Sie gesagt, wann er dann in die Schweiz verlegt wird, um die Therapie zu machen?“
Sie schüttelte schnell den Kopf und beschäftigte sich wieder damit, die aufgeplatzte Lippe zu säubern und zu desinfizieren.
„Na, das haben’s falsch verstanden“, erklärte sie, „Die Klinik ist Deutschland, Bad Arolsen, das ist irgendwo in Hessen. Wenn’s möchten, such ich Ihnen noch schnell die Visitkarte raus, das ist eh kein Problem.“
Dass er nebenbei noch unauffällig die Krankenschwester ausquetschte, um an weitere nützliche Informationen zu gelangen, war zu erwarten gewesen.
Darius schwieg betreten, als er sich an seiner Stelle bei ihr rechtfertigte und so glaubhaft die Lüge mit dem kreislaufbedingten Sturz auf den Boden vermittelte, dass er diese beinahe schon selbst mit der Wahrheit verwechselte.
Er konnte nicht einmal mehr daran verzweifeln, wie selbstverständlich die Dame, die sich eigentlich um sein Wohlbefinden kümmern sollte, seelenruhig mit Kristian sprach und am Ende gar noch ein wenig mit ihm über den Sinn und Unsinn der offiziellen Besuchszeiten scherzte.
Dafür hatte er einfach keine Kraft mehr übrig.
Kristian verabschiedete sich mit einem zuckersüßen Kuss auf seine Wange und Darius hörte die Schwester noch halblaut zu sich selbst murmeln, was für eine Verschwendung es doch wäre, dass gleich zwei so nette Herren nichts von der Damenwelt wissen wollten.
Als er wieder allein im Zimmer war, brach Darius in unkontrolliertes Schluchzen und Zittern aus, das so lange anhielt, bis die engagierte Krankenpflegerin wiederkam, weil sie ja doch nochmal nach ihm hatte sehen wollen.
Sie redete ihm gut zu, streichelte seinen Rücken, reichte ihm Taschentücher und bot ihm an, dass sie ja später nochmals Kristian anrufen konnten, wenn er ihn so sehr vermisste. Darius schaffte es nicht, sich wieder zu beruhigen.
Er brachte kein einziges Wort heraus und kurz bevor die doch leicht überforderte Pflegekraft schon den Arzt rufen wollte, traf endlich Theresa ein, deren angekündigten Besuch Darius schon beinahe wieder vergessen hätte.
Wie immer war sie diejenige, die die Scherben vom Boden aufsammeln musste. Sie stellte nicht einmal Fragen, als sie ihn komplett aufgelöst mit einer blutigen Lippe vorfand, vermutlich konnte sie sich den Rest mittlerweile denken.
Die Krankenschwester schien sich erlöst zu fühlen und schilderte Theresa die Situation in solch naiven Worten, dass sich Darius der Magen umdrehte.
Zumindest so, wie sie es sich das alles zusammengereimt hatte und natürlich wusste er, dass Theresa es selbstverständlich besser wusste – dennoch brachte ihn diese harmlose Version einer komplett anderen und eigentlich unheimlich furchtbaren Geschichte wieder so heftig zum Weinen, dass die beiden Frauen nun mit vereinten Kräften versuchten, ihn wieder zu beruhigen.
Theresa hielt ihn fest umfasst und wiegte ihn in ihren Armen, die Krankenschwester redete ihm ebenfalls gut zu und sah nochmal nach seinen Blessuren.
Erst als er irgendwann wieder im Bett lag und vollkommen apathisch und neben sich stehend gegen die Decke starrte, wich Theresa wieder von seiner Seite und nahm die Pflegerin wohl diskret für eine Erklärung beiseite.
Zumindest kam es Darius so vor, als könne er ihre Stimmen durch die Tür gedämpft vernehmen, als sie nach draußen gingen und er allein zurückblieb, aber vielleicht bildete er sich das in seinem Zustand auch nur ein.
Ihm war, als stünde er immer noch unter Schock, als Theresa wieder hinein kam und sich zu ihm setzte. Sie redete eine ganze Weile, bevor er überhaupt damit beginnen konnte, ihre Worte auch nur im Ansatz wahrzunehmen.
