Er warf ein breites Lächeln in die Runde und beobachtete zufrieden, wie die Frauen gebannt an seinen Lippen hingen. Er zwinkerte einer von ihnen zu und sie stieß ein affektiertes Kichern aus. Seine Miene verrutschte nicht, obwohl er diese Art von Kichern hasste. Er würde schon eine andere aus dem Haufen finden, die er sich für die Nacht in sein Bett holen konnte. Die Frauen lagen ihm einfach zu Füßen, er war charmant und attraktiv und wusste seine Muskeln, seine blauen Augen und seine blonden Haare effektiv einzusetzen, sodass ihm keine Frau widerstehen konnte. Hinzu kam noch, dass er als Jäger in einer Elitegruppe der Regierung arbeitete und die Welt beschützte. Damit war er so etwas wie ein kämpfender Rockstar, ein Superheld. Das machte es ihm leicht, jede Frau zu kriegen, die er haben wollte, obgleich es ihm mehr Spaß gemacht hätte, mal wieder eine Frau erobern zu müssen.
Genau in diesem Moment spürte er einen Blick auf sich ruhen. Er ließ seinen eigenen Blick schweifen und entdeckte eine Frau an der Theke, die ein wenig verloren an einem Glas Wasser nippte. Er bezweifelte, dass es sich um Wodka handelte, denn so bieder wie sie gekleidet war, wirkte sie wie eine Streberin, die gewiss keinen Spaß verstand. Vermutlich war sie ein Mitglied der Technik-Abteilung, vermutlich gehörte sie zu den Erfindern unter Dr. Pembroke. Sein Gesicht verfinsterte sich unwillkürlich, wenn er an den Namen dachte. Dr. Pembroke galt als Genie und er hatte die Jäger-Anzüge entworfen, die einen maßgeblichen Teil des Erfolges der Jäger-Einheit ausmachte, auch wenn natürlich die individuellen Fähigkeiten, vor allem die von ihm, den viel größeren Teil ausmachten. Aber er war dennoch dankbar für die Anzüge, die sie bei ihren waghalsigen Missionen schützten und unterstützten. Er hatte Dr. Pembroke immer bewundert, obwohl er ihn nie persönlich kennengelernt hatte. Denn er passte perfekt ins Klischee des geniehaften Erfinders: menschenscheu, verschroben. Er arbeitete meist alleine in einem geheimen Labor, das kaum jemand kannte, und obwohl Pembroke Mitglied des Jäger-Rates war, der über Missionen und die Auswahl der Teammitglieder entschied, nahm er kaum jemals an den Sitzungen teil, sodass er ihm noch nie begegnet war. Aber das würde sich wohl bald ändern, denn offenbar hatte es Morddrohungen und einen Anschlagsversuch auf den Doktor gegeben, sodass man sich dazu entschieden hatte, ihm einen Jäger als Aufpasser zur Seite zu stellen. Und natürlich war die Wahl auf ihn gefallen. Er war der Beste! Und gerade deshalb verstand er nicht, warum er eine solche minderwertige Mission übernehmen sollte. Dies war sein letzter Abend hier in der Basis, bevor er im Labor eines verrückten Wissenschaftlers seine Tage verbringen würde. Und den wollte er eigentlich nutzen, doch der Blick der jungen Frau hatte ihn abgelenkt.
Er musterte sie genauer. Rote Haare umschmeichelten das Gesicht mit der blassen Haut, die sie aussehen ließ wie einen Geist. Offenbar kam sie nicht viel in die Sonne und verbrachte ihre Zeit auch viel in einem der Labore oder Technikräume. Sie sah ziemlich jung aus, er schätzte sie auf vielleicht Anfang 20, weshalb sie vermutlich keinen sehr bedeutenden Rang hatte. Er selbst war mit Mitte 20 bereits in die höheren Ränge aufgestiegen, worauf er sehr stolz war. Ihre braunen Augen musterten ihn, während sie die Stirn missbilligend gerunzelt hatte. Es kam selten vor, dass ihn eine Frau derart angewidert anschaute. Meist waren es Ex-Geliebte, aber sie war keine von ihnen, daran würde er sich erinnern. Als sie den Blick abwandte, kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht die Herausforderung sein könnte, die er suchte.
„Entschuldigt mich kurz“, murmelte er und drängte sich durch die Menge an Frauen, die protestierend murrten, als er auf direktem Weg an die Bar ging, wo die fremde Frau soeben ihr Glas abstellte und vom Hocker rutschte, als wollte sie gehen. Sie schien nicht bemerkt zu haben, dass er sich näherte. Er stellte sich ihr in den Weg und sie blieb abrupt stehen, bevor sie gegen ihn prallen konnte. „Hallo“, grüßte er sie und setzte sein charmantestes Lächeln auf.
