Als ich aufwachte, merkte ich sofort, dass die andere Bettseite neben mir leer war, was vermutlich der Grund für mein Erwachen war. Seine Seite war noch warm, also konnte er noch nicht lange fort sein. Ich warf die Decke zurück und stieg aus dem Bett, um mich auf die Suche nach ihm zu machen. Ich fühlte mich unwohl, wenn er nicht neben mir lag, es erinnerte mich an die Angst, die ich gehabt hatte, als ich ihn zwei Mal verloren geglaubt hatte.
Ich fand ihn im Wohnzimmer vor der großen Glasfront, von wo aus er hinaus in die Sterne schaute. Er schien in Gedanken versunken, während ich seine fremdartige, mir aber so vertraute Gestalt musterte. Ich wusste, dass es schwer für ihn war. Er war Millionen Lichtjahre von seiner Familie getrennt, von seinem Volk. Er fühlte sich fremd unter den Menschen und ich wünschte, ich könnte etwas dagegen tun, doch ich war machtlos gegen das Gefühl der Einsamkeit, das ich selbst zu gut kannte, wenn er nicht bei mir war. Ich war zwar bei meinem Volk, aber oft fühlte ich mich fremd hier. Er war alles, was ich wollte. Ihn zu verlieren war unvorstellbar für mich und das Gefühl der Leere würde ich kein drittes Mal ertragen.
Ich erinnere mich noch sehr genau an das erste Mal. Wir hatten ihn in der Fremde gefunden und er war für eine lange Zeit mit uns gereist. Eine Zeit, in der wir uns nähergekommen waren. Ich hatte mich nicht mehr so alleine und verloren gefühlt, wenn er bei mir war. Er verstand mich auf eine Art und Weise, die ich bisher nicht gekannt hatte und ich hatte gedacht, dass es ihm genauso ging.
Doch dann hatten wir seine Heimat erreicht. Er hatte sich entscheiden müssen: zwischen mir oder seinem Volk und seiner Familie. Ich hatte nicht erwartet, dass er mich wählen würde, aber ich hatte es zumindest gehofft. Doch diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht. Er entschied sich zu gehen. Er wollte wieder unter seinesgleichen sein, denn er würde nicht hierhergehören, sagte er. Ich sagte ihm nicht, dass er zu mir gehören konnte, wenn er es wollte, weil ich seine Antwort fürchtete. In dieser Nacht weinte ich mich in den Schlaf und als er am nächsten Morgen aufbrach, blieb ich liegen. Ich wollte mich nicht verabschieden, denn es brach mir das Herz ihn gehen zu lassen, weil ich genau wusste, dass wir uns niemals wiedersehen würden. Er war Millionen von Lichtjahren von meiner Heimat entfernt, zu der wir einen Weg zurück suchten. Ich verstand, dass er gegangen war, weil er seine Familie und sein Volk sonst niemals wiedersehen würde und doch tat es entsetzlich weh.
Die nächsten Tage und Wochen waren für mich in einem Nebel verschwunden, in dem ich mich befunden hatte. Ich hatte mechanisch meine Aufgaben erledigt, ich hatte funktioniert, aber richtig anwesend war ich nicht gewesen. Und wollte es auch gar nicht sein. Ohne ihn hatte die Welt mir nichts mehr zu bieten.
Und dann hatte seine Familie ihn verraten und in den Tod geschickt. Als wir davon erfuhren, drehten wir sofort um, denn der junge Mann war uns allen ans Herz gewachsen. Und ich hatte gelernt, dass es ein schlimmeres Gefühl gab als den Gedanken, ihn nie wiederzusehen, weil er ein glückliches Leben weit entfernt von mir verbrachte. Der Gedanke, dass er tot sein könnte, bevor wir ihn erreichten, war viel entsetzlicher.
Wir konnten ihn in letzter Sekunde retten und von da an blieb er bei uns. Und obwohl ich nichts lieber wollte, als mich in seine Arme zu werfen und ihn nahe bei mir zu spüren, widerstand ich dem Bedürfnis und hielt mich stattdessen von ihm fern. Manchmal spürte ich seine Blicke auf mir ruhen, sah die Traurigkeit in seinen Augen, die sich in meinen spiegelte, und wandte mich dennoch jedes Mal wieder ab.
Auch das zweite Mal hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Mit jedem Tag, der seit seiner Rückkehr vergangen war, vermisste ich ihn mehr, doch ich fürchtete mich davor, noch einmal derartig verletzt zu werden, wie ich es gewesen war, als er gegangen war und ich gedacht hatte, ihn verloren zu haben. Wie wenig es mein Herz kümmerte, was ich wollte, bewies es mir, als er mir das Leben rettete.
Man hatte unser Schiff angegriffen und die Eindringlinge hatten es geentert. Wir wehrten uns nach Kräften und konnten die Fremden zurückdrängen, hatten aber viele Verluste zu verkraften. Ich selbst war beinahe von einem Schuss aus einer der fremden Waffen getroffen worden, bevor er sich dazwischengeworfen hatte. Mein Herz hatte ausgesetzt, als er stöhnend zu Boden sank. Ich konnte den Angreifer erschießen und als ich mich neben ihn kniete, dröhnte mir das Blut in den Ohren aus Furcht, dass er bereits tot sein könnte.
