Als man mich in das Zelt des Anführers führte, spürte ich eine Zufriedenheit, die mir mein Schicksal erleichterte. Ich war gefangen worden, nachdem ich Informationen aus eben diesem Zelt gestohlen hatte, in das man mich nun zurückbrachte, Informationen, die entscheidend für den Krieg waren. Diesen letzten Krieg der Menschheit. Ein Krieg gegen außerirdische Invasoren, die metallene Kriegsmonster mit sich gebracht hatten, gegen die die Menschen wehrlos waren. Nur noch wenige von uns waren am Leben, blieben verborgen im Untergrund und schlugen aus dem Hinterhalt zu, wann immer sich eine Möglichkeit bot. Die fremden Eindringlinge waren uns ebenbürtiger als deren große Monster. Sie trugen Spezialanzüge, die sie für das Leben auf unserem Planeten ausrüsteten, da die Bedingungen nicht optimal für sie waren. Die Anzüge hüllten sie von Kopf bis Fuß ein, sodass wir bisher keinen von ihnen ohne Anzug zu Gesicht bekommen hatten, aber ihre Statur ließ darauf schließen, dass sie humanoid sein mussten. Im direkten Kampf waren sie uns ohne ihre Monster jedenfalls nicht überlegen, sodass wir unsere Welt zurückerobern könnten, wenn wir ebendiese ausschalten konnten. Es waren nicht viele von den Fremden hergekommen. Wir wussten, dass noch mehr auf ein Signal warteten, dass die Erde unterworfen war und sie auf einen gesicherten Planeten kommen konnten, aber genau das wollten wir verhindern. Wir wollten alle Fremden überwältigen und mit einem Signal das restliche Volk warnen, sich jemals dem Planeten zu nähern. Aber um sie zu überwältigen, mussten wir die Monster vernichten. Und die Informationen, die ich gestohlen hatte, beinhalteten ihre genauen Baupläne, Pläne, die uns ihre Schwächen verraten würden. Ich hatte es zwar nicht geschafft zu entkommen, aber dafür war es mir gelungen, sie meinen Kameraden zu übermitteln. Ich würde das Ende der Invasion vielleicht nicht mehr erleben, ich würde den Neuaufbau der Menschheit nicht mehr sehen, aber ich vertraute darauf, dass die Menschen trotz ihrer Fehler eine Zukunft haben würde, die besser sein würde als unsere Vergangenheit, daher konnte ich mich aufrecht meinem Schicksal stellen.
„Danke, ich werde schon mit ihr zurechtkommen“, erklang die gedämpfte Stimme des Anführers durch das Visier seines Helmes, als er das Zelt betrat. Die beiden Wachen, die mich hergeführt hatten, zogen sich schweigend zurück.
Durch das dunkle Visier schien er mich zu mustern. „Wasser?“, fragte er und mein Blick irrte zu dem Krug Wasser, das auf seinem Tisch stand. Ich gab ihm keine Antwort.
„Du verstehst unsere Sprache“, stellte er fest, als hätte er es bereits erwartet. Ich bestätigte es nicht, aber er kannte die Antwort ohnehin bereits. Ja, ich hatte seine Sprache von einem alten Freund gelernt, der für die Fremden arbeiten musste. Dabei hatte er ihre Sprache gelernt. Und als er seinem Sklavendasein entfliehen konnte, kam er zu uns und lehrte uns alles, was er wusste. Nur deshalb sahen wir uns in der Lage, die gestohlenen Informationen auch verwenden zu können, was hätten sie uns sonst auch genützt? Erst als wir uns sicher waren, auch die Zeichenschrift der Aliens entziffern zu können, hatten wir unseren Plan ersonnen, denn wir wussten, dass die Fremden ihre Anstrengungen verstärken würden, uns zu finden, wenn wir solche sensiblen Informationen besaßen, daher mussten wir nun schnell vorgehen.
„Ich wusste, dass du kommen würdest“, sprach er dann in meiner Sprache und ich konnte nicht anders, als verwirrt die Stirn zu runzeln. Woher hatte er es wissen wollen? Und warum hatte er mich dann nicht aufgehalten, bevor ich die Informationen übermitteln konnte? Und wieso klang es, als hätte er genau mit mir gerechnet und nicht einfach mit einem der Rebellen, die sich gegen die Besatzung wehrte?
Er musste mir meine Zweifel angesehen haben, auch wenn ich keinen meiner Gedanken aussprach, denn er seufzte, was ihn erstaunlich menschlich wirken ließ. Manchmal vergaß ich, dass es Fremde waren, die von einem anderen Planeten stammten. Genauso gut hätten sie auch einfach Fremde von einem anderen Kontinent sein können. Der Anführer der Aliens griff nach seinem Helm und zog ihn sich von seinem Kopf. Ich konnte nicht anders, als erstaunt die Luft auszustoßen. Er sah weit menschlicher aus, als wir es vermutet hatten. Unter den Helmen versteckte sich ein menschliches Gesicht. Er hatte dunkelbraune Locken und braune Augen, nur seine leicht grünliche Haut verriet, dass er kein Mensch war, ansonsten hätte er als einer durchgehen können. Ein unauffälliger Schlauch, der den Sauerstoffgehalt unserer Luft an seine Bedürfnisse anpasste, lag unter seiner Nase.
