Als er wieder wach wurde, konnte Darius nicht sagen, welche der letzten Ereignisse er geträumt hatte und welche tatsächlich stattgefunden hatten.
Wieder hatte sein Zeitgefühl ihn im Stich gelassen und er schaffte es nicht, nach dem Telefon zu greifen. Es könnten mehrere Tage oder nur einige Stunden vergangen sein, er wusste es nicht.
Tatsache war nur, dass er keine Wahl hatte. Vielleicht vereinfachte es die ganze Sache, sich nicht mehr selbst gegen eine Beziehung zu Alfred entscheiden zu müssen, sondern quasi dazu gezwungen zu sein. Vielleicht sollte er dankbar sein, doch alles in ihm sträubte sich und die lähmende Angst war das einzige, was immer bleiben würde.
Alles schien mittlerweile wie ein endloser Kreislauf aus Verzweiflung und Leid. Bis darauf, dass diese abwärts verlaufende Spirale einen neuen Tiefpunkt erreicht hatte, an dem eine explizite Drohung im Raum stand, die er sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht nur eingebildet hatte.
Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte schreien und weinen und einfach wieder bewusstlos werden. Er hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, wie er aus dieser Lage wieder herauskommen sollte.
Doch als Darius sich etwas sammelte, auf die Seite wälzte und dabei schließlich in zwei besorgt wirkende, aber dennoch so unendlich warme und gütige Augen blickte, war all das mit einem Mal vergessen.
„Alfred-“, flüsterte er heiser.
Er war da. Er war bei ihm. Und Alfreds Lippen zuckten zu einem kleinen, schüchternen Lächeln, während er leicht nickte und dabei beinahe schon komplett überwältigt vor plötzlich einsetzender Erleichterung wirkte.
Darius spürte eine warme Hand fast angsterfüllt zaghaft und dennoch so unendlich sanft über seine Wange streicheln und schloss mit einem seligen Seufzen die Augen. Alfred war bei ihm.
Die Welt konnte nun getrost um ihn herum zusammenbrechen. Die Zeit stand still. Die Welt drehte sich nicht mehr weiter, denn das brauchte sie auch nicht. Darius wusste nicht, ob es ein paar Minuten oder mehrere Stunden gewesen waren, in denen Alfred einfach nur bei ihm gesessen hatte. Immer wenn er die Augen geöffnet hatte, hatte Alfreds liebevoller Blick auf ihm gelegen.
Immer wenn er sie erschöpft doch wieder schließen musste, hatte er nicht damit aufgehört, ihn sanft zu streicheln und die Berührungen von Alfreds warmen Händen fühlten sich an, als würden sie nicht nur seine Haut streifen, sondern bis ins tiefste Innere seines Herzens dringen.
Als Darius es dann schaffte, die Augen für längere Zeit am Stück offen zu halten, sah er einfach nur wie gebannt in Alfreds Gesicht. Fasziniert davon, wie viel Liebe und Güte und in einem so besorgten und tieftraurigen Ausdruck liegen konnte. Er war dankbar, dass er bei ihm war.
Am meisten überwog jedoch die Schuld. Wenn er es auch schon so lange schon geahnt hatte und nicht hatte wahrhaben wollen, so besiegelte doch die erste Träne, die sich aus Alfreds feuchten Augen löste und über seine Wange rollte die Gewissheit, die Darius nicht mehr von sich weisen konnte.
Es hatte keinen Sinn. Es würde nicht funktionieren.
Nicht jetzt. Nicht so.
Vielleicht irgendwann. Irgendwann, wenn nicht mehr die ganze Welt und ein ganz bestimmter Mann zwischen ihnen stehen würde. Irgendwann, sie bereit dazu waren. Wenn Darius alles geklärt hatte, was es zu klären gab und die Vergangenheit ein für alle Mal hinter sich lassen konnte, ohne dass sie ihn wieder und immer wieder von Neuem einholen würde.
Vielleicht niemals, aber wer konnte es schon sicher sagen. Er wollte die Hoffnung wahren, dass vielleicht doch der Moment kommen würde. Dann, wenn er selbst stark genug war, dass er anderen mehr Freude als Kummer bereiten konnte. Dann, wenn er irgendwann auch geben konnte, anstatt immer nur zu nehmen.
Vermutlich hatte Alfred das längst ebenfalls erkannt. Darius hoffte es zumindest, denn er wusste nicht, wie er es ihm ansonsten klar machen sollte, ohne ihn damit so tief zu verletzen, dass es keine weitere Chance geben würde.
„Darius-“, begann Alfred leise und riss ihn aus seinen trübsinnigen Erkenntnissen über diese Situation.
