„Nein“, ist das einzige Wort, das kraftlos meine Lippen verlässt, als ich in seine Augen blicke und die Wahrheit erkenne. Eine Wahrheit, die mir den letzten Halt zu rauben droht. Ich schwanke – und er ist nicht da, um mich aufzufangen, wie all die Momente vorher.
In den letzten Jahren hat sich die Welt verändert. Eine Krankheit hat Besitz von den Menschen ergriffen, eine Krankheit, für die es kein Heilmittel gibt und einer nach dem anderen verfiel ihr, ohne dass man sie aufhalten konnte. So viele Leben hat sie mittlerweile gekostet, so viele Freunde, meine ganze Familie, habe ich sterben sehen. Nur er ist mir noch geblieben, während die ganze Welt zu zerbrechen begann.
Die Krankheit raubt den Menschen jede Emotion, vernichtet sie und lässt nichts als Aggression zurück, mit denen sie ihre Lieben, die ihnen nun nichts mehr bedeuteten, bedrohen. Wer nicht der Krankheit zum Opfer gefallen ist, ist von einem Kranken getötet worden. Meine Mutter war eine der Ersten, als noch niemand verstand, was vor sich ging. Sie war plötzlich vollkommen verändert gewesen. Ich hatte mitansehen müssen, wie sie unseren Vater mit perverser Freude mit einem Messer erstach. Ich war mit meinen jüngeren Geschwistern zu meiner Großmutter geflohen – bis auch sie die Krankheit ereilte und kurz danach meinen jüngsten Bruder, der meine Schwester im Schlaf erdrosselte, ohne dass ich es verhindern konnte. Mir blieb keine andere Wahl, als ihn mit der Pistole zu erschießen, die einst meinem Großvater gehört hatte und mit der ich schon meine Großmutter töten hatte müssen. Ich begrub die kleinen Körper meiner Geschwister, nachdem ich sie weinend im Arm gehalten hatte, dann wandte ich mich ab und schlug mich irgendwie durch, wartete nur darauf, ebenfalls zu sterben und meine Familie im Leben danach wiederzusehen, wenn es so etwas gab.
Niemand wusste, woher die Krankheit gekommen ist. Es gab die wildesten Theorien, die sich um verschiedene Urheber drehten, die die Auslöschung der Menschheit anstrebten: von einem Einzeltäter oder einer fanatischen Gruppierung über verschiedene Regierungen bis Aliens. Manche glaubten gar an einen Eingriff Gottes in die sterbende Welt. Letztlich hat es keine Bedeutung, wer sie geschickt hat, ob es die Natur, die Menschen oder übernatürliche Mächte gewesen sind, die Menschheit hat den Kampf verloren.
Das Überleben auf der Straße war hart. Jegliche Ordnung war zusammengebrochen, jeder kämpfte für sich alleine, jeder wollte überleben. Mord und Diebstahl waren an der Tagesordnung. Wir waren alle zu Monstern geworden – auch ohne die Krankheit.
Mein Leben war voller Hoffnungslosigkeit, ich schleppte mich ohne ein Ziel durch die Tage – bis ich ihn eines Tages wiedersah. Meinen besten Freund. Meine große Liebe. Wir kannten uns seit unserer Kindheit, teilten unzählige Erfahrungen, Momente und Erinnerungen, aus denen eines Tages eine Liebe erwuchs, die heller leuchtete als die Sonne – so kam es mir jedenfalls vor. Als das Ende der Welt begonnen hatte, hatten wir uns aus den Augen verloren. Und dann stand er plötzlich wieder vor mir. Ich erinnere mich an den überraschten Ausdruck in seinen Augen, als sich die Klingen unserer Messer kreuzten. Wir waren beide durch Furcht gezeichnet, durch Misstrauen, die unser Leben bestimmten. Für einen endlosen Moment starrten wir uns nur an, dann senkten wir beide gleichzeitig die Klingen und nur eine Sekunde später fand ich mich in seinen Armen wieder. Seinen Kuss werde ich niemals vergessen. Ein Kuss, der mir die Hoffnung zurückgab.
Fortan waren wir nicht mehr alleine. Gemeinsam schlugen wir uns durch die dunklen Tage, waren einander ein Licht der Hoffnung. Hoffnung auf ein Leben fernab von allem, Hoffnung auf eine neue Zukunft.
Und nun stehe ich hier, sehe den Ausdruck in seinen Augen und alle Hoffnung, alle Vorstellungen einer besseren Zeit zerspringen in tausend Scherben. Denn er hat die Krankheit, in seinen Augen, die mich vorher voller Liebe angesehen haben, ist nichts als Leere.
Er greift mich an, attackiert mich mit seinem Messer und ich weiche stolpernd zurück. „Matt, bitte!“, flehe ich, während die Tränen über meine Wangen kullern, „Bitte, erinnere dich an mich!“ Ich weiß, dass meine Worte nichts ändern werden, er weiß nicht, wer ich bin, jegliche Emotion in ihm ist ausgelöscht, ich bedeute ihm nichts mehr.
Er stößt das Messer in meine Richtung und ich weiche zur Seite aus. Widerwillig ziehe ich mein eigenes Messer, versuche seine Hiebe abzuwehren und mich zu verteidigen. Der Tränenschleier vor meinen Augen nimmt mir die Sicht und ich bin froh darum. Ich will nicht in seine Augen sehen müssen, ich will nicht sehen müssen, wie alles, was ihn ausmachte, verschwunden ist.
Ich mache einen Stoß nach vorne und mein Messer findet sein Ziel. Röchelnd bricht er auf dem Boden zusammen. An meinem Messer klebt das Blut, das aus einer Wunde aus seinem Bauch sickert. Ich lasse das Messer fallen und sinke neben ihm auf die Knie. Weinend senke ich meinen Kopf auf seine Brust, höre sein Herz schlagen, bis es verstummt und seine Brust regungslos verharrt. Die Stille, die mich umgibt, ist ohrenbetäubend, nur unterbrochen von meinen hilflosen Schluchzern voller Verzweiflung und Einsamkeit.
In dieser Nacht schaue ich zu den Sternen empor. In glühenden Funken rasen sie über den Himmel, ein Regen aus Sternschnuppen geht auf die Erde nieder. Ich sehe die leuchtenden Steine auf die Erde fallen und weiß, dass es bald vorbei sein wird. Ich hätte nicht gedacht, dass es so wunderschön sein würde. Und ich weiß, dass ich die Einzige bin, die es gesehen hat. Das Ende der Welt.