„Du siehst, wir sind einander ähnlicher als ihr es euch vorgestellt habt“, ließ er verlauten.
Ich überwand mein Erstaunen und ergriff zum ersten Mal das Wort. „Das Äußere ist ohne Bedeutung.“
„Glaubt ihr Menschen wirklich daran?“
Ich schwieg, denn die Antwort war klar. Die Menschen der Vergangenheit hatten viele Fehler gemacht, nicht zuletzt den, sich nach dem Aussehen zu beurteilen. Aber wir hatten dazu gelernt. Und dass die Aliens uns so ähnlich sahen, bedeutet nichts, denn sie hatten so viele von uns getötet. Ohne Reue, ohne Zögern! Sie waren genauso wenig menschlich wie ihre Monster.
„Ich weiß, dass ihr glaubt, dass wir keine Gefühle besitzen“, sprach er weiter. Konnte er etwa meine Gedanken lesen? Sein Lächeln, das ihn noch menschlicher aussehen ließ, war wie eine Antwort auf meine Frage.
In dem Moment spürte ich eine fremde Berührung in meinem Geist und erschrocken wich ich einen Schritt zurück, als mich einige Gefühle überfluteten, die nicht meine eigenen waren. Neugier, Freundlichkeit, Aufregung, Hoffnung. „Was war das?“, keuchte ich, als die Berührung nachließ.
„Das war ich.“
„Du bist in meinem Kopf gewesen!“
„Nicht ganz. Ich habe bloß die Außenhülle deines Geistes berührt.“
„Können das alle von euch?!“, rief ich entsetzt.
„Nein. Nur ich kann es. Und du kannst es auch.“
„So ein Blödsinn! Ich bin kein Alien!“
„Du bist eine Seherin. Genauso wie ich. Seher gibt es in jedem Volk. Du hättest meine Berührung nicht spüren können, wenn es nicht so wäre. Und hast du nie Träume oder Gewissheiten gehabt, die dir die Zukunft verraten haben?“
Ich musste nicht antworten. Denn er hatte Recht. Ich hatte gewusst, dass die Informationen hier sein würden und ohne Beweise war es schwer gewesen, die anderen zu überzeugen, aber ich war mir einfach sicher gewesen und deshalb hatte ich mich freiwillig gemeldet, ins Lager zu schleichen und das Risiko zu tragen. Er nickte, als hätte er genau diese Reaktion erwartet.
„Ich habe von dir geträumt, bevor du kamst. Und ich habe lange darauf gewartet, dass es endlich so weit sein würde.“
„Warum? Warum hast du nicht verhindert, dass ich die Informationen stehle?“
„Weil es keine Bedeutung hat.“
„Keine Bedeutung?“, echote ich verwirrt.
„Wir beide sind dazu bestimmt, Frieden zu bringen, diesen Krieg zu beenden. Viele sind in diesem sinnlosen Kampf bereits gestorben und es werden noch mehr werden, wenn wir dem kein Ende setzen. Unser Planet stirbt und auf der Suche nach einer neuen Heimat sind wir hierher gelangt. Die Erde ist groß genug, um uns allen eine Heimat zu bieten und wir könnten friedlich zusammenleben.“
Ich schnaubte verächtlich. „Wie sollen wir mit euch Frieden schließen, wenn ihr uns ohne Reue abschlachtet!“
„Die meisten der Krieger sind Klone ohne die Fähigkeit zu empfinden, sie sind als Krieger nur für den Kampf bestimmt. Aber unser Volk ist genauso wie das eure sehr wohl in der Lage, Emotionen zu empfinden.“
„Und warum sollte ich dir nur ein Wort glauben?“
Weil ich wie du bin, erklang seine Stimme in meinem Kopf und ich spürte seine aufrichtige Hoffnung auf Frieden, sein Wunsch, einfach nur frei leben zu können ohne Krieg und Tod. Ich glaubte ihm, obwohl ich mich darum sorgte, dass er mich manipulierte. Ich kann dich unterrichten, damit du deine Fähigkeiten nutzen kannst, um den Frieden zwischen unseren Völkern zu bringen.
Ich wusste selbst kaum, was ich tat, als ich nickte.
