Alfred traute seinen Augen kaum.
„W-was- wie“, begann er und sowohl Kurt als auch Darius lachten.
Alfred fühlte sich ziemlich doof, als Darius nur hilflos mit den Schultern zuckte und Kurt erstaunlich entspannt grinsend einen Schnaps in das dritte Glas auf dem Tisch füllte, „Ach, der Herr Kapellmeister hat dich bei mir gesucht und ich meinte, wir könnten ja warten, bis du von allein auftauchst. Jetzt schau nicht so wie ein Ochse, wo sind deine Manieren? Begrüß deinen Gast!“
Darius stand auf und trat fast zögerlich einen Schritt in Alfreds Richtung.
Dieser warf einen kurzen Blick auf seinen Vater, der allerdings nur die Augen verdrehte, „Soll ich wegschauen oder was? Glaubt ihr, ich hab noch nie zwei Turteltäubchen gesehen, wie sie einander herzen? Oder wollt ihr euch lieber von der Ferne anschmachten?“
Alfred druckste herum, auf Darius‘ Wangen lag ein tiefroter Schimmer und er wirkte, als wolle er am liebsten im Boden versinken. Erst als Alfred ihm zaghaft die Hand zur Begrüßung reichte, schloss Darius ihn sanft in seine Arme.
Kurt schnaufte amüsiert, trank Alfreds Schnaps lieber selbst und deutete mit einer knappen Geste eine Verabschiedung an.
„Ich empfehle mich amal, macht’s ihr aber auch nicht mehr allzu lang“, meinte er und begab sich schon auf den Weg in sein Schlafzimmer, „Gute Nacht!“
Als sich die Tür hinter ihm schloss, konnte Alfred es immer noch nicht fassen. Der Duft von Lavendel hüllte ihn in tiefe Geborgenheit und das Gefühl von Darius‘ Körper in seinen Armen erfüllte ihn mit einer Glückseligkeit, die ihn an seinem Verstand zweifeln ließ.
Eine ganze Weile schaffte keiner von beiden, sich zu rühren. Alfred schloss die Augen und schmiegte sein Gesicht an Darius‘ Schulter, atmete seinen Duft ein und streichelte sanft über seinen Rücken. Er spürte, wie sich der schmale Brustkorb mit jedem aufgeregten Atemzug hob und senkte, er konnte geradezu Darius‘ Herz gegen sein eigenes schlagen fühlen.
„Ich habe dich vermisst“, wisperte Darius dann erstickt.
Alfred schüttelte leicht den Kopf. Er wollte keine Erklärung hören. Er wollte nicht reden. Er wollte einfach nur genießen, wenigstens für einige Momente lang.
Für ein paar Augenblicke glauben, dass nicht alles verloren war. Nur kurz sich in der Hoffnung verlieren, dass alles gut werden konnte. Als er sich schließlich in der Lage fühlte, Darius wieder anzusehen, konnte er die Sehnsucht in seinen Augen ebenso gut erkennen wie die ungeweinten Tränen.
Darius nahm sanft seine Hände und küsste sie. Alfreds Herz flatterte und er musste sich beherrschen. Er rührte sich nicht, als Darius kurz zu ihm aufblickte und schnell die Augen schloss. Dann schüttelte er den Kopf, sog scharf Luft ein, küsste wieder seine Hände und schluchzte kläglich.
„Es tut mir leid“, brachte er schließlich heraus, „Ich wollte nur- ich wollte es dir nicht noch schwerer machen, als es ist, aber- aber ich musste dich sehen.“
„Schhh, ganz ruhig“, hauchte Alfred und löste eine Hand aus Darius‘ Klammergriff, um ihm sanft über die Wange zu streicheln, „Ist doch gut. Es ist alles gut. Ich freue mich, dich zu sehen. Lass uns- ich meine- setz dich doch noch einen Moment. Möchtest du etwas trinken?“
Trotz seiner Tränen klang das zittrige Schnaufen amüsiert, als Darius ihn wieder ansah, „Danke. Dein Vater hat mir schon etwas angeboten. Ich wollte wirklich nicht stören- ich möchte auch nicht, dass du denkst, dass-“
„Darius“, sagte Alfred leise.
