Alfred schlief in dieser Nacht kaum.
Er hatte sich damit abgefunden, dass seine Träume ihm keine Ruhe ließen, so versuchte er es gar nicht mehr, nachdem er zweimal wieder aufgeschreckt war.
Um fünf in der Früh war er wieder hellwach und wartete darauf, dass es wenigstens halb sechs wurde, ehe er sich nicht mehr zusammenreißen konnte, das Telefon zur Hand zu nehmen.
Er schrieb Darius eine kleine nette Nachricht, dass er hoffte, er hatte gut geschlafen und sich nochmals für die gemeinsame Zeit bedanken wollte.
Dann rief er Jasper Sundström an.
„Hallo?“, fragte eine verschlafene Stimme ins Telefon.
„Guten Morgen, Jasper“, meinte Alfred verlegen, „Ich hoffe sehr, dass ich dich jetzt nicht geweckt habe?“
„Alfred?“, nuschelte Jasper und Alfred konnte Rascheln und ein leises Poltern vernehmen, ehe er sich räusperte und meinte, „Das ist ja wirklich peinlich. Normalerweise bin ich um diese Zeit immer schon wach!“
Alfred schnaufte erleichtert.
„Tut mir leid, dass ich störe“, begann er zaghaft.
Dann war es um die Beherrschung dahin und es platzte aus ihm heraus:
„Ich weiß jetzt, wovon du gesprochen hast!“
„Ja?“, es dauerte einige Momente, bis Jasper einigermaßen zurechnungsfähig klang, doch dann plapperte er schon drauf los, „Ich wusste es! Pass auf, ich sag dir was ich denke – ich denke, das sind nun zusammengenommen zwei Sätze seiner ersten eigenen Sinfonie und wenn wir die anderen finden, dann könnten wir-“
„Genau darüber wollte ich mit dir sprechen!“, fiel Alfred ihm aufgeregt ins Wort, „Denkst du, du könntest bis zur Probe einige Kopien anfertigen? So ungefähr – für das ganze Orchester? Ich habe keine Ahnung, wie wir das machen sollen, aber wenn alle mitmachen, bin ich mir sicher, dass-“
„Du bist genauso verrückt wie ich“, lachte Jasper, „Aber meinst du, dass Frau Sigmund uns helfen wird? Denkst du, wir können überhaupt den Probensaal dafür nutzen? Und wenn wir es tatsächlich schaffen, wo soll das Konzert stattfinden?“
Alfred schmunzelte, „Die Frage ist eher, wie wir bis Samstag oder spätestens Sonntag eine uns noch komplett unbekannte Sinfonie erlernen sollen. Außerdem fehlt uns die Hälfte der Partitur, darum sollten wir uns zuerst kümmern.“
„Ja, das stimmt“, seufzte Jasper, „Du hast aber doch sicherlich die Chance, Frau Berentz irgendwie zu erreichen? Und was den letzten fehlenden Teil angeht-“
Er schien zu grübeln und dabei laut zu überlegen, „Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen. Okay, okay. Versuch zu denken, versuch wie Darius zu denken!“
Alfred musste lachen, „Das ist wohl um einiges komplizierter, als man zunächst vermuten würde. Aber weißt du was?“
Jasper stockte.
„Nein“, sagte er dann, „Was denn?“
„Wir sind komplett verrückt geworden“, Alfred lächelte, „Aber wir kriegen das hin. Renate wird uns sicherlich helfen. Vielleicht weiß sogar Theresa darüber Bescheid, wer den letzten Teil haben könnte.“
Jasper lachte, „Auf jeden Fall sind wir verrückt! Aber sind das nicht auch alle Menschen von früher gewesen, die man heute noch nicht vergessen hat?“
Alfred schüttelte grinsend den Kopf, auch wenn Jasper das gar nicht sehen konnte, „Ich danke dir. Ich danke dir von Herzen.“
„Ich kann in einer Stunde da sein“, meinte Jasper schließlich, „Dann können wir noch eine Lagebesprechung machen, bevor die Probe losgeht.“
„In Ordnung“, Alfred setzte sich noch mit dem hochmodernen Telefon am Ohr in Bewegung, „Siehst du, nun bekommst du deine abenteuerliche Schatzsuche!“
Jasper gluckste freudig, „Habe ich es dir nicht gleich gesagt?“
„Wir schaffen das“, sagte Alfred überzeugt, „Das wäre doch gelacht!“
Dass er sich das in Gedanken zu einfach gemacht hatte, lag auf der Hand.
