„Ihr fürchtet Euch vor dem Tod“, sprach sie und schaute ihn direkt an. Schaute hinunter in seine Seele und erkannte seine verborgenen Ängste und Gefühle.
Es war sinnlos, es zu leugnen. „Ja. Wir werden heute kämpfen, jeder ist bereit. Und doch habe ich Angst.“
„Wovor?“
„Vor dem, was danach kommt. Fürchtet Ihr Euch nicht?“
Sie wandte ihren stechenden Blick ab, er verlor sich im Nichts. Er wusste, dass sie tausende Jahre alt war. Oder auch nicht. Sie war eine Legende, gestorben vor tausend Jahren. Und nun zurückgekehrt, um zu helfen. „Es ist meine Bestimmung, wieder zu sterben. Ich habe keine Angst davor. Der Tod ist wie ein Traum, ein endloser Traum bis in die Ewigkeit.“
„Wovon träumt man?“
„Von seinen Fehlern. Seinen guten Taten. Aber sie verschwimmen immer mehr. Man vergisst Stück für Stück, wer man war. Wer man ist. Nur die Reue bleibt. Dinge, die man getan hat und Dinge, die man nicht getan hat.“
Er wagte nicht zu fragen, was es bei ihr gewesen ist. Und doch schien sie zu ahnen, was ihm auf der Zunge lag, denn ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und sie antwortete: „Ich hätte viele Leben retten können und habe es nicht getan, weil ich Angst hatte. Genau wie ihr. Ich hatte Angst vor dem Tod, vor dem, was danach kommt und war nicht bereit, mein Leben zu opfern. Das werde ich nicht noch einmal tun. Ich werde meine Fehler wiedergutmachen.“
Tausend Jahre war sie tot gewesen. Tausend Jahre hatte die Reue sie gequält, weil sie sich gegen ihr Schicksal, ihre Bestimmung gewehrt hatte und viele Leben verloren hatte. Sie wirkte immer so mutig, in sich geerdet, ruhig. Doch man konnte niemals wahrhaftig in das Innere eines Menschen blicken. Auch sie trug Narben, die keiner sehen kann – ebenso wie er.
Er hatte Gerüchte gehört. Legenden und Geschichten, in denen vielleicht ein wahrer Kern steckte. Sie hatte versagt, sich zu opfern. Und dann wurde sie gefangen und musste mitansehen, wie einer nach dem anderen von ihren Freunden hingerichtet wurde. Bis sie es nicht mehr ertrug und ihrem Leben ein Ende setzte. Ihr Tod kam zu spät, nicht in der richtigen Situation. Deshalb wurde sie zurückgeschickt, um ihre Fehler wiedergutzumachen, auszugleichen. Weil die Toten von damals doch niemand zurückholen kann.
Er war entschlossen, sein Leben zu geben. Wie es ihm bestimmt war. Er würde all die Leben retten, die er heute retten konnte, indem er dem Tod ins Auge sah und ihn willkommen hieß. Ein Leben, einige wenige für ein ganzes Volk. Das war es wert.