Der Arm, der sich von hinten um meinen Hals legt, kommt unerwartet. Ich habe nicht mit ihm gerechnet, obwohl ich es vielleicht hätte sollen. Ich hätte ihm nicht den Rücken kehren dürfen, aber ich habe ihm vertraut, tue es noch. Ich weiß, dass er den Dämon in sich bekämpfen kann.
„Jason“, flehe ich, hoffe, dass meine Stimme ihn daran erinnert, dass ich nicht sein Feind bin, hoffe, dass sie ihn an das Licht in sich erinnert und ihm hilft den Feind in sich zurückzudrängen.
Sein Arm schlingt sich fester um meinen Hals, schnürt mir die Luft ab und ich keuche, während ich angestrengt nach Sauerstoff ringe. Ich spüre, wie mir mein Bewusstsein entgleitet. Ich will ihm nicht wehtun, aber ich weiß, dass mir keine Wahl bleibt, wenn ich mich selbst retten will – und ihn.
Ich stoße ihm meinen Ellenbogen in den Bauch. Mit einem Ächzen entweicht die Luft seinem Körper und er krümmt sich zusammen. Für einen Moment lockert sich sein Griff und ich nutze die Gelegenheit, um mich aus seinem Arm zu entwinden. Ich bringe einen Schritt Abstand zwischen uns und drehe mich um.
Sein dunkler Blick ist auf mich gerichtet, seine Augen sind schwarz. Es ist nicht Jason, der mich ansieht. Es ist der Dämon in seinem Inneren, der ihn dazu zwingt, Dinge zu tun, die er nicht will, grausige Dinge. Ich weiß besser als jeder andere wie das ist. Denn auch in mir lauert ein dunkles Wesen, bereit, jede Sekunde meine innere Verteidigung zu überwinden und die Kontrolle über mich zu übernehmen. Jeder Tag ist ein ewiger Kampf.
„Du wirst sterben!“, krächzt er, aber es ist nicht seine Stimme, die spricht. Die Bösartigkeit, die in seinen Augen funkelt, gehört dem Monster, das in ihm lauert, nicht Jason. Er ist der friedfertigste Mensch, den ich kenne und es fällt ihm schwer, damit zu leben, dass er nicht gegen das Monster in seinem Inneren ankommt.
Mir bleibt keine Wahl. Ein Überraschungsangriff ist meine einzige Chance. Mit wenigen Schlägen habe ich ihn außer Gefecht gesetzt, schlinge meine Arme um seinen Körper und halte ihn fest, lasse meine Wärme auf ihn übergehen, höre dem Fauchen und Toben des Monsters zu, das irgendwann in ein leises Wimmern übergeht und schließlich verstummt.
„Es tut mir leid“, murmelt Jason, als das Monster seinen Geist und seinen Körper wieder freigibt. Ich erwidere nichts, weil ich weiß, dass es keine Worte gibt, die ihn beruhigen, die ihn trösten. Zu oft hat er bereits den Kampf verloren. Ich war immer zur Stelle, um ihn zu retten, um ihn zu beschützen. Aber eines Tages werde ich das nicht sein. Er wird Menschen töten, die ihm viel bedeuten. Vielleicht werde ich ebenfalls darunter sein. Vielleicht wird es mir irgendwann nicht mehr gelingen, ihn vor dem Monster in sich zu bewahren. „Ich komme nicht mehr dagegen an“, flüstert er hilflos. „Bitte!“, fleht er, während ihm die Tränen über die Wangen laufen.
Ich weiß, worum er mich bittet. Er hat es schon oft getan, immer, wenn er wieder von dem Monster überwältigt wurde. Er will, dass ich ihn töte. Aber das kann ich nicht. Statt einer Antwort umarme ich ihn fester.
Wie aus dem Nichts steht Michael neben mir. Er hat sich um uns gekümmert, seit wir von den Monstern wissen, war immer für uns da. Ich lasse Jason los, der weinend auf dem Boden liegen bleibt und folge Michael auf dessen Wink hin einige Schritte fort von Jason. „Es wird schlimmer“, stellt Michael fest.
„Wir bekommen das hin“, verspreche ich, obwohl ich weiß, dass ich es nicht versprechen kann. Dass es sinnlos ist.
„Er ist nicht stark genug und du bist nicht stark genug für euch beide“, betont Michael. Ich weiß, dass er Recht hat, aber ich will es nicht hören. Er seufzt. „Der Rat hat entschieden, dass es besser wäre, die Bedrohung zu vernichten.“
„Du willst Jason töten?“, entweicht es mir entsetzt, als ich begreife, was er sagen will.
Michael wirkt vollkommen ungerührt. Ich weiß, dass es seine Art ist, mit der Situation umzugehen, aber es gefällt mir nicht. Nichts hiervon gefällt mir. „Es ist das Beste. Wir müssen die Menschen schützen. Jason ist eine zu große Bedrohung und du kannst ihn nicht unter Kontrolle halten. Niemand kann das. Früher oder später wird das Monster dich töten.“
„Jason würde mir nie etwas tun!“
„Er ist nicht Jason. Nicht immer. Du hast es besser unter Kontrolle, sie werden dir nichts tun, bis sich das ändern mag.“
Ich schnaube. Das ist ein schwacher Trost. Was nützt mir mein Leben, wenn mein bester Freund tot ist, der mir immer und überall beigestanden hat? Mein ganzes Leben lang hatte es nur uns beide gegeben, er ist wie mein Bruder.
Wütend schaue ich Michael an. „Ihr werdet Jason niemals bekommen.“ Mit diesen Worten drehe ich um und innerhalb von Sekunden sind Jason und ich verschwunden.