„Deine neu gewonnenen Ambitionen in Ehren, aber wie zum Teufel stellst du dir das vor?“, Renate hatte die Arme vor der Brust verschränkt und klang alles andere als begeistert.
Alfred kratzte sich am Kinn und zuckte mit den Schultern.
„Ich dachte, dir fällt da bestimmt etwas ein“, meinte er zerknirscht, „Du hast doch immer die besten Ideen, was Organisatorisches angeht!“
Renate musste lachen und schnippte die Asche ihrer Zigarette auf den Boden.
Sie standen draußen vor der Oper, Jasper hatte noch telefonieren müssen. Alfred hatte sein Glück kaum fassen können, als Renate über den Hof gelaufen war und sich darauf eingelassen hatte, dass er sie kurz sprechen wollte.
„Dir ist bewusst, dass dieses Vorhaben in der geplanten Zeit nicht umzusetzen ist?“, fragte sie amüsiert, „Noch dazu glaube ich kaum, dass das gesamte Orchester dazu bereit ist, für diese alberne Liebeserklärung unzählige Überstunden zu machen.“
Alfred seufzte. Realistisch betrachtet hatte er es all die Zeit nicht, aber diese ernüchternde Ansicht klang durchaus nach der Wahrheit.
„Und es ist nicht möglich, dafür ein wenig von der Zeit für die reguläre-“, begann er vorsichtig, aber Renate unterbrach ihn.
„Nein, Alfred“, sagte sie bestimmt, „Ich kann euch gern unter die Arme greifen, wenn ihr alles mit den restlichen Musikern geklärt habt, aber so wie ich es verstanden habe, besitzt ihr nicht einmal die vollständige Partitur!“
Alfred kratzte sich am Kinn und atmete tief durch.
Sie hatte Recht. Es war ein komplett sinnloses Unterfangen. Sie waren einfach dem Gedanken erlegen, was für eine wunderbare Überraschung es wäre.
„Es ist ja eine sehr niedliche Idee“, gab Renate zu, „Aber leider nicht durchführbar, sondern komplett unrealistisch, vor allem in der verbleibenden Zeit.“
Alfred senkte den Kopf und nickte langsam.
Dann rang er sich ein schiefes Lächeln ab.
„Ich danke dir trotzdem“, meinte er zerknirscht, „Wir sehen uns zur Probe.“
Er war im Begriff, sich geschlagen zu geben und nach Jasper zu suchen, aber Renate hielt ihn auf, „Warte bitte noch einen Moment.“
Verwundert wandte Alfred sich wieder zu ihr.
„Ich mache mir Sorgen um dich“, sagte sie knapp.
Alfred stockte der Atem.
„Bitte was?“, fragte er und runzelte die Stirn.
Renate sah ihm so direkt in die Augen, dass Alfred den Blick abwenden musste.
„Ich habe nicht das Gefühl, dass du zurechtkommst“, meinte sie.
Alfred wollte ihr zu verstehen geben, dass er sie zwar um Hilfe gebeten hatte, aber nicht nach ihrer Meinung zu seiner allgemeinen Verfassung, als sie bereits fortfuhr, „Ich habe morgen nichts vor. Wenn du möchtest, könnten wir uns irgendwo auf einen Kaffee treffen. Manchmal hilft es schon, sich alles von der Seele zu reden. Ich höre gern zu.“
Alfred blieb der Mund offen stehen.