Dieser seufzte schwer, „Ich wollte eigentlich nur schnell, nur ganz kurz- dass- wir uns nochmals sehen, bevor- ich meine, ich möchte dir keine falschen Hoffnungen machen, weil ich doch- weil ich nicht weiß, wie es weitergeht und-“
„Darius“, sagte Alfred wieder und nahm nun seinerseits seine Hand, „Darius. Darius, hör mir bitte zu. Ich denke gar nichts, es ist alles gut. Es ist alles in Ordnung. Ich freue mich, dass du hier bist.“
Darius nickte hastig und schluchzte wieder, „Ja, ich meine, ich meinte nur- Eigentlich wollte ich doch gar nicht- Ich meine, eigentlich schon, aber-“
„Schhh“, Alfred strich ihm sanft einige wirre Haarsträhnen aus dem Gesicht, ehe er ihn behutsam zum Sofa führte und bei ihm blieb, „Beruhige dich, Darius. Ganz ruhig, es ist schon in Ordnung. Na komm, setz dich einen Moment, ganz ruhig, ich bin hier- ich bin doch hier.“
Große, flehende Augen sahen zu ihm auf, als Darius sich tatsächlich niederließ. Alfred lächelte zärtlich, sein Herz schmerzte.
Es tat ihm weh, Darius so verzweifelt zu sehen. Er musste sich Kurts Gesellschaft zusammengerissen haben, doch das Leid stand ihm ins Gesicht geschrieben. So hin- und hergerissen zwischen den eigenen Zweifeln und Prioritäten, irgendwelchen Prinzipien und der Sehnsucht. Doch Alfred gab sich nicht die Chance, mit ihm zu verzweifeln, sondern versuchte, stark zu sein. Für ihn da zu sein.
„So ist es gut“, flüsterte er leise, „Siehst du, dir geschieht nichts. Mach es dir bequem. Ruh dich ein wenig aus- Ich bin gleich wieder da, warte einen Moment.“
Darius folgte ihm mit seinem Blick, als Alfred einen Schritt entfernte.
„Alfred-“, begann er und es klang beinahe flehend, dann verstummte er und sah ihn vollkommen verwirrt, aber doch aufmerksam an, als er zum heimischen Klavier trat, die dick angehäufte Staubschicht herunterblies und den Deckel nach oben klappte.
Ein zaghaftes Lächeln zuckte um Darius‘ Mundwinkel. Alfred ließ sich auf dem ächzenden Hocker nieder, wandte den Blick aber nicht von Darius.
„Ich schulde dir noch einen Gefallen“, meinte Alfred verlegen, „Vielleicht muntert es dich ja ein wenig auf- Ich hoffe sehr, mein nicht existentes Talent beim Klavierspielen beleidigt deine Ohren nicht, aber da du deines schon wieder nicht dabei hast, muss ich da nun ein bisschen Abhilfe schaffen, meinst du nicht?“
Noch immer unter Tränen musste Darius lachen. Es klang beinahe wie ein Schluchzen und er wirkte noch komplett aufgelöst. Wahrscheinlich fragte er sich gerade, ob Alfred nun den Verstand verloren hatte.
Aber seine Augen begannen so voller Glück zu strahlen, als Alfreds Finger sich zunächst noch etwas unbeholfen, doch dann mit mehr und mehr Sicherheit ihren Weg über die Tasten zu einigen einfachen Akkorden suchten. Es war ihm egal, ob sein Vater nun gleich wieder dastehen und sich beschweren würde, dass er nicht schlafen konnte. Er wollte Darius trösten. Ihm zumindest einen kleinen Teil von dem zurückgeben, was er in ihm ausgelöst hatte.
Zumindest einen Versuch war es wert.
Alfred verspielte sich einige Male, er wusste nicht einmal, ob das Klavier überhaupt noch ordentlich gestimmt war, und Darius zuckte jedes Mal leicht zusammen, aber er konnte sich nicht voll und ganz auf die Tasten konzentrieren, er konnte den Blick nicht von Darius wenden. Er musste zusehen, wie sein Gesicht sich mehr und mehr erhellte, obwohl er es bei den falschen Akkorden leidend verzog, bevor er leise lachte.
Er musste im Blick behalten, wie Darius‘ Mimik von verwirrt über amüsiert zu erstaunt schwankte, bevor sich schließlich so viel verstehende Zärtlichkeit auf seine Züge legte, als er das Lied erkannte – bis er dann geradezu fasziniert vollkommen an Alfreds Lippen hing, als dieser eben jene öffnete, einen tiefen Atemzug nahm und schließlich zu seiner eigenen Begleitung einsetzte.
„Je m’baladais sur l’avenue le cœur ouvert à l’inconnu
J’avais envie de dire bonjour à n’importe qui“
Darius weinte lautlos und Alfred meinte zu erkennen, dass es diesmal Tränen voller Überwältigung waren. Kurz zweifelte er an seinem Vorhaben, immerhin wollte er ihn aufmuntern und nicht noch mehr zum Weinen bringen, doch irgendetwas lag in Darius‘ Blick, das es Alfred unmöglich machte, wieder aufzuhören.
