Auf dem Weg zum Restaurant war Alfred beinahe dankbar, dass er unter den aktuellen Umständen zumindest keinen Gedanken mehr an seine fehlende Begleitung zum Geschäftsessen verlor. Das bedeutete nicht, dass er nicht an Darius dachte, immerhin hatte dieser nie vorgehabt, ihn zu begleiten.
Den Kopf zerbrach er sich über vieles, aber als er schließlich schon vor der Tür wieder Renate erblickte, musste er sich wohl oder übel von seinen Gedanken lösen.
„Hast du dich noch ein wenig erholen können?“, fragte sie.
Alfred lachte, „Ich glaube, ich habe schon Schlimmeres überstanden, als meinen Terminkalender mit dem der Praxis abzugleichen!“
Renate rollte mit den Augen und hakte sich ungefragt bei ihm unter.
„Das stimmt“, meinte sie schmunzelnd, „Na, dann lass uns reingehen:“
Kurz starrte Alfred sie wohl so schockiert an, dass sie laut lachen musste.
„Was denn?“, neckte sie ihn spielerisch, „Ich bin ohne Begleitung, du bist ohne Begleitung. Lassen wir die Gerüchteküche brodeln und das Bankett beginnen, würde ich sagen!“
Im Innenraum waren einige Tische zu zwei großen Tafeln nebeneinander zusammengeschoben worden. Viele der Leute saßen schon, manche hatten bereits etwas zu Trinken bestellt, andere standen noch beisammen zum Plaudern.
Renate verabschiedete sich nach wenigen Schritten, weil sie Ferdinand Berentz entdeckt hatte und wohl noch etwas mit ihm Klären musste. Alfred beobachtete noch einige Momente das rege Treiben und stellte mit einem Seufzen fest, dass er auf nichts gerade weniger Lust hatte, als eine feuchtfröhliche Runde voller laut lachender Menschen in einem öffentlichen Gebäude.
Dass er sich schick zurechtgemacht hatte, war lediglich seinem Pflichtbewusstsein zu verdanken. Nach Feiern war ihm momentan absolut nicht zumute.
Als Alfred näher kam, entdeckte er seine beiden Lieblingskollegen schon von weitem. Entgegen aller Erwartungen hatte Erwin seiner Frau wohl doch vorenthalten können, dass eine Begleitung erwünscht war. Noch viel unerwarteter war jedoch die Tatsache, dass Jasper nicht allein gekommen war.
Er strahlte über das ganze Gesicht, als er Alfred den Mann an seiner Seite als netten Bekannten aus Deutschland vorstellte, der sich selbst wiederum als guten Kumpel bezeichnete, woraufhin beide lachen mussten. Erwin verlor noch einige Worte darüber, wie tief enttäuscht er darüber war, dass sie sich heute aufgrund der anstehenden Probenplanung schon wieder nicht betrinken konnten.
Alfred war es ziemlich unangenehm, Jasper nun stören zu müssen, doch als er ihn fragte, ob er eine Minute Zeit hätte, nickte er ohne zu zögern.
„Der letzte Teil-“, begann Alfred.
Jasper grinste, „-ist bei Nina?“
Kurz lachte Alfred auf, „Warum wissen immer alle mehr als ich?“
„Ach“, Jasper zuckte mit den Schultern, „Der Gedanke kam mir irgendwann, aber ich wusste nicht, wie ich sie erreichen sollte. Ich nehme an, sie hat mit dir Kontakt aufgenommen?“
Alfred nickte, „Ihr Vater bringt sie später hierher. Sie meinte, sie würde gleich Kopien anfertigen, damit wir die Partitur heute schon für alle vervollständigen können. Nur damit du bescheid weißt- ich möchte euch gar nicht stören!“
„Ach“, meinte Jasper wieder, diesmal etwas verlegen, „Du störst doch nicht! Wir haben ja noch einige Tage zusammen, bevor er wieder nach Hamburg fährt. Und sowieso, das Konzert hat oberste Priorität!“
„Wir schaffen das?“, versuchte Alfred mit einem schiefen Grinsen.
Jasper nickte heftig, „Wir schaffen das!“
Das lustige Beisammensein wurde um einiges kürzer als ursprünglich geplant. Als Alfred gerade darüber grübelte, ob er Kaiserschmarrn oder Apfelstrudel zum Nachtisch nehmen sollte, brummte das Telefon in seiner Hosentasche.
Mit hochrotem Kopf entschuldigte er sich von der Tafel, aber statt ungnädig gestimmter Mienen war ihm sogar, als wären zumindest Jasper samt Begleitung, Erwin und Renate eher gespannt auf Information. Draußen vor der Tür war er gerade dabei, das Handy aus der Tasche zu ziehen, als er schon Nina erblickte, die auf ihn zustürmte.
