„Sag ihr endlich, was du fühlst!“, meinte sein bester Freund eindringlich, während sie einander an der Theke seines Hauses gegenüberstanden und einen Kaffee tranken, bevor sie zur Arbeit mussten. Das war ihr Morgenritual. Es war ihr Glück, dass sie nicht nur Freunde, sondern auch Nachbarn waren.
Er warf einen vorsichtigen Blick auf die Frau, um die es ging und die sich gerade Geschirr aus einem der Schränke suchte. Glücklicherweise sprach sie kein Deutsch, sonst wäre es ihm sehr peinlich gewesen. „Müssen wir das jetzt und hier besprechen?“, zischte er zurück. Er wollte nicht in ihrer Gegenwart darüber reden, obwohl er wusste, dass sie es nicht verstand. Eigentlich wollte er gar nicht darüber reden, daher kam ihm diese Ausrede gerade recht.
„Ja, müssen wir! Ich ertrage deine schmachtenden Blicke in ihre Richtung langsam nicht mehr. Mach endlich deinen Mund auf und sag ihr, was du fühlst!“, betonte sein bester Freund.
Er seufzte. Er wusste, dass dieser es nur gut meinte, trotzdem nervte es ihn, dass sein Freund es einfach nicht verstehen wollte. „Das ist nicht so einfach!“, gab er zurück.
„Oh doch, es ist sehr einfach. Sag einfach ‚Ich liebe dich‘ und gut!“
Sein Freund hatte die Welt schon immer viel zu einfach gesehen. Er wäre jemand, der einer Frau einfach sagen würde, was er empfand – wenn er jemals eine Frau treffen würde, für die er tiefere Gefühle hegen würde. Er war das komplette Gegenteil von ihm und verstand deshalb nicht, wie schwer es für ihn war. Ja, er war schon länger in sie verliebt. Seit sie das erste Mal hier gewesen war, genau genommen. Sie war wegen ihrer Arbeit viel unterwegs und als sie einmal in Deutschland gewesen war, war es ihm zugefallen, sie in der Bibliothek herumzuführen, in der er arbeitete. Sie war ihm gleich sympathisch gewesen und als sie ihn als Dank zu einem Kaffee eingeladen hatte, hatte er nicht Nein gesagt. Und als bei ihrer Hotelbuchung etwas schief gegangen war, hatte er ihr einen Platz in seinem Gästezimmer angeboten, obwohl es für gewöhnlich nicht seine Art war, Fremde in seinen geschützten Raum zu bringen. Aber mit ihr war es leicht gewesen. Sie war klug, witzig und hübsch und damit das absolute Gegenteil von ihm, obwohl sie ihm nie das Gefühl gegeben hatte, dass sie ihn nicht mochte. Wenn sie fort war, telefonierten sie oft und schrieben sich ständig. Und wenn sie wieder nach Deutschland kam, kam sie immer bei ihm unter. Das waren ihm immer die liebsten Tage. Er hätte sie gerne öfter hier, aber das war nun einmal nicht möglich. Natürlich hatte sein Freund schnell gemerkt, wie sehr er sie mochte und seitdem drängte er ihn, ihr zu sagen, was er fühlte, sie zu bitten, dass sie bei ihm blieb. Aber das konnte er nicht tun. Er wollte nicht die Freundschaft zwischen ihnen ruinieren. Zumal er wusste, wie sehr sie ihre Freiheit schätzte. Und was sollte sie schon an ihm finden? Er war spießig, langweilig und tat sich schwer mit Menschen. Außer seinem besten Freund und ihr gab es eigentlich niemanden in seinem Leben.
„Ich wünschte wirklich, es wäre so einfach, wie du es immer darstellst“, antwortete er seinem besten Freund.
„Das ist es, wenn du nicht alles wieder so kompliziert machen und alles zerdenken würdest!“, wandte dieser ein und warf einen Blick auf die Frau, die gerade zu ihnen an den Tresen getreten war. „Sorry, I know, it’s very unpolite to use a language you don’t understand, but it’s very important.“
Er nahm gerade einen Schluck von seinem Kaffee, als sie antwortete: „Oh, ist schon okay. Ich verstehe Deutsch langsam ganz gut.“ Ihre Worte hatten einen starken Akzent, aber es war eindeutig, dass sie seine Sprache viel besser verstand als er gedacht hatte. Er konnte nicht verhindern, dass er vor Schreck den Schluck Kaffee, den er gerade genommen hatte, wieder ausspuckte, als ihm bewusst wurde, dass sie vermutlich alles verstanden hatte.
Sein bester Freund schaute sie mit großen Augen an, bevor er sich mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck an ihn wandte. „Ich, ähm, hab was in meiner Wohnung vergessen“, stammelte er und war verschwunden, bevor er ihn aufhalten könnte. Feigling!
Er spürte, wie ihm die Röte in die Wangen kroch und griff eilig nach einem Küchenpapier, um den Kaffee wegzuwischen – und vor allem, um ihrem Blick auszuweichen. Er hatte nicht gewollt, dass seine Gefühle jemals ans Tageslicht kamen und schon gar nicht auf diese Weise.
Er erschrak, als sie auf einmal neben ihm stand. Sie konnte gerade noch seine Kaffeetasse aus seiner Reichweite bringen, bevor er diese auch noch umgeworfen hätte. „Vorsicht“, lächelte sie ihn an und stellte die Tasse auf die Anrichte. „Ich glaube, es ist Zeit, dass wir miteinander reden.“
Er wich ihrem Blick aus und atmete zittrig ein und aus. „E-es tut mir leid. Ich wollte das nicht.“
„Was wolltest du nicht? Dich in mich verlieben?“
Ihre Direktheit half nicht dabei, seine Unruhe zu bekämpfen. Nervös knetete er die Hände, schaute stur auf die Theke vor sich.
„Sieh mich an“, bat sie, doch er konnte es nicht. Sie legte einen Finger unter sein Kinn und hob es sanft an, bis sich ihre Blicke begegneten. Er liebte ihre Augen und den Blick, mit dem sie ihn immer musterte, mit dem sie ihn von Anfang an bedacht hatte. Nicht abwertend, wie die meisten, sondern voller Zuneigung, mit diesem ihr ganz eigenen Leuchten. „Was glaubst du, warum ich immer wieder herkomme? Warum ich Deutsch gelernt habe?“
Er zuckte ratlos mit den Schultern, wollte den Blick senken, aber sie hielt ihn mit ihren Augen gefangen. Es war ihm schon oft passiert, dass er kaum denken konnte, wenn sie ihn so ansah wie jetzt. Und jedes Mal hatte er sich noch unbeholfener verhalten als sonst. Doch nie hatte sie sich dann über ihn lustig gemacht.
„Weil es deine Sprache ist“, antwortete sie, „Also entschuldige dich nicht dafür, dass du dich in mich verliebt hast. Denn nur deinetwegen komme ich immer wieder.“
Und mit diesen Worten küsste sie ihn.