„-dann überbrücken wir die Zeit eben so, was meinst du? Klingt das nach einer Idee?“, wollte sie wissen und Darius verstand absolut gar nichts, ohne den Anfang des Satzes mitbekommen zu haben.
„W-was?“, fragte er verwirrt.
Theresa seufzte, aber lächelte sanft.
Dann streichelte sie ihm zärtlich durchs Haar und stupste seine Nase an.
„Du bist gar nicht wirklich da, hm? Also nochmal von vorn“, bot sie seelenruhig an, ihre Worte zu wiederholen und setzte wohl zu einer längeren Erklärung an, „Es geht darum, dass momentan kein freies Bett in der Klinik verfügbar ist, darum zieht es sich noch ein paar Tage. Ich habe mich zuerst tierisch aufgeregt, immerhin ist es dringend.“
Darius versuchte angestrengt, beim Zuhören bei der Sache zu bleiben.
„Die Dame am Telefon meinte dann, dass ich mich auf den Kopf stellen könnte und das Bett wäre immer noch nicht frei und wenn es so dringend ist, solltest du sowieso im Krankenhaus bleiben, also haben wir uns eben darauf geeinigt, dass du Freitag in einer Woche fährst“, Theresa machte eine kurze Pause.
Darius starrte sie schockiert an.
„Und da ich weiß, dass ich dich solange garantiert nicht hier halten kann, ohne dass du dich selbstständig und gegen ärztlichen Rat entlassen würdest, habe ich eine kleine Änderung des Schlachtplans ausgearbeitet“, fuhr sie fort.
Vergeblich versuchte Darius, sich ein dankbares Lächeln abzuringen, aber das Krankenhaus wäre wohl das kleinste Problem, wenn er nicht wissen würde, dass Kristian jederzeit auftauchen konnte, die Adresse von der Klinik hatte und vor allem all die Zeit über auch noch Alfred in Gefahr war.
„Alfred-“, begann er mit heiserer Stimme seinen Einwand, um Theresa von der Drohung in Kenntnis zu setzen, aber sie schüttelte sanft den Kopf.
„Er hat noch zu tun, aber er ruft dich später auf jeden Fall an, Schatz“, meinte sie liebevoll, „Mach dir da keine Gedanken, du weißt doch, dass man sich auf unseren Alfred immer verlassen kann! Vielleicht seht ihr euch sogar heute noch.“
Darius setzte zu einem weiteren Anlauf an, etwas sagen zu wollen, doch schon allein das Räuspern drang nurmehr kläglich aus seiner Kehle.
„Auf jeden Fall habe ich gerade mit der Schwester geredet und sie spricht es wohl gerade mit dem Arzt ab“, begann sie, „Aber wenn die Werte sich weiterhin stabilisieren, spricht ihrer Einschätzung nach wohl nichts dagegen, dass du morgen früh oder spätestens dann zum Wochenende hin nach Hause kannst, um dort noch die restliche Zeit bis zur Klinik in deiner gewohnten Umgebung zu überbrücken.“
Theresa lächelte sanft und Darius sank mit einem Seufzen zurück ins Kissen.
Für einige Momente schloss er einfach nur erleichtert die Augen.
Das würde das Problem erstmal zwar nicht wirklich lösen, doch wenigstens konnte er draußen frei über seine Tätigkeiten entscheiden und endlich handeln.
„Na, was sagst du?“, fragte sie erwartungsvoll.
Darius nickte zaghaft und es dauerte einige Momente, ehe er tatsächlich sprechen konnte, „Das hört sich gut an. Ich hoffe nur, der Arzt sieht das genauso.“
Theresa schenkte ihm ein trauriges Lächeln.
„Natürlich lasse ich dich unter keinen Umständen länger als einen halben Tag allein und ich werde auch nicht drum herum kommen, dir ein paar Bedingungen stellen zu müssen, aber-“, begann sie und seufzte leise, „Ich habe der Dame von der Pflege die Situation mit Kristian erklärt und sie meinte auch, dass es besser wäre, wenn er dich hier nicht antreffen würde. Wenn er wiederkommt, wird sie ihm sagen, dass du kurzfristig in eine ganz andere Klinik verlegt worden bist und eine allgemeine Kontaktsperre verhängt bekommen hast.“
Darius holte Luft, um etwas zu sagen, aber Theresa sprach schon weiter.