„Alfred!“, rief sie und fiel ihm sofort um den Hals.
Lachend drückte er sie kurz, dann warf er einen kurzen Blick auf das Telefon, um sich zu vergewissern, dass sie angerufen hatte, um von ihrer Ankunft zu berichten. Niemand sonst. Das wäre ja auch ein kurioser Zufall.
„Schön dich zu sehen, Nina“, grüßte er sie fröhlich, „Wie geht es dir?“
Sie drückte ihm eine große, schwere Stofftasche in die Hand und strahlte über das ganze Gesicht, während sie sich scheinbar suchend umblickte, „Prima! Aber das ist unwichtig, hier sind die Noten. Ist Jasper auch da?“
Alfred lachte, „Ja sicher, das ganze Orchester sitzt noch beim Essen. Ich kann wohl auch nicht allzu lang hier draußen verweilen, aber-“
Mit einem vielsagenden Räuspern zog Alfred die Aufmerksamkeit von Nina wieder auf sich und reichte ihr einen Umschlag. In der kurzen Zeit, in der er zuhause gewesen war, hatte er noch Gelegenheit gefunden, den unter Vorbehalt geplanten Termin zum inoffiziellen Konzert ganz nett auf ein Kärtchen zu schreiben, das er mit der Botschaft „Einladung“ zu einer solchen gemacht hatte.
Außerdem hatte er sich nicht nehmen lassen, zwei Freikarten für den nächsten regulären Auftrittstermin der Oper beizulegen, um Nina noch eine kleine Freude zu bereiten. Ihre Augen wurden groß, aber noch ehe sie reagieren konnte, hatte anscheinend auch ihr Vater aufgeholt.
Es gab keine Zweifel, denn auch wenn die Person, die nun zu ihnen trat, nicht nur sehr groß, sondern auch sehr stattlich gebaut war, musste Alfred sofort an das erste Treffen im Motto am Fluss denken. Weder der wilde Haarschnitt noch der Bart konnten darüber hinwegtäuschen, dass der anscheinend in der Rockerszene so berühmte Gabriel mit einem noch nicht ganz so bekannten, aber doch ebenso hochkarätigen Dirigenten verwandt war.
Alfred stockte kurz der Atem, als sich ihre Blicke trafen und er in beinahe tiefschwarze Augen blickte.
„Schönen guten Abend“, sagte Alfred unsicher und reichte ihm die Hand, „Mein Name ist Wunderlich.“
Der Angesprochene jedoch lachte, winkte ab und klopfte ihm auf die Schulter.
„Nur nicht so förmlich, mein Guter“, er grinste breit, „Ich bin Gabriel. Alfred, nicht wahr? Von dir hab ich ja schon so einiges gehört – Ist Theresa da drin?“
Er deutete auf die Tür und Alfred stutzte.
Tatsächlich war er sich dessen gar nicht so sicher. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass sie da sein musste, wenn Berentz anwesend war. Aber wenn er sich nun recht entsann, hatte er ihn nur ohne sie erblickt.
„Ich habe sie noch nicht gesehen“, sagte er also wahrheitsgemäß.
Gabriel runzelte die Stirn, „Wäre nicht allzu befremdlich, wenn sie woanders wäre- trotzdem sagte sie aber, dass wir uns noch sehen würden. Meinst du, ich sprenge eure Party, wenn ich reingehe und kurz nach ihr schaue?“
„Ich denke, das dürfte eigentlich kein Problem darstellen“, schaffte er noch zu sagen, ehe Nina sich wieder einmischte.
„Darf ich mitkommen?“, fragte sie.
Gabriel stöhnte auf, „Nein.“
Nina schmollte kurz, dann nahm sie Alfred wieder schnell die Tasche weg und drückte sie Gabriel in die Hand, „Dann kannst du das aber Jasper geben, dann kann er es schon einmal verteilen und ich passe solange auf Alfred auf!“
Alfred musste lachen. Er hatte nichts dagegen, sich ein wenig mit ihr zu unterhalten, aber ihr Vater hatte wohl anderes im Sinn.
„Nein“, sagte Gabriel nämlich.
„Aber!“, nörgelte Nina und Alfred zuckte hilflos mit den Schultern.
„Wir passen gegenseitig aufeinander auf“, bot sie einen Kompromiss an, als Gabriel sie zweifelnd mit schief gelegtem Kopf und in die Hüfte gestemmten Fäusten anblickte.
