Das metallische Scheppern seiner Schritte war schon von Weitem zu hören. Er ging bedächtig, langsam, da er mit seiner Größe leicht riesige Entfernungen mit einem Schritt überwinden konnte. Nur wenige Augenblicke später ragte seine riesige Gestalt neben ihr in die Höhe. Seine rot-blauen Metallstangen leuchteten im Licht der untergehenden Sonne, die sie von dem Hügel, der sich hinter ihrem abgelegenen Haus erstreckte, beobachtete. Er wirkte wie eine Maschine, aber sie glaubte nicht, dass er bloß ein Haufen Metall war. Er war intelligent, er konnte Lösungen durchdenken auf eine ungewöhnliche Weise. Am Anfang hatte sie ihn für eine künstlich erschaffene Intelligenz gehalten, aber mittlerweile wusste sie, dass mehr in ihm steckte. Sie wusste nicht, ob er etwas besaß, dass mit einem menschlichen Herz vergleichbar wäre. Sie wusste nur, dass er selbstlos war. Ein Anführer, der sich seiner Verantwortung bewusst war und sich um die Seinen kümmerte. Aber sie war keine der Seinen.
„Wieso bist du hierhergekommen?“, wollte sie wissen, ohne ihn anzusehen.
Sie spürte, wie er sie mit seinen künstlichen Augen musterte. Und doch glaubte sie manchmal, eine Seele in ihnen erblicken zu können. Er hatte Gefühle, vielleicht waren sie anders als die der Menschen, vielleicht waren sie reiner, weil sie nicht Produkte einer chemischen Reaktion waren, vielleicht waren sie aber auch nur eine Form der Gedanken, aber er hatte sie. Er war kein künstliches Wesen, er war ein lebendes Wesen. „Ich wollte dir Gesellschaft leisten.“
Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, doch sie ignorierte ihn. Stattdessen verschränkte sie die Arme miteinander und wandte sich ihm zu. „Nein, ich meine nicht hier im Sinne von jetzt in diesem Moment. Ich meine, warum bist du auf die Erde gekommen?“
Dieses Mal war er es, der sich abwandte und ihrem Blick auswich, indem er in die Sonne schaute. „Mir wurde eine Aufgabe übertragen.“
„Was für eine Aufgabe?“
„Die Vernichtung der Menschheit.“
Sie nickte nur und blieb gelassen. Etwas derartiges hatte sie bereits vermutet. „Warum?“, war das Einzige, was ihr wichtig erschien.
„Die Menschheit war ein Experiment. Wir haben euch erschaffen und wollten sehen, ob ihr in der Lage seid, Gutes zu entwickeln. Aber es ist fehlgeschlagen.“
„Glaubst du das wirklich?“
Er zögerte. „Ich bin mir nicht mehr sicher. Ich habe wirklich geglaubt, dass die Menschen böse Kreaturen sind, die sich nur für sich selbst interessieren, aber in dir habe ich den Beweis gefunden, dass es doch Gutes in den Menschen gibt. Seit ich dich kenne, habe ich begonnen zu hinterfragen, was ich immer zu wissen glaubte. Du hast mir geholfen, als ich hier angekommen bin und verletzt war. Du hast nicht gefragt, wer ich bin oder was ich hier mache, du hast mir einfach geholfen. Ich verstehe bis heute nicht, warum du mir geholfen hast.“
„Warum nicht?“ Sie wusste genau, dass die Menschheit verlernt hatte, aufeinander zu vertrauen und sich zu helfen, aber sie hatte sich immer bemüht zu helfen, wo sie nur konnte. Und auch wenn sie wusste, dass es nicht mehr viele gab, die so dachten, gab es doch genug, um der Menschheit eine neue Chance zu geben. Dennoch wusste sie nicht, auf welcher Seite sie kämpfen würde, wenn es einen Krieg geben sollte. Er war der beste Beweis, dass seine Spezies unglaublich stark war und ein Kampf für die Menschen gefährlich werden würde, aber sie kannte den Überlebensinstinkt und Einfallsreichtum der Menschen und wusste, dass sie eine Möglichkeit suchen würden, sein Volk zu vernichten. Sie war ein Mensch und sollte deshalb auf der Seite der Menschen stehen, aber sie hatte sich ihnen nie verbunden gefühlt. Und er war ihr Freund und sie wollte nicht, dass er starb.