„Du bist jetzt in Sicherheit, Darius“, sagte sie sanft, „Bis er zurück in Wien ist, bist du schon in Deutschland und bis er dort ankommen würde, hatten wir genügend Zeit, den Leuten dort die Lage zu schildern- dir wird nichts weiter geschehen, das verspreche ich dir, mein Schatz.“
Darius schluchzte leise.
„Aber darum geht es doch gar nicht“, krächzte er mit brüchiger Stimme.
Theresa nahm seine Hand und küsste sie.
„Um nichts anderes geht es, Schatz“, beteuerte sie, „Dir geschieht nichts mehr.“
Darius musste schlucken.
„Aber Alfred-“, begann er wieder.
Theresa schüttelte lächelnd den Kopf.
„Er muss natürlich trotzdem arbeiten, ja. Aber er wird dich sicher dennoch mal besuchen kommen!“, plapperte sie weiter, „Ansonsten könnt ihr ja auch telefonieren und du wirst sehen, die Zeit geht schneller vorbei als du jetzt befürchtest.“
Darius biss die Zähne zusammen, dann holte er tief Luft.
„Nein“, sagte er knapp, „Nein, darum geht es nicht!“
Theresa sah ihn mit einem Mal vollkommen ernst an.
„Worum geht es denn deiner Meinung nach?“, fragte sie und klang mit einem Mal fast verletzt, „Weißt du, ich versuche wirklich, alles so zu regeln, dass es für dich einfacher wird, aber-“
Darius schnaufte kurz durch, „Nein. Nein, nein. Ich meine-“
Theresa wirkte vollkommen verwirrt, hin und her gerissen zwischen der üblichen Sorge um sein Befinden und der Wut darüber, dass sie sich wohl umsonst bemühte, weil er einfach keine Einsicht zeigte.
„Nein“, sagte Darius abermals und musste wieder schluchzen, „Er hat gesagt- Er- Er hat ihn bedroht, er hat gesagt- Er droht damit, dass er ihm wehtun wird, wenn ich- Wenn ich nicht-“
Theresa sah ihn an.
„Kristian hat Alfred Gewalt angedroht?“, wiederholte sie ruhig.
Darius nickte zaghaft und schluchzte wieder.
Theresa kniff die Lippen aufeinander und ihre Augen verengten sich.
„Das heißt, er erpresst dich mit dieser Drohung, dass du tust was auch immer er will, damit du Alfred weiterhin in Sicherheit weißt?“, mutmaßte sie und Darius nickte wieder, diesmal noch um einiges zögerlicher.
Theresa schnaubte aufgebracht.
„Ich fasse es nicht! Aber jetzt wird mir einiges klar“, ihre Stimme war nicht laut und doch konnte sie das Zittern darin nicht verbergen, „Der Mann schreckt auch vor wirklich gar nichts zurück- Aber ganz ehrlich, Darius, er soll es ruhig versuchen. Soll er doch versuchen, Alfred etwas anzutun, ohne damit zu erreichen, dass wir endlich etwas gegen ihn in der Hand zu haben!“
Theresa ballte die Hände zu Fäusten und schien um Fassung zu ringen.
Darius konnte gar nicht aufzählen, was alles an ihren Worten falsch klang.
„Und ich verspreche dir, Alfred wird diese Konfrontation sicherlich liebend gern mit ein paar Blessuren verlassen, wenn wir dadurch dieses- dieses Monster von einem Mann endlich hinter Gittern bekommen!“
Gegen Ende ihrer Ansprache wurde ihre Stimme dünner, bis sie abbrach.
Darius konnte Tränen in ihren Augen erkennen, Theresa schnaufte einige Male tief durch, dann strich sie sich das Haar zurecht und beugte sich zu ihm, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen.
„Hab keine Angst, Darius“, flüsterte sie, „Weder dir noch Alfred wird etwas geschehen. Wir stehen alle hinter dir, darauf kannst du dich verlassen!“
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