„Jetzt schau nicht so“, lachte sie, „Ich weiß nicht, was du von mir denkst, Alfred. Aber ich bin weder nachtragend noch verbittert, du warst immer ein wichtiger Mensch für mich und wenn sich das geändert hätte, hätte ich sicherlich Besseres zu tun gehabt, als dir Briefe zu schreiben.“
Dazu fiel ihm nichts mehr ein. Alfred rang um Fassung, während er überlegte, ob er dieses Angebot annehmen konnte. Er dachte an Darius, an ihre Unterhaltung über Eifersucht und vergangene Beziehungen, aber vor allem beschäftigte ihn, dass er nicht einfach seinen Plan aufgeben konnte.
„Ich werde mit den Musikern sprechen“, sagte Alfred schließlich, „Falls sie sich dazu bereit erklären – was du für unwahrscheinlich hältst, ja – falls ich die restlichen Teile der Partitur finde – was du sicherlich ebenso wenig glaubst – und falls ich alles andere geregelt bekomme – was du mir vielleicht berechtigterweise auch nicht ganz zutraust – Wärst du in diesem Fall dazu bereit, uns zu helfen?“
Renate lächelte sanft.
„Natürlich“, sie nickte entschlossen.
Alfred strahlte über das ganze Gesicht.
„Ich bin selbst ein bisschen neugierig“, gab sie zu, „Aber kümmere dich erst einmal um den Rest – falls ich irgendwie helfen kann, lass es mich wissen.“
Alfred holte tief Luft, „Wenn es klappt, werden wir morgen einiges zu tun haben. Aber ich komme bei Gelegenheit auf dein Angebot zurück, den Kummerkasten für mich zu spielen. Du kannst mir jedoch glauben, dass es mir ein größeres Anliegen wäre, das Konzert auf die Beine zu stellen, als mich bei dir auszuheulen.“
Renate musste lachen.
„Das gefällt mir schon besser“, meinte sie grinsend, „Ein bisschen Kampfgeist hat noch niemandem geschadet. Du hältst mich auf dem Laufenden? Und ich beschäftige mich solange einmal hiermit!“
Sie hob vielsagend den Umschlag mit ihren Kopien der vorhandenen Teile der Partitur und Alfred nickte.
„Um einen Gefallen würde ich dich dennoch bitten“, meinte er leise, „Diese Dokumente sind wahnsinnig wichtig- Pass gut darauf auf und behalte sie für dich.“
„Darauf kannst du dich verlassen“, sagte Renate.
Und irgendwie fiel es Alfred nicht schwer, ihr das zu glauben.
„Und?“, fragte Jasper aufgeregt, als Alfred zu ihm kam und er das Gespräch hastig beendet hatte, „Was hat sie dazu gesagt?“
Alfred kratzte sich verlegen am Kinn, „Sie war nicht davon überzeugt, dass wir es schaffen werden. Aber falls doch, würde sie uns helfen.“
„Sehr gut!“, Jasper klatschte in die Hände, „Das heißt, wir haben einen Dirigenten, entschuldige- eine Dirigentin! Jetzt brauchen wir nur noch den fehlenden Teil der Partitur.“
„Zwei fehlende Teile“, erinnerte Alfred ihn, „Und den Rest des Orchesters. Einen Ort zum Proben und eine Lokalität für den Auftritt.“
„Hast du schon mit Frau Berentz gesprochen?“, wollte Jasper wissen.
Alfred schüttelte den Kopf, „Wann hätte ich das tun sollen?“
Jasper wirkte entschlossen.
„Sie hat einen der Teile, es kann nicht anders sein. Alles andere würde keinen Sinn ergeben!“, sinnierte er und Alfred warf einen Blick auf die Uhr.
Er fasste Jasper vorsichtig an der Schulter und führte ihn mit sich.
„Ich möchte dich ungern daran erinnern, dass wir dennoch unseren Job machen müssen. Aber vielleicht erreiche ich sie in der Pause“, meinte er vorsichtig und schob Jasper mit ins Gebäude.
Im Probesaal angekommen erwartete die beiden eine kuriose Szene.
Jasper wirkte absolut nicht schockiert, er grinste nur vielsagend. Alfred jedoch blieb in der Tür stehen und beobachtete mit offen stehendem Mund das Schauspiel, das sich ihnen bot.