Seine Stimme klang brüchig und es dauerte einige Momente, bis Darius überhaupt reagieren konnte. Er brachte keinen Ton heraus, stattdessen tastete er mühsam nach Alfreds Hand, um seine eigene sanft darüberzulegen.
Alfreds Unterlippe zitterte und ihm entkam ein kaum hörbares Seufzen. Seine Mundwinkel zuckten zu einem traurigen Lächeln, einige weitere Momente vergingen, in denen er wohl um Fassung ringen musste-
„Wie fühlst du dich, Liebling?“, fragte er dann sanft.
Das liebevolle Kosewort fuhr Darius durch Mark und Bein, es schmerzte ihn tief und machte ihm klar, dass seine Hoffnung auf eine einvernehmliche Lösung wieder nur eine Illusion gewesen war. Es war vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt für eine feste Beziehung. Aber genauso wenig war es der richtige Zeitpunkt für eine Grundsatzdiskussion.
Darius schloss für einen Moment die Augen, dann sah er Alfred an.
„Mir geht es gut“, meinte er mit einem schwachen Lächeln.
Er wusste nicht, ob Alfred ihm glaubte, aber allein die Aussage ließ dessen Züge sofort etwas entspannter wirken, darum wollte er seine Worte damit bestärken, sich ein wenig im Bett aufzusetzen.
Sofort beugte Alfred sich zu ihm, anscheinend wollte er ihm dabei helfen.
Schon als er ihn sanft umfasste, damit er ihn ein bisschen stützen konnte, war Darius jedoch so von seiner unmittelbaren Nähe überwältigt, dass er seinen eigentlichen Plan vergaß und einfach nur die Arme um Alfred legte und sich ganz nah an ihn schmiegte. Dieser schien diese innige Umarmung ebenso zu genießen und einige Momente hielten sie einander fest in den Armen.
Darius wurde schmerzlich bewusst, wie sehr er Alfred vermissen würde. Aber es reichte einfach nicht aus, wenn man für ein paar Augenblicke beieinander den Rest der Welt vergessen konnte. Er wollte Alfred nicht dafür benutzen, seine Probleme bei ihm wegschieben zu können.
Das Ziel sollte sein, sich gemeinsam der Welt stellen zu können. Zusammen in dieselbe Richtung blicken zu können, sich gegenseitig zu stützen und miteinander eine Zukunft zu gestalten – Das funktionierte einfach nicht, wenn man selbst gerade nicht wusste, wie es weitergehen würde.
Darius wusste, worauf es hinauslaufen würde, wenn er jetzt nicht die Notbremse ziehen würde. Alles in ihm schrie nur nach Alfred und doch reichte es nicht, dass Alfred ebenso fühlte.
Eine Beziehung sollte darauf aufbauen, dass man einander liebte. Nicht darauf, dass man einander brauchte. Wenn das Fundament aus Erwartungen bestand, denen niemand gerecht werden konnte, war die ganze Sache zum Scheitern verurteilt. Natürlich konnten sie aus der gegenseitigen Zuneigung und schönen Momenten starke Mauern bauen, gemeinsame Interessen, Träume und Wünsche, dieselbe Wellenlänge würden für ein Dach ausreichen, das vor Wind und Wetter schützen würde.
Es würde nicht einmal an den umstehenden Menschen scheitern und ob sie ihnen mit gutem Willen gegenüberstanden oder nicht. Doch wenn die Erde bebte, wenn die ganze Welt ins Wanken geriet, dann würde auch dieses wunderschöne Haus nicht lange bestehen, wenn es auf einem brüchigen Fundament gebaut war.
Als sich Darius von Alfred löste, hauchte er einen sanften Kuss auf seine Wange. Dann nahm er beide Hände in seine, sah ihm lange in die Augen und fasste all seinen Mut zusammen, um endlich seine Gedanken auszusprechen.
„Alfred-“, begann er und war sich bewusst, dass ihm dessen gesamte Aufmerksamkeit ohnehin längst zuteil war, „Ich- ich wollte-“
Darius brach ab und verfluchte sich im Stillen.
Alfred sah besorgt aus, aber er ließ ihn ausreden, umfasste seine Hände nur fester und wartete geduldig, bis Darius es schaffte, seine Stimme fester und sicherer klingen zu lassen.
Er holte Luft und versuchte, zumindest solange nicht zu weinen zu beginnen, wie er sein Anliegen vortragen würde.
„Ich möchte dir danken“, begann er und bemerkte noch im selben Moment, dass es schwieriger war, als er sich vorgestellt hatte, „Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Vor allem aber möchte ich weiteren Missverständnissen vorbeugen, indem wir miteinander sprechen, bevor wir zu viel im Stillen denken.“
Alfreds Lippen zuckten zu einem schiefen Lächeln.
