Manchmal stelle ich mir uns beide in einer anderen Realität vor. Getrennt durch hohe, steinerne, undurchdringliche Mauern. Die einzige Lücke ist ein eisernes Tor. An manchen Nächten treffen wir uns dort, unsere Hände durch die Gitterstäbe verschlungen, aber nichts weiter als flüchtige Momente. Manchmal träume ich davon, dass es unsere Realität wäre. Weil die Mauern in meinen Träumen überwindbar sind. So hoch und so dick sie auch erscheinen mögen, es gibt einen Weg, den wir nur zu finden bräuchten. In der Realität gibt es keine Hoffnung für uns.
Ich kann dich nur aus der Ferne beobachten, wie du dir ohne Augenlicht deinen Weg durchs Leben suchst. Du bist blind geboren worden, hast du einmal erzählt. Du kennst nur die Schwärze, keine Farben, kein Licht. Manchmal ist es schwer, sagst du. Manchmal wünscht du dir, die Dinge sehen zu können, die andere beschreiben. Dinge, die du dir trotz der Beschreibungen nicht vorstellen kannst, weil du nicht weißt, was Helligkeit ist. Wie Farben aussehen. Und wie kann man eine Farbe beschreiben? Und manchmal bist du froh darüber, sagst du. Manchmal ist das Leben so einfacher. Du unterscheidest nicht zwischen Hautfarben, zwischen großen und kleinen Menschen, du kennst keine Vorurteile über das Äußere. Für dich zählt nur das Innere, nur die Stimme.
Ich würde dir gerne von meinen Gefühlen erzählen. Meinen Gefühlen, die bisher nur das Papier kennt, auf dem meine Worte blaue Tintenspuren hinterlassen. Ich wünsche mir, dir so viel erzählen zu können von der Welt, die du nicht sehen kannst, die ich aber mit dir teilen möchte. Wenn ich es nur könnte.
Aber das ist unmöglich.
Du kannst meine Worte nicht lesen.
Und ich kann sie dir nicht sagen.
Denn ich bin ohne Stimme geboren.