„Nein“, sagte er noch einmal, dann schnaufte er tief durch, „Ich hab’s mir anders überlegt. Nachher heißt es wieder, ich würde ihr nachstellen und sie bei ihren Pflichten stören.“
„Alfred, würdest du nach ihr sehen? Wenn du sie findest, sie soll kurz zu uns nach draußen kommen“, bat er ihn und Alfred nickte schnell.
„Und wir warten solange und langweilen uns?“, fragte Nina empört.
„Nein“, sagte Gabriel abermals und wirkte doch recht genervt mittlerweile, „Wir schauen mal auf dem Parkplatz, ob wir ihr Auto finden!“
Nina seufzte theatralisch, „Na gut. Du kannst dich echt nicht entscheiden. Aber ich werde mal so freundlich sein, und dir bei der Suche nach dem Auto helfen.“
„Wir sehen uns ja gleich wieder“, versuchte Alfred sie aufzumuntern, „Dann kannst du mir noch ein bisschen erzählen, was du in der Zwischenzeit erlebt hast!“
Zwar war er sich relativ sicher, dass er Theresa längst gesehen hätte, wenn sie da gewesen wäre, doch machte er wohl oder übel gute Miene zu bösem Spiel. Immerhin schien sie etwas mit Gabriel verabredet zu haben und soweit Alfred wusste, war auf Theresa immer Verlass, wenn man sie brauchte.
Er sorgte sich gar ein bisschen, nun da dies wohl nicht wie besprochen ablief. Alfred könnte gut nachvollziehen, wenn sie keine Lust hatte, sich mit Berentz auf dieser Party zu zeigen, doch Gabriel zu versetzen, ließ in ihm sofort die Sorge aufkeimen, dass es Darius ganz und gar nicht gut ging.
Als er also wieder hineinging – Nina hatte ihm die Kopien doch noch überlassen, damit er die Tasche zusammen mit einem ganz lieben Gruß von ihr gleich Jasper anvertrauen konnte – hielt er wirklich eingehend Ausschau. Aber Theresa war wie bereits erwartet nirgendwo zu sehen.
Kurz spielte er mit dem Gedanken, sie anzurufen, aber das konnte auch Gabriel erledigen. Eigentlich wollte er auch gleich wieder nach draußen, aber als Jasper einen Blick in die Tasche warf, war es um ihn geschehen.
„Alfred“, flüsterte er aufgeregt, „Jetzt ist alles komplett! Wir müssen das gleich verteilen und jedem sagen, dass wir nicht mehr lange bleiben. Alle sollten ganz schnell nach Hause und so viel üben, wie sie können!“
Mit einem Schmunzeln wiegte Alfred den Kopf hin und her.
„Meinst du?“, fragte er unsicher, „Ich bin mir nicht sicher, ob Berentz allzu viel von unserer Aktion mitbekommen sollte. Vielleicht machen wir das morgen-“
Aber Jasper unterbrach ihn.
„Nein“, sagte er schnell, „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! Wir können es ja ganz heimlich machen.“
Alfred gab sich geschlagen. Immer wieder huschte sein Blick zur Uhr, er wollte Gabriel und Nina nicht länger als notwendig warten lassen. Erwin stellte sofort das Weinglas ab und bestellte ein Wasser.
Das war sehr ungewöhnlich, vor allem nach seiner wiederholten Ankündigung zum gemeinsamen Alkoholmissbrauch, gab Alfred aber auch das wohlige Gefühl von Verständnis und Zusammenhalt. Sie alle wussten, wie wichtig es ihm war. Selbst Erwin nahm die Sache ernster als gedacht.
„Hast du Theresa gesehen?“, fragte er schließlich leise an Jasper gewandt, aber Erwin hatte ihn gehört.
„Und ich dachte schon, ich wäre der einzige, dem das auffällt“, fing er gleich halblaut an zu lästern, „Berentz muss sich wohl wirklich was geleistet haben, dass seine Liebste heute nicht mit dabei ist. Normalerweise hängen die doch zusammen wie zwei Arschbacken!“
Jasper warf ihm einen warnenden Blick zu und legte den Finger auf die Lippen.
„Nicht so laut“, wisperte er, aber Berentz war in eine Unterhaltung mit Renate vertieft und Alfred dankte ihr im Stillen dafür, als sie ihm kurz zuzwinkerte und sich wieder an den Direktor wandte, während unter den Tischen die Kopien weitergegeben wurden.
„Ich muss nochmal kurz nach draußen“, murmelte Alfred verlegen.
