In meinem Haus gibt es eine alte Frau. Keiner weiß so genau, wie alt sie ist, aber sie muss schon sehr alt sein. Auch weiß keiner mehr ihren Namen, wenn sie einen gehabt hat, so ist er schon lange abgelöst worden von der Bezeichnung, unter der alle sie kennen: die weinende Alte.
Sie sitzt oft im Keller und weint. Stundenlang. Längst ist sie als schrullige Alte abgeschrieben worden, niemand interessiert sich mehr dafür, warum sie weint, niemand nimmt sich die Zeit, mit ihr zu sprechen. Sie wird nur noch als Kuriosum betrachtet, das man belächelt oder über das man die Augen verdreht, je nachdem in welcher Stimmung man ist.
Auch ich habe sie nie gefragt, warum sie weint. Warum sie sich dafür in den Keller begibt. Habe nie erfahren, dass sie sich im Keller sicher fühlt, weil sie aus Kriegstagen stammt. Dass sie im Keller weniger Angst vor den Bomben hat, die vom Himmel gefallen sind. Und doch kommen im Keller die Erinnerungen stärker zurück als an jedem anderen Ort. Erinnert sie sich stärker an die Verzweiflung, die Angst, den Schmerz. Schmerz über ihre verlorenen Lieben, die sie alle im Krieg zurücklassen musste…