Sie schaute ihn nur skeptisch an und sagte kein Wort, schließlich musterte sie ihn aufmerksam. Er konnte aus ihrer Miene nicht ablesen, was sie wohl dachte.
„Gefällt dir, was du siehst?“ Er zwinkerte ihr flirtend zu. „Ich bin übrigens Nelson Porter, aber du hast sicher schon von mir gehört.“
Sie verzog ein wenig das Gesicht, die Reaktion war nur minimal, aber Begeisterung war es nicht, was sie zeigte. „Ich sehe einen arroganten, überheblichen und selbstverliebten Kerl, der meiner Meinung nach kein Mitglied des Jäger-Teams sein sollte. Wenn Sie mich entschuldigen wollen…“
Sie wollte sich an ihm vorbei drängen, doch er ergriff ihren Arm. „Warte doch noch kurz!“ Sie zuckte zurück und riss sich aus seinem Griff frei. Entschuldigend hob er die Hände. „Sorry, ich wollte dich nicht bedrängen. Wie ist dein Name?“
Sie schaute ihn nur durchdringend an und er dachte schon, sie würde nicht antworten, als sie ein leises „Summer“ murmelte. Ihm entging nicht, wie sie sich immer wieder über den Arm rieb, wo er sie angefasst hatte. Er hatte nicht fest zugepackt, er glaubte nicht, dass er ihr wehgetan hatte und es wirkte auch eher so, als wollte sie sich waschen. Offenbar hatte die verschrobene Technikerin Probleme mit Berührungen. Noch so ein Klischee eines menschenscheuen Wissenschaftlers.
„Schöner Name. Summer. Ich würde mich sehr über deine Gesellschaft freuen. Ich bin nur noch bis morgen früh hier in der Basis, bevor ich zu Dr. Pembroke reise. Hast du nicht Lust, mir ein wenig den Abend zu versüßen?“ Er schenkte ihr ein anzügliches Grinsen.
Sie reagierte überhaupt nicht auf seine Anmache, stattdessen schien der andere Wissenschaftler viel mehr ihr Interesse erregt zu haben. „Dr. Pembroke?“, hakte sie nach.
„Den Erfinder der Anzüge“, erklärte er.
„Ich weiß, wer Dr. Pembroke ist!“, entgegnete sie energisch, „Ich verstehe nur nicht, warum Sie ihn besuchen wollen.“
„Ich bin als sein Personenschützer eingeteilt worden“, erläuterte er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme seinen Missmut verriet. „Ich hoffe ja nur, dass er nicht ganz so verschroben und menschenscheu ist, wie die Gerüchte sagen.“
Zu seiner Überraschung wirkte Summer über diese Nachricht geradezu erbost. „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Ihr Blick glitt suchend durch den Raum, bis sie in einer Ecke den General entdeckte hatte, den Leiter des Teams, dessen rechte Hand Dr. Pembroke war. Summer würdigte ihn keines weiteren Blickes, als sie sich zielstrebig auf den General zubewegte.
„He, warte doch!“, rief er und verstand die Welt nicht mehr. Er heftete sich an ihre Fersen und holte sie ein, als sie den General erreichte.
„George!“, sprach sie General White an und Nelson fielen fast die Augen raus über diese Respektlosigkeit. Niemand sprach den General mit Vornamen an. Ob sie wohl mit ihm verwandt war? Ähnlichkeiten konnte er keine entdecken, aber er konnte sich nicht vorstellen, in welcher Beziehung die junge Frau und der alternde Mann sonst stehen sollten.
Der General wandte sich an Summer, ein freundliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Summer, ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen.“
„Ist ja nicht so, als hätte man mir eine Wahl gelassen, als man mich aus dem Labor geholt hat!“, entgegnete sie aufgebracht.
„Es war zu deiner eigenen Sicherheit!“, betonte der General, als sein Blick auf Nelson fiel, „Ah, wie ich sehe, hast du dich schon mit Leutnant Porter bekannt gemacht.“
Sie schnaubte. „Bekannt gemacht ist relativ. Jeder kennt den wohl selbstverliebtesten Jäger überhaupt! Und ich werde nicht zulassen, dass er in mein Labor kommt!“
„Moment mal! Ich will gar nicht in dein Labor!“, warf er ein. Hatte sie seine Anmache so völlig falsch verstanden? Er war nicht an ihrer Arbeit interessiert, er hatte nur Gesellschaft für die Nacht gesucht. Aber die konnte er sich wohl abschminken, er musste wohl doch jemanden aus dem Haufen aussuchen, der ihn vorhin belagert hatte.