Der Seher brachte mich fort in die Wildnis, wo weder seine noch meine Leute uns finden würden und zeigte mir, wie ich die Fähigkeiten, die all die Jahre verborgen in mir geschlummert hatten, nutzen konnte. Er lehrte mich viel über sein Volk und ich erzählte ihm von meinem und immer mehr begannen wir zu begreifen, dass unsere Völker sich ähnlicher waren, als wir alle vermutet hatten. Dort in der Wildnis mit ihm fühlte ich mich vollkommener als jemals zuvor, ich lernte endlich ich selbst zu sein.
Doch natürlich konnten wir nicht für immer dort in einer Blase leben und bald holte uns der Krieg wieder ein. Es waren seine Krieger, die uns als Erstes fanden. Er versuchte mich zu beschützen, als die Krieger, die deutlich größer und stärker waren, mich angriffen, doch sie hatten ihn als Verräter abgestempelt und hörten nicht auf ihn, sondern schlugen ihn nieder, bevor sie auf mich losgingen. Ich versuchte, meine Fähigkeiten zu nutzen und Furcht in ihnen zu entfachen, aber in ihrem Inneren war nichts. Sie waren seelenlose Hüllen.
Wir wurden ins Lager zurückgebracht, wo wir auf die Anführerin trafen, die seinen Platz eingenommen hatte, als er zum Verräter geworden war. Wir wurden beide eingesperrt und kurz darauf griffen die Menschenrebellen an, die es geschafft hatte, eines der Monster so umzuprogrammieren, das es ihnen diente.
Es war ein Massaker, das sie nutzten, um mich aus meinem Gefängnis zu befreien, bevor wir im Getümmel voneinander getrennt wurden.
Mit voller Konzentration schickte ich dem Seher eine Nachricht, dass ich ihn holen kommen würde. Bisher war ich in der Kontaktaufnahme nicht sehr gut gewesen, weil es mir immer noch schwerfiel, meine Kräfte richtig zu begreifen geschweige denn sie zu benutzen, doch anscheinend schien es zu klappen, denn ich spürte seine stolze Antwort: Du wirst besser.
Ich eilte durch das Kampfgetümmel und erreichte seine Zelle, während überall Schüsse durch die Luft pfiffen. Ich hatte unterwegs die Pistole eines Gefallenen an mich genommen. Es war ohne Bedeutung, ob ein Mensch oder ein Außerirdischer gewesen war, im Tod waren doch alle gleich. Ich zerstörte das Schloss und streckte ihm meine Hand entgegen, die er ohne Zögern ergriff. „Verschwinden wir!“, empfahl ich und gemeinsam rannten wir durch das Lager auf den Wald zu, der es umgab.
Plötzlich trat uns die Anführerin in den Weg, eine Pistole direkt auf meinen Kopf gerichtet. „Du wirst nicht alles kaputt machen!“, zischte sie und drückte ab. Doch die Kugel traf nicht mich – sondern den Seher, der sich im letzten Moment dazwischengeworfen hatte.
Ich handelte mehr instinktiv, als ich meine eigene Pistole hob und die Anführerin meinerseits erschoss, bevor ich die Waffe fallen ließ und mich neben den Seher auf den Boden kniete. Ich ergriff seine Hand und hielt sie fest, während mir Tränen in den Augen brannte. „Warum hast du das getan?“
„Weil du unsere beiden Völker retten wirst.“
„Du hast gesagt, das würden wir gemeinsam tun!“
Er antwortete keuchend: „Ich habe gelogen. Ich habe nur dich als Retterin gesehen. Du brauchst mich nicht.“
„Du irrst dich. Ich brauche dich!“, gab ich zurück und schluchzte. Die Tränen rannen mir über die Wangen. „Ich brauche dich!“, flüsterte ich kraftlos, weil ich wusste, dass meine Worte letztlich nichts ändern würden, auch wenn es die Wahrheit war. Ich brauchte ihn, damit er mich unterrichtete und mir zeigte, wer ich wirklich war. Ich brauchte ihn, damit er mir von seinem Volk erzählte und ich es zu verstehen begann. Aber vor allem brauchte ich ihn, weil ich mich nur mit ihm vollständig fühlte und weil ich mich in unserer gemeinsamen Zeit in ihn verliebt hatte.
Er lächelte traurig und hob schwach seine freie Hand, um sie an meine Wange zu legen. „Ich weiß“, flüsterte er, „Das ist etwas, das ich nicht vorhersehen konnte. Aber auch ich habe mich in dich verliebt. Ich liebe dich und ich weiß, du wirst es schaffen.“
„Nein“, weinte ich, „Bitte, du darfst mich nicht verlassen. Ich liebe dich!“
Aber seine Hand rutschte von meiner Wange und fiel auf den Boden, als er seine Augen für immer schloss. Weinend küsste ich seine kalten Lippen, dann ließ ich seine Hand los und verschwand ohne einen Blick zurück in den Wald.
Er hatte sein Leben gegeben in dem Vertrauen, dass ich meine Aufgabe erfüllen würde. Und das würde ich. Und danach würde ich ihn wiedersehen.