Er wirkte noch immer traurig und besorgt, aber dass er nicht komplett schockiert und vor den Kopf gestoßen war, ließ Darius darauf schließen, dass er noch immer nicht verstand.
„J-ja?“, trotzdem schaffte es Alfred nicht, eine gewisse Art und verwirrter Unsicherheit aus seiner Stimme zu verbannen.
„Du brauchst dich wirklich nicht zu entschuldigen“, sagte er dann sanft, „Ich bin dankbar, dass ich wieder bei dir sein kann- dass du wach bist- dass-“
Er brach ab und kratzte sich verlegen am Kinn.
Eine so kleine und unscheinbare Geste, aber doch so typisch Alfred, dass es Darius beinahe vor Schmerz zerriss. Noch wusste er nicht, wie er ohne Alfred zurechtkommen sollte. Aber manches war ihm jetzt schon klar.
Es würde wehtun. Er würde ihn vermissen. Und doch war diese Entscheidung das Beste für sie beide.
„Worüber möchtest du denn sprechen?“, fragte Alfred.
Darius gestikulierte vage in die Luft.
„Über alles- über dich, über mich. Über- über uns?“, begann er vorsichtig.
Auf Alfreds Gesicht zeichnete sich ein überglückliches Lächeln ab und Darius verfluchte sich im Stillen. Das lief alles in die falsche Richtung.
Alfred küsste seine Hand und sah ihn zärtlich an.
„Du hast Recht“, meinte er sanft, „Vielleicht wäre es wirklich angebracht, Missverständnissen mit klaren Worten entgegenzuwirken, bevor sie überhaupt entstehen. Miteinander reden anstatt zu vermuten, Kommunizieren statt Nachdenken und-“
Er brach ab und machte eine kleine Pause, in der er wohl kurz über sich selbst schmunzeln und den Kopf schütteln musste.
„Ich gestehe, ich bin nicht gut darin, meine Gefühle auszudrücken, geschweige denn meine Gedanken zu formulieren, aber-“, begann er verlegen, wirkte dann aber so zuversichtlich, dass es Darius abermals tief schmerzte, „Wir bekommen das sicherlich trotzdem hin. Ich bin mir sicher- wir schaffen das.“
Darius schloss die Augen und kämpfte gegen die Tränen an.
Alfred beugte sich näher zu ihm, doch Darius konnte ihm gerade nicht entgegenkommen. Nicht als er sanft seine Wange streichelte, nicht als er einen zarten Kuss auf seine Stirn hauchte.
„Es freut mich sehr, dass du dir sicher bist“, sagte Darius leise, „Ich bin es nämlich nicht. Ich wünschte, ich könnte mir sicher sein, aber ich bin es absolut nicht.“
Alfred sah ihn lange an, dann nahm er wieder seine Hand.
„Bei mir bist du sicher“, hauchte er und hielt sich verzweifelt an ihm fest, „Lass mich deine Sicherheit sein.“
Darius‘ Lippen zuckten zu einem müden Lächeln.
„Darum geht es nicht, Alfred“, sagte er ernst.
Langsam schien er zu verstehen und auf seinem Gesicht lag mehr und mehr derselbe tiefe Schmerz, den Darius die ganze Zeit über schon fühlte.
So sehr er auch nach Worten rang, er musste erklären. Er musste Alfred ein für alle Mal freisprechen. Frei von der Schuld, die er sich selbst gab. Frei von Sorge und Angst, die er wegen ihm empfinden musste. Frei von der Not und der unendlichen Last, die er ihm aufbürdete, ohne es eigentlich zu wollen.
Frei für etwas anderes, was ihn erleichtern, sein Herz erfüllen und sein Leben wirklich bereichern würde.
„Vielleicht ist das hier wirklich ein Zeichen dafür, einen anderen Weg einzuschlagen“, meinte er und versuchte sein Möglichstes, zuversichtlich zu klingen – oder zumindest so, als würde er hinter seinen eigenen Worten stehen.
„Ich werde eine ganze Weile weg sein. Was danach kommt, weiß ich noch nicht“, erklärte er nüchtern, „Sobald ein Therapieplatz frei ist, fahre ich nach Deutschland. Bis dahin wird sich Renate Sigmund so etabliert haben, dass du der einzige sein wirst, der sich überhaupt an mich erinnert.“
Alfred schüttelte all die Zeit über nur im Stillen wieder und wieder den Kopf.