Am Pult stand mit vor der Brust verschränkten Armen Erwin Gebauer, der eine längere Ausführung mit folgenden Worten beendete:
„Ich finde, wir sind es ihm schuldig – und wenn nicht ihm, dann sind wir es Jasper und Alfred schuldig! Noch dazu bin ich fest davon überzeugt, dass wir als Einheit agieren und alle am selben Strang ziehen müssen. Und wer jetzt noch Zweifel hat – ich bringe selbstverständlich ein bisschen Schnaps mit!“
Alfred sah fragend zu Jasper, aber der nickte nur zustimmend und zuckte auf Alfreds Blick hin grinsend mit den Schultern.
„Also, Leute!“, nahm Jasper mit erstaunlich sicher klingender Stimme das Wort an sich und Erwin rückte zur Seite, „Wir haben nur fünf Tage Zeit- Ihr müsst heute nach der Arbeit zuhause üben, es geht nicht anders. Wir treffen uns morgen hier um neun, dann sehen wir weiter, wann wir die Sonderproben einschieben können – zur Not bleiben wir jeden Tag ein paar Stunden länger. Haltet euch das Wochenende frei, wir kümmern uns um eine Location und geben über den genauen Termin so früh wie möglich Bescheid!“
Er drückte Alfred einen Stapel der Kopien in die Hand und begann damit, sie an die anderen zu verteilen. Während er durch die Reihen lief, sprach er weiter.
„Das hier sind die mittleren beiden Sätze, den Rest haben wir sicherlich morgen. Die nächsten Tage ist also immer Üben angesagt, wenn ihr nach Hause geht. Und wenn wir morgen Abend Essen gehen, betrinkt euch nicht zu sehr!“
Erwin schnaufte amüsiert und sah zu Alfred.
„Also für mich klingt das nach Selbstmord. Mich geht das ja nichts an, aber- Wie kommt ihr auf so eine bescheuerte Idee?“, fragte er, „Und vor allem, wieso haben wir nicht früher mit dem Üben begonnen? Das ist innerhalb dieses zeitlichen Rahmens kaum möglich!“
Alfred musste schmunzeln.
„Dafür, dass du selbst nicht davon überzeugt bist, hast du dennoch sehr große Erfolge mit deiner Überredungskunst erzielt“, meinte er lachend, „Außerdem haben wir es schon einmal geschafft, also ist es zumindest einen Versuch wert.“
„Nun ja“, Erwin stemmte die Arme in die Hüfte, „Ich habe lediglich Jasper einen Gefallen getan und bin sehr froh, wenn ich meine Frau nicht allzu lang am Stück ertragen muss. Solange wir uns also nicht lächerlich machen, bin ich sowieso für jeden Spaß zu haben.“
Als kurze Zeit später Renate in den Raum trat, saßen alle an ihren Plätzen und ließen sich nichts anmerken. Die meisten hatten bereits ihr Instrument zur Hand genommen, manche beschäftigten sich noch mit Notizen.
Renate warf Alfred einen kurzen, prüfenden Blick zu und dachte sich wohl ihren Teil. Sie schüttelte nur schmunzelnd den Kopf, aber er konnte sich das zufriedene Grinsen nicht aus dem Gesicht zwingen.
Die reguläre Probe verlief überraschend erfolgreich.
Alfred war an manchen Stellen so überwältigt, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. Das Orchester lief zur Höchstform auf.
All die Unstimmigkeiten, bei denen Marquardt so oft die Geduld verloren hatte, all die kleinen und großen Patzer, wegen der er sich über fehlendes Zusammenspiel beschwert hatte. Von alldem war nichts mehr übrig.
Alle Musiker hatten in den letzten Wochen viel gelernt. Aus Unmut war Verständnis füreinander gewachsen. Gemeinsam hatten sie es geschafft. Jeder hatte sich auf den anderen eingelassen. Zusammen trotzten sie den Umständen. Sie waren an der stressigen Zeit nicht zerbrochen. Sie waren allesamt enger zusammengerückt.
