„Oh mein Gott! Da ist Tyler Mason!“, quietschte meine beste Freundin in übernatürlichen hohen Tönen aufgeregt, sodass ich mir mit einem gequälten Ausdruck die Ohren rieb. Sie sollte wissen, wie empfindlich meine Ohren waren und dass ich diese Fledermaus-Töne nicht besonders mochte.
„Wer ist Tyler Mason?“, hakte ich wider besseren Wissens nach, weil ich wusste, dass sie das von mir erwartete. Dass sie von mir erwartete, ‚normal‘ zu sein.
„Er ist der heißeste Typ der ganzen Uni!“, schwärmte sie auch sofort, als hätte sie nur auf meine Frage gewartet. Sie seufzte entzückt.
Ich konnte mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Meine Freundin war schon etwas verrückt, aber das war schon in Ordnung, so mochte ich sie ja am liebsten. Schmunzelnd griff ich nach ihrem Arm. „Komm schon, sonst kommen wir noch zu spät!“
„Hast du seine Muskeln gesehen?“, fuhr sie fort.
„Ja, klar, sie sehen großartig aus“, spottete ich lachend.
Sie klang zerknirscht, als sie antwortete: „Tut mir leid, manchmal vergesse ich es einfach.“
Ich winkte ab. „Halb so wild, wirklich. Ich bin froh, dass ich zumindest normal wirke.“
„Soll ich ihn dir beschreiben, damit du weißt, wie heiß er ist?“, schlug sie vor.
Ich wollte ihr gerade sagen, dass das auch nicht viel bringen würde, weil ich mit den meisten ihrer Beschreibungen auch nichts anfangen konnte, als in unserem Rücken eine dunkle Stimme erklang: „Reden die Ladies über mich?“
Ich drehte mich eher reflexartig herum, auch wenn es letztlich keinen Unterschied machte. An dem Geräusch neben mir, das verdächtig nach einem Atem-Aussetzer klang, ahnte ich bereits, wer da vor uns stand: Tyler Mason.
Meine Freundin schien kein Wort herauszubekommen, doch als ich antworten wollte, kam mir der ‚heißeste Typ des Campus‘ zuvor: „Ist es hier drin nicht ein bisschen dunkel für eine Sonnenbrille?“ Er lachte – ein tiefer, volltönender Laut, der durchaus etwas für sich hatte.
Seine Worte allerdings sorgten nicht gerade für Sympathiepunkte, auch wenn ich ihm nicht verdenken konnte, dass er es nicht gemerkt hatte. Ich hatte eben gelernt, damit umzugehen, hatte es nie anders gekannt und für mich war es längst kein Makel, so wie es andere Menschen empfanden. Ich kompensierte es durch die Schärfung meiner anderen Sinne. „Nein, die Sonnenbrille ist genau richtig für mich“, gab ich ätzend zurück.
Meine Worte schienen ihn nicht im Geringsten zu kümmern, denn ich konnte deutlich ein Grinsen in seiner Stimme hören, als er – meine Worte übergehend – meinte: „Soll ich meine Muskeln für euch spielen lassen?“
„Wow“, brachte ich ungläubig heraus. Wie konnte ein Mensch nur so selbstverliebt sein? Während meine Freundin nach Luft schnappte, verdrehte ich die Augen und wandte mich ab.
„Beeindruckend, nicht wahr?“, wollte Mason wissen und vertiefte meine Abneigung gegen ihn nur noch. „Sieht doch wirklich fantastisch aus!“
„Das Einzige, was ich sehe, ist deine Arroganz und dein Ego, das wirklich erdrückend ist“, konterte ich, „Versuch jemand anderem, mit deinem Aussehen zu beeindrucken, für mich zählen nur die inneren Werte.“
Er hatte die Frechheit zu lachen. „Jeder ist doch auf das Äußerliche fokussiert. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein Lügner.“
„Oder blind“, warf ich ein und er verstummte abrupt. Dieses Mal schien er vor Verblüffung nicht zu wissen, was er sagen sollte und das wiederum brachte mich zum Grinsen. „Also, spiel dich ruhig weiter mit deinen Muskeln auf, das ist bei mir absolut zwecklos.“ Mit diesen Worten wandte ich mich endgültig ab und ließ ihn stehen.
Meine Freundin eilte mir kichernd hinterher. „Dem hast du es wirklich gegeben. Er steht total doof rum“, berichtete sie.
Ich grinste zufrieden. „Das hat er auch nötig gehabt.“
„Eindeutig.“ Sie seufzte. „Warum können eigentlich Männer nie gutaussehend und nett sein, sondern müssen stattdessen immer zu Arschlöchern mutieren? Wenn ich ihm das nächste Mal begegne, haue ich ihm eine rein“, beschloss sie, „Weil er dich so blöd angemacht hat.“
Ich konnte nicht anders als bei der Vorstellung zu lachen. Und erinnerte mich daran, warum sie meine beste Freundin war.