Er konnte gerade noch so ein überraschtes „Uff“ hervorbringen, als er auch schon in den Bottich mit dem Süßwasser fiel. Seine Tauchpartnerin Mare, von dem Geräusch aufgeschreckt, drehte sich zu ihm um und brach in ein herzhaftes Lachen aus, als sie ihn wenig anmutig in dem Bottich hingen sah. „Hat da jemand vergessen, den zweiten Gurt zu öffnen?“, neckte sie ihn.
Er grinste schief und sagte nichts, während er den zweiten Gurt um seine Hüfte löste.
Sie waren gerade von einem Tauchgang zurückgekommen. Und da das Salzwasser der Tauchausrüstung rasch zusetzte, wurde sie nach jedem Tauchgang in einem Bottich mit Süßwasser versenkt. Er hatte den schweren Tauchrucksack mit Flasche und den Atemschläuchen gleich hinein tun wollen statt ihn noch irgendwo abzustellen – was wenig elegant in einem Bottich geendet hatte.
Noch immer breit grinsend trat Mare zu ihm hinüber und streckte ihm die Hand entgegen. „Brauchst du Hilfe?“
Er ergriff ihre Hand, obwohl er es auch alleine geschafft hätte und ließ sich von ihr aus dem Bottich helfen.
„Uff“, gab sie von sich, als sie ihn mit einem kräftigen Ruck aus dem Wasser zog, „Warum bist du so schwer?“
„Das ist alles der Neoprenanzug“, behauptete er, während er aus besagtem Anzug auf den Boden tropfte.
Sie verdrehte gutmütig grinsend die Augen. „Das hätte ich jetzt auch gesagt.“
„Wieso hast du eigentlich so kalte Hände? Bist du überhaupt noch lebendig?“ Er griff nach ihren Händen, um sie zwischen seine zu nehmen. Sie waren wirklich eiskalt – und so kalt war das Wasser wirklich nicht. Mal abgesehen davon, dass sie beide aus dem gleichen Wasser kamen und auch gleich lange im Meer gewesen waren – und seine Hände waren angenehm warm.
„Es kann ja nicht jeder so ein Heißsporn sein wie du“, konterte sie.
„Heißsporn?“, echote er ungläubig. Normalerweise war er das absolute Gegenteil von Heißsporn, eigentlich eher der schüchterne Typ, der lange brauchte, bis er mit jemandem warm wurde. Nur mit ihr war es von Anfang an anders gewesen. Von dem Moment an, als sie völlig nervös als neue Tauchlehrerin bei ihnen angekommen war und zuerst auf ihn getroffen war. Sie hatte ihn nach ihrem Tauchpartner gefragt, ob dieser nett und umgänglich war, ohne zu ahnen, dass er derjenige war. Es hatte ihn selbst ziemlich nervös gemacht, dass er eine neue Tauchpartnerin bekommen sollte, aber diese Sorgen waren alle fort gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Sie waren sofort auf einer Wellenlänge gewesen. „Na warte!“, rief er aus, bevor er sich seine völlig überraschte Tauchpartnerin schnappte. Glücklicherweise hatte sie ihren Tauchrucksack schon abgenommen und ihren Bleigürtel, ansonsten hätte er sie nicht heben können, aber jetzt hob er sie auf seine Arme und ehe sie sich versah, hatte er sie in den Bottich geschmissen, aus dem er eben erst geklettert war.
Prustend spuckte sie das Wasser aus, das sie in den Mund bekommen hatte. „Das wirst du mir büßen!“ Und schon hatte sie ihn am Arm gepackt und mit Schwung an ihm gezogen, sodass er überrascht selbst erneut in den Bottich purzelte. Der für zwei Personen definitiv zu klein war, sodass er nur wenig Wasser abbekam und zudem mehr auf ihr landete – was sie aber gar nicht störte, sie schaufelte ihm erst mal eine Ladung Wasser ins Gesicht.
„Hey!“, beschwerte er sich und spritzte ihr ebenfalls Wasser ins Gesicht.
Bevor er sich weiter rächen konnte, ertönte die Stimme von Kris, dem Kapitän des Bootes: „He, wenn ihr zwei fertig damit seid, euch wie Kinder zu benehmen, könnte ich dich mal kurz sprechen, Luka?“
„Wir sind doch keine Kinder“, betonte Mare, bevor sie ihm frech durch die nassen Haare strubbelte.
„Hey, du ruinierst meine Frisur!“, sagte er, während er ihre Finger aus seinen Haaren zog.
„Deine Ich-komme-frisch-aus-dem-Wasser-Frisur? Ja, die ist höchst beeindru-“, spottete sie, konnte den Satz aber nicht zu Ende bringen. Luka nutzte die Gelegenheit, während er sich aus dem Bottich drückte, sie noch einmal ins Wasser zu tunken, um ihre Worte zu unterbrechen. Als sie wieder auftauchte, strubbelte er ihr seinerseits durchs Haar und sie schaute ihn nur böse an, woraufhin er ihr ein freches Grinsen schenkte.
