Der alte Mann betrachtete die Figur, die vor ihm auf dem Tisch stand. Mit den Jahren waren ihre Farben verblasst, obwohl er immer gut auf sie aufgepasst hatte. Er hatte sie gehütet wie einen Schatz, denn obwohl sie nicht von materiellem Wert war, so war sie doch sein größtes Vermächtnis.
Die Figur war die Erinnerung an eine Liebe, die ihn sein ganzes Leben begleitet hatte, auch wenn er die Frau, der sie galt, seit seiner Jugend nicht mehr gesehen hatte.
Sie waren einander in Zeiten des Friedens begegnet. Er war auf Reisen gewesen und hatte dabei sie gefunden. Es war die große Liebe gewesen. Einen Tag vor seiner Abreise hatten sie dann dieses Figurenpaar in einem Schaufenster gesehen. Sie hatten etwas an sich gehabt, dem sie beide nicht widerstehen konnten. Der Verkäufer hatte sie ihnen nur mit dem Versprechen verkauft, dass sie das Paar zusammenhalten würden, denn niemand sollte ohne seine zweite Hälfte sein. Sie hatten es versprochen und er hatte den Mann an sich genommen, sie die Frau – mit dem Versprechen, sie bald wieder zu vereinen.
Und dann war der Krieg ausgebrochen. Plötzlich standen sie einander auf feindlichen Seiten gegenüber, die Grenzen waren geschlossen, es gab kein Durchkommen mehr, keinen Austausch, kein gemeinsames Leben. Der Krieg hatte ihnen alles genommen.
Der alte Mann schaute die Figur an, deren zweite Hälfte noch immer verschwunden war. So wie er nicht wusste, was mit seiner zweiten Hälfte passiert sein mochte. Er wusste nicht, ob sie noch lebte, ob sie ihr Leben gelebt hatte, ob sie zumindest hin und wieder an ihn gedacht hatte. So viele Jahre waren seit ihrem letzten Zusammentreffen vergangen und doch hatte er sie niemals vergessen können. Hatte jeden Tag gebetet, dass der Krieg enden würde, der so viele Leben genommen und so viele mehr zerstört hatte, der so viele Lieben auseinandergerissen hatte – durch den Tod und durch Grenzen, beide menschengemacht. Ein Krieg, der bis heute andauerte.
Er war nun ein alter Mann und alles, was ihm blieb, war die Erinnerung.