„N’importe qui et ce fut toi, je t’ai dit n’importe quoi
Il suffisait de te parler, pour t’apprivoiser“
Während er sang, achtete Alfred weder auf das Klavier noch auf seine Stimme. Er wusste nicht, ob er wirklich jeden Ton traf- Er war sich sicher, dass die Begleitung an einigen Stellen geradezu mies war. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob er überhaupt die Worte richtig aussprach.
Alfred war komplett in seinen Gefühlen gefangen und es kam ihm so vor, als müsste er diese in all ihrer ursprünglichen Form ungefiltert und ungeschönt durch sein sehnsuchtsvolles Lied transportieren. Nicht nur das. Noch dazu fühlte es sich an, als würde er geradezu bemerken können, dass sie bei Darius genau so ankamen, wie er sie meinte.
„Au soleil, sous la pluie, à midi ou à minuit
Il y a tout ce que vous voulez aux Champs-Elysées“
Wie oft hatten sie aneinander vorbeigeredet. Wie oft hatten sie Dinge gesagt, die sie nicht so meinten oder keinen ganzen Satz herausgebracht. Wie oft hatten sie es nicht einmal geschafft, sich über das nötigste zu verständigen, doch diese Sprache war beiden Herzen so vertraut, dass sie keine Missverständnisse zuließ.
Womöglich verlor Alfred gerade wirklich doch noch komplett den Verstand.
Vielleicht war er vollkommen durchgedreht, aber er hatte das Gefühl, dass die Musik die beiden nun verband und alle zerbrochenen Stücke ihrer beider Herzen wieder zusammensetzte und die gegenseitig zugefügten Wunden heilte.
Als er schließlich endete, lag auf Darius‘ tränenüberströmtem Gesicht ein nahezu glückseliger Ausdruck und hastig stand er auf, um die wenigen Schritte zum Klavier zu überbrücken und Alfred in seine Arme zu schließen.
Alfred schmiegte sich mit geschlossenen Augen an ihn, spürte einen zaghaften Kuss auf seinem Haar und hörte Darius leise wispern, „Danke. Ich danke dir.“
Ein anschließend laut vernehmbares Räuspern ließ beide aufblicken.
„Soso“, meinte Kurt beinahe vorwurfsvoll, aber er strahlte über das ganze, müde zerknitterte Gesicht, „Wann geht es denn zusammen nach Paris? Da lässt man euch einmal allein zu zweit und ihr habt nichts Besseres zu tun, als mitten in der Nacht Musik zu machen! Andere Leute wollen schlafen.“
Darius schmunzelte verlegen und errötete, aber Alfred lachte befreit und zuckte nur mit den Schultern. Er schaffte es gerade nicht, sich schlecht zu fühlen.
„Mhm“, meinte er nur vielsagend, „Und ich dachte schon, du wunderst dich lediglich, wer um alles in der Welt hier singt.“
Kurt lachte und hob drohend den Zeigefinger, „Na, Alfred. Deine Stimme werd ich ja wohl auch nach Jahren noch erkennen. Ein bisschen eingerostet zwar, muss ich ja leider sagen, aber nichts desto trotz immer noch deine Stimme!“
Sie lachten alle drei und Darius wirkte mit einem Mal so glücklich, dass selbst die Tränenspuren auf seinem Gesicht nicht mehr darüber hinwegtäuschen konnte.
Zaghaft fasste Alfred ihn an der Hand und zog ihn sanft mit sich.
„Wir gehen ja schon“, scherzte er seinem Vater gegenüber und steuerte mit Darius sein Zimmer an, woraufhin Kurt mit erhobenen Augenbrauen nickte.
„Na, dann hoff ich mal, dass mich jetzt der Blitz trifft und ich sofort einschlafe, bevor ich es dann gar nicht mehr kann“, meinte er herausfordernd und Alfred wurde krebsrot im Gesicht.
„Dich soll der Blitz treffen, da gebe ich dir recht“, ließ er seinen Vater lachend wissen, „Aber keine Sorge, du wirst jetzt schlafen können. Wir werden leise sein.“
Darius schmunzelte etwas verlegen, ließ sich aber von ihm mitziehen und ehe sie in seinem Zimmer verschwanden, war Alfred noch, als hörte er Kurt noch gedämpft murmeln, dass er wahnsinnig stolz auf ihn war. Es war gerade alles viel zu schön, um überhaupt wahr zu sein.