Woraus sonst sollten sie die Kraft dafür schöpfen, erneut ihr Bestes zu geben und das Unmögliche möglich werden zu lassen? Das Verschwinden von Marquardt war womöglich kein unsäglicher Verlust gewesen, sondern eine große Chance. Nicht nur eine verlorene Chance für Darius, sondern eine Chance für sie alle, das Bestmögliche aus der Situation zu ziehen. Ohne Darius wäre es nicht möglich gewesen.
Er hatte ihnen eine Chance gegeben, deren Resultat deutlich zu hören war, obwohl er selbst gar nicht im Raum war. Der Klang von Freundschaft und Vertrauen erfüllte den Saal. Sie waren zu einer Einheit gewachsen, zu einer Gruppe von Menschen, die allen Widrigkeiten mit Zusammenhalt trotzte. Und das spürte man.
In der Pause traf sich Alfred mit Theresa. Sie wirkte gestresst und hielt das Telefon fest in ihrer Hand umklammert.
„Worum geht es denn so dringend?“, wollte sie wissen und die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Alfred biss sich auf die Zunge. Vermutlich war es ihr nach den letzten Wochen nicht zu verübeln, doch er hatte sie nicht beunruhigen wollen. Beschwichtigend hob er die Hände.
„Alles gut“, er rang sich ein zuversichtliches Lächeln ab, „Ich wollte dich nur etwas fragen. Du hast nicht zufällig Noten bekommen?“
Theresas Augen verengten sich gefährlich und sie verschränkte die Arme vor der Brust, „Wer will das wissen? Und was hast du damit vor? Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“
Alfred grinste schief, „Du bist eine schlechte Lügnerin. Pass auf, ich weihe dich ein- Mhm. Stell dir einen Abenteuerfilm vor.“
Während er sie in die Pläne der fleißigen Schatzsucher einweihte, entspannte sich Theresas Mimik. Sie verstand. Natürlich verstand sie.
„Ihr seid verrückt“, gab sie sich geschlagen. „Ich erspare dir meine Meinung zu dieser Aktion. Wenn ich nicht wüsste, wie viel es ihm bedeuten würde, dann könntest du dich auf etwas gefasst machen. Aber trotzdem! Wir sollten das nicht an die große Glocke hängen. Es war im Vertrauen, es ist ein Geheimnis, es ist-“
Sie seufzte schwer, „Na fein, aber ich gebe das Original nicht aus der Hand.“
Alfred sah davon ab, sie daran zu erinnern, dass sie ebenfalls eine kopierte Version besaß. Es war unpassend und half nichts. Er erklärte den geplanten Ablauf so gut er es strukturieren konnte. Theresas Züge wirkten wieder angespannt, als würde sie zweifeln.
„Falls ihr Hilfe braucht-“ begann sie, dann schüttelte sie vehement den Kopf, „Nein. Ihr braucht Hilfe! Ich rede mit Ferdinand.“
Alfred hob fragend eine Augenbraue.
„Es ist unwahrscheinlich, dass er da mitspielt. Aber keine Sorge, ich habe einen Plan B zur Hand!“, verriet sie ihm.
Vorsichtig hakte er nach, „Möchtest du ihn mir anvertrauen?“
Theresa lachte. Sie schien zu überlegen, sich aber schnell zu entscheiden.
„Hast du dein Telefon dabei?“, fragte sie, „Ich bin mir sicher, dass in diesem Fall ein kleines Familientreffen nicht schaden kann.“
Alfred stand wohl der Schock ins Gesicht geschrieben, denn sie lachte und winkte ab, „Sie sind verrückt, ja. Aber du wirst sie mögen!“
Kurze Zeit später war Alfred im Besitz einer Telefonnummer, von der er nicht geglaubt hatte, dass er jemals Verwendung für sie hätte. Theresa versprach, dass sie ihr Möglichstes tun würde, Berentz abzulenken. Um dennoch auf der sicheren Seite zu sein, sollte Alfred sich an Luise Frey wenden. Ihre Schwägerin, so ließ Theresa verlauten.