Dann ging er endlich zu Kris hinüber, der sie beide mit einem breiten Grinsen beobachtet hatte. „Worum geht es denn?“, wollte Luka wissen.
Doch Kris antwortete nicht auf seine Frage, sondern schaute von ihm zu Mare, die sich gerade aus dem Neoprenanzug schälte, und zu ihm zurück. „Ihr beide… Es ist immer wieder faszinierend, euch anzusehen.“
„Was soll das denn heißen?“
„Ihr blüht in der Gegenwart des anderen total auf. Jeder, der euch zusammen sieht, weiß sofort, dass ihr zusammengehört.“
„Wir sind aber nicht zusammen, was dir durchaus bekannt sein dürfte“, erinnerte Luka ihn. Was er in manchen Momenten durchaus bedauerte. Mare war für ihn so ziemlich die wichtigste Person in seinem Leben. Und er liebte sie. Es fühlte sich für ihn so an, als wären sie wirklich füreinander bestimmt. Aber es war ihm nicht wichtig, richtig mit ihr zusammen zu sein, solange sie nur ein Teil seines Lebens war. Ein großer Teil zugegebenermaßen, denn sie verbrachten jeden Tag den Großteil des Tages miteinander. Und ja, manchmal war da der Drang, sie zu küssen, aber er gab dem nicht nach. Gar nicht so sehr aus Angst, dass sich etwas ändern mochte an der Beziehung zwischen ihnen, sondern aus dem tiefen Glauben heraus, dass es nichts gab, dass zwischen ihnen stand und dass sie alle Zeit der Welt hatten. Vielleicht mochten sie also eines Tages zusammenkommen, vielleicht würden sie auch einfach weiter ihre Verbindung auf diese Art leben. Er liebte sie, aber er mochte es auch so, wie es war, er mochte ihre Nähe, ihre Freundschaft, wie wichtig sie füreinander waren, sodass alle Worte und jede Eile völlig überflüssig waren. Seine Liebe zu ihr war so viel mehr als körperliche Anziehung, so viel mehr als jede Art von Partnerschaft, dass es ihm nicht darauf ankam. Aber das konnte er schlecht erklären. Es klang völlig widersprüchlich in einer Welt, in der das Begehren einen so großen Teil der Liebe ausmachte. Er wollte nicht weiter mit Kris darüber reden, auch weil er es vermutlich nicht verstehen würde, deshalb wechselte er das Thema: „Was wolltest du denn nun?“
„Es gibt einige Unregelmäßigkeiten bei den Daten des Tauchgangs, ich schätze, dein Tauchcomputer ist wieder defekt, wir müssen ihn uns gleich ansehen.“
Luka seufzte. Das kam leider ständig vor und machte ihnen doppelt Arbeit – und konnte unter Wasser gefährlich werden, wenn die Tauchtiefe und die Tauchlänge falsch bemessen wurden. Auch deshalb tauchten sie immer zu zweit. Bei zwei Geräten war die Ausfallquote geringer. „Ich kümmere mich sofort drum“, versprach er.
Kris nickte und verschwand wieder in den Steuerraum. Luka begann damit, sich mühsam aus dem Neoprenanzug zu schälen. Das war wirklich das Schrecklichste am Tauchen: die Neoprenanzüge an- und auszuziehen. Gerade, als er es geschafft hatte, sich das Ding vom Leib zu zerren und er nur noch in Badeshorts dastand, trat Mare zu ihm, die auch nur noch ihren Bikini trug. Er hatte sie natürlich schon oft in Badekleidung gesehen, eigentlich jeden Tag, und er wusste, dass sie gut aussah. Aber das bedeutete ihm weniger als die Verbindung zu ihr. „Was wollte Kris?“, erkundigte sie sich, wobei ihre Stimme zitterte – so wie ihr ganzer Körper.
„Du bist echt eine Frostbeule“, meinte er, bevor er die Arme ausbreitete. „Komm her, der Heißsporn wärmt dich.“
Bereitwillig ließ sie sich von ihm in die Arme nehmen und kuschelte sich in seine Wärme. „Danke, du bist großartig, weißt du das?“
„Du erwähnst es beinahe jeden Tag. Nach jedem Tauchgang. Wenn du wieder frierst und ich dich wärme“, erklärte er grinsend, während er seine Arme um sie schloss und seine Wange auf ihren Kopf legte. Der Salzgeruch ihres Haares stieg ihm in die Nase. Er liebte es, wie sie immerzu nach Meer roch. Das Meer, das sie ebenso liebte wie er.
„Ich weiß meine persönliche Heizung eben zu schätzen!“
Er erwiderte nichts und genoss lediglich die Umarmung. Das war es, was er gemeint hatte. Seine Liebe zu ihr fühlte sich so kraftvoll, so rein an, sie gab ihm so viel Kraft und Zuversicht, dass er nicht in die Zukunft schauen musste, dass er keine Pläne machen musste, sondern einfach nur das Hier und Jetzt mit ihr im Arm genießen konnte. Er musste sie nicht begehren, um sie zu lieben, um ihr nahe zu sein. Sie waren Seelenverwandte.