Als Alfred die Tür hinter sich schloss, spürte er, wie ihm selbst die Röte ins Gesicht stieg und etwas verlegen kratzte er sich am Kinn, „Nun, da hast du ja jetzt meinen Vater von seiner besten Seite erlebt!“
„Ach“, Darius lachte leise, „Das ist schon in Ordnung. Ich hatte es mir sehr viel seltsamer vorgestellt, mit ihm die Zeit zu überbrücken und mich seinen neugierigen Fragen zu stellen. Er war erstaunlich gelassen, wir haben uns gut unterhalten.“
Alfred schmunzelte und deutete mit hochrot angelaufenem Kopf aufs Bett.
„Setz dich doch, ich meine-“, er räusperte sich verhalten, „Ich habe hier drin leider weder Stühle noch einen Tisch, aber wenn es dir nichts ausmacht-“
Darius ließ sich auf seiner Matratze nieder und schüttelte grinsend den Kopf, „Ach, Alfred. Ich gehe doch sehr stark davon aus, dass wir beide keine vierzehn mehr sind. Und unter diesen Umständen finde ich absolut nichts Unangebrachtes daran, ein Bett als Sitzgelegenheit zu nutzen, wenn es keine Alternative gibt.“
Fast schon erleichtert atmete Alfred auf, sah sich noch kurz prüfend um, ob sich hoffentlich auch nirgendwo der Staub türmte, dann setzte er sich neben Darius und einige Momente lang fühlte er sich tatsächlich, als wäre er vierzehn Jahre alt, in dieser anderen Realität aber zum ersten Mal über beide Ohren verliebt. Sie mussten beide lachen, kurz fühlte er sich ertappt, dann räusperte sich Darius und verschränkte mit versucht todernster Miene die Hände in seinem Schoß.
„Da wir das nun also geklärt haben-“, meinte er ganz professionell, aber seine Mundwinkel zuckten amüsiert, „Was genau hattest du denn hier geplant?“
Alfred zuckte etwas hilflos mit den Schultern und musste wieder lachen, „Nun, eigentlich nichts Bestimmtes. Nur dass wir leise sind, damit mein Vater schlafen kann? Kein Klavier, kein Gesang- vielleicht noch etwas miteinander reden?“
Der Ausdruck auf Darius‘ Gesicht wirkte beinahe gütig und sein Lächeln so verständnisvoll wie auch durch und durch angetan von Alfreds Unsicherheit.
Er nahm Alfreds Hände in seine und sah ihm tief in die Augen.
„Alles was du willst“, hauchte er leise, dann wandte er schnaufend den Blick ab und lachte verlegen, „Ich mag gemischte Signale senden, weil es mir schwer fällt, dich nur als netten Bekannten zu sehen, ja. Aber ich akzeptiere deine Prinzipien, also selbstverständlich- wir können gern noch miteinander reden.“
Alfred atmete tief durch und bemerkte, wie schwer es ihm ebenso fiel, Darius nicht einfach in einen zärtlichen Kuss zu ziehen. Doch es würde vermutlich durch und durch die falschen Signale senden und sicherlich in Anbetracht der Umstände nur für Missverständnisse sorgen, darum räusperte er sich und versuchte, all die unangebrachten Gedanken zur Seite zu schieben.
Darius hingegen schien zu zögern, dann aber noch weiter zu sprechen:
„Wir haben wohl beide unsere Herangehensweisen, mit der aktuellen Situation umzugehen. Daran hat sich von meiner Seite aus leider noch nichts ändern können. Weder an meinen Gefühlen für dich, noch an der Entscheidung, dass wir zunächst abwarten sollten, aber-“, Darius' Stimme klang rau und heiser, als er Alfreds Blick suchte, „Ich kann dir nicht genug danken, dass du für mich gesungen hast.“
Dieser schüttelte nur sanft den Kopf und lächelte schief.
„Für wen sonst, wenn nicht für dich?“, flüsterte Alfred ernst, „Du warst es, der mir meine Stimme zurückgegeben hat. Nur durch dich habe ich es geschafft, überhaupt wieder zu mir selbst zurückzufinden.“
Darius schmunzelte leicht und Alfred lachte verlegen.
„Das klingt nicht gerade logisch. Eher nach den Worten eines Mannes, der über beide Ohren verliebt ist“, neckte er ihn, dann seufzte er leise und ließ zu, dass Alfred seine Hände an sich nahm und sanft streichelte.