Alfred hätte gern angemerkt, dass er dies bereits wusste. Um sie jedoch nicht aus dem Konzept zu bringen, nickte er nur aufmerksam.
„Ich bin mir sicher, sie kann mit Räumlichkeiten zum Proben aushelfen“, meinte Theresa. „Notfalls auch für das Konzert selbst. Wenn du möchtest, spreche ich zuvor mit ihr.“
Alfred schüttelte den Kopf.
„Nein“, meinte er. „Danke, aber das wird nicht notwendig sein“
Theresa lachte. Sie klopfte ihm auf die Schulter und zwinkerte ihm zu.
„Mensch Alfred“, neckte sie ihn, „So kenne ich dich ja gar nicht. Kann es sein, dass du etwas im Schilde führst?“
Alfred fühlte sich ertappt, doch das konnte sie nicht wissen.
„Mhm“, begann er verlegen, „Ich weiß nicht, was du denkst. Aber ich möchte ihm eine Freude bereiten. Und wenn es bis auf weiteres meine letzte Chance ist-“
Sie sah ihn an und schüttelte langsam den Kopf.
„Unsinn“, sagte sie sanft, „Ihr habt euch gefunden. Ihr gehört zusammen. Es gibt nichts, was das ändern könnte. Er braucht nur noch etwas Zeit.“
Alfred rang sich ein Lächeln ab. Er versuchte, die sich aufdrängenden Gefühle zur Seite zu schieben, aber es gelang nur mäßig.
„Egal wie er sich entscheidet- ich denke nicht, dass ein Konzert etwas daran ändern wird“, erklärte er so nüchtern wie möglich, „Aber ich möchte es hören. Ich möchte seine Sinfonie hören – und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“
Theresa musste lachen, doch es klang fast wehmütig.
„Du bist ein feiner Kerl, Alfred“, sagte sie so zärtlich, dass Alfred schwer ums Herz wurde.
Er konnte nicht vergessen, was sie ihm anvertraut hatte. Sie hatten nicht mehr darüber gesprochen. Alfred wollte keine Vermutungen anstellen. Er konnte nicht einschätzen, wie aktuell dieses Geständnis blieb.
Er würde sie direkt fragen können, ja. Doch es würde nichts ändern.
Vielleicht sollten sie einander dieses Gespräch ersparen. So tun, als wäre es nie passiert. Er konnte ignorieren, was sie gesagt hatte.
Aber das brachte Alfred nicht über sich. Stattdessen fasste er sich ein Herz.
„Wie geht es dir?“, fragte er leise.
Theresa lachte auf, „Mir geht es blendend! Sieht man das nicht?“
Sie wollte davon ablenken, doch es klang bitter. Alfred holte tief Luft.
„Du siehst fabelhaft aus, ja“, versuchte er sich an einem Kompliment. „Mich interessiert aber, was hinter der Fassade vor sich geht.“
Sie seufzte tief und sah ihm lange in die Augen.
„Ach Alfred“, murmelte sie, „Du hast doch alles mitbekommen. Wie soll es mir schon gehen? Ich habe Angst, dass Klinik auch nichts bringt. Ich habe Angst, dass ich meine Ehe nicht retten kann. Ich habe einfach nur Angst.“
Betreten sah Alfred zu Boden und schnaufte tief durch.
„Es tut mir leid“, sagte er. „Ich kann dir nicht bieten, wonach du dich sehnst. Aber ich bin hier und ich bleibe. Ich bin für dich da.“
Theresa lächelte schwach, „Danke, Alfred. Ich bin gewohnt, mich mit wenig zufrieden zu geben. Wir sind Freunde. Das ist mehr, als ich mir jemals erträumt habe.“
Alfred biss die Zähne aufeinander. Es tat weh. Es schmerzte ihn, erneut zu hören, was er ohnehin vermutet hatte.
„Es ist nicht fair“, sagte er leise, dann hob er zaghaft den Blick. „Aber es ist alles, was ich dir geben kann.“
Theresa lächelte unendlich sanft und nahm ihn in den Arm.
„Das reicht“, flüsterte sie ihn sein Ohr. „Es genügt vollkommen.“