Sein Blick war fest auf das Mädchen gerichtet, das verloren auf der Mauer des Gartens saß und auf den kleinen See hinunterstarrte, in dem sich der Himmel spiegelte, ohne dass sie etwas sah. Ihre Augen waren ins Leere gerichtet, ihr Blick war stumpf und leblos. Ihr helles Haar flatterte im Wind, ohne dass sie sich regte. Sie war so blass, dass sie bereits mehr ein Geist war als ein Wesen aus Fleisch und Blut.
„Wie geht es ihr?“ Seine Schwester trat neben ihn und musterte das Mädchen auf der Mauer besorgt.
Er zuckte mit den Schultern.
„Glaubst du, sie wird es überstehen?“
„Ich hoffe es“, antwortete er.
„Das war nicht meine Frage.“ Er spürte ihren Blick auf sich ruhen.
Er wandte seine Augen von dem Mädchen auf der Mauer ab und erwiderte ihren Blick für einen Moment, bevor er sich erneut abwandte. „Nein. Ich glaube, dieses Mal ist es zu viel. Sie hat so viele Schläge einstecken müssen, so viel verloren. Sein Tod… Er war alles, was ihr geblieben war.“
„Aber wir können es doch nicht einfach zulassen! Wir müssen etwas unternehmen!“ Die Stimme seiner Schwester war laut geworden, doch noch immer reagierte das Mädchen auf der Mauer nicht, als wäre sie längst in einer anderen Welt, in die ihr niemand folgen konnte.
„Du willst sie nicht gehen lassen, weil es nicht deiner Vorstellung einer Rettung entspricht, aber es ist ihre Entscheidung“, entgegnete er. „Sie hat viele Schläge verkraftet, ist immer wieder aufgestanden, aber diese letzte Wunde wird nicht verheilen und es ist vielleicht besser, sie gehen zu lassen.“ Er las die Missbilligung in den Augen seiner Schwester, als er sie musterte. „Ich werde da sein und sie auf ihrem letzten Weg begleiten, gleichgültig ob sie sich dafür entscheidet zu kämpfen oder zu gehen. Ich werde da sein.“ Denn das war alles, was er tun konnte. Sie würde ihr Ende selbst wählen, sie würde das Glück auf die Weise finden, die sie für die Richtige hielt und er würde da sein, um sie zu halten.
Düstere Wolken zogen am Himmel auf, Regen begann zu fallen, durchnässte das weiße Kleid des Mädchens auf der Mauer, ohne dass sie etwas davon mitbekam. Die Tropfen auf ihrer Wange glitzerten, und er wusste, dass es keine Regentropfen waren, die sich in ihren Wimpern verfangen hatten.
Denn auch Engel weinen. Und die Welt weinte mit ihr.