„Ich möchte ehrlich sein zu dir, Alfred“, Darius holte tief Luft, „Ich wollte dich unbedingt sehen. Es macht alles nur noch komplizierter, das weiß ich. Aber ich kann nicht ohne dich- und allen Anschein nach auch nicht mit dir, wenn nun mein einziger Gedanke ist, dass ich gern- ich meine- Verzeih bitte.“
„Dass du was?“, fragte Alfred geduldig und voller Verständnis, aber er bereute die Frage auch schon kurz darauf.
Darius wandte nämlich beschämt den Blick ab und druckste herum, „Dass ich dir trotz allem nahe sein möchte, egal wie wir offiziell zueinander stehen. Dass- dass ich gern mit dir schlafen würde.“
Alfred seufzte leise und küsste zart Darius‘ Hände.
Dann nahm er all seinen Mut zusammen.
„Nein“, sagte er sanft, aber doch so deutlich und bestimmt, dass es ihn selbst mit einem vollkommen fremdartigen Gefühl durchflutete, „Ich bin gern mit dir zusammen, ich bin wahnsinnig gern bei dir, aber das möchte ich nicht.“
Darius nickte hastig und wirkte, als wolle er diese Sache am besten sofort vergessen oder das Gesagte rückgängig machen, aber Alfred erkannte in diesem Moment, dass es wichtig war. Nicht nur das Wissen darum, dass Darius dieses Bedürfnis hatte, das wurde in diesem Moment beinahe nebensächlich.
„Entschuldige bitte“, sagte Darius schnell, „Ich hätte nicht wieder davon anfangen sollen- es tut mir wirklich leid, Alfred. Es tut mir sehr leid.“
Alfred schüttelte hastig den Kopf und hielt noch einige Momente inne, bis er tatsächlich erkannte, worauf es ankam. Warum er sich in diesem Augenblick so stark und frei und zufrieden fühlte, obwohl er Darius so vor den Kopf gestoßen hatte. Vielleicht kam es gerade darauf mehr an als alles andere.
Dass er sich erlaubte, zu etwas Nein zu sagen, was sich für ihn nicht richtig anfühlte; egal ob Darius es wollte. Dass er sich selbst wichtig genug nahm, sich über seine Grenzen im Klaren zu werden; egal was andere dazu sagten.
„Es muss dir nicht leid tun“, sagte Alfred, „Ich würde gern behaupten, dass es mir leid tut, dich abweisen zu müssen, aber wenn ich ehrlich bin-“
Seine Stimme begann zu brechen, nun traten ihm selbst wiederum die Tränen in die Augen und er musste weinen, „Wenn ich ehrlich bin, möchte ich dir danken, dass ich die Chance habe, Nein zu sagen. Dass ich es schaffe und dass du es akzeptierst- das bedeutet mir viel, Darius. Mehr als du denkst.“
Darius nahm ihn sanft in den Arm und hielt ihn fest umfasst, bis Alfred sich wieder etwas fangen konnte. Er spürte, dass es richtig war, ehrlich zu sein. Und mit einem Mal kam ihm der Gedanke, dass diese Ehrlichkeit wichtiger war, als eine bedingungslose Zustimmung zu allem, was Darius wusste.
Womöglich waren sie doch auf einem guten Weg. Langsam, ganz langsam bewegten sie sich darauf, aber die Richtung stimmte.
Sie sprachen die ganze restliche Nacht miteinander, lachten und scherzten, redeten über Gott und die Welt, aber auch Sorgen, Nöte und Ängste. Über Wünsche, Träume und alles, was die Zukunft bringen sollte. Über die Vergangenheit, über Fehler und verpasste Chancen, schütteten einander die Herzen aus und lagen einander dabei in den Armen, eng aneinander gekuschelt, noch vollständig bekleidet, aber gemeinsam und gemütlich auf Alfreds Bett.
Erst als der Morgen dämmerte, machte Alfred schweren Herzens darauf aufmerksam, dass sie vielleicht langsam aufstehen sollten, damit er noch rechtzeitig zur Arbeit fahren konnte. Darius stimmte ihm zu.
Und als Alfred noch einen letzten Blick auf ihn erhaschte, wie er so entspannt neben ihm lag, bevor er sich mit einem Seufzen dann doch widerwillig erhob, war es endgültig um ihn geschehen. Alfred erkannte so vieles mit einem Mal. Er hatte sich anscheinend sehr empfindlich geirrt:
Darius war überhaupt nicht der Mann seiner kühnsten Träume.
Er war der Mann, mit dem er sein Leben verbringen wollte. Nicht in irgendeiner traumhaften Vorstellung, sondern in der Realität. Und wenn nicht in dieser jetzigen Gegenwart, dann doch zumindest in einer zeitlich nicht näher bestimmten Zukunft.