Jasper sah ihn fast besorgt an, „Was ist denn los? Wir wollten doch jetzt eh bald bezahlen und uns auf den Weg machen.“
Alfred winkte ab und grinste schief, „Nina und ihr Vater sind noch geblieben. Gabriel meinte, ich sollte nach Theresa schauen- ich gebe ihm noch kurz Bescheid und verabschiede mich, dann bin ich gleich wieder da.“
„Theresa ist bestimmt bei Darius“, meinte Jasper und Alfred fiel ein Stein vom Herzen, als er weiter sprach, „Er meinte vorhin am Telefon aber, dass ich mir keine Sorgen machen soll. Sie möchte nur genauso wenig hierhin mitkommen wie er.“
Mit einem Aufatmen nickte Alfred und klopfte Jasper auf die Schulter.
„In Ordnung“, sagte er, „Ich bin gleich wieder da, du hältst die Stellung“
Um für die Möglichkeit, dass sie noch eine Weile reden würden, vorbereitet zu sein, drückte Alfred noch Jasper ein paar Scheine in die Hand, um im Falle des Falles auch seine Rechnung begleichen zu können. Jasper sah ihn noch fast vorwurfsvoll an und meinte, er hätte ihn ja auch einladen können, dann war Alfred schon wieder auf dem Weg nach draußen.
Draußen empfing Alfred nur die kühle Nachtluft.
Es war längst dunkel und weder von Nina noch von Gabriel war etwas zu sehen. Wieder einen Blick auf die Uhr später, fluchte er leise und überlegte, ob er nun zu lange gebraucht hatte. Wahrscheinlich hatten die beiden gedacht, er hatte die Abmachung drinnen wieder total vergessen.
Dass er aufgehalten wurde, konnten sie ja nicht wissen. Dass sie noch immer die Parkplätze abklapperten, war unwahrscheinlich. Vermutlich hatten sie eingesehen, dass Theresa unmöglich aus dem Nichts auftauchen konnte.
Trotzdem hatte Alfred ein schlechtes Gewissen und ein ganz mulmiges Gefühl in der Magengegend. Gut möglich, dass Gabriel Theresa angerufen hatte. Die Sorge um Darius ließ ihm nun keine Ruhe. Hätte Gabriel vorher versucht, sie zu erreichen und hätte sie ihn nun zurückgerufen, läge sogar die Vermutung nahe, dass sie ihn gebeten hatte, zu ihm zu fahren- oder ins Krankenhaus.
Oder weiß der Teufel, Alfred wurde diese Sorge einfach nicht los und hastig zog er sein eigenes Telefon aus der Tasche, um sich zu vergewissern, dass zumindest er keinen Anruf erhalten hatte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, Theresa anzurufen. Oder Nina. Oder Darius selbst, verdammter Mist, er schaffte das einfach nicht. Er konnte das nicht durchziehen.
Es war zu spät, um einfach anzurufen. Aber alles in ihm schrie nur nach Darius und entgegen all seiner guten Vorsätze fand sich Alfred bald mitten in einer ellenlangen Nachricht wieder, die er an ihn schrieb.
An Nina und Gabriel dachte er nicht mehr. Theresa und Jasper waren vergessen. Alles, was zählte, war der Mann, den er so tief in seinem Herzen verankert hatte, dass dieses nun blutete, wenn man ihn so brutal herausreißen wollte.
Und es hatte nicht einmal funktioniert. Er war immer noch darin. Tief eingewurzelt, für immer und ewig.
Als sich jemand ganz in der Nähe diskret räusperte, fiel Alfred nicht nur aus allen Wolken, sondern fuhr auch zu Tode erschrocken zusammen und diesmal landete das teure Telefon wirklich auf dem Boden.
Er war schon im Begriff, sich instinktiv zu bücken, um es aufzuheben und sandte Stoßgebete an den Himmel, dass es nicht kaputt war, doch sein Blick haftete längst auf der Person, die dafür verantwortlich war. Ein Mann, der nun noch einen Schritt näher kam und sich mit einem piekfeinen, glänzenden Lederschuh auf dem Telefon positionierte, um ihm die Entscheidung abzunehmen, worauf er sich konzentrierte.
„Guten Abend, Herr Wunderlich“, säuselte Kristian Dahl mit samtweicher Stimme und das Lächeln auf seinem Gesicht jagte Alfred eine Gänsehaut über den Rücken, „Was für eine wunderbar sternenklare Nacht!“
Er konnte das Gefühl kurze Zeit nicht recht benennen, dass sich beklemmend und eiskalt in ihm breitmachte. Doch Dahl schien nicht zu Scherzen aufgelegt zu sein, seine Augen durchbohrten Alfred geradezu und ihm wurde bewusst, dass es eine tiefe und lähmende Angst war, die von ihm Besitz ergriffen hatte.