Darius sah ihm an, dass er widersprechen wollte, doch er war ihm dankbar, dass er eben dies nicht tat, sondern ihn ausreden ließ.
„Wahrscheinlich wird es am Anfang schwer sein, aber ich bin mir sicher, dass der anfängliche Schmerz schnell nachlässt. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass wir uns immer alsbald wiedersehen“, fuhr er fort, „Aber dennoch glaube ich fest daran, dass es weniger weh tut, wenn es jetzt ein Ende hat, als wenn wir uns für zu lange zu sehr in eine Sache hineinsteigern, die niemals gut ausgehen wird.“
Alfred starrte ihn einfach nur ungläubig an.
Dann schnaufte er tief durch und wirkte mehr und mehr wie ein Häufchen Elend, während er den Blick abwandte und sich über die feuchten Augen wischte.
„Ich werde sicher irgendwann herausfinden, wo mein Platz auf dieser Welt ist“, sagte Darius und es fiel ihm immer schwerer, seine Stimme fest und sicher klingen zu lassen, „Aber Wien ist es offensichtlich nicht. Das war es nie und wird es wohl auch nie sein. Ihr werdet ohne mich zurechtkommen.“
Alfred brauchte wohl einige Momente, um sich wieder zu sammeln.
„Darius-“, begann er mit brüchiger Stimme, „Was- ich meine, warum-“
Dann holte er tief Luft und streichelte seine Hand.
„Hör mir zu, Darius, bitte“, sein tiefer, fast flehender Blick bereitete Darius Schmerzen, „Ich weiß, dass es gerade schwer ist. Du musst gerade die Hölle durchstehen und kann mir vorstellen, dass es dich verzweifeln lässt. Natürlich musst du deine Entscheidungen selbst treffen und ich- ich möchte dir nicht im Weg stehen, wenn du- wenn du nicht-“
Er brach ab, weil seine so sanft klingende Stimme in einem kläglichen Schluchzen unterging und Darius konnte ihn nicht ansehen.
„Darius, hör mir zu“, begann er abermals, doch es blieb dabei, denn statt weiteren Worten kamen nun ganz ungehindert die Tränen.
Alfred weinte. Wieder einmal weinte er wegen ihm und eigentlich sollte es ihn nur in seiner Entscheidung bestärken, doch eigentlich wollte Darius ihn gerade nur fest in seine Arme schließen und ihm sagen, dass alles gut werden würde.
„Ich verstehe, dass du leidest“, schluchzte Alfred, „Ich verstehe, dass du eine Pause brauchst. Ich verstehe, dass du erst gesund werden musst und dass es sich so anfühlen muss, dass Berentz noch auf dich eintritt, während du ohnehin schon am Boden liegst, aber-“
Er umfasste Darius‘ Hand fast krampfhaft mit beiden seiner Hände.
„Niemand wird dir übel nehmen, dass du dich eine Weile lang um die Therapie kümmerst. Nur bitte, komm danach wieder zurück!“, flehte er ihn an, „Niemand wird dich vergessen. Denk nur an Theresa, wie sie dich vermissen würde- Denk an Nina, sie liebt dich so sehr, du bist ihr großes Idol! Und- Jasper ist untröstlich und so unsicher, seitdem du fehlst- selbst Erwin hat sich beschwert und ich bin mir sicher, Renate würde keine Sekunde lang zögern, dir wieder den Vortritt zu lassen, wenn du wieder gesund bist.“
Alfred senkte den Blick und weinte leise.
„Dein Platz ist hier. Du hast so sehr dafür gekämpft und deinen Platz gefunden! Nicht nur im Orchester- Vor allem bei den Menschen hier“, flüsterte er, „Sie alle brauchen dich hier. Du würdest ihnen fehlen. Es würde für immer etwas fehlen, wenn du gehst. Niemand kann dich ersetzen- nicht im Orchester, nicht in deiner Familie und auch nicht- ich meine-“
Darius biss sich auf die Unterlippe. So schuldig er sich auch fühlte, überhaupt so zu denken, aber er wollte es hören. Er musste es hören, so dringend brauchte er diese Worte.
Alfred schluchzte und wischte sich energisch die Tränen aus den Augen, um Darius mit verschleiertem Blick wieder anzusehen.
„Wenn du deine Entscheidung getroffen hast, wird dich dies zwar auch nicht umstimmen, aber dennoch- ich möchte zumindest, dass du weißt, dass- dass ich-“, Alfred nahm einige zittrige Atemzüge, „Du würdest mir fehlen. Unerträglich sehr. Ich würde dich vermissen. Deine Abwesenheit wird ein tiefes Loch in mein Herz reißen, das nur du wieder füllen kannst, wenn du zurückkehrst, Darius-“
Er sah ihn so flehend und verzweifelt an, dass Darius es bereute, auf eben diese Worte gewartet zu haben. So würde er das nicht schaffen. So würde er es nicht durchziehen können.