„Ich habe nicht erwartet, jemanden wie dich zu treffen. Ich habe nicht erwartet, dass ich einen Menschen mögen könnte.“
Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf ihre Lippen legte. Seine Worte sollten ihr nichts bedeuten, aber sie taten es. Seine nächsten Worte brachen ihr jedoch das Herz.
„Ich werde auf meinen Planeten zurückkehren, um mit der Obersten Herrin über das Schicksal der Menschen zu sprechen.“
„Das klingt vernünftig“, sagte sie, obwohl sie lieber etwas anderes gesagt hätte. Sie wollte ihm sagen, dass sie wünschte, mit ihm kommen zu können, weil sie sich in ihrem Leben gefangen fühlte. Weil sie sterben wollte, als er in ihr Leben getreten war und sie sich gesagt hatte, dass sie ihm helfen konnte, bevor sie ging, ohne zu ahnen, dass er ihr beweisen würde, dass das Leben noch lebenswert war und noch viel mehr bereithielt, als sie auch nur erahnen konnte. Dass dort draußen ein ganzes Universum voller Möglichkeiten existierte. Sie sagte ihm nicht, dass sie nicht wirklich zu den Menschen gehörte, weil sie sich nicht zu ihnen zugehörig fühlte. Doch zu ihm gehörte sie auch nicht, weil er völlig anders war als sie.
Er schwieg eine lange Zeit, bevor er wieder das Wort ergriff: „Auf meinem Planeten gibt es keine Menschen und alle sind so wie ich. Und trotzdem möchte ich dich bitten, mit mir zu kommen.“
Überrascht schaute sie ihn an. „Warum?“
„Als Beweis, dass es auch Gutes unter den Menschen gibt.“
Enttäuschung machte sich in ihr breit. Er betrachtete sie als Beweisobjekt.
Doch er war noch nicht fertig. „Und weil ich dich bei mir haben möchte. Immer.“ Er beugte sich hinab und legte seine riesige Hand vor ihr auf den Boden, in die sie zur Gänze hineinpasste.
Sie zögerte nicht einen Moment und kletterte hinein.
Sie war bereit, ihr Menschsein aufzugeben, um mit ihm zusammen sein zu können. Was bedeutete es schon, ein Mensch zu sein, wenn es Maschinen gab, die menschlicher waren als die Menschen? Sie wusste nicht, wie sie ihn lieben konnte, obwohl er aussah wie eine Maschine und gänzlich anders war als sie selbst. Aber sie tat es.
Wäre ich auch mit ihm gegangen, wenn ich gewusst hätte, wie alles enden würde? Wenn ich gewusst hätte, dass er mich verlassen würde, weil er eine Verpflichtung gegenüber seinem Volk hatte und ich seine Schwachstelle war? Wenn ich gewusst hätte, dass er trotzdem alles dafür tun würde, mich zurückzubekommen, als ich in die Fänge der Falschen geraten war? Wenn ich gewusst hätte, dass er sich trotz aller Widrigkeiten für mich entschieden hätte? Wenn ich gewusst hätte, dass sein Planet zerstört werden würde und er sich immer weiter von mir entfernte, erlegen den Einflüsterungen der Obersten Herrin, ihrer aller Anführerin? Wenn ich gewusst hätte, dass ich mit seinen Freunden, die er für den Kampf für die menschliche Rasse gewonnen hatte, gegen ihn kämpfen würde müssen? Wenn ich gewusst hätte, dass ich die Einzige war, die ihm mehr bedeutete als alle anderen, sodass er sich von den Einwebungen der Obersten Herrin befreien konnte? Wenn ich gewusst hätte, dass er für mich sterben würde? Wenn ich gewusst hätte, dass ich ein Bündnis mit der Obersten Herrin eingehen würde, um ihn zurückzuholen – im Austausch für mein eigenes Leben, womit ich sie von einer weiteren Chance für die Menschheit überzeugen konnte?
Wäre ich mit ihm gegangen, wenn ich all das gewusst hätte? Ich habe mir diese Frage oft gestellt, während wir kämpften und immer war die Antwort dieselbe: Er war es wert.