Er konnte es kaum glauben. Unerwartet stand sie vor ihm, vollkommen unversehrt und sehr lebendig. Es war keine Spur mehr zu sehen von dem Kampf, der sie vor Monaten angeblich das Leben gekostet hatte. „Helena“, flüsterte er.
Sie lächelte ihn an und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Sie hatte schon immer das schönste Lächeln gehabt, das er je gesehen hatte. Ihr Lächeln war einer der Gründe gewesen, warum er sich in sie verliebt hatte.
Sie schaute ihn an, doch es gab kein Erkennen in ihren Augen. Sie hatte ihn vergessen, ihre gemeinsamen Erinnerungen gehörten nur noch ihm. Er hatte sie zurückbekommen und doch war es nicht dasselbe. Sie war nicht dieselbe. Wie sollte sie auch, wenn sie nicht mal ihren Namen mehr kannte?
Wie konnte er sie dazu bringen, dass sie sich an ihn erinnerte? Dass sie sich wieder in ihn verliebte, selbst wenn ihre Erinnerungen verloren blieben? Er liebte sie und er wollte sein Leben mit ihr verbringen. Aber war sie überhaupt noch dieselbe? War die Frau, die er geliebt hatte, noch immer irgendwo in ihr verborgen? Er wollte sie zurück, so sehr, seine Sehnsucht war überwältigend. „Ich habe einst eine Frau geliebt“, murmelte er.
Interessiert schaute sie ihn an. „Wie habt ihr euch kennengelernt?“
Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken bei der Erinnerung. „Ich war ein ziemliches Arschloch. Ich habe sie verurteilt, ohne sie zu kennen. Bei unserer ersten Begegnung habe ich über die Arroganz der Kämpfer hergezogen. Sie hat einfach schweigend dabei gestanden mit diesem mysteriösen Lächeln…“ Er verlor sich in der Erinnerung. Er war so unverschämt gewesen, so unhöflich und arrogant, aber sie hatte nichts gesagt. Sie hatte ihn nicht verurteilt, so wie er es getan hatte. „Ich habe erst später erfahren, dass sie und ihr Bruder auch als Kämpferteam dienten.“
„Wie hat sie reagiert?“, wollte sie wissen, die Neugierde leuchtete in ihren Augen. Sie ahnte nicht, welche Rolle sie in dieser Geschichte spielte und es schmerzte ihn, es zu sehen.
„Sie hat mich gebeten, mit ihr in der Cafeteria Essen zu gehen. Sie sagte mir, dass sie kein Problem mit Vorurteilen hätte, aber sie gerne ausräume.“
„Hast du Ja gesagt?“
Er nickte. „Wir haben zusammen gegessen und uns sehr gut verstanden. Sie war ganz anders als ich es erwartet hatte. Sie war ganz anders als die anderen, sie war nicht arrogant, sie interessierte sich für meine Arbeit, obwohl ich nur ein Techniker war, auf den die Kämpfer normalerweise hinabschauten, aber sie nahm nicht alles für selbstverständlich. Nach dem Essen habe ich mich entschuldigt, dass ich sie nicht erkannt habe. Aber sie lief nicht wie die anderen, als würde ihnen die Welt gehören.“
„Wie ging es weiter?“
Er zuckte mit den Schultern, als wäre es bedeutungslos. Aber das war es nicht. „Wir haben uns besser kennengelernt und uns gut verstanden.“ Er erinnerte sich an unzählige Momente mit ihr, die ineinander überflossen und sich zu einem Gefühl des Glücks vermischten, das ihm diese Erinnerungen bescherten. Erinnerungen an gemeinsame Essen, an Nächte unter den Sternen, an lange Gespräche und Flirtereien über das Kommunikationssystem während der Einsätze, für die der General sie mehr als einmal gerügt hatte, aber das hatte sie beide nicht gekümmert. Sie hatten sich beigestanden, wann immer sie einander gebraucht hatten. Sie war da gewesen, als er von Albträumen an den Tod seiner Familie verfolgt worden war. Er war da gewesen, als ihr Bruder bei einem Einsatz ums Leben kam und die Stille sie quälte.
„Hast du ihr gesagt, dass du sie liebst?“
Er nickte. „Ja. Aber ich hätte es ihr früher sagen sollen.“ Er erinnerte sich an die letzte Nacht. Die Nacht vor ihrer letzten Mission, von der sie alle gewusst hatten, dass wohl keiner lebend zurückkommen würde. Die letzte Nacht, in der sie ihm das Medaillon geschenkt hatte, das sie als letzte Erinnerung an ihre Familie immer um den Hals getragen hatte und das er noch heute um seinen Hals trug. Sie hatten beide nicht geschlafen, hatten einfach schweigend zusammengesessen, bis sie entschieden hatten, dass es Zeit wäre, noch etwas zu schlafen. Scherzhaft hatte sie ihn nach dringenden letzten Worten gefragt. Zuerst hatte er nichts gesagt, gezögert, doch als sie sich abgewandt hatte, um zu gehen, hatte er sie zurückgerufen und sie geküsst. Er hatte sie eindringlich ermahnt, sie solle nicht sterben und sie hatte ihn nur wieder mit diesem mysteriösen Lächeln bedacht, Traurigkeit schimmerte in ihren Augen, als sie seinen Kuss erwiderte.
Während ihrer Mission hatte er an den technischen Pulten gesessen und alles kontrolliert, den Funk überwacht. Er hatte nur hilflos zuhören können, wie sie scheiterten und einer nach dem anderen sein Leben verlor, wie ein Kontakt nach dem anderen abbrach. Das war der Moment gewesen, in dem er ihr gesagt hatte, dass er sie liebte. Und dann war der Kontakt abgebrochen. Er hatte gedacht, dass sie gestorben war, aber offenbar hatte sie es überlebt, wobei sie jedoch alle Erinnerungen verloren hatte.
„Hat sie dir je gesagt, dass sie dich liebt?“, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Aber das musste sie nicht.“ In dieser letzten Nacht hatte sie ihm gesagt, dass sie von Anfang an nur ihn wollte. Er hatte geglaubt, sein Herz würde ihm aus der Brust springen.
„Wie hat sie ausgesehen?“
Er runzelte die Stirn. Die Frage erschien ihm seltsam. „Warum fragst du das?“
Sie erhob sich von der Bank, auf der sie gesessen hatte und ging einige Schritte, bevor sie mit dem Rücken zu ihm stehen blieb. „Ich kann mich nicht an das Leben erinnern, das ich geführt habe, bevor ich vor einem Jahr bei einer Familie aufgewacht bin, die sich um mich gekümmert hat.“
Hoffnung regte sich in seiner Brust. Ahnte sie, dass es ihre Geschichte war, die er ihr erzählt hatte?
„Sie sagten mir, dass ich zu ihrer Familie gehören würde. Sie stellten mir meinen Mann vor, an den ich mich nicht erinnern konnte, aber ich glaubte ihnen.“
Enttäuschung machte sich in ihm breit. Es war ein Jahr her, sie konnte sich nicht an ihn erinnern. Natürlich hatte sie ein anderes Leben, auch wenn es ein falsches war, weil man sie mit einer Lüge getäuscht hatte. Sie konnte dennoch glücklich sein. Wer war er, ihr dieses Recht zu verwehren?
Er erhob sich und wollte gehen, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. „Tief in mir habe ich gespürt, dass etwas nicht richtig war, dass sich mein Leben falsch anfühlte. Seit heute weiß ich, dass alles eine Lüge war. Denn mein Kind hat deine Augen.“