Dahl hatte nichts mit dem Orchester zu tun. Berentz hatte ihn gewiss nicht eingeladen. Hatte er geglaubt, Darius hier anzutreffen? Hatte er vermutet, dass Theresa hier war? Oder-
„Es ist durchaus unhöflich, sich im Beisein einer weiteren Person um sein Telefon zu kümmern, finden Sie nicht auch?“, fragte er mit einem hintergründigen Lächeln und machte keinerlei Anstalten, den Fuß herunter zu nehmen.
Wie in Zeitlupe kam es Alfred vor, als er sich aufrichtete und sein aufgeregter Atem konnte nicht an der Tatsache ändern, dass es ihm die Kehle zuschnürte.
„W-Was wollen Sie hier?“, presste er schließlich heraus.
Seine Stimme klang so kläglich und unsicher wie er sich fühlte. Dahl lachte schallend, dann blitzte in seinen Augen etwas auf, das Alfred zusammen mit seinen Worten das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Ich bin ein freier Mann, Alfred“, sagte er leichtfertig und der Gebrauch seines Vornamens ließ darauf schließen, dass er ihn beim letzten Mal tatsächlich nur hatte zum Narren halten wollen, „Ich kann gehen, wohin auch immer es mir beliebt!“
Alfred holte Luft, räusperte sich, doch Dahl ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Mir sind einige Dinge zu Ohren getragen worden, die ich unmöglich unbeantwortet lassen kann“, fuhr er fort und seine Stimme klang immer weniger samtig, „Und da heute Abend ein fröhliches Treffen stattfindet, wollte ich mir die Chance nicht entgehen lassen, meine Meinung zu einigen Sachverhalten kundzutun.“
Ein Psychopath, schoss es Alfred durch den Kopf. Dahl war ein ebenso gefährlicher, komplett abgebrühter Psychopath, wie Darius es bereits angedeutet hatte und Alfred es nicht hatte wahrhaben wollen.
Er wusste sehr gut um die Situation bescheid, dass das Orchester sich hier traf. Er wusste sehr gut darum bescheid, wer gerade vor ihm stand. Und er war gezielt wegen Alfred hergekommen.
Nur eine einzige Sache hatte er übersehen.
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, hörte Alfred sich selbst mit schwacher, dünner Stimme fast schon bedauernd resigniert sagen, „Falls Sie meine Verbindung zu Darius Ottesen damit meinen, da gibt es nichts, worüber Sie sich Gedanken machen müssten.“
Es war die Wahrheit, so sehr es Alfred schmerzte.
Es gab keinen besonderes Status, den Alfred innehatte, um den Dahl sich sorgen müsste. Alfred und Darius waren kein Paar. Wie es um seine Gefühle bestellt war, änderte nichts daran. Darius war an Alfred ebenso wenig gebunden wie an Dahl und scheinbar hatten beide dieselben Probleme, dies zu akzeptieren.
Dahl jedoch sah ihn lediglich unbeeindruckt an.
„Wie meinen?“, wollte er wissen.
Alfred bildete sich ein, einen gewissen Unterton in seiner Stimme zu hören, den er nicht deuten konnte, der ihn aber dennoch rasend vor Wut machte.
Sein Kiefer verkrampfte sich. Er verspürte das dringende Bedürfnis, ihm diese herablassende Art auszutreiben. Ja, er würde gar so weit gehen, dass er ihm das süffisante Grinsen aus dem Gesicht wischen wollte.
Alles was Darius ihm erzählt hatte. All die Sorgen, die Darius um ihn nun gehabt hatte. All das gepaart mit dem Leid, das Alfred sich nach den Andeutungen nur vorstellen konnte, weil Darius nicht explizit darüber gesprochen hatte. Diese Jahre voller Angst und Schmerz, die in Darius so tiefe Spuren hinterlassen haben mussten, dass er sich nun in exakt dieser Lage befand, seiner Krankheit so hilflos ausgeliefert zu sein, all die Wunden, die Dahl verursacht haben musste-
Alfred sah rot.
Es spielte keine Rolle, ob er Darius‘ Partner war oder nicht. Tatsache war, dass er ihn liebte. Und dass er dem Mann, der nun vor ihm stand, weder eine Erklärung noch Rechenschaft schuldig war.
Dahl musste nicht wissen, wie ausweglos die Situation für Alfred war. Darum ging es nicht. Es ging darum, dass dieser Mann Darius so tief verletzt hatte, dass Alfred ihm niemals würde verzeihen können.
Nie wieder, schwor sich Alfred im Stillen.
Nie wieder würde Darius unter diesem Psychopathen leiden müssen.