Die Ärzte machten mir wenig Hoffnung und ich bangte in diesen Tagen um sein Leben. Ich schlief nicht und verließ niemals den Platz neben seinem Bett. Ich machte mir Vorwürfe, dass er meinetwegen starb und dass ich so dumm gewesen war, zu glauben, dass meine Gefühle für ihn vergehen würden.
Doch er schaffte es. Nach einer Woche gaben die Ärzte Entwarnung und nachdem er das erste Mal die Augen aufgeschlagen hatte, kehrte ich nicht an seine Seite zurück. Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte und so verkroch ich mich in meiner Arbeit.
Er suchte mich in dem abgelegenen Lagerraum auf, in dem ich meine Arbeit versah, sobald er wieder auf den Beinen war. Ich spürte seine Anwesenheit, obwohl er kein Wort sagte, und drehte mich nicht um, als ich ihm sagte, dass er es nicht hätte tun sollen. Dass er sich nicht für mich hätte opfern sollen.
Die Wut in meiner Stimme war unüberhörbar und er fragte mich, warum ich zornig mit ihm sei.
Ich antwortete ihm, dass ich nicht wütend sei, sondern einfach verletzt. Er hätte mich schon einmal verlassen und ein weiteres Mal hätte ich nicht ertragen.
Er schwieg eine lange Zeit, bevor er mir sagte, dass er nicht gewusst hatte, dass es mich so verletzen würde, wenn er starb.
Da konnte ich es nicht länger für mich behalten und während ich herumfuhr, platzte die ganze Wahrheit aus mir heraus. Dass ich ihn gemieden hatte, weil ich es nicht ertrug in seiner Nähe zu sein, obwohl ich mich danach sehnte. Wie sehr ich Angst hatte, ihn zu verlieren. Ich sagte ihm, dass ich ihn liebte.
Nur einen Moment später fand ich mich in seinen Armen wieder, in die er mich energisch gezogen hatte und den stürmischen Kuss, den er mir gab, hatte ich bis heute nicht vergessen. Damals hatte mich zum ersten Mal diese intensive Wärme durchflutet, die seine Nähe seitdem beständig in mir auslöste. Als er sich von mir löste, erklärte er mir, dass er mich hatte retten müssen. Weil er ein Leben ohne mich niemals ertragen könnte. Weil er mich auch liebte.
Seitdem hatten wir viel erlebt. Wir hatten die harte Reise voller Schwierigkeiten und Probleme überstanden und waren zurück auf die Erde gekehrt, wo er sich oft Schikanen ausgesetzt sah, weil er einfach anders war. Ich stand zu ihm, auch als sich die ganze Welt gegen uns wandte. Mehrmals hatte er versucht, mich zu überzeugen, dass es besser war, ihn aufzugeben, aber es gab keinen Ort im ganzen Universum, an dem ich lieber sein wollte, als bei ihm. Und als er mich dann doch eines Tages fragte, ob ich ihn heiraten wollte, stimmte ich mit Tränen in den Augen zu.
All diese Erinnerungen gingen mir durch den Kopf, während ich ihn betrachtete. Mit leisen Schritten näherte ich mich ihm, schlang meine Arme von hinten um seine Brust und schmiegte mich an seinen Rücken. „Hey“, murmelte er, als er nach einer meiner Hände griff, einen kurzen Kuss darauf drückte und schließlich mit seiner umfasst hielt.
„Denkst du wieder an deine Heimat?“, fragte ich ihn.
„Du bist meine Heimat“, erwiderte er.
Mein Herz hüpfte vor Freude und ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Du weißt, was ich meine.“
Er seufzte, dann nickte er. „Manchmal fühle ich mich hier fehl am Platz. Die Menschen werden mich nie als einen von ihnen sehen und manchmal wünschte ich, dass zumindest einer aus meinem Volk hier wäre.“
„Dein Wunsch wird sich bald erfüllen.“
Er löste sich aus meiner Umarmung und drehte sich zu mir herum. Seine Stirn hatte er verwirrt gerunzelt. „Was meinst du damit?“
„Es wird bald noch jemanden von deinem Volk hier geben. Gut, eigentlich wird es nur zur Hälfte von deinem Volk sein, die andere Hälfte wird menschlich sein.“ Ich nahm seine Hand, mit der er immer noch meine hielt, und führte sie zu meinem Bauch.
Seine Augen weiteten sich überrascht, als er begriff. „Du erwartest ein Kind?“, hakte er ungläubig nach.
Ich nickte und etwas unsicher schaute ich ihm in die Augen. „Freust du dich?“
„Ob ich mich freue? Ich bin… sprachlos vor lauter Glück. Das ist einfach wundervoll!“ Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, bevor er mich in einen langen Kuss zog, der noch tausend Mal besser war als unser erster Kuss vor all diesen Jahren. Als sich zwei einsame Seelen zum ersten Mal verbunden hatten.