Summer würdigte ihn keines Blickes, während der General zwischen ihnen beiden hin und her sah. „Wie mir scheint, seid ihr beide noch nicht richtig miteinander bekannt“, meinte er schließlich, „Porter, darf ich dir Dr. Summer Pembroke vorstellen?“
Nelson verschluckte sich an seiner eigenen Spucke und musste husten. „Sie ist Dr. Pembroke?!“, brachte er ächzend heraus. Das war unmöglich! Sie war noch so jung! Und er hatte immer gedacht, der Doktor wäre ein Mann. Wie chauvinistisch seine Sicht gewesen war, wurde ihm jetzt bewusst, aber dennoch konnte sie kaum älter als 23 sein! Und sie sollte der geniale Erfinder sein, der die Anzüge geschaffen hatte? Der menschenscheue, verschrobene Wissenschaftler? Siedend heiß fiel ihm ein, wie er mit ihr über Dr. Pembroke gesprochen hatte ohne zu wissen, dass sie es war, über die er sprach.
Dr. Pembroke wandte ihren Blick ihm zu. „Sie sind ein chauvinistisches Arschloch und urteilen über mich ohne mich zu kennen, nur auf Basis von Gerüchten. Ich sagte Ihnen bereits, dass sie, wenn es nach mir gegangen wären, nicht zu den Jägern gehören würden!“, schmetterte sie ihm entgegen.
„Er ist ein guter Kämpfer“, wandte der General ein.
„Kämpfen können viele, vernünftig denken nur die wenigsten und noch weniger besitzen die richtige Einstellung. Ihm fehlt beides! Ich werde ihn gewiss nicht in meiner Nähe dulden!“
„He!“, protestierte er. Wie konnte sie so über ihn urteilen? Obwohl… Er hatte wohl nichts anderes gemacht.
„Du wirst dich meinem Befehl unterordnen!“, verlangte der General ernst und starrte sie direkt an.
Sie starrte ebenso wütend zurück. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie den Blick abwandte. Mit einem Schnauben und einem letzten hasserfüllten Blick auf Nelson verschwand sie.
Nelson seufzte. Das konnte ja was werden. Der General seufzte. „Sie ist genial, aber menschlich ist sie… schwierig. Du wirst sehr umsichtig mit ihr umgehen müssen.“
„Wäre es nicht besser, einen anderen Jäger zu benennen?“, schlug er vorsichtig vor.
General White schüttelte den Kopf. „Du bist der Beste. Und Summer schwebt in großer Gefahr, auch wenn sie es nicht zugeben will. Wir dürfen sie nicht verlieren und deshalb musst du sie beschützen!“ Der General schaute ihm in die Augen. Nelson nickte. Er würde seine Aufgabe erfüllen. Er würde diese starrsinnige junge Frau beschützen, weil es sein Job war.
Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht wissen, dass sich seine Meinung von ihr ändern würde, wenn er sie besser kennenlernte. Wenn er begreifen würde, dass sie trotz ihres Alters viel mehr durchgemacht hatte als die meisten und dass sie nicht umsonst menschenscheu war. Er konnte nicht wissen, dass er sich in sie verlieben würde, während er sie tagelang nur beobachten konnte, wie vertieft sie in ihre Arbeit war, während sie ständig stritten oder sich über ihre Arbeit unterhielten, als sie zu lernen begannen, miteinander auszukommen. Er konnte nicht wissen, dass ihre verschlossene Fassade einen gebrochenen Menschen versteckte, denn er hatte nur auf die Gerüchte gehört, hatte sich eine Meinung gebildet, ohne sie zu kennen. Und nachdem er ihre Fassade der Unfreundlichkeit durchbrochen hatte, hatte er erkannt, wie wenig Erfüllung ihm seine eigene Beliebtheit brachte und dass er sich bei ihr wohler fühlte, als bei irgendjemandem sonst, obwohl es eine anstrengende Aufgabe war, sie zu beschützen, obgleich sie es nicht wollte. Er konnte nicht wissen, dass sie entführt werden würde und es seine Schuld war, weil er nicht aufgepasst hatte.
Damals konnte er nicht wissen, dass er sie so sehr lieben würde, dass er sein Leben für sie geben würde.