Er war der beste Freund meiner Großmutter. Sie verstanden sich sehr gut, telefonierten regelmäßig und sie besuchte ihn oft im Pflegeheim – zumindest so lange es möglich gewesen war. Ich kannte ihn kaum, aber er brachte meine Oma zum Lachen und das freute mich für sie. Sie hatte etwas Glück verdient. Ihr Leben war nie besonders einfach gewesen, viel zu oft hatte sie die falschen Menschen um sich gehabt. Und auch wenn ich ihn kaum kannte, so war er doch ein Teil meines Lebens. Er interessierte sich für das, was aus meinem Bruder und mir wurde, war stolz auf unsere Leistungen. Viel stolzer vermutlich als unser wirklicher Großvater es gewesen wäre, der akademische Leistungen nie zu schätzen gewusst hatte. Vor allem nicht bei Frauen. Er entstammte eben einer anderen Zeit und einer einfachen Welt. Er war immer gut zu uns, aber ich glaube, er hätte keinen Sinn dafür gehabt, welchen Weg mein Bruder und ich gehen würden. Er hatte nicht einmal meine Großmutter verstehen können.
Da war es umso besser, dass sie ihren besten Freund hatte. Denn auch wenn dieser älter als mein Großvater gewesen war, so hatte er als Lehrer doch viele Schüler gefördert, hatte sich dafür eingesetzt, dass etwas aus ihnen wurde. Und deshalb war er stolz, dass mein Bruder und ich unseren Weg gingen.
Er hatte gesagt, er wolle noch erfahren, wer der neue Bundeskanzler werden würde. So lange hatte er noch leben wollen. Und auch wenn er die Vereidigung nicht mehr erlebt hatte, so hatte er doch tatsächlich noch erfahren, wer es wohl werden würde. Aber dass ich eine Stelle als Doktorandin bekommen hatte, hatte er nicht mehr erfahren.
Auch wenn ich ihn nicht wirklich gekannt habe, macht es mich traurig, dass er jetzt fort ist. Dass er kein Teil meines Lebens und dem meiner Großmutter mehr ist.
Es macht mich traurig, wie viel er noch verpasst hat. Und ich begreife, dass es uns allen am Ende unseres Lebens so ergehen wird.