„Ich werde euch heute eine Geschichte erzählen. Wie einige von euch vielleicht wissen, bin ich normalerweise nicht der Typ, der hier auf der Bühne steht und seine Texte vorträgt. Normalerweise bin ich derjenige, der im Publikum in der ersten Reihe sitzt. Ich bin der, der so verzweifelt Aufmerksamkeit zu bekommen versucht, um als Jury-Mitglied ausgewählt zu werden, dass ich auch schon als leuchtender Tannenbaum verkleidet hierhergekommen bin.
Und sicher kennen einige von euch auch meine besondere Erzfeindin. Ständig haben wir uns bei den Vorträgen gestritten, haben über Geschmack diskutiert und auch wenn es mal laut werden konnte, habe zumindest ich immer auch Spaß daran gehabt.
Und einige erinnern sich vielleicht auch an den Poetry Slam, als spontan einer der Autoren ausgefallen ist und ich stattdessen eingesprungen bin. Die, die hier waren, werden sich sicherlich erinnern, immerhin habt ihr mir für mein Gestammel volle Punktzahl gegeben und einer hat auf den Block sogar eine Elf gemalt, nur damit ich noch mal auftreten musste. Vielen Dank dafür nochmal!
Seitdem hat sich viel geändert. Ich habe damals von meiner Familie erzählt und mein Talent als Dialektexperte bewiesen. Immerhin kommt die Familie meines Vaters aus Hessen und ist seit einer Ewigkeit hier ansässig. Die Familie meiner Mutter hingegen stammt aus Bayern, die Familienfeste waren manchmal doch eine Herausforderung. Und ihr neuer Mann ist in Sachsen heimisch. Damit fehlte mir nur noch jemand aus Norddeutschland, aber da könnte ich ja sicher in eine Familie einheiraten, damit wäre dann auch das Problem gelöst.
Bei diesem Vorschlag habe ich damals Lara zugezwinkert, die, wie einige von euch vielleicht wissen, in der Tat aus Norddeutschland ist und ihre Flüche auf Plattdeutsch, das eine eigene Sprache und kein Dialekt ist, wie sie immer betont, hören sich schon ziemlich interessant an. Damals hat sie mir lediglich den Mittelfinger gezeigt. Was ich ihr nicht einmal verdenken konnte.
Beim nächsten Poetry Slam war sie nicht da. Vielleicht hätte ich mich freuen sollen, endlich einmal meine Ruhe zu haben, aber eigentlich war es mit ihr immer lustiger. Ich musste also einen weiteren Monat warten, bis sie wiederkam. Sie wirkte völlig verändert. Ich wusste, dass es nicht meine Angelegenheit war, und dennoch sprach ich sie darauf an – natürlich nachdem wir uns wieder leidenschaftliche Wortgefechte über die Qualität der Beiträge geliefert hatten. Und wie eigentlich immer waren wir völlig gegensätzlicher Meinung über die besten Texte. Sie bevorzugt die lustigen Texte, ich hingegen habe mehr eine Vorliebe für die ernsten, nachdenklichen Texte. Wie sehr unsere Beziehung bisher auf einem Missverständnis beruht hatte, sollten wir bald erfahren.
Ich erfuhr, dass ihre Familie sie rausgeworfen hatte und ich bot ihr an, mit zu mir zu kommen. Sie fragte mich damals, warum ich das für sie tun wollte. Ich sagte ihr, dass wir unterschiedlicher Meinung sein können, aber das nicht bedeutet, dass ich ihr nicht helfen könnte. Aber eigentlich war ich von mir selbst überrascht. Auch wenn sich mein Vorschlag später als die beste Idee meines Lebens erweisen würde, konnte ich damals noch nicht ahnen, wohin es uns führen würde.
In den nächsten Tagen und Wochen, in denen sie bei meinem Vater und mir auf dem Hof lebte, lernten wir uns besser kennen, wir begannen einander besser zu verstehen. Offenbar hatten wir einige Vorurteile gehabt. Sie hielt mich für einen Hinterwäldler – was ich zugegebenermaßen wohl auch ein wenig bin. Ich hielt sie für eine arrogante Zicke. Dabei stammte sie selbst von einem Bauernhof, war bodenständig und freundlich – nur mir gegenüber nicht, aber sie konnte wohl meine Arroganz nicht ausstehen, die sie hinter meiner festen Überzeugung, dass nur nachdenkliche Texte das Wahre sind, auszumachen glaubte.
Ich begann bald zu verstehen, dass sie die lustigen Texte liebte, weil sie lieber lacht, als zuzulassen, dass ihre Probleme sie einholen. Sie hatte mir meine Vorwürfe übelgenommen, aber sie verstand auch, dass mich diese Texte ansprachen. Wir wirkten grundverschieden, während ich die Aufmerksamkeit suchte, versteckte sie sich lieber. Nur bei mir nicht, weil meine Art sie auf die Palme brachte und aus ihrer Reserve lockte, was sie mich noch mehr hassen ließ.
Ich erinnere mich noch an das lange Gespräch auf dem Heuboden. Die Nacht war sternenklar und wir konnten durch das Scheunenfenster hinaus in den Sternenhimmel schauen. Ich erinnere mich noch an unseren ersten Kuss.
Eine Weile waren wir ein Paar. Als unsere lieben Moderatoren uns zusammen gesehen haben, sind ihnen beinahe die Augen rausgefallen. Wir haben ihnen allerdings versichert, dass wir wieder Feinde sein würden, sobald der Poetry Slam begann, um auch ein wenig Stimmung in die Bude zu bringen. Eine Weile ging es gut mit uns. Aber es hielt nicht lange.
Ich nannte sie einen Feigling und sie sagte mir, dass ich doch ebenso einer wäre. Wir beide hatten irgendwo Recht, aber es hat Jahre gedauert, um es zu verstehen. Ich habe mich endlich getraut, meinen eigenen Text vorzutragen und nicht immer nur fremde zu bewerten. Und sie hat sich aus ihren sicheren Mustern gewagt. Ich hätte ihr gerne geholfen, wenn sie mich gelassen hätte, aber es war wichtig, dass wir beide unsere eigenen Erfahrungen sammelten.
Es hat Jahre gedauert, bis wir uns wiedersahen. Es war wieder hier, bei einem Poetry Slam. Wir standen plötzlich als Konkurrenten auf der Bühne statt davor. Es war wie am Anfang. Ich hatte nicht gewusst, dass sie hier sein würde, und war so überrascht und glücklich, dass ich den ganzen Abend nicht die Augen von ihr nehmen konnte. Unnötig zu erwähnen, dass ich an diesem Abend den Slam verlor, weil ich kaum ein gerades Wort herausbekam. Dafür gewann ich etwas viel Wertvolleres: Ich gewann sie zurück.
Seitdem ist erneut eine ganze Weile vergangen.
Wie ihr vielleicht gemerkt habt, ist mein Vortrag etwas ungewöhnlich. Eigentlich bin ich auch nicht hier, um diesen Wettbewerb zu gewinnen, denn mir liegt etwas viel Wichtigeres am Herzen. Ich bin heute hier, um eine wichtige Frage zu stellen.
Lara Jasmin Claasen, willst du meine Frau werden?“