Wenn die Menschen sagen, sie kennen Einsamkeit, bin ich immer skeptisch. Sie denken, Einsamkeit bedeutet, alleine zu sein.
Ich bin nicht einsam, wenn ich alleine bin. Das Leben in der Wildnis ist einfach. Keine Verpflichtungen, keine gesellschaftlichen Zwänge. Ich fühle mich nicht einsam. Hier draußen ist die Natur völlig unberührt und es fühlt sich an, als würde alle menschliche Unzulänglichkeit von mir abfallen und sich auflösen. Die Vergänglichkeit der irdischen Existenz verliert seine Bedeutung bei dem Gedanken, dass hier tausend Jahre einem Tag gleich zu kommen scheinen.
Wirkliche Einsamkeit bedeutet, dass man von tausenden Menschen umgeben ist und sich trotzdem verlassen fühlt. Wenn man immer ein Lächeln zeigt, bis niemand mehr zusieht und die fröhliche Maske abfällt.
Ich bin nicht einsam, wenn ich alleine auf meinem Berg bin, mitten in der Wildnis, weit und breit kein Mensch und keine menschliche Zerstörung. Wenn ich über die leere Ebene vor mir schaue, wie sie von der aufgehenden Sonne in goldenes Licht getaucht wird, die den Nebel vertreibt. Hier kann ich selbst sein. Ich bin einsam, wenn ich in einer Menschenmenge stehe und mich verstellen muss. Weil ich nicht sein darf, wer ich bin. Weil ich ein Mann bin, der einen Mann liebt.
Unsere Liebe ist eine einzigartige Geschichte. Wir hatten nie genug Zeit und ich wollte immer mehr, aber es gab für uns kein Mehr, denn die Gesellschaft, die Religionen, sie verboten uns einfach wir selbst zu sein. Weil es nur eine gesellschaftlich akzeptierte Liebe gibt, die nicht auf Ablehnung stößt. Wir mussten uns verstecken.
Nichts ist mir geblieben. Sie haben ihn verprügelt, weil er nicht war wie sie. Sie sahen ihn als Bedrohung, obwohl er einfach nur anders war. Meine Briefe kamen ungeöffnet zurück. Denn sie haben ihn getötet. Meine große Liebe. Es hätte nichts bedeuten sollen, dass er ein anderer Mann war.
Alles, was bleibt, ist Einsamkeit in der Mitte von unzähligen Menschen, weil ich niemals ich selbst sein kann.
Liebe besiegt alles, heißt es. Aber den Tod kann sie nicht überwinden.
Und ich frage mich: Ist es Einsamkeit oder Freiheit, die ich empfinde?