Alfred weinte noch immer, als er Darius‘ Hände küsste. Er weinte, während er sich zaghaft zu ihm beugte, und sein Gesicht streichelte.
Noch immer liefen Tränen über seine Wangen, als er Darius‘ Stirn küsste und dann nach seinem Blick suchte. In seinen feuchten Augen lag so viel Ehrlichkeit und Gefühl, dass Darius es kaum schaffte, seinem Blick stand zu halten.
„Natürlich ist es deine Entscheidung“, flüsterte Alfred leise, „Natürlich kann es dich nicht umstimmen, wenn du sie getroffen hast, aber- Ich möchte, dass du weißt, dass- dass du alles für mich bist, Darius. Alles, was zählt.“
Er versuchte sich an einem Lächeln, doch es war tieftraurig.
„Und ich wünschte ich hätte die Gelegenheit gehabt, dir dies unter erfreulicheren Umständen mitzuteilen, aber wenn es meine letzte Chance bleibt-“, fuhr er fort und nahm Darius‘ Gesicht zärtlich in seine Hände.
Er hatte keine andere Wahl, als in die liebevollen, verheulten Augen zu sehen, so warm und gut und todtraurig, während Alfred ihm gestand, was Darius all die Zeit über befürchtet hatte.
„Ich wäre nie wieder komplett ohne dich“, hauchte er sanft, „Ich möchte auch gar nicht mehr ohne dich komplett sein- Ich- Ich liebe dich. Ich liebe dich, Darius.“
Kurz fühlte sich Darius genötigt, darauf zu antworten.
Alfred jedoch legte zart einen Finger auf seine Lippen und lächelte traurig.
„Du musst nichts sagen“, flüsterte er leise, „Ich wollte nur, dass du es weißt.“
Und eigentlich hatte Darius geplant, ihm seine Meinung dazu sehr wohl mitzuteilen, doch im selben Moment als Alfred noch einmal sanft über seine Lippen streichelte, um den Finger danach wegzunehmen, konnte er nichts mehr sagen.
Er konnte nicht mehr denken. Das einzige, was ihm übrig blieb, lag auf der Hand. Er musste seiner Sehnsucht nachgeben, vielleicht ein letztes Mal, bevor alles für immer vorbei sein würde.
Darius hatte nicht geglaubt, überhaupt so viel Kraft zu besitzen wie er nun aufwenden musste, um sich vollends aufzurichten und Alfred fast schon hastig zu sich zu ziehen, als würde er es keine Sekunde mehr ohne seine Nähe aushalten.
Alfred legte mit einem zittrigen Seufzen die Arme um ihn und Darius hielt sich an ihm fest. Als Alfred seine Augen schloss, küsste Darius erst die Tränen von seinem Gesicht und suchte dann verzweifelt nach seinen Lippen. Sanft küsste er ihn und bemerkte erst währenddessen, dass er selbst ebenfalls weinte.
Die Welt drehte sich nicht mehr weiter und die Zeit stand still, solange ihre Lippen einander zärtlich berührten. Darius konnte sich nicht mehr lösen. Es sollte bei einem einzigen kleinen Abschiedskuss bleiben, doch das schafften sie beide nicht.
Alfred hielt ihn sicher in seinen Armen und stützte ihn, als sämtliche Spannung aus Darius‘ Körper wich und er einfach nur gegen ihn zu schmelzen schien, um wieder und wieder seine Lippen zu küssen.
Sie konnten beide nicht widerstehen und während sie einander so nahe waren, vermischten sich die Tränen auf ihren Gesichtern miteinander.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit schafften sie es, sich mehr als einige Momente zum Luftholen voneinander zu lösen. Kein einziges Wort sprachen sie mehr, aber irgendwann wiegte Alfred ihn so liebevoll in seinen Armen, dass Darius der Erschöpfung nicht länger entgegenarbeiten konnte.
Als Darius wieder wach wurde, war Alfred nicht mehr da.
Doch aus seiner Erinnerung würde Darius ihn niemals loslassen können.
Auf eine ganz bestimmte Art würde er immer bei ihm sein, auch wenn er ihn verlassen musste, um ihn zu schützen.
Noch immer spürte er seine Nähe; den warmen Atem auf seiner Haut und salzige Küsse auf seinen Lippen. Es wäre auch zu schön gewesen.
Zu schön, um Wahrheit werden zu können.